Beat Bächi über sein Buch „LSD auf dem Land“

Drogenproduktion im Roggenfeld

10:29 Minuten
Ein historisches Schwarzweißbild mit dem Mutterkornpilz auf Roggenähren ist während der Ausstellung "LSD, die 75 Jahre eines Sorgenkindes" in der Schweizerischen Nationalbibliothek am 21. September 2018 in Bern zu sehen.
Drogen aus Roggen: Beat Bächi hat sich mit der LSD-Produktion auf Kornfeldern in der Schweiz beschäftigt. Das Foto zeigt eine Schwarzweißaufnahme aus der Ausstellung "LSD, die 75 Jahre eines Sorgenkindes" in der Schweizerischen Nationalbibliothek, 2018. © AFP / Fabrice Coffrini
Moderation: Florian Felix Weyh |
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Ab 1939 bis Anfang der 70er-Jahre wurde in der Schweiz massenhaft Roggen angebaut, um daraus Mutterkorn, einen parasitären Fadenpilz, zu gewinnen. Für die LSD-Produktion. Der Schweizer Historiker Beat Bächi hat darüber ein Buch geschrieben.
Florian Felix Weyh: Die Sachbuch-"Lesart" – mit einer praktischen Anleitung, ich zitiere: "Die Impfung erfolgt derart, dass die Ähre mit der linken Hand flach in den Ährenfinger gelegt wird, mit dem Daumen darin festgehalten und gegen die Nadel gedrückt." Wir sind, man hört’s, immer noch bei der Landwirtschaft. Und weiter: "Das Einstechen hat von der Schmalseite der Ähre aus zu geschehen, wobei die Nadeln in die Blütenhohlräume eindringen, nicht aber auf der anderen Seite herausragen dürfen." So geht das noch ein paar Sätze weiter, und der Historiker, der uns das überliefert, stöhnt auf – O-Ton Beat Bächi: "Allein bei der Vorstellung, auf diese Art und Weise massenhaft Roggen zu impfen, bilden sich Schweißtropfen auf der Stirn."
Herr Bächi, Roggen impfen, jede einzelne Ähre von Hand, aber nicht, um sie vor Krankheiten zu schützen, sondern um sie quasi produktiv krank zu machen. Was war das für ein Vorgang ab 1939 bis hinein in die 70er-Jahre im Schweizer Emmental?
Bächi: Es ging darum, massenhaft Mutterkorn zu produzieren. Das Mutterkorn ist ein parasitärer Fadenpilz, der vor allem den Roggen, aber grundsätzlich eigentlich alle Süßgräser befallen kann. Und da man einen großen Bedarf an Mutterkorn für die Arzneimittelproduktion hatte, wurde dieser nun ab 1939 künstlich produziert, um dann eben Arzneimittel herzustellen.


Weyh: Dieses Mutterkorn kennen wir schon seit dem Mittelalter, das ist da für ja – wie nennen wir es, Massenpsychosen – zum Teil zuständig gewesen und wurde schon von Hebammen sehr, sehr früh eingesetzt.
Bächi: Ja, das Mutterkorn war lange Zeit eigentlich als Gift gefürchtet, weil es die sogenannte Kribbelkrankheit ausgelöst hat. Da faulten dann letztlich die ganzen Gliedmaßen ab. Es wurde dann erst später in der Geburtsheilkunde verwendet, und dann im 20. Jahrhundert wurde es zu einem Arzneistoff umgedeutet, von einem Gift zu einem Heilstoff, kann man da sagen.
Weyh: Es war aber zugleich ja auch eine psychogene Droge. Das kommt einem ein bisschen seltsam vor, dass mit staatlicher Förderung eine Firma, Sandoz in Basel, auf ganz normalen Feldern sozusagen Drogen anbauen lässt.
Bächi: Die Grenze zwischen Arzneistoffen und Drogen war und ist natürlich immer sehr durchlässig, und es war nur ein Teil des Mutterkorns, das dann für LSD verwendet wurde. Zu Beginn dieser Mutterkornkultur gab es das LSD auch noch gar nicht. Das wurde erst 1943 entdeckt von Albert Hofmann, nachdem er es 1938 im Labor schon einmal hergestellt hatte, es dann aber für die Geburtsheilkunde als unwirksam – nicht unwirksam, aber weniger wirksam als andere Stoffe – klassiert worden war.
Das heißt, zu diesem Zeitpunkt gab es LSD noch nicht. Und es war auch gar nicht so, dass LSD von Beginn weg in irgendeiner Form als Droge gesehen wurde. Lange Zeit wurde LSD sowieso nur zu Selbstversuchszwecken genommen, und es hat dann erst Ende der 1940er-Jahre Einzug in die Psychiatrie gehalten – als Phantastikum.

LSD als Mittel für die Psychiater

Weyh: "Phantastikum" ... es hat übrigens auch relativ fantastische Namensversuche dafür gegeben, aber die LSD-Indikation, ich zitiere mal, "zur seelischen Auflockerung bei analytischer Psychotherapie besonders bei Angst- und Zwangsneurosen", klingt ganz schön kühn.
Bächi: Das kennt man ja auch sonst bei dieser Generierung von Indikationen in der Arzneimittelindustrie. Da wird einfach versucht, Stoffe für und gegen alles Mögliche einzusetzen. Es war von Beginn weg alles andere als klar, dass LSD zur Auflockerung von Neurosen oder so dienen sollte. Es wurde zunächst auch eingeführt als Mittel für die Psychiater selbst. Es war jetzt nicht ein Medikament, das nur für die sogenannten Kranken gedacht war, sondern es war zu Beginn vor allem auch ein Stoff, der für Psychiater dienen sollte, um Psychosen nachzuerleben. Diese sogenannte "Modellpsychose" durchzumachen und so die Patienten besser verstehen zu können.

Weyh: Nun sind Sie ja nicht von Haus aus auf LSD abonniert als Historiker, sondern Sie sind an das Thema mit den ganzen Implikationen – es geht dann noch weiter in einen zweiten Strang im Buch, nämlich der Entdeckung des Psilocybin, dieses Pilzes in Mexiko etwa in derselben Zeit – Sie sind da dran gekommen, weil man Ihnen die Verwaltung des Archivs von Albert Hofmann angetragen hat. Stimmt das?
Bächi: Die Geschichte ist ein bisschen anders, als auch schon dargestellt wurde. Ich wurde da auch schon als der Hobbymilchbauer, der sich jetzt um das Archiv von Albert Hofmann kümmert, apostrophiert. Ich war allerdings eigentlich nie direkt in diesen Nachlass involviert. Von Beginn weg war meine Aufgabe, aus diesem Nachlass, der dann an das Medizinhistorische Institut der Universität Bern gekommen ist, ein Forschungsprojekt zu entwickeln. Ich war nicht Archivar oder habe dieses Material verwaltet.

"Viele Pharmaunternehmen besaßen auch Bauernhöfe"

Weyh: Das Forschungsprojekt wird dann – und da kommen wir zum Thema unserer heutigen Sendung, nämlich der Landwirtschaft – ganz ausgreifend, was strukturelle Umbrüche in der Landwirtschaft angeht. Ein etwas schwieriger Satz von Ihnen, ich zitiere mal: "Mutterkorn diente als Einfallstor für agrarisch-industrielles Wissen zu Sorteneigenschaften, das die Pflanzen in ihre einzelnen Funktionsmerkmale auflöste." Können Sie das in einfachen Worten sagen, was da passierte?
Bächi: Das Spannende an LSD ist meines Erachtens – oder vor allem der Mutterkornproduktion –, dass die Pharma- und Chemieindustrie nicht einfach nur im Labor Heilmittel oder Drogen hergestellt hat, sondern sehr viele Pharmaunternehmen besaßen meist auch Bauernhöfe. Im Falle von Sandoz war es so, dass sie in der Klus, also im Kanton Basel-Land, einen großen eigenen Hof besaßen und dort auch Pflanzenzuchtversuche durchführten. Bei diesen Pflanzenzuchtversuchen, die so aufwendig waren, dass gerade Mitte des 20. Jahrhunderts dann die Pharmaindustrie die öffentliche Forschung an Kapazitäten überholt hat, wurde auch ein neuer Roggen gezüchtet.
Die Idee dabei war, dass man ganz viele Kriterien, wie Spelzenschluss – also dass die Körner nicht rausfallen frühzeitig, dann aber natürlich auch die Anfälligkeit für die Bildung von Mutterkornpilzen – züchterisch bearbeitet wurden. Das war ein riesiger Aufwand, und in einigen Quellen steht, bis zu 50.000 Pflanzen müssen auf dem Feld ausgelesen werden und nach all diesen Kriterien – also es waren in etwa neun bis zehn Kriterien – selektioniert wurden, und dann nur fünf dann für die weitere Vermehrung eingesetzt wurden! Die Idee von Sandoz war dann aber auch, dieses Saatgut den Bauern zwar zum Anbau des Roggens und des Mutterkornanbaus zur Verfügung zu stellen, die Bauern wurden aber auf einem beiliegenden Blatt darauf hingewiesen, dass sie nicht berechtigt seien, diesen Roggen weiterzuverwenden.


Weyh: Da sind wir, wenn ich Sie mal unterbrechen darf, ja plötzlich bei der Patentdiskussion, die uns ja eigentlich eher neu vorkommt.
Ein Mann mit langen Haaren sitzt in einem Raum vor einem Mikrofon.
Die Mutterkornkultur passte gut in die bäuerlichen Rhythmen. So fand das Ablesen und das Impfen meist zu Zeiten statt, wo sonst nicht so viele Arbeiten anfielen, sagt der Historiker Beat Bächi.© Florian Felix Weyh
Bächi: Ja, in dieser Zeit gab es auch noch gar keine rechtliche Handhabe, um lebende Organismen unter Sorten- oder Patentschutz zu stellen. Dennoch hat Sandoz in diesem Fall einfach versucht ... wie rechtlich abgesichert das war, weiß ich nicht, und es sieht in den Quellen auch so aus, als hätte Sandoz das dann gar nicht so streng verfolgt. Aber man sieht einfach nur schon die Idee, dass man eben diese Zuchtarbeit nun über patent- oder sortenrechtliche Regelungen zu schützen versucht. Etwas, das eigentlich erst in den 1970er-Jahren aktuell und auch rechtlich umgesetzt wird.
Weyh: Sie nennen das sehr schön in Ihrem Buch die "Einimpfung mit neuen Eigentumsrechten". Aber es kommt ja noch ein zweiter Aspekt hinzu, den Sie beschreiben, nämlich dass dieser künstlich gezüchtete Roggen plötzlich ganz andere agrochemische Bedingungen braucht im Gegensatz zu den Naturpflanzen – also tatsächlich die agrochemische Revolution da eingeleitet wurde!
Bächi: Ja, dieser Roggen war natürlich als sehr leistungsstarker Roggen auf wenige Merkmale gezüchtet, die Robustheit spielte hier weniger eine Rolle, und man begann auch gezielt, diesen Roggen zu düngen, benötigte nun aber auch viel mehr Herbizide und Pestizide. Somit kann man sagen, dass auch der Anbau dann stark industrialisiert wurde. Man hat mit Impfmaschinen, die etwa 16.000 Nadeln besaßen, dann diesen Roggen geimpft und zugleich aber eben den Roggen auch nach wissenschaftlichen Kriterien gedüngt und mit Pflanzenschutzmitteln bearbeitet.

Großes Interesse am Anbau

Weyh: Es ist ein irrsinnig spannendes Thema, was da passiert ist in der Schweiz. Wir wissen das alle gar nicht, Sie haben das quasi für uns jetzt herausgefunden ... aber die Bauern! War das für die Bauern denn eigentlich ein gutes Geschäft?
Bächi: Ja, die Bauern hatten sehr großes Interesse am Anbau dieses Mutterkornroggens. Ich wohne inzwischen lustigerweise auch direkt in dem Gebiet, wo Mutterkorn angebaut worden ist, und fast alle hier haben Mutterkorn angebaut. Der Vorteil war, dass man auf relativ kleinen Flächen große Erträge erwirtschaften konnte. Zudem passte diese Mutterkornkultur auch gut in die bäuerlichen Rhythmen. Das Ablesen und das Impfen fand meist zu Zeiten statt, wo sonst nicht so viele Arbeiten anfielen. Zudem konnten auch nebst Kindern auch ältere Menschen beim Auslesen beschäftigt werden. Es war ein idealer Stoff, der dann eben auch über das Jahr hinweg Möglichkeiten des Einkommens bot. Man konnte im Winter noch die letzten Chargen des Roggens fein säuberlich von Hand sortieren, beispielsweise.
Weyh: Aber es war letztlich überhaupt keine ökonomische Erfolgsgeschichte für Sandoz. Es wurde dann synthetisiert, das LSD, aber letztlich hat das keine großen geschäftlichen Erfolge erzielt, oder?
Bächi: Das Mutterkorn selbst war schon einer der Hauptzweige von Sandoz. Was LSD betrifft, so ist eigentlich die Ironie der Geschichte, dass Sandoz lange Zeit hoffte, mit LSD eigentlich den Namen Sandoz in der Welt bekannt zu machen. Das hat sich dann Mitte der 60er-Jahre aus bekannten Gründen schnell geändert, sodass Sandoz eigentlich lieber nicht mehr mit LSD in Beziehung gebracht werden wollte. Auch bei Psilocybin ist es so, dass man eigentlich schnell einsah, dass man da keinen kommerziellen Schlager in der Hand hat. Dennoch sah man lange Zeit diese Stoffe wie einen Werbeträger für Firma selbst.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Beat Bächi: "LSD auf dem Land – Produktion und kollektive Wirkung psychotroper Stoffe"
Konstanz University Press, 2020
346 Seiten, 29,90 Euro

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