Gemeinsame Energiewende im Süden?
Die Energiewende ist beschlossene Sache. Doch welche Folgen hat sie für die Bundesländer? Unsere Autoren waren in Bayern und Baden-Württemberg unterwegs und meinen: Damit die Umstellung auf erneuerbare Energien gelingt, muss noch viel passieren.
Man sieht in erschöpfte Gesichter an diesem Tag im bayerischen Wirtschaftsministerium. Ein Forum geht zu Ende, auf dessen Ergebnisse ganz Deutschland gewartet hat. Der Energiedialog Bayern. Drei Monate lang haben Wissenschaftler, Politiker, Vertreter von Energiewirtschaft und Bürgergenossenschaften um die Energiewende in Bayern gerungen.
Wie kann geschafft werden, was als Jahrhundertaufgabe gilt: der Übergang vom Atomkraftzeitalter zu den erneuerbaren Energien? Und zwar bundesweit, nicht nur in Süddeutschland? Brauchen Deutschlands Industriestandorte im Süden, Bayern und Baden-Württemberg, zwei Stromtrassen aus dem Norden oder gelingt die Energiewende auch dezentral? Mit Gaskraftwerken, Windrädern und Photovoltaik? Viel Hoffnung wurde in den Energiedialog gesteckt.
An dessen Ende herrscht Ernüchterung:
"Da bin ich sehr verärgert, sage ich ganz ehrlich, weil sie jegliche Verantwortung im Moment versucht, nach Berlin abzuschieben, frei nach dem Motto: bad cop, good cop. Sie in Bayern mit Herrn Seehofer sind die Saubermänner und jetzt ist angeblich Sigmar Gabriel mit seinem Wirtschaftsministerium für alles verantwortlich. So läuft das nicht."
Die bayerische Wirtschaftsministerin habe in den vielen Diskussionen aber nur eigene Interessen berücksichtigt, kritisiert Detlef Fischer von der Energie- und Wasserwirtschaft. Kein Blick in den Norden und zum Nachbarn nach Baden-Württemberg:
"Es ist aus meiner Sicht nicht fair, zu sagen, wir schauen jetzt nur auf die bayerischen Interessen. Die anderen Bundesländer werden das dann auch tun und sie werden fordern, dann bezahlt doch euren Photovoltaikstrom künftig alleine, bezahlt auch euren Strom aus Biogas alleine. Denn den bezahlen die anderen auch mit."
Der Ausbau der erneuerbaren Energien gerät in Bayern immer mehr ins Stocken. Drei Monate hatte sich Bayern - und allen voran Ministerpräsident Horst Seehofer – in Berlin beim Bund ausbedungen. Man wolle noch einmal diskutieren. Ehe im Bundeswirtschaftsministerium von Sigmar Gabriel eine endgültige Entscheidung für die kommenden Jahrzehnte fällt. Mehrere Arbeitsgruppen saßen in München zusammen. Biogas, Windkraft, Wasserkraft. Die Arbeitsgruppe Versorgungssicherheit errechnete, dass zur Deckung des bayerischen Bedarfs 25 Terrawattstunden Strom in das Bundesland fließen müssen. Das entspräche der Strommenge von drei Kernkraftwerken. Doch Atomkraft soll es nicht mehr geben. Ab 2022. Bundesweit. Da ist man sich einig im Süden Deutschlands.
Doch alles was Wirtschaftsministerin Ilse Aigner zum Abschluss des Energiedialogs sagt, ist:
"Der Umfang des Netzausbaus ist davon abhängig, inwieweit es dem Parteivorsitzenden gelingt, den Betrieb und den Neubau von Gaskraftwerken zu ermöglichen, ohne die Kosten für den Strom signifikant zu erhöhen. Ich sehe nicht, dass für die Versorgungssicherheit zwei Trassen wirklich notwendig sind. Die Formel lautet zwei minus x. Wie groß das x ausfällt, hängt von den Verhandlungen in Berlin ab."
Was zwei minus x nun bedeutet? Klar ist, dass nichts klar ist. Zwei Trassen, eine Trasse, null Trassen? Eine quer durch das bayerische Rhöngebiet nach Gundremmingen oder doch lieber weiter westlich über Baden-Württemberger Gebiet?
Bayern habe wie versprochen einen Energiedialog geführt, nun sei Berlin gefragt, betont Aigner und überlässt das Feld Ministerpräsident Horst Seehofer und den Verhandlungen in Berlin. Sehr zur Verwunderung der Nachbarn in Baden-Württemberg.
Was die Energiewende für Baden-Württemberg bedeutet
Aus Sicht des baden-württembergische Umweltministers Franz Untersteller bedeutet die Energiewende für sein Land zunächst mal, dass der hohe Atomstromanteil ersetzt werden muss. Durch Strom, der im Land produziert oder eingespart wird. Oder durch Importstrom. Und was diese Ausgangslage angeht, sieht er viele Gemeinsamkeiten mit dem Nachbarland Bayern
"Bayern und Baden-Württemberg sind beides wichtige Industrieregionen, nicht nur in Deutschland, sondern auch in Mitteleuropa. Bayern und Baden-Württemberg hatten in der Vergangenheit hohe Kernenergieanteile, Bayern noch mehr wie wir, 56 Prozent, wir 50, beide gehen runter auf Null bis 2022, und beide Länder werden nicht in der Lage sein, das, was sie an Strombedarf haben, selbst abzudecken."
Grundsätzlich sei das kein Problem, denn schon heute importiert Baden-Württemberg Strom, aber künftig werde es eben mehr sein und das geht - so Untersteller - nicht ohne neue Trassen nach Norddeutschland. Angesichts der ähnlichen Situation in Baden-Württemberg und dem Nachbarn Bayern, herrscht in Stuttgart daher großes Unverständnis über die Folgerungen, die in München gezogen werden:
"Ich verstehe nicht, wie sich die bayerische Landesregierung insbesondere in der Person des dortigen Ministerpräsidenten seit Monaten dieser Situation verweigert und sich öffentlich hinstellt und sagt, den Ausbau der Versorgungsnetze nicht mit der bayerischen Landesregierung?. Nochmal, wir reden da nicht über nice to have, sondern wir reden da über Versorgungssicherheit. Und ich glaube, die ist auch dem Industrieland Bayern wichtig. Uns in Baden-Württemberg ist sie jedenfalls wichtig."
Bis ins Jahr 2005 kam der Großteil des Stroms in Baden-Württemberg aus fünf Atomkraftwerken. Heute sind noch zwei am Netz und auch die werden 2022 abgeschaltet. Das erste, das mit einer Leistung von 360 Megawatt verhältnismäßig kleine KKW in Obrigheim am Neckar, wurde schon 2005 im Rahmen des Atomkompromisses der damalige großen Koalition vom Netz genommen. Jetzt, zehn Jahre später, ist der Rückbau in der heißen Phase. Der Teil des Kraftwerks, der während des Betriebes im radioaktiven Bereich war, wird derzeit demontiert und verladen.
Gerade wird ein Dampferzeuger mithilfe eines zwölfachsigen Tiefladers auf ein Frachtschiff gerollt. Auf dem Wasserweg geht es dann weiter nach Stralsund, wo die Riesenmaschine zerlegt und die noch radioaktiven Teile im Inneren dekontaminiert werden.
"Man hat im Wesentlichen die Großkomponenten entfernt, hier die Dampferzeuger, sie sehen wie herausgehoben wurden, man hat die ganzen Kühlleitungen demontiert, hier sehen sie, hier Demontage der Kühlmittelpumpe, eines Elektromotors ..."
... erklärt Christoph Heil, Geschäftsführer der Atomsparte der EnBW.
Am verhältnismäßig kleinen Kernkraft Obrigheim sieht man, wie langwierig und aufwändig der Rückbau selbst eines kleineren Reaktors ist. Zuerst werden die nicht-radioaktiven Teile wie etwa die Turbinen und die Generatoren abgebaut, seit 2013 kann nun auch im Containment, also unter der großen Betonkuppe gearbeitet werden. Nun geht es ans Eingemachte, den Reaktordruckbehälter.
"Dieser ist jetzt aktiviert, das heißt er ist nicht kontaminiert. Kontaminiert heißt, das ist eine Radioaktivität, die wir entfernen können von der Oberfläche. Das ist bei der Aktivierung nicht der Fall. Das strahlt selbst, Und zwar so, dass wir sehr viele Sicherheitsmaßnahmen ergreifen müssen. Wir haben zum Beispiel den Behälter mit der lufttechnischen Einhausung versehen."
Die Verfahren werden hier erprobt, und das Know-how ist ein Kapital, das der Versorger auch künftig brauchen wird. Neben Obrigheim hat die ENBW noch vier Kraftwerkblöcke in Neckarwestheim und Philippsburg, von denen zwei seit 2011 stillgelegt sind und nun ebenfalls auf den Rückbau warten.
Möglicherweise können die Erfahrungen von hier, dann auch in Kraftwerken anderer Betreiber verwertet werden. In Zeiten der Energiewende muss sich ein Energieversorger eben umschauen, wo und womit er sein Geld verdient, so Umweltminister Untersteller:
"Das ist durchaus vielleicht auch ein Geschäftsmodell außerhalb des Landes. Wenn man mal schaut, weltweit kommen immer mehr Anlagen in ein Alter, wo man über die Stilllegung oder den Rückbau nachdenken muss. Und da ist natürlich so was wie Know-how beim Rückbau gefragt. Insofern ist es kein Zufall, dass sich auch das Management der ENBW darüber Gedanken macht, hier ein Geschäftsfeld zu entwickeln. Und das finde ich erst mal eine Überlegung, und zwar eine positive Überlegung."
Atomkraftwerk Isar 1 soll zurückgebaut werden - eigentlich
Zurück in Bayern, Niederbayern, in der Nähe von Landshut. Der klotzige Bau des Atomkraftwerks Isar 1 wirkt unscheinbar neben dem riesigen Kühlturm des Schwesterkraftwerks Isar 2, Deutschlands leistungsstärkstem Atomkraftwerk. Gut 30 Jahre lang, bis 2011, lieferte Isar 1 jedes Jahr rund sieben Gigawattstunden Strom. Ginge es nach dem Stromkonzern EON, dem Betreiber, dann wäre in zwei Jahrzehnten hier wieder grüne Wiese. Isar 1 soll rückgebaut werden wie Obrigheim. Eigentlich.
900 Megawatt-Leistung, die könne man nicht einfach abreißen, sagt Hubert Barthel vom Bund Naturschutz:
"Wir sagen, man sollte erstmal Alternativen prüfen, man könnte einen sicheren Einschluss planen, man könnte einen Abriss planen, also wie geht es mit dem Abriss weiter. Das wurde nicht gemacht. Wir haben gesagt, eigentlich darf man mit dem Abriss erst beginnen, wenn das Zwischenelementelager, das Nasselementelager, das die hochradioaktiven Elemente enthält, geräumt ist. Man kann doch nicht unten anfangen zu bohren und zu schweißbrennen, wenn das oben noch mit heißen, radioaktiven Elementen gefüllt ist. Auch da haben wir kein Gehör gefunden."
Bei einem Erörterungstermin im vergangenen Jahr konnten Umweltverbände und Anwohner ihre Bedenken und Anmerkungen dem Betreiber mitteilen. Was der Bund Naturschutz vor allem kritisiert, ist die Aussage des Betreibers, dass der Betonmüll nicht als Sondermüll behandelt werden soll, sondern ganz normal als Schutt weiterverwendet werden kann:
"Wir sagen uns, Bauschutt freimessen – wie wollen sie diese zigtausende Tonnen im Detail durchmessen, dann werden Plausibilitätsannahmen gemacht, also eine große Gefahr, dass dann doch solches Material freigemessen wird und das wurde uns ja auch bestätigt: Wenn das freigemessen ist, ist es normaler Baumüll, geht dann auf einen Lastwagen und geht dann in den Straßenschotter, in Kellerverfüllungen."
Bayern kann die Einwände der Naturschutzverbände nicht nachvollziehen. Der Antrag werde gemäß dem Atomgesetz geprüft und bei Unklarheiten nicht genehmigt, heißt es aus dem Umweltministerium. Dass der Stromkonzern EON das AKW schnellst möglichst rückbauen will, kann man dort verstehen. Denn wer wird in 50 oder 70 Jahren noch das Wissen haben, wie diese Anlage von 1979 funktioniert?
Etwas andere Sorgen hat die Bevölkerung vor Ort. Nur wenige 100 Meter weiter, in Niederaichbach ist die Meinung gespalten. Einige wollen sich gar nicht äußern, weil Familienmitglieder im AKW arbeiten, andere haben resigniert:
"Sorgen mache ich mir schon, dass mal noch irgendwas passieren könnte, aber ansonsten habe ich nicht viel zu sagen. Es ist denen ihre Entscheidung, ob sie es abreißen oder nicht."
"Sie mein Mann arbeitet im Isar 1, da gebe ich Ihnen keine Auskunft."
"Da kann ich leider nichts sagen, weil mein Mann da arbeitet."
"Das wird eingeschlossen, jetzt hab ich gehört, die haben nicht genug Castoren, ja keine Ahnung, wie man so was bewerkstelligen kann, wenn das Material nicht da ist."
"Abreißen und den Atommüll den EON-Besitzern in den Garten schmeißen."
"Ich bin dafür, dass es abgerissen wird, da können wir morgen tot sein, wenn es hoch her geht."
Was passiert, wenn die Sonne mal nicht scheint?
Der Strom, der bis heute aus den Kernkraftwerken in Landshut Grundremmingen, Neckarwestheim oder Philippsburg kommt, soll künftig vor allem aus erneuerbaren Energien kommen. Sonne, Wind, Biogas, Erdwärme. Die große Frage dabei: Strom gibt es im Grunde genug, aber was ist, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht?
Ein Problem, das es schon heute gibt nach der Abschaltung der ersten Tranche der Kernkraftwerke. Die vorläufige Lösung heißt: Reservekraftwerksverordnung. Und was das bedeutet sieht zum Beispiel hier, im Kohlekraftwerk Heilbronn des Energieversorgers ENBW Energie Baden-Württemberg.
Im Maschinenhaus ist es heiß und laut. Sechs Kraftwerkblöcke liegen hier nebeneinander, die ersten sind fast 100 Jahre alt und inzwischen stillgelegt, Block 5 und 6 stammen aus den 60er-Jahren und laufen unter Volllast.
"Hier steht die Turbine mit Generator jeweils von Block 5 und Block 6. Volllast heißt, wir machen 130 MW brutto, am Netz also um die 125 MW ..."
... so Schichtführer Roland Tscharf.
Es ist ein kalter Wintertag, das Audi-Werk im benachbarten Neckarsulm läuft auf Hochtouren und braucht Strom und Wärme, und genau deshalb sind die beiden Kraftwerksblöcke derzeit am Netz. Eigentlich sind die nach heutigen Maßstäben kleinen Kraftwerksblöcke für den Energieversorger nicht mehr rentabel. Er würde sie gerne zurückbauen. Aber zur Zeiten der Energiewende und mit Blick auf die Abschaltung der Atomkraftwerke müssen sie laut Reservekraftwerksverordnung betriebsbereit bleiben, so Holger Becker von der ENBW:
"Die Transnet BW, der Übertragungsnetzbetreiber in Baden-Württemberg hat in Abstimmung mit der Bundesnetzagentur die beiden Anlagen für systemrelevant erklärt. Das heißt, die werden für die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit gebraucht und dürfen deshalb nicht stillgelegt werden."
Das Problem ist: Der Strom ist im Augenblick so billig, dass die alten Blöcke schlicht nicht mehr rentabel sind, so der baden-württembergische Umweltminister Untersteller:
"Die Großhandelspreise sind in den letzten Jahren dramatisch gesunken. Um mal Zahlen zu nennen, 2008, 2009 haben Sie an der Großhandelsbörse in Leipzig 80 bis 90 Euro für die Megawattstunde erlöst, heute bekommen sie gerade noch 34, 35 Euro und decken Sie noch nicht mal die Kosten für den Betrieb von Bestandskraftwerken, die abgeschrieben sind."
An den Neubau von Gaskraftwerken, wie sie zu Zeiten der Energiewende gebraucht würden, um wetterbedingte Versorgungslücken zu füllen, ist gar nicht zu denken.
Merkwürdige Folge der Energiewende in Baden-Württemberg: Die alten Kohlekraftwerke müssen erhalten werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, auch wenn sich das derzeit für kaum jemanden rechnet. Untersteller fordert daher schon seit Jahren sogenannte Kapazitätsmechanismen. Energieversorger sollen nicht nur ihren Strom verkaufen, sondern auch für Stromkapazität bezahlt werden, die sie bereitstellen und bei Bedarf zur Verfügung stellen. In dem Augenblick, so Untersteller, in dem sich das lohnt, sei es für Energieversorger auch keine ungeliebte Pflicht mehr, sondern ein Anreiz, sich zu engagieren:
"Ich bin der festen Überzeugung, dass wir in der Ergänzung des Ausbaus der Erneuerbaren, von Windenergie, von Sonnenenergie, flexible Kapazitäten brauchen, um künftig Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Flexible Kapazitäten heißt in erster Linie schnell anlaufende Gaskraftwerke, kann aber auch heißen Speicherkapazitäten, oder kann bedeuten abschaltbare Lasten auf der Nachfrageseite, zum Beispiel bei der Industrie."
Bei Energieversorgern wie der ENBW rennt Minister Untersteller damit offene Türen ein. Gleiche die künftige Aufgabe der Betreiber von Kraftwerken doch der der Feuerwehr, so Holger Becker:
"Die Feuerwehr muss bei Bedarf, wenn's brennt, tatsächlich vorhanden sein und den Brand löschen. Unsere Anlagen haben eine vergleichbare Situation. Das heißt aber auch, dass die Vorhaltung der Leistung, die Fähigkeit im Fall des Falles dann auch löschen zu können, bezahlt werden muss. Das heißt wir erwarten eine entsprechende Leistungskomponente, dass die Vorhaltekosten dann auch bezahlt werden können."
In Würzburg wurde Kohle durch Gas ersetzt
Im Gegensatz zu Baden Württemberg, wo es noch acht Kohlekraftwerke gibt, existiert in Bayern nur noch ein einziges, im Münchner Norden. Dieses Heizkraftwerk versorgt die Landeshauptstadt mit 550 MW Leistung. Ähnlich wie das Heizkraftwerk von Würzburg früher. Dort wurde die Kohle vor zwei Jahren durch Gas ersetzt. In fünf Minuten können die Techniker der Würzburger Versorgungs- und Verkehrs GmbH WVV hier die Anlage hoch- und runterfahren. Damit sei Versorgungssicherheit gewährleistet, sagt Armin Lewetz WVV Geschäftsführer. Rentabel sei das Werk deshalb noch lange nicht:
"Diese Entwicklung konnte man 2005 und 2007, als wir diese Investitionsentscheidung getroffen haben, noch nicht absehen. Was wir aber vor drei Jahren vorhersehen konnten, ist diese Volatilität bei den Großhandelspreisen."
Bayern setzt auf Gaskraftwerke. Das ist Seehofers Weg in die Zukunft. Flexible Gaskraftwerke, bislang zwar noch nicht rentabel, aber sie seien besser als die zwei Stromtrassen, gegen die die Bürger massiv protestieren, so Seehofer. Sein Lieblingsprojekt ist das Gas- und Dampfkraftwerk Irsching bei Ingolstadt. Vor sechs Jahren wurde dort eine Versuchsgasturbine der neuesten Generation errichtet. Der Wirkungsgrad, der beschreibt wieviel des eingesetzten Gases tatsächlich in Energie umgesetzt wird, liegt nominell bei mindestens 60,4 Prozent. Eine der effizientesten Anlagen weltweit:
"Wir haben uns entscheiden, das künftig ohne Atom zu machen und wir haben eine sehr, sehr ehrgeizige Zielsetzung, dies alles bis zum Jahr 2022 zu schaffen und zwar unter Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit, vernünftiger Preise für Wirtschaft und Verbraucher und der Klimafreundlichkeit. Das ist schon ein gigantisches Vorhaben, aber ich fühle mich jeden Tag motiviert, wenn ich in diesem Bereich an der Front unterwegs bin, weil es eine richtige Aufbruchstimmung in Bayern gibt. Wir sind und bleiben die Modellregion für ganz Deutschland."
Allerdings war im Jahr 2012 das für wenigstens 4000 Betriebsstunden pro Jahr ausgelegte Kraftwerk nur 2000 Stunden am Netz. Der Betreiber beantragte eine Stilllegung, der Freistaat setzte bei der Bundesnetzagentur den Weiterbetrieb durch. Gewinnausfälle des Betreibers gleicht der Bund und damit der Steuerzahler aus.
Auch deshalb sehen Kommunen wie Vilsbiburg in Niederbayern diesen ausschließlichen Fokus auf Gaskraftwerke in Bayern skeptisch. Sie setzen auf Windkraft. Eine zweite Windkraftanlage wurde bereits geplant, liegt aber derzeit noch auf Eis. Stadtwerke-Chef Wolfgang Schmidt deutet auf den Standort seiner künftigen Windräder:
"Die Gaskraftwerke muss doch erstmal jemand bauen, es muss sich ein Investor finden, das wäre das Pendant zum Gaskraftwerk, um jederzeit die notwendige Energie zu Verfügung zu stellen."
Windkraft kann auch in Bayern rentabel sein
Denn natürlich bedeutet Energiewende in Süddeutschland auch: erneuerbare Energien vor Ort. Photovoltaik hat etwa einen besonderen Schwerpunkt im sonnenreichen südbadischen Freiburg, wo sich ein Teil der Solarbranche angesiedelt hat. Aber auch Windkraft spielt eine Rolle, obwohl der Wind hier lang nicht stark weht wie im Norden. Einer der ersten, die gezeigt haben, dass Windkraft dennoch rentabel sein kann, ist Frank Hummel, Geschäftsführer des Windkraftanlagenbauers Sowitec auf der Schwäbischen Alb. Er schaut zufrieden auf die Anzeigetafeln im Innern eines seiner Windräder:
"Also hier brummt heute der Generator, der an diesem windreichen Tag - wir haben etwa zwölf Meter pro Sekunde, das sind gut 40 Stundenkilometer, also wirklich viel Wind - fast mit voller Leistung läuft. Momenten haben wir um die 400 bis 500 Kilowatt. Wir stehen in einer Anlage, die maximal 600 Kilowatt leisten kann. Von daher, heute ein toller Windtag."
Der kleine Windpark Himmelberg in der Nähe des Dörfchens Melchingen war einer der ersten in Baden-Württemberg. Seit ziemlich genau 20 Jahren drehen sich die drei Windräder jetzt und sie sind der Beweis für etwas, das vor 20 Jahren in Baden Württemberg noch kaum jemand glauben wollte.
"Natürlich, Windkraft funktioniert. Die Anlagen hier auf dem Himmelberg laufen seit 20 Jahren, die haben sich bezahlt gemacht und werden hoffentlich noch weitere zehn Jahre laufen. Aber auch die modernen Anlagen sind heute extrem geeignet speziell fürs Binnenland."
Technisch sind die drei Windräder längst überholt, aber sie laufen und laufen; seit sechs Jahren sind die Investitionen abgeschrieben und die Firma verdient gutes Geld. Übrigens auch eine ganze Reihe Bürger aus der Umgebung, denn die Anlage ist ein Bürgerwindpark, in die viele Menschen aus der Gegend ein paar 1000 Euro investiert haben.
Frank Hummel hat in den 80ern Luft- und Raumfahrttechnik studiert und war dann als Ingenieur bei der heutigen EnBW. Er leitete damals ein Projekt, in dem geprüft werden sollte, ob sich Windkraftnutzung in Baden-Württemberg lohnt, was er nach ausführlichen Messungen mit einem klaren Ja beantwortete. Hummels früherer Arbeitgeber, die EnBW winkte damals trotzdem ab, kein Interesse an der Weiterführung des Projekts.
Hummel stieg aus und machte sich mit ein paar Gleichgesinnten selbstständig und sein Team baute die Anlage auf dem Himmelberg und in der Folge weitere Anlagen auf der Schwäbischen Alb - zumindest eine Zeit lang. Denn etwa ab 2004 unter der Landesregierung des erklärten Windkraftgegners Erwin Teufel wurde es immer schwieriger, hier Projekte genehmigt zu bekommen.
Seit 2011 allerdings hat sich auch in Baden-Württemberg etwas geändert. Die grün-rote Landesregierung hat sich den Ausbau der Windkraft auf die Fahnen geschrieben. Das Landesplanungsgesetz wurde novelliert, ein Windkrafterlass kam heraus - aus der Perspektive von Frank Hummel haben sich Rahmenbedingungen also verändert.
"Wir hatten Rahmenbedingungen, die eine Umsetzung unmöglich gemacht haben. Das hat die grün-rote Landesregierung deutlich geändert und deutlich verbessert. Das braucht Zeit, bis diese neuen Rahmenbedingungen greifen. Trotzdem sehen wir, dass immer mehr Flächen ausgewiesen werden und eine deutlich höhere Zahl von Bauanträgen eingereicht wird."
Tatsächlich sind seit Amtsantritt einige Windräder dazugekommen. Trotzdem verfügt das Flächenland bislang über nur 393 Windräder - lange nicht so viele, wie es die Regierung gern hätte. Aber immerhin zeigt die Kurve nach oben, sagt Minister Untersteller:
"Was das heißt, sieht man daran, dass wir sonst pro Jahr gerade mal zehn Anlagen genehmigt haben, in diesem Jahr wie gesagt 80 Anlagen genehmigt haben und im Moment noch 264 Anlagen im Verfahren haben. Und daran sieht man, trotz dieser schwierigen Anlaufperiode und der vielen Vorarbeiten, die wir leisten mussten, langsam sehen wir Licht am Ende des Tunnels. Langsam holen wir auf und kommen dann Stück um Stück von diesem letzten Platz, den wir bei der Windkraft noch immer haben, weg."
Aus für die Windkraft in Bayern?
Baden Württemberg holt auf - Bayern hingegen scheint sich in Sachen Windkraft nun zunehmend selbst Steine in den Weg zu legen,. So sehen es zumindest Kommunen wie Berg bei Starnberg.
Bürgermeister Rupert Monn hat jahrelang für einen Windpark gekämpft, jetzt blickt er desillusioniert auf das kleine Wäldchen außerhalb seiner Gemeinde Berg bei Starnberg. Im Herbst wurde in den kleinen Wäldchen in Sichtweite seines Büros gerodet. Vier Windräder sollten sich dort ab Sommer 2015 drehen. Strom für 8000 Haushalte. Monn hat sich deswegen mit Windkraftgegnern verbale Schlachten geliefert. Mit Hängen und Würgen wurden die Planungen abgeschlossen, ob die Windräder nun kommen, ist allerdings noch immer nicht klar:
"Also für die Kommunen ist das auf jeden Fall wesentlich komplizierter geworden, sich noch für die Energiewende einzusetzen. Bei uns im Landkreis Starnberg zum Beispiel: Wir haben uns alle Kommunen im Landkreis zusammengetan, um über 14 Teilflächennutzungspläne den Bau von Windkraftanlagen zu ermöglichen. Ich sehe einfach eine Verlagerung von oben nach unten zu den Kommunen. Die Bürgermeister, die Gemeinderäte handeln sich dann den Ärger ein."
Das Problem: Die 10-H-Regelung. Was sperrig klingt, bezeichnen die Kommunen als Aus für die Windkraft in Bayern. 10 H, das meint ein Windrad muss in zehnfacher Entfernung gemessen zu seiner Höhe von bebautem Gelände stehen. Wenn man weiß, dass Windräder sowieso rund einen Quadratkilometer im Umkreis an Freifläche benötigen, um sich den Wind nicht gegenseitig wegzunehmen, bedeutet das im zersiedelten Bayern das Aus für diese Form der erneuerbaren Energien. Außer: die Kommunen beschließen bei absoluter Mehrheit, eine Verringerung des Abstands. Ein bürokratsiches Monster, meint Monn.
Mit der Mehrheit der CSU und gegen die Stimmen der Opposition wurde das Gesetz trotzdem im vergangenen Herbst verabschiedet. Seitdem herrscht Flaute bei den Planungen für Windkraftanlagen.
Rund 700 Windräder drehen sich derzeit in Bayern, Tendenz stagnierend. Nach Fukushima hatte Ministerpräsident Horst Seehofer das Ziel von 1500 Windkraftanlagen ausgegeben. Davon ist der Freistaat mit Verabschiedung des Gesetzes weit entfernt, wettert Helmut Loibl vom Bundesverband Windenergie. Gemeinden wie Berg von Bürgermeister Monn hätten in Zukunft keine Möglichkeit mehr, von Windkraft zu profitieren. All die Bürgeranlagen und Bürgerprojekte, finanziert durch private Mittel, stünden vor dem Aus:
"Nun soll mit einem Federstrich plötzlich die Regionalplanung obsolet sein? Die Flächen sollen alle nicht mehr gültig sein, wo die Windräder geplant sind? Hier wird eine Planung zunichte gemacht, die von vielen Bürgern getragen wurde."
Über 150 Bürger und Verbände haben in der Klagegemeinschaft Pro Windkraft rund 55.000 Euro gesammelt, um in einer Popularklage gegen das neue Gesetz vorzugehen. Die Opposition hofft so die 10-H-Regelung doch noch zu kippen. Weniger optimistisch ist Hubert Weiger, Chef des Bund Naturschutz Bayern. Er kann nachvollziehen ...
"…dass viele Bürger in den Windenergiegenossenschaften sagen, ja ist mein Engagement nicht mehr erwünscht und dass auch Projekte, die absolut akzeptiert sind, absolut nicht mehr umgesetzt werden."
Die CSU hingegen ist immer noch überzeugt von der Notwendigkeit ihres 10-H-Gesetzes. Nach früherem Recht konnte sich ein fremder Investor einen Bauplatz aussuchen und die Gemeinde hätte ihn nicht daran hindern können, erklärt Wirtschaftsministerin Ilse Aigner. Mit dem neuen Gesetz würden die Rechte der Kommunen gestärkt:
"Die Befürchtung war ja oft so, wenn ein Investor von außerhalb gekommen ist, der hat jederzeit ein Baurecht gehabt, wegen der Privilegierung und manche konnten sich eben nicht dagegen wehren und deshalb ist es ein Instrument für die Entscheidung vor Ort."
Die Kommunen könnten jetzt selbständig über ihre Windkraftanlagen, die Abstände, die Höhe und die Finanzierung entscheiden, die 10-H-Regelung gelte nur für auswärtige Investoren. Dass die Opposition jetzt gegen das Gesetz klagt, sehe man gelassen, heißt es aus dem Wirtschaftsausschuss.
Die Opposition sieht in dieser Erklärung ein Ablenkungsmanöver. Praktisch werde mit dem Gesetz die Entscheidungshoheit der Gemeinde eingeschränkt, so Natascha Kohnen, SPD-Generalsekretärin. Jede einzelne Kommune müsse nun alle umliegenden Gemeinden um Zustimmung für ausgewiesene Windkraft-Standorte bitten - rechtlich sehr kompliziert:
"Da gibt es das Problem, dass Gemeinden, wenn sie bei Nachbargemeinden zustimmen beziehungsweise mitbestimmen, dass sie dann die kommunale Planungshoheit beziehungsweise ihren Wirkkreis verlassen und das ist verfassungswidrig. Das wäre zu prüfen, aber da weigert sich ja die CSU im Moment, die wollen nur Augen zu und durch."
Wird das grüngeführte Baden-Württemberg deshalb Bayern bald überholen in der Windkraft? Geht es nach Hubert Weiger vom Bund Naturschutz, dann dürfte das der Fall sein. Seine Hoffnungen liegen nun allein bei Kommunen wie Berg, die trotzdem für ihre Windmühlen kämpfen:
"Also an der 10-H-Regelung, so wie momentan die Mehrheiten im Landtag sind, wird nicht zu rütteln sein, es sei denn, es kommt zu einem dramatischen Einbruch der Windenergie, wofür vieles spricht. Dann wird man das vielleicht überdenken. Und worauf wir jetzt setzen, ist auf die Kommunen, dass die über Bebauungspläne entsprechend Vorranggebiete für Windkraft in den eigenen Gebieten ausweisen. Das heißt, es schlägt jetzt eigentlich das Engagement umweltengagierter Kommunen."
Unterschiedliche Folgen für Bayern und Baden-Württemberg
Auch wenn die Ausgangssituation für die Energiewende in Bayern und Baden-Württemberg viele Parallelen hat, sind die Folgerungen, die daraus gezogen werden, unterschiedlich. Bei den Stromtrassen tritt Bayern auf die Bremse, bei der Windkraft führt die 10-H-Regelung zu einer Lähmung des Ausbaus. Beim Biogas sieht es besser aus, nicht zuletzt weil Seehofer beim neuen Erneuerbare Energien-Gesetz massiv Lobbyarbeit für die bayerischen Landwirte gemacht hat.
In den über 250 Bürgergenossenschaften mit Photovoltaikanlagen sieht man jedoch skeptisch in die Zukunft wegen der drastischen Kürzung der Einspeisevergütung. Die Aufbruchstimmung ist vorbei. Man spricht sich auf politischer Ebene energisch für eine Energiewende in Bayern aus, nur wie die aussehen soll? Dezentral am liebsten, mit eigener Wertschöpfung laut Seehofer. Im kommunalen vielleicht realistisch. Die bayerische energieintensive Wirtschaft wird da aber nicht mitmachen.
Im grün-rot regierten Baden-Württemberg sieht das anders aus. Die Ausgangslage im Jahr 2011, als der Ausstieg aus der Atomkraft erklärt wurde, war wegen der bis dahin politisch nicht gewollten Windkraft schwieriger als beim bayerischen Nachbarn. Allerdings ist es einfacher nach vorne zu kommen, wenn man von ganz hinten startet, wie zum Beispiel bei der Windkraft,. Umweltminister Untersteller jedenfalls ist überzeugt davon, dass es klappen wird mit der Energiewende, auch im bislang atomkraftlastigen Baden-Württemberg.
"Ja klar, sonst würde ich nicht mich Tag für Tag dafür einsetzen, wenn ich nicht überzeugt wäre, dass es klappt. Und nicht nur, dass es klappt, sondern ich bin davon überzeugt: Es ist eine Chance für uns als Industrieland."
Dass es eine Chance ist, sieht man an Firmen wie Sowitec auf der Schwäbischen Alb. Eine Chance, mit der aber auch viele Risiken verbunden sind. Das lässt sich in BW auch gut beobachten. An der schlagzeilenträchtigen Insolvenz des Windanlagenbauers Windreich etwa, oder am schnellen Aufstieg und qualvollen Niedergang einiger Solaranlagenbauer rund um das südbadische Freiburg. Sogar der finanziell äußerst solide Bosch-Konzern hat seine Solarbranche verlustreich wieder abgestoßen, nachdem die Preise durch die Importe aus Fernost dramatisch gefallen sind.
Dennoch: Die grün-rote Regierung hat seit Amtsantritt das Planungsrecht geändert, um die Chancen für die Windkraft zu verbessern. Ein sogenanntes Erneuerbare Wärme Gesetz wurde erlassen, mit dem im häuslichen Bereich Energie gespart werden soll. Und auch auf kommunaler Ebene tut sich viel. Stadtwerke erneuern ihre Laufwasserkraftwerke, investieren in Windparks oder Solaranlagen. Und schließlich gibt es auch beim Energieversorger ENBW einen Paradigmenwechsel. Der neue Vorstand Frank Mastiaux will den Noch-Atomkonzern zum Vorreiter bei Erneuerbaren Energien machen. Seit 2011 hat der Konzern unter anderem massiv in Windparks in der Ostsee investiert.
Am Ende, meint Umweltminister Untersteller, wird Deutschland und wird Baden-Württemberg von der Energiewende profitieren.
"Wo wenn nicht in Baden-Württemberg sollten wir schauen, dass das Projekt Energiewende funktioniert, denn gerade eine Technologieregion wie BW wird von der Energiewende profitieren, davon bin ich zutiefst überzeugt."
Klar ist dabei allen Beteiligten: Ein Spaziergang wird es nicht. Bis zum Jahr 2022, dem Datum für die Abschaltung der restlichen Atomkraftwerke, sind es nur sieben Jahre. Jahre, in denen viel passieren muss.