Bazon Brock über Antirassismus-Proteste

Kniefall und geballte Faust als Ausdruck der Bewegung

08:29 Minuten
Chivona Renée Newsome, Kongresskandidatin aus der Bronx, bei einer Protestveranstaltung von Black Lives Matter in New York.
Nicht nur bei dieser Protestveranstaltung von Black Lives Matter in New York, sondern weltweit greift der Protest auf die gleichen Gesten und Symbole zurück. © Getty Images / Pacific Press
Bazon Brock im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
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Die politische Ikonografie, die sich inzwischen weltweit bei den antirassistischen Demonstrationen ausdrückt, ist wirkungsvoll. Der Berliner Kulturhistoriker Bazon Brock betont den kollektiven Charakter ihrer Symbolik.
Bei den Anti-Rassismus-Protesten spielen symbolische Gesten eine wichtige Rolle. Schwarze Kleidung, geballte Fäuste oder der Kniefall gehören zur politischen Ikonographie dieser Tage nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd in den USA.

In der Tradition der Französischen Revolution

Diese Bilder knüpften an eine lange Tradition an, sagt der Kulturhistoriker Bazon Brock von der Denkerei in Berlin. Spätestens seit der Französischen Revolution 1789 gebe es eine solche Bildsprache politischer Bewegungen. Das Beachtliche an der Ikonografie der jetzigen Demonstrationen sei ja, dass sie von einem Kollektiv erfunden werde.
"Es gibt keine persönlichen Autoren dahinter, die sich das ausgedacht haben", so Brock, sondern die jeweiligen Gesten und Symbole verdankten sich "dem kollektiven Bewusstsein, in einer bestimmten Situation gefordert zu sein." Es gehe um einen "Appell an sich selbst", etwas zu tun, der die nötige Kreativität freisetze, um Bilder zu finden, die dann auch entsprechend wirkten.

Kollektive Bildsprache ohne Autor

Dabei geschehe im Grunde das, "was die Werbung immer versucht, wenn sie Produkte lancieren will: sozusagen, den Verbraucher selber sprechen zu lassen." Politische Bewegungen machten Gebrauch von einer Ikonografie, "die vom Volk selbst entwickelt wird und nicht mehr von Künstlern, von Literaten, von Malern, wie das in der Tradition meistens beschrieben wird", unterstreicht Bazon Brock.
Der emeritierte Professor für Ästhetik und Philosophie, Bazon Brock. 
Der Kulturhistoriker Bazon Brock mahnt mehr historisches Bewusstsein an.© picture-alliance/dpa/ Federico Gambarini
Über die Geste des Kniefalls, sagt Brock, sie sei sicherlich von allen friedlich gemeint. Aber im Verlauf solcher Ereignisse könne man nicht dafür garantieren, dass es friedlich bleibe. "Das große Problem bei dieser Art von Demonstrationen des gesellschaftlichen Kollektivs ist, dass man die Proteste gegen Gewalttätigkeiten richtet und, um sie wirksam werden zu lassen, selber gewalttätig werden muss." Das sei ein historischer Prozess, bei dem erst im Nachhinein beurteilt werden könne, ob das legitim gewesen sei oder nicht.

Schieflage bei historischem Wissen

Der Sturz der Statue eines früheren Sklavenhändlers im englischen Bristol zeigt nach Ansicht von Brock, dass die dahinter stehende politische Bewegung "wenig historische Substanz" habe. Denn der Sklavenhandel sei "keineswegs eine Angelegenheit von ein paar räuberischen Unternehmern gewesen", sondern "Ein Ereignis, das historisch bedingt ist" und daher im Zusammenhang einer größeren geschichtlichen Entwicklung betrachtet werden müsse. Die historische Dimension dieser Vorgänge werde jedoch vergessen, kritisiert der Kulturhistoriker. "Dadurch bekommt die heutige Agitation eine Schieflage."
(gem)
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