BBC-Doku über Joe Exotic

Die Entmystifizierung eines Medienphänomens

05:58 Minuten
Ein Mann mit blonden Haaren und Schnauzbart kniet neben einem Tiger.
Joe Exotic in der Netflix-Doku "Tiger King", die Filmkritikerin Anna Wollner heute in einem anderen Licht sieht. © imago images / ZUMA Press / Netflix
Anna Wollner im Gespräch mit Massimo Maio |
Audio herunterladen
Eine Doku über einen Schwulen mit blondiertem Vokuhila, der sich Ehemänner und Tiger hält. Diese Mischung bescherte Netflix berauschende Klickzahlen. Der Dokumentarfilmer Louis Thereoux erzählt hingegen eine andere Geschichte über Joe Exotic.
Es war wohl das popkulturelle Phänomen im ersten Lockdown. Die Netflix-Serie "Tiger King". Doku-Tainment, das abtaucht ins Leben, Wirken und ja auch kriminelle Schaffen des Privatzoo-Besitzers Joe Exotic, eben bekannt als Tiger King. Auf Sky ist jetzt eine BBC-Dokumentation zu sehen, die noch mal ein neues, anderes Licht auf Joe Exotic wirft.

Voyeurismus sei ihr bis zu der Netflix-Doku Joe Exotic eine vollkommen fremde und ferne Lebenswelt gewesen, sagt die Filmkritikerin Anna Wollner. Mit der Doku über den blondierten Redneck mit Piercings und Tattoos am ganzen Körper änderte sich das schlagartig: "Es war für mich wie ein Autounfall, an dem man nicht vorbeikam, ohne anzuhalten und zu gaffen", gesteht sie.
In der Netflix-Serie wird Joe Exotic als schwuler Mann porträtiert, der sich zwei Ehemänner hält, die er mit Drogen gefügig macht, er ist ein Waffennarr und kandidiert im Laufe der Serie fürs amerikanische Präsidentschaftsamt. Dabei gehe es aber nicht nur um ihn, so Wollner, sondern auch um die amerikanische Subkultur der Großkatzenbesitzer und Menschen, die Kapital daraus schlagen, mit wilden Tieren zu handeln.

Joe Exotic sitzt heute im Gefängnis

Seit Januar 2020 befindet sich Joe Exotic im Gefängnis. Er ist zu 22 Jahren verurteilt, weil er mehrfach versucht haben soll, jemanden anzuheuern, der seine größte Konkurrentin, Widersacherin, Gegenspielerin und Tierrechtlerin Caroline Baskin umzubringen und wegen Tierquälerei.
Die Dokumentation "Shooting Joe Exotic" ist nun ein Weiterdreh der Geschichte. Der preisgekrönte Regisseur Louis Thereoux spricht selbst von einer "Entmystifiezierung des Märchens Joe Exotic". Oder wie Anna Wollner sagt: "Auch Entmystifiezierung des Medienphänomens, zu dem er ja geworden ist."
Louis Thereoux sei dafür bekannt, sich in seinen Filmen mit polarisierenden und kontroversen Themen zu beschäftigen und zu den Protagonisten eine gewisse emotionale Nähe aufzubauen, so Wollner. So hat Thereoux bereits 2011 Joe Exotic in seinem Privatzoo in Oklahoma besucht, zu einem Zeitpunkt, als dieser noch völlig unbekannt war.
Angetrieben vom Hype um die Netflix-Serie hat sich Louis Thereoux im ersten Lockdown noch einmal das alte Rohmaterial angeschaut und Verhaltensmuster von Joe Exotic entdeckt, die ihm damals entgangen waren. "Diese Analyse ist ein Teil des Films, inklusive Selbstreflexion über seine eigene Rolle damals und wie er von Joe um den Finger gewickelt wurde", sagt Anna Wollner.

"Erschreckend" andere Darstellung der Geschichte

Für die BBC-Doku ist Louis Thereoux in die Südstaaten gereist und hat Weggefährten neu interviewt: Ex-Ehemänner, Ex-Tierpfleger, Caroline Baskine und unter anderem auch den Bruder von Joe Exotic, der ein etwas anderes Bild von dem Tiger-Narr zeichnet als die Netflix-Doku.

"Es ist teilweise schon erschreckend", sagt Anna Wolner, was man für einen neuen Eindruck von der Person Joe Exotic bekomme. Die Machart der BBC-Doku sei viel weniger auf Effekthascherei und Schockmomente ausgelegt als die Netflix-Serie. Regisseur Louis Thereoux begebe sich auch mehr auf Spurensuche nach dem Psychogramm von Joe Exotic.
Dabei gebe es auch tiefe Einblicke, so Wollner. So sei Louis Thereoux in seinem Rohmaterial aufgefallen, dass Exotic schon im Jahr 2011 darüber sprach, dass man Caroline Baskin umbringen sollte.
Der neue Dokumentarfilm sei der weniger reißerische Gegenentwurf zu Tiger King, sagt Anna Wollner und es gebe eine neue Perspektive mit gegensätzlichen Wahrheiten. Im Gegensatz zur Netflix-Doku kommt auch Carolin Baskin ausführlich zu Wort – auch erfahre man, was die Serie mit ihrem Leben angerichtet habe. So habe monatelang ihr Telefon nicht stillgestanden, sie sei beleidigt worden, bis hin zu Morddrohungen.
Die Absurdität dieser ganzen Geschichte werde am Ende der Doku noch mal deutlich, sagt Anna Wollner. Joe Exotic muss 22 Jahre im Gefängnis sitzen. 22 Jahre sei wiederum auch die durchschnittliche Lebenserwartung für einen in Gefangenschaft gehaltenen Tiger.
(jde)

"Louis Thereoux – Shooting Joe Exotic" ist auf Sky Ticket zu sehen.

Mehr zum Thema