"Die Walküre" in Bayreuth
Bandagierte "Walküren" in Bayreuth: Geht es um Schönheits-OPs? © Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath
Schöne Stimmen, wirre Regie
09:42 Minuten
Die Sängerinnen und Sänger begeistern in der "Walküre" von Valentin Schwarz. Die Regie weniger - ein Konzept sucht unser Kritiker vergebens. Und dann passiert auch noch ein Unfall auf der Bühne.
Der unvergessene Theatermacher George Tabori war vor Jahren mal auf einer Pressekonferenz zu erleben, in der er sehr langatmig und ausführlichst das Konzept einer Schauspielarbeit vorstellte. Am Ende hielt er kurz inne und sagte: Nun, vielleicht sei alles auch ganz anders zu verstehen. Aber was mache das schon für einen Unterschied: Es sei halt so oder so oder auch so.
In Bayreuth hat sich Regisseur Valentin Schwarz diese Maxime wirklich zu Herzen genommen und nach seinem ziemlich wirr-assoziativen Rheingold kräftig nachgelegt. Der Rezensent hat im Laufe seines Rezensentenlebens wohl über 30 Ringe gesehen, aber noch nie solch ein konfuses Wirrwarr erlebt.
Schönheitsoperationen und ein Spielzeug-Bär
Für Wagnerianer: Sieglinde ist von Anfang an und vermutlich von Göttervater Wotan schwanger, Freia nimmt sich das Leben (wir tippen, weil sie die Inszenierung nicht mehr aushält, obwohl sie in der Walküre ja eigentlich gar nicht vorkommt), die Walküren leiden an den Folgen von Schönheitsoperationen (oder Unfällen?) und sind bandagiert, im ersten Aufzug bricht unvermittelt ein modernes Schlafzimmer in Hundings Hütte ein, dort sieht man den jungen Siegfried mit Spielzeug-Bär und die junge Sieglinde mit Pferdchen.
Oder sind es doch Siegmund und Sieglinde? Siegmund stirbt durch einen Schuss aus einem der an diesem Abend zahllos und wahllos herumgereichten Revolver. Hunding überlebt, Brünnhilde wiederum geht während des Feuerzaubers einfach zur Türe raus, während Wotan und die - ausnahmsweise stückgemäß - für die ganze Malaise verantwortliche Fricka sich ein Gläschen genehmigen, die Gläser stehen auf einem Tischchen mit einer Kerze. Welch eine tolle Idee!
An diesem "Konzept" stimmt nun wirklich nichts mehr. Valentin Schwarz mixt Figuren, Situationen und Gedanken intellektuell ungenießbar zusammen. Dazu fehlt der Inszenierung fast jegliche Aura.
Ein mittelalter Hagen latscht durch die Szene
Kaum gibt es einen ruhigen Moment, Figuren kommen hinzu und machen irgendwas. Während des langen Dialogs zwischen Wotan und Brünnhilde etwa latscht - vermutlich - ein mittelalter Hagen durch die Szenerie. Beim Rheingold war er noch ein Kind, also wird er demnächst ein richtig oller Bösewicht sein, vermuten wir. Andererseits scheint er Brünnhilde zu trösten.
In den Pausen rätseln Kolleginnen und Kollegen über dieses und jenes, einer sagt: "Heureka!" Er wisse einiges und zwar ganz ganz sicher - weil er das Programmheft gelesen und mit dem Regisseur gesprochen habe.
Entschuldigung, nach Bayreuth pilgern in der Regel Wagnerianer, die ihre Werke gut kennen - und dies darf eine Regie durchaus voraussetzen. Was nicht geht: eine Arbeit abzuliefern, die - wenn überhaupt - nur mit dem Beipackzettel zu verstehen ist. Wir weisen übrigens gerne darauf hin, dass an der Produktion der überaus kluge Dramaturg Konrad Kuhn beteiligt ist, was die Chose umso rätselhafter macht.
Der Knall des Abends
Auch bühnentechnisch knarzt es diesmal buchstäblich an vielen Ecken und Enden. Mehrfach sieht man Bühnenarbeiter im Hintergrund herumhuschen, Teile des Publikums sehen Etliches nicht, weil oft ganz links oder ganz rechts agiert wird.
Und dann der Knall des Abends: Im zweiten Aufzug kracht ein Sessel unter Wotan zusammen, alle lachen, ein durchaus komischer Moment! Es stellt sich tragischerweise heraus, es war ein Unfall. Der leider sehr monochrom singende Tomasz Konieczny hat sich derart verletzt, dass Michael Kupfer-Radecky für den Schlussakt einspringt und einen sensationellen, ebenso fein wie expressiv timbrierten Wotan gibt.
Flüssiges und sängerfreundliches Dirigat
Bravo! Bravo! Bravo! Phänomenal auch Georg Zeppenfeld als Hunding sowie Lise Davidsens Sieglinde, wobei man ihre sehr kräftig-voluminöse Stimme schon mögen muss. Klaus Florian Vogt sucht als Siegmund zu Beginn nach den richtigen Noten, als er sie dann gefunden hat, überzeugt er vollauf. Iréne Theorins Brünnhilde hingegen enerviert mit meist flackerndem Vibrato.
Am Pult des Bayreuther Festspielorchesters verzichtet Cornelius Meister weitgehend auf eitles Posieren à la Rheingold (man sieht ihn mehrfach ausführlich, weil offenkundig niemandem aufgefallen ist, dass die Plexiglasscheiben auf der Bühne den Graben spiegeln) und dirigiert sehr flüssig und sängerfreundlich, es gibt etliche schöne und schönste Stellen.
Szenisch scheint dieser Ring eigentlich nicht mehr rettbar, nur durch ein Wunder. Aber vielleicht schafft es der Held Siegfried ja, die Wunde Bayreuth zu schließen. Wir bangen - und hoffen!