Ein einziges Konzert ersetzt dieses Jahr die Wagneropern
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Seit Ewigkeiten werden am 25. Juli die Bayreuther Festspiele eröffnet, nicht so 2020: Die Wagner-Inszenierungen fallen wegen der Coronapandemie aus. Aber es gibt ein Konzert zum Trost – auch im Rundfunk gibt es Angebote für Musikliebhaber.
Statt eines ganzen Sommers mit Inszenierungen von Wagneropern gibt es bei den Bayreuther Festspielen in diesem Jahr ein einziges Konzert: Es ist am 25. Juli Eröffnungs- und Abschlusskonzert in einem. Zu diesem Datum werden die Wagner-Festspiele sonst traditionell mit viel Prominenz eröffnet. In der Regel kommt jedes Jahr Bundeskanzlerin Angela Merkel, überall sind Kameras und Glamour bestimmt die Szenerie.
Stattdessen beginnt um 16 Uhr im Haus Wahnfried "Wagner 2020" unter der Leitung von Stardirigent Christian Thielemann. Das Konzert wird live vom Bayerischen Rundfunk übertragen, bis zu 400 Personen können es vor dem ehemaligen Wohnhaus von Richard Wagner verfolgen.
Unser Musikredakteur Rainer Pöllmann sagt, dieses Konzert könne natürlich kein Ersatz für die Festspiele sein. Es sei eine Geste, und eine anspielungsreiche dazu, denn bei der aktuellen Inszenierung der "Meistersinger" spiele der erste Aufzug in Wahnfried.
Es gibt Arien aus dem Werk zu hören: "Schade nur, dass nicht die phänomenale Besetzung der 'Meistersinger' übernommen wurde mit Michael Volle und Johannes Maria Kränzle als Sachs und Beckmesser", sagt Pöllmann. "Das hätte man sich wunderbar vorstellen können." Stattdessen singen Klaus Florian Voigt und Camilla Nylund: "Musikalisch wird das bestimmt super, aber dramaturgisch etwas weniger originell", so Pöllmann. Im Programm stehen zudem Wesendonck-Lieder und das Siegfried-Idyll, "also gewissermaßen der kammermusikalisch besetzte Wagner."
Fast alles angesagt
Die großen Opernaufführungen sind in diesem Jahr alle abgesagt, das gilt auch für den größten Teil des Ergänzungsprogramms. Die Festspiele hätten sich in den vergangenen Jahren dank der Leiterin der Festspiele, Katharina Wagner, medial und dramaturgisch verbreitert, sagt Pöllmann: "Übertragungen im Kino, Wagner für Kinder – auch davon gibt es in diesem Jahr leider nichts."
Eines der wichtigen Foren sei "Diskurs Bayreuth" - und das findet in veränderter Form statt: Im vergangenen Jahr hat der dänische Komponist Simon Steen-Andersen in der Villa Wahnfried akustische Erkundungen vorgenommen: Er sei ein "unglaublich fantasievoller, kreativer, überraschender Komponist", zeigt sich Pöllmann begeistert.
In diesem Jahr sei die Ausweitung auf das Festspielhaus vorgesehen. "The Loop of the Nibelung", so heißt sein Werk. "Als Live-Aufführung wäre es eine unglaublich spannende Geschichte gewesen", aber auch als produziertes Video sei es spannend, sagt Pöllmann. Am 29. Juli ist die Aufführung im Stream zu sehen. "Das, finde ich, ist ein absoluter Pflichttermin, gerade für eingefleischte Wagnerianer." Auch das Diskursive komme noch zum Tragen, allerdings nicht in Bayreuth: "Wagner und das Politische an der Kunst", diese Diskussionsrunde wird am 28. Juli live aus Berlin gestreamt.
Bayreuth setzt auf Radio und Fernsehen
Das ganze Rahmenprogramm wird ins Netz verlegt und liegt damit im Trend. Das ganz große Online-Konzept suche man allerdings in Bayreuth vergeblich, so Pöllmann. "Für heutige Zeiten ist das doch noch alles sehr old-fashioned", findet er.
Auf der Website stünden ganz oben zwei Corona-Kacheln für das, was wirklich ist – "und darunter eine ganze Website mit dem, was eigentlich geplant war: Ein vollkommen korrekter Spielplan von 2020, von dem überhaupt nichts mehr stattfindet. Man fragt sich: Ist das ein charmanter Trotz? Oder ist es doch ein bisschen hilflos? Man weiß es nicht so genau."
Bayreuth setzt unverändert sehr stark auf die klassischen Medien Fernsehen und Radio, was auch sehr verdienstvoll sei, so Pöllmann. Der Bayerische Rundfunk ist seit einem halben Jahrhundert federführend für Übertragungen aus Bayreuth. Er biete jetzt ein opulentes Ersatzprogram: Historische Aufnahmen aus Bayreuth, aber auch den jüngsten "Ring" aus dem Jahr 2015 in der Regie von Frank Castorf und Kirill Petrenko am Pult sind im Radio zu hören.
Auch beim Kultursender 3Sat gibt es in der Mediathek und einmal im linearen Programm den "Ring" – in der Inszenierung von Regisseur Harry Kupfer: "Da gab es auch Kritik an dieser Aufteilung. Der" Kupfer-Ring" ist durch DVD und BlueRay und einige Ausstrahlungen gut bekannt, bei denen, die sich dafür interessieren. Der Castorf-Ring ist noch gar nirgends gelaufen", kritisiert Pöllmann. Andersherum hätte es unserem Musikredakteur besser gefallen. Rechtefragen seien aber manchmal "hohe Berge", sagt er. "Trotzdem schade, dass man den "Castorf-Ring" 'nur' hören kann und nicht auch sehen."
Für mutig und originell hält Pöllmann private Initiativen wie "Wagner aus dem Garten", mit dem "Siegfried" Stefan Vinke, seine Frau Sabine Vinke und der Pianisten James Moellenhoff "Siegfrid" im Garten. "Auf jeden Fall bezaubernd."
Die Absage ist nachvollziehbar
Im Rückblick stelle sich die Frage, ob die Bayreuther Festspiele 2020 im Frühjahr zu früh abgesagt wurden? Schließlich finden die Salzburger Festspiele statt. Absagen seien juristisch und organisatorisch schwierig, so Pöllmann. Wann muss wer mit welcher Begründung absagen, um aus den Verträgen heraus zu kommen? Welchen Proben- und Vorbereitungsvorlauf hat eine Veranstaltung? Welchen Aufwand erfordert sie?
Die Festspielleitung in Bayreuth habe argumentiert, dass der "Ring des Nibelungen" nicht in so kurzer Zeit zu realisieren sei. Für Pöllmann ist die Absage deshalb nachvollziehbar. "Auch von jetzt aus betrachtet, hätte es keine Möglichkeit gegeben, das geplante Programm zu proben und dann aufzuführen."
Salzburg habe dagegen hoch gepokert, die Entscheidung lange hinausgezögert und dann Glück gehabt, dass es in Österreich seit 1. August Erleichterungen bei den Corona-Schutzmaßnahmen während der Aufführungen gibt. Dort beginnen die Festspiele erst am 1. August. Pöllmann ist gespannt auf Opern mit sehr großem Orchester.
Die Zukunft in Bayreuth
Wie sieht es nun mit der Zukunft der Bayreuther Festspiele aus? Die erkrankte Festspielleiterin Katharina Wagner soll im Herbst zurückkehren. "Das Sagen hat momentan Holger von Berg, der kaufmännische Geschäftsführer, aber auch der geht im Frühjahr 2021", sagt Pöllmann. "Bayreuth ist deswegen nicht führungslos, aber es ist doch erstaunlich vieles offen." Auch die Zukunft von Thielemann als Musikdirektor werde immer wieder hinterfragt.
Mit Blick auf das Eröffnungskonzert mit Wagner in kleiner Besetzung entwickelt Pöllmann eine Idee. "Vielleicht wäre das ein Modell für andauernde Corona-Musikbedingungen, ein Modell aus der Alten-Musik-Szene: Früher wurde Bach mit riesigen Chören gesungen, 200 Sänger und mehr. Heute wird Bach oft genug solistisch aufgeführt." Eine historische Aufführungspraxis von Richard Wagners Werken sei das zwar nicht, aber ein "interessantes, klangliches Experiment". Ihn so auszudünnen, vielleicht mit Hilfe zeitgenössischer Komponisten, um daraus noch mal etwas ganz Neues zu entwickeln, könnte in etwas Revolutionäres münden.