Beat-Poet

Letzte Ausfahrt Höllenschlund

Ein schwarz-weißes Porträtfoto von William S. Burroughs
Prediger eines apokalyptischen Evangeliums: William S. Burroughs. © dpa / picture alliance / Malte Christians
Von Ruth Fühner |
Bekennender Drogenkonsument, Underground-Apostel und Mitbegründer der Beat-Generation: Als Spross der weißen amerikanischen Mittelschichtskultur hat der Schriftsteller William S. Burroughs deren Widersprüche so radikal nach außen gekehrt wie kaum ein anderer.
"Thanks for the wild turkey ..."
Wer dieses Thanksgiving-Gebet hört, könnte fast an einen Fernsehprediger denken. Tatsächlich trat William S. Burroughs, der selbsternannte "Gesandte der Abwasserkanäle", gewohnheitsmäßig in Dreiteiler und Krawatte auf, war höflich und hochgebildet und im Zweifelsfall nicht abgeneigt, mit biblischen Zitaten zu spielen. Das Evangelium allerdings, das er predigte, war ein apokalyptisches, letzte Ausfahrt: Höllenschlund. In seinem Roman "Naked Lunch" liest sich das so:
"Rocker und Halbstarke stürmen die Straßen sämtlicher Länder. Sie stürzen in den Louvre und schütten der Mona Lisa Säure ins Gesicht ... Sie leiten Abwässer in die Trinkwasser-Reservoirs ... In weißen Kitteln, mit Sägen und Äxten und drei Fuß langen Skalpellen bewaffnet, stellen sie Krankenhäuser auf den Kopf; sie zerren Paralytiker aus ihren Eisernen Lungen und äffen die Erstickenden nach, indem sie sich auf dem Boden wälzen und die Augen verdrehen ... "
William Seward Burroughs wurde am 5. Februar 1914 in St. Louis, Missouri, in eine wohlhabende Familie hineingeboren. Seine erstklassige Schulbildung führte ihn bis nach Harvard und zu einem abgebrochenen Medizinstudium in Wien, kurz vor dem Einmarsch der Nazis.
Doch der universitäre Betrieb ödete ihn ebenso an wie das konservative bürgerliche Milieu seiner Herkunft. Nervenkitzel – das war es, was er suchte. Und fand – bei Huren, Strichern, Kriminellen, Junkies. Wegen eines Aufenthalts in der Psychiatrie und seiner offen gelebten Homosexualität zurückgestellt vom Militärdienst, machte Burroughs während des Zweiten Weltkriegs in New York drei folgenschwere Bekanntschaften: mit Drogen aller Art, mit einer Frau, die er heiraten und im Rausch töten sollte, und mit den beiden anderen späteren Halbgöttern der Beat-Generation: Allen Ginsberg und Jack Kerouac.
Von ihnen gedrängt, schrieb er 1958 im marokkanischen Tanger, Fluchtpunkt der intellektuellen amerikanischen Schickeria, seinen Roman "Naked Lunch". Ein monströses Buch voll von Junkies, Sadisten und Seemännern. Von verzerrten Fratzen, kopulierenden Gliedern und explodierenden Körpern, von Sperma, Schleim und Blut.
Schlachtorgien, Perversionen aller Art und gellender Hohn auf die bürgerliche Ordnung durchziehen den Roman, der zu einer Bibel der Underground-Bewegung werden sollte. Seine Akteure sind Gefangene ihres unstillbaren Begehrens – denn das Freiheitsversprechen der Droge mündet nicht in blumige Hippie-Träume, sondern in schreiendes Elend.
"Der Junk-Virus ist heute weltweit das Gesundheitsproblem Nummer Eins. Da sich 'Naked Lunch' mit diesem Gesundheitsproblem befasst, ist das Buch notwendigerweise brutal, obszön und abstoßend. Krankheit wird oft als ekelhaft empfunden, und die Schilderung von Einzelheiten ist nichts für schwache Mägen",
schreibt Burroughs.
Der Schriftsteller William S. Burroughs im Jahr 1997
Der Schriftsteller William S. Burroughs im Jahr 1997© AP
Junk, Suchtmittel – das waren für ihn nicht nur die Drogen. Auch Liebe, Politik, Religion, Familie, Sex – alles, was abhängig macht und damit das Ich fremder Kontrolle unterwirft. Genau da lag die Gefahr, von der sich der Paranoiker Burroughs zeitlebens bedroht fühlte. Seiner Drogensucht versuchte er mit Entziehungskuren Herr zu werden. Den Dämonen in seinem Innern bot er Paroli, indem er sie herausließ - in einem extrem disziplinierten und kontrollierten Schreibakt. Dabei sah Burroughs die Sprache selbst als Instrument der Gedankenkontrolle. Und so zerfetzte und collagierte er in dem von ihm so genannten Cut-up-Verfahren Texte so lange, bis sie sinnlos wurden – und sich der Musik annäherten.
Es war dieser Sound, der den späten William Burroughs zu einem Magneten für Avantgarde und Punk machte. Als 60-Jähriger füllte er mit seinen experimentellen Techno-Performances die Säle, ein bleicher Buchhalter der Albträume. 1984 wurde der notorische Außenseiter Mitglied der ehrwürdigen American Academy of Arts and Letters; sechs Jahre später schrieb er zusammen mit Tom Waits und Robert Wilson das Erfolgs-Musical "Black Rider".
Am 2. August 1997 starb William S. Burroughs 83-jährig in Kansas, wo er sich die letzten Jahre mit Katzenfüttern und Schießübungen vertrieben hatte.
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