"Bayern und Baden-Württemberg sind auf dem Holzweg"
Die Schulsenatorin in Hamburg, Christa Goetsch (GAL), hat den Beschluss, die Grundschule auf sechs Jahre zu verlängern und die Hauptschule abzuschaffen, verteidigt. Länder wie Bayern und Baden-Württemberg würden es mit dem dreigliedrigen Schulsystem nicht schaffen, "aufgrund der sozialen Herkunft und der ethnischen Herkunft tatsächlich eine gleiche Bildungschance herzustellen", sagte Goetsch.
Deutschlandradio Kultur: Sie sind gerade mal zwei Wochen im Amt. Werfen wir trotzdem einen Blick in die Zukunft. Nehmen wir mal das Jahr 2020. Wie wird es aussehen? Ole von Beust ist weiterhin Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, auch dank der Grünen, und alle Kinder gehen zwölf Jahre gemeinsam zur Schule?
Christa Goetsch: Das ist eine Vision, die sicherlich erstrebenswert ist. Aber ich glaube, zu diesem Zeitpunkt werden Herr von Beust und ich doch in Rente oder Pension sein, weil die Verlängerung dann bis 70, 75 - glaube ich - nicht durchkommen wird. Insofern Spaß beiseite, ich denke, dass wir jetzt erst mal in dieser Legislatur ein ambitioniertes Arbeitsprogramm haben, um den ersten Schritt zu schaffen, die frühe Auslese nach der vierten Klasse, zu überwinden.
Deutschlandradio Kultur: Was wird mit dem Gymnasium sein? Sie haben traditionsreiche Oberschulen, das Johanneum 479 Jahre alt, das Christianeum 270 Jahre alt, das noch relativ junge Wilhelm-Gymnasium 126 Jahre alt. Passen die noch in Ihr Bildungskonzept?
Goetsch: Die werden in der Schulentwicklung auch eine wichtige Rolle spielen, wie alle anderen 59 Gymnasien. Insofern sprechen wir natürlich von der gesamten Bildungslandschaft. Unser Ziel ist ja, durch diese strukturelle Reform gleichzeitig aber auch die ganze Lernsituation - individualisierten Unterricht, die Qualität der Unterrichtsentwicklung - genauso wichtig zu entwickeln, weil Strukturen alleine werden nichts verändern, dass wirklich die unterschiedlichen Fähigkeiten der Kinder entwickelt und nicht so viele Talente wie jetzt verschenkt werden. Insofern spielen diese drei von Ihnen genannten Gymnasien in der Schulentwicklung weiter eine Rolle, nur dass sie eben wie alle anderen erst in der Klasse 7 starten.
Deutschlandradio Kultur: Um das richtig zu verstehen: Wir werden das dreigliedrige Schulsystem in Hamburg nicht mehr haben, dafür sucht man sich ein zweigliedriges?
Goetsch: Wir werden die Vielgliedrigkeit abschaffen, reduzieren. Wir hatten eine Siebengliedrigkeit, wenn man ehrlich ist, in der Sekundarstufe eins - von den integrierten Haupt- und Realschulen, von HR-Schulen, von Gesamtschulen, von integrierten kooperativen Gesamtschulen, Gymnasien, Förderschulen. Also, es war eine Zersplitterung über die letzten Jahrzehnte erreicht worden, die eben nicht zu einer qualitativen Verbesserung geführt hat, so dass wir jetzt eine Primarschule haben - von der Vorschule bis zur sechsten Klasse. Das ist das Ziel für diese Legislatur. Und dann folgen zwei Wege zum höheren Abschluss: verkürzt zum Abitur über die Gymnasien und über 13 Jahre eben über die so genannte Stadtteilschule, wo sich Gesamtschulen, Aufbaugymnasien und Haupt- und Realschulen vereinigen werden.
Deutschlandradio Kultur: Nun sind das nur Ideen sie stehen im Koalitionsvertrag, sind noch gar kein Gesetz. Das Gesetz ist noch nicht da und das Volksbegehren ist schon unterwegs. Die Eltern der Gymnasien protestieren. Kann das noch mal die Schulreform behindern?
Goetsch: "Die Eltern der Gymnasien" wäre viel zu pauschal. Es gibt genauso wie auf der anderen Seite eine Volksinitiative "Schule für alle" über die direkte Demokratie, die ich persönlich sehr begrüße, eine Initiative "Wir wollen lernen". Da ist eine Gruppe, die eben Sorge hat und sagt, es muss das System der frühen Selektion von 10-jährigen Kindern bleiben. Das ist ihr gutes Recht. Aber das macht mir jetzt keine Sorge, sondern das ist eher Antrieb, noch mal Kraft der Argumente zu überzeugen, dass es vor allen Dingen für die Entwicklung der Kinder, auch für die starken Kinder, wichtig ist, nicht so früh sich festzulegen, sondern eben endlich europäische Standards zu erreichen.
Deutschlandradio Kultur: Interessanterweise ist ja diese sechsjährige Primarschule nicht was völlig Neues. Das haben andere Länder auch versucht, beispielsweise Berlin. Es ist aber nicht unbedingt der Garant dafür, dass diese Schüler dann bessere Leistungen bringen.
Goetsch: Sie spielen auf Berlin und Brandenburg an und natürlich auf die jetzt viel diskutierte Element-Studie. Da muss man zum einen sagen, dass Herr Lehmann sich ja auch etwas in der Interpretation korrigiert hat, dass natürlich die Berliner Schule es schon schafft, auf jeden Fall die Schwächeren besser zu qualifizieren. Aber es gibt tatsächlich eine Problematik in Berlin, deshalb ist das nicht unser Vorbild per se. In Berlin unterrichten keine Gymnasiallehrerinnen und -lehrer in der Grundschule. Es ist eben ein bisschen zu stark nur die Verlängerung der Grundschulzeit im Fokus. Das will ich jetzt auch nicht pauschal für alle Kolleginnen in Berlin sagen.
Also, wir haben eine Primarschule vor, die sowohl die Methodenkompetenz der Grundschulkollegen und die Fachlichkeit der Sekundarstufe-I-Kollegen zusammenbringt. Ich denke, das ist auch unter dem Aspekt der Personalentwicklung eine sehr, sehr gute Sache, dass wir null bis drei, also Vorschule bis dritte Klasse, als pädagogische Einheit sehen, eher der Elementarbereich, und dann eben in vier bis sechs sozusagen das Lernangebot, vor allen Dingen in den Regionen, auch qualitativ sehr spannend sein wird, mit dem Fremdsprachenangebot, naturwissenschaftlichen, musischen Angeboten, so dass eben da eine sehr gute Vorbereitung über den individualisierten Unterricht für diese Kinder passiert - besser als jetzt.
Deutschlandradio Kultur: Warum sollen sich Eltern, die ihre Kinder aufs Gymnasium schicken wollen, auf dieses Experiment einlassen, wenn ihnen nicht gesagt wird: Meine Kinder, die vielleicht begabter sind, werden auf dem Gymnasium von Anfang an besser gefördert, als auf der Grundschule. Die müssen sich ja auf ein Experiment einlassen.
Goetsch: Das ist kein Experiment, sondern es wird ein sehr sorgfältig vorbereitetes Reformvorhaben, was ja eben neben der strukturellen Vorbereitung eben auch eine große Vorbereitungszeit für die Fortbildung der Lehre, für die Lehrerbildung beinhalten wird. Das ist sowieso dringend nötig, um mit der Heterogenität der Kinder umzugehen. Wir haben in Hamburg zurzeit über 50 % der Anmeldungen am Gymnasium. Und wir haben aus den Studien natürlich auch die Ergebnisse bei der so genannten KEF-7-Studie, dass in Klasse 5 und 6 keine Lernfortschritte im Gymnasium erzielt worden sind. Also, man kann nicht per se sagen, das ist alles besser am Gymnasium in 5 und 6 und da wird schon das erreicht was notwendig ist, um diesem schnelleren höheren Bildungsabschluss zu erreichen. Da wäre ich sehr vorsichtig. Für die Eltern ist das ja vollkommen berechtigt zu sagen, ich möchte gern, dass mein Kind möglichst dieses Ziel erreicht, halte es aber für falsch, das so früh zu entscheiden. Die Eltern haben ja nach der 6. Klasse dann auch jegliches Wahlrecht, welches Gymnasium sie dann aussuchen, das bleibt ja unverändert.
Deutschlandradio Kultur: Aber es werden dann diejenigen aufs Gymnasium gehen, die die Gymnasialempfehlung haben? Oder ist Ihr Ziel auch, dass die Kinder dann möglicherweise in einer Gesamtschule oder Stadthaltschule bleiben und dort das Abitur machen?
Goetsch: Beides ist möglich. Das Gute ist ja, dass beide Wege zum Abitur führen. Bildungschancen werden jetzt nach der 6. Klasse nicht gekappt und die einen bleiben z.B. auf der Hauptschule, die es nicht mehr geben wird in Hamburg, schon ab diesem Sommer nicht mehr. Wir gehen da ja auch an zwei Stellen Schritte, die einfach nötig sind. Hier in der Großstadt ist ja dieses "Restschulsyndrom" der Hauptschule so extrem, wie auch in anderen Großstädten, so dass wir diesen Gang sowieso nicht mehr machen. Wir haben da großes Glück in Hamburg, sowieso keine isolierten Hauptschulen zu haben. Die sind sowieso am Standort mit Realschulen miteinander. Wir haben sehr starke Gesamtschulen hier in Hamburg mit gymnasialen Oberstufen. Wir haben hier die Deutsche Schulpreis Schule, die eine Gesamtschule ist. Es ist ja nicht so, dass die Gesamtschulen in ihrer Leistung hier in Hamburg weniger Erfolg hätten. Wichtig ist einfach, dass auch die gymnasiale Oberstufe dran hängt, um das so salopp zu formulieren, damit wirklich auch klar ist, dass die Chance da ist, zum höchsten Bildungsabschluss zu kommen.
Deutschlandradio Kultur: Das erklären wir vielleicht noch mal: Sie haben auf der einen Seite die Primarschule, die sechs Jahre lang laufen soll.
Goetsch: Eigenständig.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht kann man sogar sieben Jahre sagen, wenn man die Vorschule mitrechnet.
Goetsch: Auf jeden Fall.
Deutschlandradio Kultur: Dann haben Sie eine Sekundarschule. Auf der einen Seite kann ich aufs Gymnasium gehen oder ich gehe eben in die Stadtteilschule. Die besteht aus den alten Realschulzweigen, Hauptschulzweigen mit einem eigenen Gymnasialzug, der auch nach neun Jahren zum Abitur führen könnte?
Goetsch: Realschule oder Gesamtschule ist aber nicht getrennt, sondern es ist dann wirklich ein zweiter Weg, der integriert arbeitet neben dem Weg des Gymnasiums.
Deutschlandradio Kultur: Wie unterscheidet sich die Stadtteilschule von der alten Gesamtschule? Das ist ja die Kernfrage des Streites.
Goetsch: Ich glaube, das ist kein Streit. Wir haben in der Enquetekommission, wo wir damals als Grüne, also vor anderthalb Jahren, natürlich ein Minderheitenvotum abgegeben haben, weil wir ja unser Konzept "9 macht klug - gemeinsames Lernen nach skandinavischem Vorbild" programmatisch betrieben haben, von der Partei her natürlich weiterhin. Da haben die beiden großen Fraktionen - CDU und SPD - ja in einem Votum für dieses so genannte 2-Säulen-Modell votiert.
Die Stadtteilschule sollte eher auch schon berufsorientierter ausgerichtet sein auf die gymnasiale Oberstufe dort, eventuell mit Dualisierung - auch sicherlich spannend, Kollegschulmodelle usw. Das ist gar nicht die Frage. Aber wie im Einzelnen die Ausgestaltung sein wird, wird noch entwickelt. Ich habe zwar einen Plan und eine Programmatik, die wir jetzt in der Koalition eben zu diesem vernünftigen Kompromiss geführt haben, aber es wird sehr viel in dieser Vorbereitungszeit noch entwickelt werden. Deshalb ist es jetzt nicht so ein Konzept Top-Down durchexekutiert, sondern es ist auch wichtig, dass in den Regionen die Schulleitungen, die Elternräte beteiligt werden.
Deutschlandradio Kultur: Man könnte ja auch umgekehrt sagen: Das, was die in Bayern oder in Baden-Württemberg machen, sprich: dreigliedriges Schulsystem, obwohl sie teilweise gute PISA-Ergebnisse haben, ist falsch. Die sind auf dem Holzweg.
Goetsch: Sie sind aus dem Grund auf dem Holzweg - bei all den guten Ergebnissen, wobei ja, Flächenländer und Großstädte zu vergleichen, sowieso Äpfel und Birnen sind. Das ist ja auch interessant. Hamburg hat mal den Antrag in der KMK gestellt, einen Großstädtevergleich anzustellen und die Flächenländer haben das nicht gewollt. Ich glaube, das spricht Bände. Interessant ist, den Bildungsbericht aus München zu lesen, wo wir sehen, dass die Großstadtproblematik einfach eine andere ist. Was Bayern und Baden-Württemberg auch nicht schafft, das muss man bei all diesen schönen Vergleichen sagen, ist, aufgrund der sozialen, aufgrund der ethnischen Herkunft tatsächlich eine gleiche Bildungschance herzustellen. Es wird nach Herkunft sortiert und nicht nach Leistung.
Deutschlandradio Kultur: Wir haben jetzt über Schulformen diskutiert. Ein bisschen klingt bei Ihnen an, dass es eigentlich um ein Förderkonzept geht. Dennoch einmal die Frage: Wenn wir über Gesamtschule reden, ist das Urteil immer vernichtend. Dann wird gesagt, Sie machen hier in Hamburg mit der Stadtteilschule eine Gesamtschule. Also wird auch hier das Urteil am Ende vernichtend sein.
Goetsch: Nein. Die Gesamtschulen haben hier in Hamburg überhaupt gar keine vernichtenden Ergebnisse. Die Untersuchen zeigen hier, dass die Gesamtschulen mit ihren gymnasialen Oberstufen im Laufe der Jahre wesentlich mehr junge Leute in die Oberstufe bringen, als das im gegliederten System der Fall ist. Wir sehen ja, wie viele Gymnasialempfehlungen an den Gesamtschulen sind. Es werden auch im Laufe der Klassen 7, 8, 9 durch die entsprechende Förderung wesentlich mehr junge Leute in die gymnasiale Oberstufe gebracht. Also, man kann nicht sagen, die Gesamtschulen sind hier in Hamburg - ich spreche von Hamburg - nicht erfolgreich. Dass alles immer noch besser zu machen ist, ist vollkommen klar. Aber wir haben auch das Problem, dass die Starken in den Gymnasien nicht genug gefordert werden. Wir haben ein Problem, dass die Starken auch zum Teil nicht in ihren Fähigkeiten genug gefördert werden. Wir müssen bei Umgang mit Heterogenität beide Seiten sehen, die Schwächeren natürlich mehr, besser fördern, weil wir zu viele Schulabbrecher haben, aber auf der anderen Seite auch die Starken und die Spitze entwickeln. Da darf man nicht einen Tunnelblick auf die eine Seite machen.
Deutschlandradio Kultur: Wenn wir dieser Stadtteilschule den Erfolg wünschen, und das tun wir, dann gehen wir mal davon aus, dass das sehr unterschiedlich sein wird in unterschiedlichen Bezirken innerhalb der Stadt. Sie werden soziale Brennpunkte haben. Da können Sie wahrscheinlich so ein gutes Programm wie auch immer machen, Sie werden andere Leistungsniveaus, andere Konflikte, andere Herausforderungen haben als in anderen Regionen. Wie wollen Sie das ausgleichen?
Goetsch: Die Stadtteile werden wir nicht verändern können. Wir wollen auch nicht ein Bussing einführen, was Kinder anderer Herkunft durch die Gegend kutschiert. Das ist übrigens sowohl in den USA - wie in den siebziger Jahren in Krefeld war das mal der Fall - gescheitert. Wir werden uns mit der Situation in der Region auseinandersetzen müssen. Und da können wir nur einen Ausgleich erreichen, indem wir ein sehr hochwertiges, gutes Bildungsangebot in allen Regionen vorhalten; in den Primarschulen und eben auch über Ausstattungen. Da haben wir ja Gott sei dank die Sozialindices jetzt inzwischen erarbeitet, dass da entsprechende Zuweisung ist und auch die Ganztagsschulentwicklung prioritär dort stattfindet oder zum Beispiel dieses Programm, welches wir mit der Kulturbehörde entwickeln: Schülerbibliotheken in die Schulen, Jedem Kind ein Instrument. Das sind ja alles Dinge, um dort auch Ausgleiche herzustellen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben ja bereits die Elementstudie des Berliner Bildungsforschers Lehmann erwähnt, und der sagt auch, nennen Sie mir die Postleitzahl in Berlin oder Hamburg und ich sage Ihnen, welche sozialen Probleme Sie dort haben und wie viel Erfolg Schule in einem solchen Bezirk hat. Kämpfen Sie da nicht gegen etwas, was Sie nicht beeinflussen können? Ist der soziale Druck von außen stärker als Sie es mit einem Schultyp, mit einem besseren Unterricht beantworten können?
Goetsch: Schule kann nicht alles ausgleichen, das wäre eine Überforderung; aber kann im Rahmen von wirklicher Ganztagsschul-Entwicklung; wirklich guten Lernangeboten und auch Förderung und Training, dazu beitragen. Das Ganze ist aber gekoppelt an die soziale Stadtteilentwicklung, die wir wieder hier im Rahmen des Koalitionsvertrages endlich wieder aufleben lassen, Arbeitsmarktförderung gekoppelt mit sozialer Stadtteilentwicklung. Also, das ist schon ein Gesamtprogramm, wo Bildung eine zentrale Rolle spielt, die Kita natürlich schon frühzeitig beginnend. Wir weiten ja jetzt schon das Programm der Krippenbetreuung auf das zweite Jahr aus, anders als der Bund das vorgesehen hat. Also: früher beginnen. Kita als Bildungseinrichtung. Anspruch auf Kita-Ganztagsplätze. Das sind alles Dinge, die mit dazugehören. Aber, Schule ist ein wichtiger Baustein im Rahmen der sozialen Stadtentwicklung.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja die Entwicklung in den letzten Jahren, bei den Gymnasien, dass sie sich profilieren, musisch, naturwissenschaftlich, wie auch immer. Werden die Stadtteilschulen auch den Eltern die Chance bieten, wenn sie ein besonders musikalisches Kind haben oder ein naturwissenschaftlich begabtes, dass diese speziell gefördert werden?
Goetsch: Was Sie grundsätzlich nie verhindern werden, ist, dass sich Eltern, die sich das irgendwie leisten können oder sich einen zweiten Wohnsitz gönnen, versuchen manchmal durch die ganze Stadt zu reisen. Ob das für die Kinder so gut ist, ist eine andere Frage. Ich finde ja auch bei den kleinen Kindern, dass sie ihren Weg zur Schule zu Fuß erreichen sollten - kurze Beine, kurze Wege. Das ist das eine. Trotzdem, wir haben freie Wahl. Wir haben ja auch Schulen in freier Trägerschaft. Die werden auch weiter da sein. Das ist ja auch eine sehr bunte und auch interessante Schullandschaft hier in Hamburg. Aber die Stadtteilschule, wenn Sie das noch mal auf die Gesamtschulen beziehen, die wir eben ansprachen: Wir haben Gesamtschulen mit fantastischen Profilen im Bereich Musiktheater, Sport. Also die Gesamtschulen haben genauso Profile ausgeprägt. Die werden sie jetzt nicht ablegen, sondern im Gegenteil, die werden genauso weiterentwickelt werden.
Deutschlandradio Kultur: Ja, ist das realistisch? Bekommt der Hauptschüler auch das Angebot, Klavierunterricht zu lernen?
Goetsch: Das ist sicherlich ein Wunsch und wird im Rahmen der Kooperation mit der Jugendmusikschule übrigens jetzt schon in vielen Grundschulen entwickelt. Die Jugendmusikschule spielt bei den Programmen mit der Kulturbehörde und einer Stiftung "Jedem Kind ein Instrument" eine sehr wichtige Rolle. Sicherlich werden wir soziale Unterschiede, dass Eltern von vornherein die Möglichkeiten haben, Musikunterricht privat zu erteilen, nicht immer sofort ausgleichen können.
Deutschlandradio Kultur: Die Herausforderungen an die Lehrer werden neue sein, auch mit dem neuen Schulsystem. Sie werden neue Lehrer einstellen müssen, dürfen, können, wie auch immer, 40% in den nächsten drei Jahren. Welche neuen Qualifikationen brauchen diese Lehrer, damit sie diesen neuen Anforderungen auch gerecht werden?
Goetsch: Das sind eigentlich neue, alte Anforderungen. Das heißt, dass sowohl in der grundständigen Lehrer-Ausbildung schon an der Universität, als auch im Referendariat - was bei uns ja verkürzt stattfindet - der Umgang mit Heterogenität, und zwar sozialer, kultureller und Leistungsheterogenität die zentrale Rolle spielt. Die Methodenkompetenz zu erarbeiten, eben entsprechend auf unterschiedlichen Kompetenzstufen Angebote zu machen im Unterricht, das ist die hohe Kunst, die in einigen Schulen schon gelingt. Wir haben ja einige Reformschulen hier in Hamburg - staatliche, die das können, die auch mit Kompetenzrastern arbeiten, die Lernbüros; Stationenlernen; Projektunterricht, die verschiedensten Formen haben.
Deutschlandradio Kultur: Sie reden von Grundschullehren. Was machen Sie mit dem Gymnasiallehrer, der Mathematik und Physik an der Universität studiert und dann in den Unterricht geht. Hat der die Qualifikation?
Goetsch: Genau das ist auch die Umstellung im Lehrerstudium. Das ist natürlich eine Sache, die erst wächst. Im Referendariat wird das überwiegend auch schon gelehrt, unterrichtet, praktiziert. Und die Lehrerinnen und Lehrer, die im System sind, auch die Gymnasiallehrerinnen und -lehrer, die in der Primarschule unterrichten werden, bekommen eine sehr, sehr umfangreiche Fortbildung. Das wird eine große Fortbildungsoffensive sein. Unser Landesinstitut wird das vorbereiten, so dass das auch ein sehr großer Anreiz sein wird, einfach sozusagen die Unterstützung und die fachliche Fortbildung zu bekommen, dies zu können. Sie müssen das auch jetzt schon im Gymnasium. Sie haben im Gymnasium nicht eine homogene Gruppe - im Gegenteil. Je nach Stadtteil ist jetzt schon die Heterogenität groß.
Deutschlandradio Kultur: Es geht also auch um die Ausbildung der Lehrer, um die Frage ob diese Gymnasiallehrer tatsächlich diese pädagogische Ausbildung haben oder nachgebildet werden müssen, um das zu erreichen, was Sie erreichen wollen.
Goetsch: Also, es wird ein Großteil nachgebildet, wie Sie das nennen. Dafür gibt es das Landesinstitut. Das wird heute schon in einer konzeptionellen Vorbereitung angegangen, damit das wirklich nach der Sommerpause startet, damit wir 2010 auch loslegen können. Das ist eine sorgfältige Vorbereitung in den Regionen. Das ist eine sorgfältige Vorbereitung in der Lehrerfortbildung und parallel werden schon in der Ausbildung an der Universität und im Referendariat die zwei Jahre genutzt, um das zu starten. Wir sind an drei Strängen dabei. Selbst hier in der Administration wird eine schulformübergreifende Schulaufsicht entwickelt, damit wirklich der Draufblick da ist und nicht jeder Schulaufsichtsbeamte nur seinen kleinen Bereich sieht, ich bin Gym, ich bin HR, um das mal so salopp auszudrücken.
Deutschlandradio Kultur: Wo kommt denn das didaktische Konzept her? Wenn es da ist, fragt man sich, warum die Schulen das nur bedingt angewandt haben und auch nur bedingt Erfolge haben mit diesen Förderkonzepten. Oder es muss auf der anderen Seite noch geschaffen werden. Ist die Stadtteilschule noch ohne Curriculum?
Goetsch: Wir haben so viele Schulen hier in Hamburg, die schon so vorbildlich mit der Heterogenität der Klasen umgehen und das machen. Ich möchte aber nicht, dass es eben nur 10 oder 20 Schulen sind, sondern wir haben 397 allgemeinbildende Schulen, sozusagen von der Grundschule bis zum Gymnasium. Dieser Standard ist ganz wichtig: Umgang mit Heterogenität, individualisierter Unterricht und eine hohe Fachlichkeit. Das ist ja kein Widerspruch, genauso wie soziale Gerechtigkeit und Leistung kein Widerspruch ist. Das finde ich ganz wichtig, dass man das zusammen denkt. Insofern sind die Vorbilder da. Zum Beispiel sind auch für die integrierten Haupt- und Realschulen seit 15 Jahren die Konzepte geschrieben. Wir können also ohne Weiteres jetzt im Sommer starten, keine isolierten Hauptschulklassen mehr einzurichten. Es ist alles da. Es muss nur jetzt systematisch in die Fläche gebracht werden, verbunden mit einer guten Unterstützung des Personals. Ohne die Lehrerinnen und Lehrer geht es nicht.
Deutschlandradio Kultur: Ist das, was Sie jetzt vorgestellt haben, grüne Bildungspolitik, sozialdemokratische, christdemokratische oder einfach notwendige Bildungspolitik?
Goetsch: Das Letztere wäre mir am wichtigsten. Ich bin durch und durch Pädagogin und langjährig erfahrene Lehrerin in der Praxis und auch in der Lehrerfortbildung. Es geht um diese Kinder und es geht vor allen Dingen um gut ausgebildete Jugendliche, die einfach beruflich eine Chance haben müssen, ihre Lebensplanung zu machen. Wir können uns einerseits nicht so hohe Abbrecherquoten erlauben und wir brauchen andererseits auch Spitzen und Eliten. Ich sage das ganz deutlich.
Deutschlandradio Kultur: Sie machen es jetzt mit der CDU, die SPD hätte es ja auch machen können.
Goetsch: Na ja, das Wahlergebnis ist so, wie es ist.
Deutschlandradio Kultur: Ich meine in den Jahren davor.
Goetsch: Wir haben sicherlich auch eine Entwicklung. Wenn Sie sich vorstellen, auch wir Grüne haben in den 90er Jahren in erster Linie auf die qualitative Veränderung der Einzelschule gesetzt, auch schon sehr stark die Autonomie der Schule vorangetrieben. Da wurden wir Mitte der 90er verlacht. Da haben wir uns schon aus Holland die Experten geholt, die über Schulmanagement, demokratische Schule usw., usw. uns Fortbildung gaben. Lehrerbildung, frühe Bildung, da waren wir immer sehr, sehr gut entwickelt, auch in unserer Programmatik und Konzepten, auch bundesweit. Aber wir haben die Strukturdebatte ausgeklammert. Ich habe ja von 1997 bis 2001 auch hier die Regierungskoalition Rot-Grün als Abgeordnete miterlebt. Ich war auch damals schon für Bildungspolitik und Migrationspolitik zuständig.
Damals war die Debatte eben nicht so weit. Bestimmte Dinge konnte ich mit der SPD auch nicht umsetzen. Ich wollte damals schon integrierte Haupt- und Realschulen, um diesem Elend der Restschule, Hauptschule in der Großstadt ein Ende zu machen, weil ich selbst auch fast 10 Jahre in einer integrierten Haupt- und Realschule gearbeitet habe und wusste, die Realschüler leiden nicht drunter. Die werden nicht schwächer, aber die Hauptschüler werden besser. Aber das war nicht möglich.
Wir haben dann 2002, 2003 als Grüne den Schritt gemacht, wurden damals noch ausgelacht, für verrückt erklärt. Sie sehen ja selbst, wie die Entwicklung ist. Wir haben sowieso europaweit die Situation. Wir haben inzwischen Unterstützung aus der Wirtschaft. Der Unternehmensverband Nord unterstützt die sechsjährige Grundschule oder Primarschule. Es gibt viele, die sagen, länger gemeinsam lernen ist auch ein wichtiger Schritt, weil wir zu hoch selektiv, so früh selektiv sind und dadurch eben Kinder und deren Talente verschenken.
Deutschlandradio Kultur: Nun könnte ja die Schulpolitik zum Markenzeichen dieses schwarz-grünen Senats werden. Aber, mal ehrlich gefragt: Hätten Sie sich das in den Koalitionsverhandlungen so ausdenken können mit der Stadtteilschule oder ist eher das andere wichtig, das Sie sagten, vorher hatten Sie eine Enquetekommission? Im Grunde steht die Kommunalpolitik, also, die Parteien, die Grünen, die SPD und die CDU in irgendeiner Form hinter dem Konzept und das haben sie schon lange so besprochen.
Goetsch: Sie haben recht, dass die Basis überhaupt des schulpolitischen Handelns auch in dieser Koalition die Ergebnisse bzw. Empfehlungen der Enquetekommission außerhalb der Strukturfrage sind. Das ist ein großer Fortschritt. Ich bin inzwischen noch mal und immer wieder froh. Ich habe diese Enquetekommission initiiert, habe die SPD überzeugen können mitzumachen. Nach längerer Zeit hat auch die CDU gemerkt, diese Enquetekommission ist eine Chance. Die Strukturfrage ist immer noch die Frage, wo die Wege auseinander gehen, aber auch da - muss ich sagen - hat gerade auch die CDU einen Riesensprung gemacht. Ich finde, Dreigliedrigkeit zu verabschieden und die Zweisäuligkeit schon mal in der Enquete zu beschließen, ist ja für die CDU ein Riesenschritt, der in anderen Bundesländern noch längst nicht gemacht worden ist.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt sagen Ihre Parteifreunde im Bund immer, Hamburg ist Hamburg, wir im Bund haben damit überhaupt nichts zu tun. Was ist, wenn Hamburg Schwarz-Grün erfolgreich ist? Warum ist das kein Testlauf für den Bund?
Goetsch: Soweit sind wir noch nicht. Wir sind ja gerade gestartet. Ich hoffe natürlich sehr, dass wir die vier Jahre so gut nutzen können, so gut arbeiten können, dass das wirklich trägt. Ich bin überzeugt, aber wir haben wirklich noch eine Menge Arbeit und Strecke vor uns. Es ist Kultushoheit und Sie können einfach Großstadt und Flächenland nicht miteinander vergleichen. Auch die Geschichten der jeweiligen Parteien sind sehr unterschiedlich. Die Hamburger CDU unter Führung von Herrn von Beust ist eben eine andere als die in Hessen unter Roland Koch. Das ist nun mal so.
Unsere Herausforderung war ja, unterschiedliche Positionen zusammen zu denken, die berühmte Ökonomie und Ökologie, aber eben auch die Frage nach Leistung, Bildung, sozialer Gerechtigkeit. Diese Widersprüche zu überwinden und auch zu neuen und zu guten Ideen zu kommen - ich denke nur Stichwort nachgelagerte Studiengebühren, das hat auch was aufgebrochen aus den ideologischen Grabenkämpfen - und trotzdem soziale Gerechtigkeit zu beinhalten. Das sind Punkte, die auch zu was Neuem geführt haben, weil wir uns unter dem Einigungsdruck auch - ich sage mal: Leitbild kreative Stadt - kreativ in den Koalitionsverhandlungen entwickelt haben.
Deutschlandradio Kultur: Was könnten denn die Bundespolitiker aus so einem kommunalen Modell lernen? Es gibt ja nicht wenige, auch unter den Grünen, die sagen: Wir müssen künftig projektorientierter Arbeiten und uns auch umschauen, dass Parteien, die wir bisher aus ideologischen Gründen nicht angeschaut haben, durchaus für uns koalitionsfähig sind.
Goetsch: Na ja, es gab ja auch schon mal das rot-grüne Projekt, was sicherlich wahnsinnig wichtig war, um bestimmte Dinge aufzubrechen. Da ist sehr viel passiert, was unter 16 Jahren CDU überhaupt nicht passiert war. Wir sind dabei, ein größeres kommunales Arbeitsprogramm in dieser neuen Konstellation zu bewältigen. Alles andere muss dann wirklich auf Bundesebene geregelt werden. Aber da bin ich keine Prophetin.
Deutschlandradio Kultur: Frau Goetsch, wir danken ganz herzlich für das Gespräch.
Christa Goetsch: Das ist eine Vision, die sicherlich erstrebenswert ist. Aber ich glaube, zu diesem Zeitpunkt werden Herr von Beust und ich doch in Rente oder Pension sein, weil die Verlängerung dann bis 70, 75 - glaube ich - nicht durchkommen wird. Insofern Spaß beiseite, ich denke, dass wir jetzt erst mal in dieser Legislatur ein ambitioniertes Arbeitsprogramm haben, um den ersten Schritt zu schaffen, die frühe Auslese nach der vierten Klasse, zu überwinden.
Deutschlandradio Kultur: Was wird mit dem Gymnasium sein? Sie haben traditionsreiche Oberschulen, das Johanneum 479 Jahre alt, das Christianeum 270 Jahre alt, das noch relativ junge Wilhelm-Gymnasium 126 Jahre alt. Passen die noch in Ihr Bildungskonzept?
Goetsch: Die werden in der Schulentwicklung auch eine wichtige Rolle spielen, wie alle anderen 59 Gymnasien. Insofern sprechen wir natürlich von der gesamten Bildungslandschaft. Unser Ziel ist ja, durch diese strukturelle Reform gleichzeitig aber auch die ganze Lernsituation - individualisierten Unterricht, die Qualität der Unterrichtsentwicklung - genauso wichtig zu entwickeln, weil Strukturen alleine werden nichts verändern, dass wirklich die unterschiedlichen Fähigkeiten der Kinder entwickelt und nicht so viele Talente wie jetzt verschenkt werden. Insofern spielen diese drei von Ihnen genannten Gymnasien in der Schulentwicklung weiter eine Rolle, nur dass sie eben wie alle anderen erst in der Klasse 7 starten.
Deutschlandradio Kultur: Um das richtig zu verstehen: Wir werden das dreigliedrige Schulsystem in Hamburg nicht mehr haben, dafür sucht man sich ein zweigliedriges?
Goetsch: Wir werden die Vielgliedrigkeit abschaffen, reduzieren. Wir hatten eine Siebengliedrigkeit, wenn man ehrlich ist, in der Sekundarstufe eins - von den integrierten Haupt- und Realschulen, von HR-Schulen, von Gesamtschulen, von integrierten kooperativen Gesamtschulen, Gymnasien, Förderschulen. Also, es war eine Zersplitterung über die letzten Jahrzehnte erreicht worden, die eben nicht zu einer qualitativen Verbesserung geführt hat, so dass wir jetzt eine Primarschule haben - von der Vorschule bis zur sechsten Klasse. Das ist das Ziel für diese Legislatur. Und dann folgen zwei Wege zum höheren Abschluss: verkürzt zum Abitur über die Gymnasien und über 13 Jahre eben über die so genannte Stadtteilschule, wo sich Gesamtschulen, Aufbaugymnasien und Haupt- und Realschulen vereinigen werden.
Deutschlandradio Kultur: Nun sind das nur Ideen sie stehen im Koalitionsvertrag, sind noch gar kein Gesetz. Das Gesetz ist noch nicht da und das Volksbegehren ist schon unterwegs. Die Eltern der Gymnasien protestieren. Kann das noch mal die Schulreform behindern?
Goetsch: "Die Eltern der Gymnasien" wäre viel zu pauschal. Es gibt genauso wie auf der anderen Seite eine Volksinitiative "Schule für alle" über die direkte Demokratie, die ich persönlich sehr begrüße, eine Initiative "Wir wollen lernen". Da ist eine Gruppe, die eben Sorge hat und sagt, es muss das System der frühen Selektion von 10-jährigen Kindern bleiben. Das ist ihr gutes Recht. Aber das macht mir jetzt keine Sorge, sondern das ist eher Antrieb, noch mal Kraft der Argumente zu überzeugen, dass es vor allen Dingen für die Entwicklung der Kinder, auch für die starken Kinder, wichtig ist, nicht so früh sich festzulegen, sondern eben endlich europäische Standards zu erreichen.
Deutschlandradio Kultur: Interessanterweise ist ja diese sechsjährige Primarschule nicht was völlig Neues. Das haben andere Länder auch versucht, beispielsweise Berlin. Es ist aber nicht unbedingt der Garant dafür, dass diese Schüler dann bessere Leistungen bringen.
Goetsch: Sie spielen auf Berlin und Brandenburg an und natürlich auf die jetzt viel diskutierte Element-Studie. Da muss man zum einen sagen, dass Herr Lehmann sich ja auch etwas in der Interpretation korrigiert hat, dass natürlich die Berliner Schule es schon schafft, auf jeden Fall die Schwächeren besser zu qualifizieren. Aber es gibt tatsächlich eine Problematik in Berlin, deshalb ist das nicht unser Vorbild per se. In Berlin unterrichten keine Gymnasiallehrerinnen und -lehrer in der Grundschule. Es ist eben ein bisschen zu stark nur die Verlängerung der Grundschulzeit im Fokus. Das will ich jetzt auch nicht pauschal für alle Kolleginnen in Berlin sagen.
Also, wir haben eine Primarschule vor, die sowohl die Methodenkompetenz der Grundschulkollegen und die Fachlichkeit der Sekundarstufe-I-Kollegen zusammenbringt. Ich denke, das ist auch unter dem Aspekt der Personalentwicklung eine sehr, sehr gute Sache, dass wir null bis drei, also Vorschule bis dritte Klasse, als pädagogische Einheit sehen, eher der Elementarbereich, und dann eben in vier bis sechs sozusagen das Lernangebot, vor allen Dingen in den Regionen, auch qualitativ sehr spannend sein wird, mit dem Fremdsprachenangebot, naturwissenschaftlichen, musischen Angeboten, so dass eben da eine sehr gute Vorbereitung über den individualisierten Unterricht für diese Kinder passiert - besser als jetzt.
Deutschlandradio Kultur: Warum sollen sich Eltern, die ihre Kinder aufs Gymnasium schicken wollen, auf dieses Experiment einlassen, wenn ihnen nicht gesagt wird: Meine Kinder, die vielleicht begabter sind, werden auf dem Gymnasium von Anfang an besser gefördert, als auf der Grundschule. Die müssen sich ja auf ein Experiment einlassen.
Goetsch: Das ist kein Experiment, sondern es wird ein sehr sorgfältig vorbereitetes Reformvorhaben, was ja eben neben der strukturellen Vorbereitung eben auch eine große Vorbereitungszeit für die Fortbildung der Lehre, für die Lehrerbildung beinhalten wird. Das ist sowieso dringend nötig, um mit der Heterogenität der Kinder umzugehen. Wir haben in Hamburg zurzeit über 50 % der Anmeldungen am Gymnasium. Und wir haben aus den Studien natürlich auch die Ergebnisse bei der so genannten KEF-7-Studie, dass in Klasse 5 und 6 keine Lernfortschritte im Gymnasium erzielt worden sind. Also, man kann nicht per se sagen, das ist alles besser am Gymnasium in 5 und 6 und da wird schon das erreicht was notwendig ist, um diesem schnelleren höheren Bildungsabschluss zu erreichen. Da wäre ich sehr vorsichtig. Für die Eltern ist das ja vollkommen berechtigt zu sagen, ich möchte gern, dass mein Kind möglichst dieses Ziel erreicht, halte es aber für falsch, das so früh zu entscheiden. Die Eltern haben ja nach der 6. Klasse dann auch jegliches Wahlrecht, welches Gymnasium sie dann aussuchen, das bleibt ja unverändert.
Deutschlandradio Kultur: Aber es werden dann diejenigen aufs Gymnasium gehen, die die Gymnasialempfehlung haben? Oder ist Ihr Ziel auch, dass die Kinder dann möglicherweise in einer Gesamtschule oder Stadthaltschule bleiben und dort das Abitur machen?
Goetsch: Beides ist möglich. Das Gute ist ja, dass beide Wege zum Abitur führen. Bildungschancen werden jetzt nach der 6. Klasse nicht gekappt und die einen bleiben z.B. auf der Hauptschule, die es nicht mehr geben wird in Hamburg, schon ab diesem Sommer nicht mehr. Wir gehen da ja auch an zwei Stellen Schritte, die einfach nötig sind. Hier in der Großstadt ist ja dieses "Restschulsyndrom" der Hauptschule so extrem, wie auch in anderen Großstädten, so dass wir diesen Gang sowieso nicht mehr machen. Wir haben da großes Glück in Hamburg, sowieso keine isolierten Hauptschulen zu haben. Die sind sowieso am Standort mit Realschulen miteinander. Wir haben sehr starke Gesamtschulen hier in Hamburg mit gymnasialen Oberstufen. Wir haben hier die Deutsche Schulpreis Schule, die eine Gesamtschule ist. Es ist ja nicht so, dass die Gesamtschulen in ihrer Leistung hier in Hamburg weniger Erfolg hätten. Wichtig ist einfach, dass auch die gymnasiale Oberstufe dran hängt, um das so salopp zu formulieren, damit wirklich auch klar ist, dass die Chance da ist, zum höchsten Bildungsabschluss zu kommen.
Deutschlandradio Kultur: Das erklären wir vielleicht noch mal: Sie haben auf der einen Seite die Primarschule, die sechs Jahre lang laufen soll.
Goetsch: Eigenständig.
Deutschlandradio Kultur: Vielleicht kann man sogar sieben Jahre sagen, wenn man die Vorschule mitrechnet.
Goetsch: Auf jeden Fall.
Deutschlandradio Kultur: Dann haben Sie eine Sekundarschule. Auf der einen Seite kann ich aufs Gymnasium gehen oder ich gehe eben in die Stadtteilschule. Die besteht aus den alten Realschulzweigen, Hauptschulzweigen mit einem eigenen Gymnasialzug, der auch nach neun Jahren zum Abitur führen könnte?
Goetsch: Realschule oder Gesamtschule ist aber nicht getrennt, sondern es ist dann wirklich ein zweiter Weg, der integriert arbeitet neben dem Weg des Gymnasiums.
Deutschlandradio Kultur: Wie unterscheidet sich die Stadtteilschule von der alten Gesamtschule? Das ist ja die Kernfrage des Streites.
Goetsch: Ich glaube, das ist kein Streit. Wir haben in der Enquetekommission, wo wir damals als Grüne, also vor anderthalb Jahren, natürlich ein Minderheitenvotum abgegeben haben, weil wir ja unser Konzept "9 macht klug - gemeinsames Lernen nach skandinavischem Vorbild" programmatisch betrieben haben, von der Partei her natürlich weiterhin. Da haben die beiden großen Fraktionen - CDU und SPD - ja in einem Votum für dieses so genannte 2-Säulen-Modell votiert.
Die Stadtteilschule sollte eher auch schon berufsorientierter ausgerichtet sein auf die gymnasiale Oberstufe dort, eventuell mit Dualisierung - auch sicherlich spannend, Kollegschulmodelle usw. Das ist gar nicht die Frage. Aber wie im Einzelnen die Ausgestaltung sein wird, wird noch entwickelt. Ich habe zwar einen Plan und eine Programmatik, die wir jetzt in der Koalition eben zu diesem vernünftigen Kompromiss geführt haben, aber es wird sehr viel in dieser Vorbereitungszeit noch entwickelt werden. Deshalb ist es jetzt nicht so ein Konzept Top-Down durchexekutiert, sondern es ist auch wichtig, dass in den Regionen die Schulleitungen, die Elternräte beteiligt werden.
Deutschlandradio Kultur: Man könnte ja auch umgekehrt sagen: Das, was die in Bayern oder in Baden-Württemberg machen, sprich: dreigliedriges Schulsystem, obwohl sie teilweise gute PISA-Ergebnisse haben, ist falsch. Die sind auf dem Holzweg.
Goetsch: Sie sind aus dem Grund auf dem Holzweg - bei all den guten Ergebnissen, wobei ja, Flächenländer und Großstädte zu vergleichen, sowieso Äpfel und Birnen sind. Das ist ja auch interessant. Hamburg hat mal den Antrag in der KMK gestellt, einen Großstädtevergleich anzustellen und die Flächenländer haben das nicht gewollt. Ich glaube, das spricht Bände. Interessant ist, den Bildungsbericht aus München zu lesen, wo wir sehen, dass die Großstadtproblematik einfach eine andere ist. Was Bayern und Baden-Württemberg auch nicht schafft, das muss man bei all diesen schönen Vergleichen sagen, ist, aufgrund der sozialen, aufgrund der ethnischen Herkunft tatsächlich eine gleiche Bildungschance herzustellen. Es wird nach Herkunft sortiert und nicht nach Leistung.
Deutschlandradio Kultur: Wir haben jetzt über Schulformen diskutiert. Ein bisschen klingt bei Ihnen an, dass es eigentlich um ein Förderkonzept geht. Dennoch einmal die Frage: Wenn wir über Gesamtschule reden, ist das Urteil immer vernichtend. Dann wird gesagt, Sie machen hier in Hamburg mit der Stadtteilschule eine Gesamtschule. Also wird auch hier das Urteil am Ende vernichtend sein.
Goetsch: Nein. Die Gesamtschulen haben hier in Hamburg überhaupt gar keine vernichtenden Ergebnisse. Die Untersuchen zeigen hier, dass die Gesamtschulen mit ihren gymnasialen Oberstufen im Laufe der Jahre wesentlich mehr junge Leute in die Oberstufe bringen, als das im gegliederten System der Fall ist. Wir sehen ja, wie viele Gymnasialempfehlungen an den Gesamtschulen sind. Es werden auch im Laufe der Klassen 7, 8, 9 durch die entsprechende Förderung wesentlich mehr junge Leute in die gymnasiale Oberstufe gebracht. Also, man kann nicht sagen, die Gesamtschulen sind hier in Hamburg - ich spreche von Hamburg - nicht erfolgreich. Dass alles immer noch besser zu machen ist, ist vollkommen klar. Aber wir haben auch das Problem, dass die Starken in den Gymnasien nicht genug gefordert werden. Wir haben ein Problem, dass die Starken auch zum Teil nicht in ihren Fähigkeiten genug gefördert werden. Wir müssen bei Umgang mit Heterogenität beide Seiten sehen, die Schwächeren natürlich mehr, besser fördern, weil wir zu viele Schulabbrecher haben, aber auf der anderen Seite auch die Starken und die Spitze entwickeln. Da darf man nicht einen Tunnelblick auf die eine Seite machen.
Deutschlandradio Kultur: Wenn wir dieser Stadtteilschule den Erfolg wünschen, und das tun wir, dann gehen wir mal davon aus, dass das sehr unterschiedlich sein wird in unterschiedlichen Bezirken innerhalb der Stadt. Sie werden soziale Brennpunkte haben. Da können Sie wahrscheinlich so ein gutes Programm wie auch immer machen, Sie werden andere Leistungsniveaus, andere Konflikte, andere Herausforderungen haben als in anderen Regionen. Wie wollen Sie das ausgleichen?
Goetsch: Die Stadtteile werden wir nicht verändern können. Wir wollen auch nicht ein Bussing einführen, was Kinder anderer Herkunft durch die Gegend kutschiert. Das ist übrigens sowohl in den USA - wie in den siebziger Jahren in Krefeld war das mal der Fall - gescheitert. Wir werden uns mit der Situation in der Region auseinandersetzen müssen. Und da können wir nur einen Ausgleich erreichen, indem wir ein sehr hochwertiges, gutes Bildungsangebot in allen Regionen vorhalten; in den Primarschulen und eben auch über Ausstattungen. Da haben wir ja Gott sei dank die Sozialindices jetzt inzwischen erarbeitet, dass da entsprechende Zuweisung ist und auch die Ganztagsschulentwicklung prioritär dort stattfindet oder zum Beispiel dieses Programm, welches wir mit der Kulturbehörde entwickeln: Schülerbibliotheken in die Schulen, Jedem Kind ein Instrument. Das sind ja alles Dinge, um dort auch Ausgleiche herzustellen.
Deutschlandradio Kultur: Sie haben ja bereits die Elementstudie des Berliner Bildungsforschers Lehmann erwähnt, und der sagt auch, nennen Sie mir die Postleitzahl in Berlin oder Hamburg und ich sage Ihnen, welche sozialen Probleme Sie dort haben und wie viel Erfolg Schule in einem solchen Bezirk hat. Kämpfen Sie da nicht gegen etwas, was Sie nicht beeinflussen können? Ist der soziale Druck von außen stärker als Sie es mit einem Schultyp, mit einem besseren Unterricht beantworten können?
Goetsch: Schule kann nicht alles ausgleichen, das wäre eine Überforderung; aber kann im Rahmen von wirklicher Ganztagsschul-Entwicklung; wirklich guten Lernangeboten und auch Förderung und Training, dazu beitragen. Das Ganze ist aber gekoppelt an die soziale Stadtteilentwicklung, die wir wieder hier im Rahmen des Koalitionsvertrages endlich wieder aufleben lassen, Arbeitsmarktförderung gekoppelt mit sozialer Stadtteilentwicklung. Also, das ist schon ein Gesamtprogramm, wo Bildung eine zentrale Rolle spielt, die Kita natürlich schon frühzeitig beginnend. Wir weiten ja jetzt schon das Programm der Krippenbetreuung auf das zweite Jahr aus, anders als der Bund das vorgesehen hat. Also: früher beginnen. Kita als Bildungseinrichtung. Anspruch auf Kita-Ganztagsplätze. Das sind alles Dinge, die mit dazugehören. Aber, Schule ist ein wichtiger Baustein im Rahmen der sozialen Stadtentwicklung.
Deutschlandradio Kultur: Es gibt ja die Entwicklung in den letzten Jahren, bei den Gymnasien, dass sie sich profilieren, musisch, naturwissenschaftlich, wie auch immer. Werden die Stadtteilschulen auch den Eltern die Chance bieten, wenn sie ein besonders musikalisches Kind haben oder ein naturwissenschaftlich begabtes, dass diese speziell gefördert werden?
Goetsch: Was Sie grundsätzlich nie verhindern werden, ist, dass sich Eltern, die sich das irgendwie leisten können oder sich einen zweiten Wohnsitz gönnen, versuchen manchmal durch die ganze Stadt zu reisen. Ob das für die Kinder so gut ist, ist eine andere Frage. Ich finde ja auch bei den kleinen Kindern, dass sie ihren Weg zur Schule zu Fuß erreichen sollten - kurze Beine, kurze Wege. Das ist das eine. Trotzdem, wir haben freie Wahl. Wir haben ja auch Schulen in freier Trägerschaft. Die werden auch weiter da sein. Das ist ja auch eine sehr bunte und auch interessante Schullandschaft hier in Hamburg. Aber die Stadtteilschule, wenn Sie das noch mal auf die Gesamtschulen beziehen, die wir eben ansprachen: Wir haben Gesamtschulen mit fantastischen Profilen im Bereich Musiktheater, Sport. Also die Gesamtschulen haben genauso Profile ausgeprägt. Die werden sie jetzt nicht ablegen, sondern im Gegenteil, die werden genauso weiterentwickelt werden.
Deutschlandradio Kultur: Ja, ist das realistisch? Bekommt der Hauptschüler auch das Angebot, Klavierunterricht zu lernen?
Goetsch: Das ist sicherlich ein Wunsch und wird im Rahmen der Kooperation mit der Jugendmusikschule übrigens jetzt schon in vielen Grundschulen entwickelt. Die Jugendmusikschule spielt bei den Programmen mit der Kulturbehörde und einer Stiftung "Jedem Kind ein Instrument" eine sehr wichtige Rolle. Sicherlich werden wir soziale Unterschiede, dass Eltern von vornherein die Möglichkeiten haben, Musikunterricht privat zu erteilen, nicht immer sofort ausgleichen können.
Deutschlandradio Kultur: Die Herausforderungen an die Lehrer werden neue sein, auch mit dem neuen Schulsystem. Sie werden neue Lehrer einstellen müssen, dürfen, können, wie auch immer, 40% in den nächsten drei Jahren. Welche neuen Qualifikationen brauchen diese Lehrer, damit sie diesen neuen Anforderungen auch gerecht werden?
Goetsch: Das sind eigentlich neue, alte Anforderungen. Das heißt, dass sowohl in der grundständigen Lehrer-Ausbildung schon an der Universität, als auch im Referendariat - was bei uns ja verkürzt stattfindet - der Umgang mit Heterogenität, und zwar sozialer, kultureller und Leistungsheterogenität die zentrale Rolle spielt. Die Methodenkompetenz zu erarbeiten, eben entsprechend auf unterschiedlichen Kompetenzstufen Angebote zu machen im Unterricht, das ist die hohe Kunst, die in einigen Schulen schon gelingt. Wir haben ja einige Reformschulen hier in Hamburg - staatliche, die das können, die auch mit Kompetenzrastern arbeiten, die Lernbüros; Stationenlernen; Projektunterricht, die verschiedensten Formen haben.
Deutschlandradio Kultur: Sie reden von Grundschullehren. Was machen Sie mit dem Gymnasiallehrer, der Mathematik und Physik an der Universität studiert und dann in den Unterricht geht. Hat der die Qualifikation?
Goetsch: Genau das ist auch die Umstellung im Lehrerstudium. Das ist natürlich eine Sache, die erst wächst. Im Referendariat wird das überwiegend auch schon gelehrt, unterrichtet, praktiziert. Und die Lehrerinnen und Lehrer, die im System sind, auch die Gymnasiallehrerinnen und -lehrer, die in der Primarschule unterrichten werden, bekommen eine sehr, sehr umfangreiche Fortbildung. Das wird eine große Fortbildungsoffensive sein. Unser Landesinstitut wird das vorbereiten, so dass das auch ein sehr großer Anreiz sein wird, einfach sozusagen die Unterstützung und die fachliche Fortbildung zu bekommen, dies zu können. Sie müssen das auch jetzt schon im Gymnasium. Sie haben im Gymnasium nicht eine homogene Gruppe - im Gegenteil. Je nach Stadtteil ist jetzt schon die Heterogenität groß.
Deutschlandradio Kultur: Es geht also auch um die Ausbildung der Lehrer, um die Frage ob diese Gymnasiallehrer tatsächlich diese pädagogische Ausbildung haben oder nachgebildet werden müssen, um das zu erreichen, was Sie erreichen wollen.
Goetsch: Also, es wird ein Großteil nachgebildet, wie Sie das nennen. Dafür gibt es das Landesinstitut. Das wird heute schon in einer konzeptionellen Vorbereitung angegangen, damit das wirklich nach der Sommerpause startet, damit wir 2010 auch loslegen können. Das ist eine sorgfältige Vorbereitung in den Regionen. Das ist eine sorgfältige Vorbereitung in der Lehrerfortbildung und parallel werden schon in der Ausbildung an der Universität und im Referendariat die zwei Jahre genutzt, um das zu starten. Wir sind an drei Strängen dabei. Selbst hier in der Administration wird eine schulformübergreifende Schulaufsicht entwickelt, damit wirklich der Draufblick da ist und nicht jeder Schulaufsichtsbeamte nur seinen kleinen Bereich sieht, ich bin Gym, ich bin HR, um das mal so salopp auszudrücken.
Deutschlandradio Kultur: Wo kommt denn das didaktische Konzept her? Wenn es da ist, fragt man sich, warum die Schulen das nur bedingt angewandt haben und auch nur bedingt Erfolge haben mit diesen Förderkonzepten. Oder es muss auf der anderen Seite noch geschaffen werden. Ist die Stadtteilschule noch ohne Curriculum?
Goetsch: Wir haben so viele Schulen hier in Hamburg, die schon so vorbildlich mit der Heterogenität der Klasen umgehen und das machen. Ich möchte aber nicht, dass es eben nur 10 oder 20 Schulen sind, sondern wir haben 397 allgemeinbildende Schulen, sozusagen von der Grundschule bis zum Gymnasium. Dieser Standard ist ganz wichtig: Umgang mit Heterogenität, individualisierter Unterricht und eine hohe Fachlichkeit. Das ist ja kein Widerspruch, genauso wie soziale Gerechtigkeit und Leistung kein Widerspruch ist. Das finde ich ganz wichtig, dass man das zusammen denkt. Insofern sind die Vorbilder da. Zum Beispiel sind auch für die integrierten Haupt- und Realschulen seit 15 Jahren die Konzepte geschrieben. Wir können also ohne Weiteres jetzt im Sommer starten, keine isolierten Hauptschulklassen mehr einzurichten. Es ist alles da. Es muss nur jetzt systematisch in die Fläche gebracht werden, verbunden mit einer guten Unterstützung des Personals. Ohne die Lehrerinnen und Lehrer geht es nicht.
Deutschlandradio Kultur: Ist das, was Sie jetzt vorgestellt haben, grüne Bildungspolitik, sozialdemokratische, christdemokratische oder einfach notwendige Bildungspolitik?
Goetsch: Das Letztere wäre mir am wichtigsten. Ich bin durch und durch Pädagogin und langjährig erfahrene Lehrerin in der Praxis und auch in der Lehrerfortbildung. Es geht um diese Kinder und es geht vor allen Dingen um gut ausgebildete Jugendliche, die einfach beruflich eine Chance haben müssen, ihre Lebensplanung zu machen. Wir können uns einerseits nicht so hohe Abbrecherquoten erlauben und wir brauchen andererseits auch Spitzen und Eliten. Ich sage das ganz deutlich.
Deutschlandradio Kultur: Sie machen es jetzt mit der CDU, die SPD hätte es ja auch machen können.
Goetsch: Na ja, das Wahlergebnis ist so, wie es ist.
Deutschlandradio Kultur: Ich meine in den Jahren davor.
Goetsch: Wir haben sicherlich auch eine Entwicklung. Wenn Sie sich vorstellen, auch wir Grüne haben in den 90er Jahren in erster Linie auf die qualitative Veränderung der Einzelschule gesetzt, auch schon sehr stark die Autonomie der Schule vorangetrieben. Da wurden wir Mitte der 90er verlacht. Da haben wir uns schon aus Holland die Experten geholt, die über Schulmanagement, demokratische Schule usw., usw. uns Fortbildung gaben. Lehrerbildung, frühe Bildung, da waren wir immer sehr, sehr gut entwickelt, auch in unserer Programmatik und Konzepten, auch bundesweit. Aber wir haben die Strukturdebatte ausgeklammert. Ich habe ja von 1997 bis 2001 auch hier die Regierungskoalition Rot-Grün als Abgeordnete miterlebt. Ich war auch damals schon für Bildungspolitik und Migrationspolitik zuständig.
Damals war die Debatte eben nicht so weit. Bestimmte Dinge konnte ich mit der SPD auch nicht umsetzen. Ich wollte damals schon integrierte Haupt- und Realschulen, um diesem Elend der Restschule, Hauptschule in der Großstadt ein Ende zu machen, weil ich selbst auch fast 10 Jahre in einer integrierten Haupt- und Realschule gearbeitet habe und wusste, die Realschüler leiden nicht drunter. Die werden nicht schwächer, aber die Hauptschüler werden besser. Aber das war nicht möglich.
Wir haben dann 2002, 2003 als Grüne den Schritt gemacht, wurden damals noch ausgelacht, für verrückt erklärt. Sie sehen ja selbst, wie die Entwicklung ist. Wir haben sowieso europaweit die Situation. Wir haben inzwischen Unterstützung aus der Wirtschaft. Der Unternehmensverband Nord unterstützt die sechsjährige Grundschule oder Primarschule. Es gibt viele, die sagen, länger gemeinsam lernen ist auch ein wichtiger Schritt, weil wir zu hoch selektiv, so früh selektiv sind und dadurch eben Kinder und deren Talente verschenken.
Deutschlandradio Kultur: Nun könnte ja die Schulpolitik zum Markenzeichen dieses schwarz-grünen Senats werden. Aber, mal ehrlich gefragt: Hätten Sie sich das in den Koalitionsverhandlungen so ausdenken können mit der Stadtteilschule oder ist eher das andere wichtig, das Sie sagten, vorher hatten Sie eine Enquetekommission? Im Grunde steht die Kommunalpolitik, also, die Parteien, die Grünen, die SPD und die CDU in irgendeiner Form hinter dem Konzept und das haben sie schon lange so besprochen.
Goetsch: Sie haben recht, dass die Basis überhaupt des schulpolitischen Handelns auch in dieser Koalition die Ergebnisse bzw. Empfehlungen der Enquetekommission außerhalb der Strukturfrage sind. Das ist ein großer Fortschritt. Ich bin inzwischen noch mal und immer wieder froh. Ich habe diese Enquetekommission initiiert, habe die SPD überzeugen können mitzumachen. Nach längerer Zeit hat auch die CDU gemerkt, diese Enquetekommission ist eine Chance. Die Strukturfrage ist immer noch die Frage, wo die Wege auseinander gehen, aber auch da - muss ich sagen - hat gerade auch die CDU einen Riesensprung gemacht. Ich finde, Dreigliedrigkeit zu verabschieden und die Zweisäuligkeit schon mal in der Enquete zu beschließen, ist ja für die CDU ein Riesenschritt, der in anderen Bundesländern noch längst nicht gemacht worden ist.
Deutschlandradio Kultur: Jetzt sagen Ihre Parteifreunde im Bund immer, Hamburg ist Hamburg, wir im Bund haben damit überhaupt nichts zu tun. Was ist, wenn Hamburg Schwarz-Grün erfolgreich ist? Warum ist das kein Testlauf für den Bund?
Goetsch: Soweit sind wir noch nicht. Wir sind ja gerade gestartet. Ich hoffe natürlich sehr, dass wir die vier Jahre so gut nutzen können, so gut arbeiten können, dass das wirklich trägt. Ich bin überzeugt, aber wir haben wirklich noch eine Menge Arbeit und Strecke vor uns. Es ist Kultushoheit und Sie können einfach Großstadt und Flächenland nicht miteinander vergleichen. Auch die Geschichten der jeweiligen Parteien sind sehr unterschiedlich. Die Hamburger CDU unter Führung von Herrn von Beust ist eben eine andere als die in Hessen unter Roland Koch. Das ist nun mal so.
Unsere Herausforderung war ja, unterschiedliche Positionen zusammen zu denken, die berühmte Ökonomie und Ökologie, aber eben auch die Frage nach Leistung, Bildung, sozialer Gerechtigkeit. Diese Widersprüche zu überwinden und auch zu neuen und zu guten Ideen zu kommen - ich denke nur Stichwort nachgelagerte Studiengebühren, das hat auch was aufgebrochen aus den ideologischen Grabenkämpfen - und trotzdem soziale Gerechtigkeit zu beinhalten. Das sind Punkte, die auch zu was Neuem geführt haben, weil wir uns unter dem Einigungsdruck auch - ich sage mal: Leitbild kreative Stadt - kreativ in den Koalitionsverhandlungen entwickelt haben.
Deutschlandradio Kultur: Was könnten denn die Bundespolitiker aus so einem kommunalen Modell lernen? Es gibt ja nicht wenige, auch unter den Grünen, die sagen: Wir müssen künftig projektorientierter Arbeiten und uns auch umschauen, dass Parteien, die wir bisher aus ideologischen Gründen nicht angeschaut haben, durchaus für uns koalitionsfähig sind.
Goetsch: Na ja, es gab ja auch schon mal das rot-grüne Projekt, was sicherlich wahnsinnig wichtig war, um bestimmte Dinge aufzubrechen. Da ist sehr viel passiert, was unter 16 Jahren CDU überhaupt nicht passiert war. Wir sind dabei, ein größeres kommunales Arbeitsprogramm in dieser neuen Konstellation zu bewältigen. Alles andere muss dann wirklich auf Bundesebene geregelt werden. Aber da bin ich keine Prophetin.
Deutschlandradio Kultur: Frau Goetsch, wir danken ganz herzlich für das Gespräch.