Energiekrise

Warum will Bayern an der Atomenergie festhalten?

Eine Fotomontage zeigt den Slogan "Kernkraft na klar" auf dem Kühlturm des Atomkrafwerks Isar 2, der weit über den Wohnhäusern der nahelegenen Ortschaft rausragt.
Das Atomkraftwerk Isar2: "Kernkraft, na klar" - so in etwa lässt sich die aktuelle Energiepolitik der bayerischen Staastregierung zusammenfassen (Fotomontage) © IMAGO/Wolfgang Maria Weber
09.08.2022
Bayern sieht einer Energiekrise im Winter entgegen und fordert daher einen Aufschub des Atomausstiegs. Das Problem ist hausgemacht, sagen Experten: Das Land habe wichtige Projekte der Energiewende blockiert. Die Rechnung zahlt der Steuerzahler.
"Bayern hat ein Energieproblem: Die CSU ist dafür verantwortlich, weil sie seit Seehofer diese Energiewende verschlafen hat. Das rächt sich jetzt," so schätzt Dlf-Landeskorrespondent Michael Watzke die aktuelle Energieversorgung im Freistaat ein.

Wie hoch ist der bayerische Stromverbrauch?

Sehr hoch, sagt Korrespondent Watzke. Allein das Chemie-Dreieck bei Burghausen im Süden Bayerns verbraucht etwa ein Prozent der gesamten Strommenge Deutschlands. Bayern sieht somit einem möglichen Energieengpass im Winter entgegen.
Die bayerische Staatsregierung fordert deshalb einen Streckbetrieb des Atomkraftwerks Isar 2. Eigentlich sollte der Meiler am Ende des Jahres mit den beiden anderen verbliebenen Meilern Neckarwestheim (Baden-Württemberg) und Emsland (Niedersachsen) abgeschaltet werden. Damit wäre der deutsche Ausstieg aus der Atomenergie vollzogen. Die drei Atomkraftwerke tragen derzeit etwa sechs Prozent des deutschen Stromverbrauchs.

Baut Bayern jetzt erneuerbare Energien aus?

Die bayerische Landesregierung erweckt zumindest vorsichtig diesen Eindruck, sagt Watzke. Vor allem die Windkraft war in Bayern lange ein Reizthema. Die 10H-Regelung, nach der ein Windrad von der nächstgelegenen Ortschaft mindestens das Zehnfache seiner Höhe entfernt liegen muss, gelte zwar weiterhin, wurde nun etwas aufgeweicht.

Warum wird der Streckbetrieb des AKWs Isar 2 gefordert?

Der bayerische Strommix war schon immer eher ungünstig, erklärt Watzke. Russlands Krieg in der Ukraine hat die Lage verschärft.
Bayern bezog lange Zeit einen erheblichen Anteil seines Strombedarfs aus der Atomenergie. Mit dem Ausstieg daraus hat Bayern vor allem auf Gas als Ersatz gesetzt - dieses ist nun knapp und teuer.
Windenergie spielt in Bayern hingegen kaum eine Rolle. Im Zuge der Energiewende wurden vor allem Solarflächen ausgebaut. Diese liefern im Winter allerdings wenig Strom. "Manche sprechen bereits von einer Deindustrialisierung Bayerns", so Watzke.

Was würde ein Streckbetrieb bringen?

Wenig, sagt der Kernphysiker Heinz Smital von Greenpeace. Er verweist auf Berechnungen des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft: Demnach würde ein fortlaufender Betrieb von Isar 2 weniger als ein Prozent Gas einsparen. Das entspreche der eingesparten Menge, wenn die bayerische Bevölkerung flächendeckend die Raumtemperatur um ein halbes Grad senken würde.
Smital hält das bayerische Vorpreschen in Sachen Atomenergie daher für ein Manöver, um vom eigenen energiepolitischen Versagen abzulenken. Andere Maßnahmen seien wirkungsvoller: deutlich weniger heizen und eine allgemeine Prozessoptimierung, um Gas einzusparen.

Wäre ein fortlaufender Betrieb von Isar 2 sicher?

Laut TÜV Süd ja. Allerdings weisen die oppositionellen Grünen in Bayern auf eine mögliche Befangenheit hin. Der TÜV Süd verdiene am weiterlaufenden Betrieb des Atomkraftwerks viel Geld. Doch Dlf-Korrespondent Watzke hält das Gutachten für belastbar und einen Betrieb über 2022 hinaus für vertretbar.
Anders sieht es der Greenpeace-Physiker Smital: Der TÜV Süd habe kein vollwertiges Sicherheitsgutachten erstellt. Die letzte tatsächliche Sicherheitsprüfung datiert auf das Jahr 2009. Die nächste wäre 2019 fällig gewesen, doch fiel wegen des Atomausstiegs aus.
Auch weist Smital auf Materialkorrosionen in den Meilern Neckarwestheim und Emsland hin. Diese sind baugleich mit den bayerischen.

Warum wird nicht überschüssige Energie in den Süden geliefert?

Das war im Zuge des Atomausstiegs eigentlich vorgesehen, berichtet Lorenz Storch: "Die Gleichstromtrassen Südostlink und Südlink hätten zur Abstellung von AKW Isar 2 fertiggestellt sein müssen." Darauf hat man sich - unter Billigung der bayerischen Regierung - 2014 beim Ausstieg aus der Atomenergie geeinigt. Dieses Ziel wurde allerdings nicht erreicht, auch wegen zahlreicher Proteste aus den Kommunen.
2014 war ein Kommunalwahljahr in Bayern. Auch vor diesem Hintergrund hat sich die bayerische Regierung schließlich an die Seite des Protests gestellt. Im Juli 2015 setzt sich Bayern durch: Die Gleichstromtrassen sollen auf ganzer Länge erdverkabelt werden. "Die Kosten vervielfachen sich und werden auf die Stromkunden in ganz Deutschland umgewälzt", berichtet Lorenz Storch.
Außerdem musste mit den Planungen erneut begonnen werden. Die Gleichstromtrassen werden erst Jahre nach dem AKW-Aus fertig sein. Für die Zwischenzeit wurden Gaskraftwerke gebaut, finanziert durch die Gebühren der Stromkunden.

(thg, mit Material von Michael Watzke, Lorenz Storch und Heinz Smital)

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