Isolde brüllt
Locker, mediterran und swingend hört sich das an - unser Opern-Kritiker Jörn Florian Fuchs lobt das Dirigat Christian Thielemanns in Bayreuth. Und er ist auch sonst recht angetan von Katharina Wagners "Tristan und Isolde". Wäre da nicht das Gebrüll der weiblichen Hauptrolle.
Die ungewöhnlichste Nachricht zuerst. Auch beim dritten Vorhang gibt es massive Buhs für Christian Thielemann. Vier oder fünf hartnäckige Schreihälse machen ihrem Unmut Luft. Warum in aller Welt diese Reaktionen?
Seit 2003 hat Thielemann den "Tristan" nicht mehr dirigiert, die Pause hat ihm gut getan. Denn aus dem Bayreuther Graben steigen traumhaft schöne Töne, fein gewoben, an den passenden Stellen eigenwillig, aber sorgsam gestaltet. Einzelne Streicher etwa schälen sich ab und an aus dem Tuttirausch.
Nur im dritten Aufzug überdehnt und schleppt Thielemann kurz, ansonsten gibt es keinerlei schweren, vermeintlich deutschen Klang. Locker, mediterran und swingend hört sich das an – eine Art flüssiges Pathos.
Als Strauss-Monster interpretiert sie ihre Isolde
Auch sängerisch wird überwiegend Überzeugendes geboten: Georg Zeppenfelds sämiger Marke, Raimund Noltes starker Melot oder Iain Patersons satt grundierter Kurwenal tragen bei zu einem Sängerfest, welches durch Stephen Goulds phänomenal präsenten Tristan zusätzlich veredelt wird.
Gould stemmt die Partie scheinbar ohne jede Anstrengung, mit erlesenen Spitzen und schönem Schmelz. Eigentlich alles toll, wäre da nicht Evelyn Herlitzius. Herlitzius ist derzeit eine wohl unerreichte Elektra und als Strauss-Monster interpretiert sie leider auch ihre Isolde. Die Textverständlichkeit geht gegen null, dazu kommt viel grobes Gebrüll und, wenn es doch mal leiser werden muss, zittrige Diktion. Man hat rasch genug von ihrem obergärigen, zickigen Timbre.
Gut, die Dame hat es ja auch nicht leicht, sie wird von König Marke arg gebeutelt. Schon im ersten Aufzug hat dieser offenbar Isolde nebst Tristan und der jeweiligen Entourage in einen Knast aus lauter Treppenteilen gesteckt. Dort irren alle etwas uninspiriert herum, für zusätzliche Bewegung sorgt ein irre schneller "Treppenteillift" in der Mitte. Einen Liebes- oder Todestrank nimmt hier niemand zu sich, er wird einfach ausgeschüttet.
Zu recht, denn das Paar liebt sich spürbar auch so. Es trägt blaue Kleidung, das Dienstpersonal gewandet sich gräulich grün, die Bösen kommen in Senfgelb daher. Eigentlich recht spannend dieser Raum und auch die Bühne des zweiten Aufzugs weckt Interesse. Nun sieht man einen veritablen Folterkeller, oben sind Markes Wachen, die Kurwenal mit Scheinwerfern blenden.
Tristan und Isolde kämpfen unterdessen mit einem Stahlungetüm, an zwei offenbar sehr spitzen Streben fügen sie sich absichtlich Verletzungen zu. Todeswunsch wegen auswegloser Lebens- und Liebessituation, das ist klug gedacht. Doch leider gerät der finale Aufzug dann nur noch banal und zudem handwerklich ungeheuer klapprig.
Zweimal wird Tristan grabfertig gemacht
Tristan wurde von Markes Schergen Melot verletzt, nun imaginiert er im Fieberrausch Isolde herbei. Dabei umgeben ihn ein paar Getreue sowie einige Grablichter. Isolde taucht als Vision in diversen Leucht-Dreiecken auf, mal als winkende Statistin, mal als Puppe, die den Kopf verliert.
Endlos schleppt sich die Sache dahin, zweimal wird Tristan grabfertig gemacht, wieder ausgepackt, auf eine seltsame Chaiselongue gesetzt. Als Isolde endlich realiter kommt, setzt sie sich neben ihn, Marke erscheint und es gibt es ein undurchsichtiges Nebenfiguren-Gemetzel. Hernach packt Marke Isolde und schleppt sie weg.
Auf der Habenseite von Katharina Wagners zweiter Hügel-Regie nach den mit allerlei kuriosen Ideen überfrachteten "Meistersingern" steht die Konzentration auf einige deutlich vermittelte Gedanken. Der nicht nur handwerkliche Dilettantismus im letzten Aufzug ist das größte Manko.
Die Publikumsreaktionen waren vorwiegend freundlich, wobei sich das Regieteam nur einmal kurz und ziemlich versteckt im Hintergrund zeigte. Dass der frisch gebackene Bayreuther Musikdirektor Thielemann mehr Buhs als Katharina Wagner bekam, ist der Treppenwitz der Abends. Ein anderer die auf dem Staatsempfang heiß diskutierte Nachricht, Bundeskanzlerin Merkel sei zusammengebrochen. Es stellte sich bald heraus, dass sie tatsächlich vom Stuhl gefallen ist, woran indes nicht ihre Gesundheit oder die Inszenierung schuld war, sondern offenbar ein defektes Sitzmöbel.