Oswald Georg Bauer: Die Geschichte der Bayreuther Festspiele. Band I: 1850–1950 und Band II: 1951–2000
Deutscher Kunstverlag. München 2016
1292 Seiten, 128 Euro
Lästerei und Jubel auf dem grünen Hügel
140 Jahre schon gibt es die Bayreuther Festspiele, die den Opern Richard Wagners gewidmet sind. Und endlich gibt es mit Oswald Georg Bauers 7-Kilo-Kompendium das passende Buch dazu: Nichts wird verheimlicht, kein verklärender Mantel des Schweigens über die dunklen Kapitel gebreitet.
Über keinen Komponisten, sein Werk und seine (Nach-)Wirkung ist so viel geschrieben worden wie über Richard Wagner. Das Festspielhaus auf dem Grünen Hügel in Bayreuth würde aus allen Nähten platzen, wollte man alles Geschriebene und Gedruckte dort unterbringen. Dabei soll es noch wichtige Dokumente in dunklen Kellern und geheimen Panzerschränken geben, die auf eine kritische Aufarbeitung warten.
Was bislang gefehlt hat, und darüber kann man sich nur wundern, ist eine Geschichte der Bayreuther Festspiele. Genau das ist nun endlich im 140. Jahr der ältesten Opernfestspiele der Neuzeit erschienen: ein Werk, das man schon jetzt als maßstabsetzend bezeichnen darf. Es ist in jeder Beziehung ein schwergewichtiges Kompendium – nicht nur weil es gut sieben Kilo wiegt, sondern weil es in zwei Bänden auf fast 1300 Seiten mit rund eintausend Abbildungen die Geschichte der Festspiele von der ersten Idee Wagners bis zur letzten Jahrtausendwende aufarbeitet.
Mehr als ein Vierteljahrhundert der Recherche
Die jüngsten Jahre werden nur kursorisch behandelt, und das ist auch gut so, denn zu gering ist der zeitliche Abstand, um schon abschließende Bewertungen abgeben zu können. Beispielsweise über den spektakulären "Parsifal" von Christoph Schlingensief 2004 oder den ebenso heftig bejubelten wie ausgepfiffenen und 2016 zum vorletzten Mal gezeigten "Ring des Nibelungen" von Frank Castorf.
Der Verfasser der Festspielgeschichte ist Oswald Georg Bauer, über zehn Jahre wissenschaftlich-künstlerischer Mitarbeiter von Wolfgang Wagner und später Generalsekretär der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Einerseits kennt er die Festspiele aus dem Innern, andererseits hat er genügend kritische Distanz.
Mehr als ein Vierteljahrhundert hat Bauer an der Herkulesaufgabe gearbeitet. Nichts wird verheimlicht, kein verklärender Mantel des Schweigens über die dunklen Kapitel der Festspielgeschichte gebreitet. Ein Detail: Ausgerechnet Wieland Wagner, Hitlers "Lieblingssohn", der zum Nachfolger seiner Mutter Winifred aufgebaut werden sollte, erschien bei der Premiere des "Parsifal" 1937, zu der er die Bühnenbilder entworfen hatte, in Wehrmachtsuniform. 1938 trat er der NSDAP bei. Aus Saulus wurde nach dem Krieg Paulus, Wieland gründete mit seinem Bruder Wolfgang Neu-Bayreuth.
Politisch-ideologische Zusammenhänge der Inszenierungen
"An keiner Kunststätte ist soviel gestritten, gekämpft, gejubelt und gelästert worden wie auf diesem sanften Hügel." So wird am Ende des Werks ein jahrzehntelanger Beobachter der Festspiele zitiert. Oswald Georg Bauer erzählt die Geschichte der Festspiele chronologisch. Er beschreibt alle Inszenierungen Akt für Akt, stellt aber immer auch den geschichtlichen, politischen und ideologischen Zusammenhang her.
Und er vergisst nicht, Randbemerkungen einzuflechten, beispielsweise vom Kurzaufenthalt des Dichters Theodor Fontane zu erzählen, der bereits nach dem Vorspiel zum "Parsifal" genug hatte und das Festspielhaus verließ – eine unerschöpfliche Fundgrube. Und auch wenn von manchen Kritikern das Ende der Festspiele immer wieder einmal herbeigeunkt wird, glaubt Oswald Georg Bauer: "Nichts ist zu Ende. Alles liegt noch vor uns."
Den Spielplan 2016 finden Sie auf der Webseite der Bayreuther Festspiele.