Beate und Serge Klarsfeld: Erinnerungen
Piper Verlag, München 2015
624 Seiten, 28,00 Euro
"Dagegen muss man hart ankämpfen"
Sie ohrfeigte Bundeskanzler Kiesinger öffentlich wegen dessen NS-Vergangenheit: Beate Klarsfeld hat auf spektakuläre Weise gegen den Rechtsextremismus gekämpft. Gefahren sieht sie immer noch - und fordert mehr Einsatz von den etablierten Parteien.
Die Publizistin und Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld warnt eindringlich vor Pegida und anderen rechten Gruppierungen in Deutschland. Im Deutschlandradio Kultur sagte sie, auch Hitler habe anfangs nur "wenig Leute" gehabt. Und auch heute noch würden bei Krisen in einem Land die Rechten oder die Linken stark. "Dagegen muss man hart ankämpfen", sagte Klarsfeld. Dieser Kampf müsse von den etablierten Parteien geführt werden, forderte sie.
Persönlich hat sich Klarsfeld mit Deutschland aber versöhnt. Die Aufstellung als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten und das Bundesverdienstkreuz seien für sie und ihren Mann eine große Befriedigung gewesen. Früher sei sie als "Nestbeschmutzerin" in Deutschland bezeichnet worden. Heute sei anerkannt, "dass wir Recht hatten", sagte sie.
Heute erscheint ihr Buch "Erinnerungen", das sie mit ihrem Mann Serge Klarsfeld geschrieben hat.
Das Interview im Wortlaut:
Nana Brink: Ihr Mann Serge sagte, das Wichtigste, was du in deinem Leben getan hast, war die Ohrfeige. Das war die Ohrfeige, die wohl die meisten Schlagzeilen der Nachkriegsgeschichte geschrieben hat. Ausgeteilt hat sie am 7. November 1968 auf dem CDU-Parteitag in Berlin die Publizistin Beate Klarsfeld. Und sie traf den damaligen Bundeskanzler Kurt-Georg Kiesinger auf offener Bühne.
Ein Skandal, der die deutsch-französische Journalistin und ihren Mann Serge Klarsfeld schlagartig berühmt gemacht hat. Die beiden, sie, das deutsche Kriegskind, er aus jüdischer Familie, dessen Vater in Auschwitz ermordet worden war, widmen bis heute ihr Leben der Aufklärung der NS-Verbrechen und werden zu unerbittlichen Jägern der Nazi-Größen, zum Beispiel von Klaus Barby. Heute erscheinen ihre "Erinnerungen", so der Titel, die sie, Beate Klarsfeld, zusammen mit ihrem Mann Serge geschrieben hat. Ich grüße Sie, Frau Klarsfeld, schönen guten Morgen!
Beate Klarsfeld: Guten Morgen!
Brink: Natürlich sind wir alle gespannt auf die Szene mit der Ohrfeige, da kommen wir natürlich noch dazu, aber ich möchte gern ein bisschen früher ansetzen. Wann wurde denn aus Beate Klarsfeld eine politische Frau? Gab es da einen konkreten Anlass?
Klarsfeld: Die politische Frau gab es eigentlich schon immer, sagen wir mal, die habe ich gebildet – ist gebildet worden, als ich 1960 aus Berlin nach Paris kam, dort meinen späteren Mann kennenlernte, dessen Vater, wie Sie sagten, in Auschwitz ums Leben kam. Und da habe ich eben versucht, etwas nachzuholen, was im deutschen Geschichtsunterricht nicht geschehen war, zu erfahren, was zwischen 1933 und 1945 in Deutschland geschehen war. Und da war ich ein bisschen vorbereitet.
Ich war auch sehr engagiert, in Kontakt mit Deutschland, und 1963 ging ich sofort ins Deutsch-Französische Jugendwerk als Sekretärin. Also, ich war an Deutschland sehr interessiert, und als 1966 ein Nazi-Propagandist Bundeskanzler wurde, war für mich natürlich die Notwendigkeit da, zu reagieren.
Brink: Aber die Idee mit der Ohrfeige, die kam nicht von Ihnen, sondern, wie ich gelesen habe, von Ihrem Mann.
Die Ohrfeige musste sein - andere Aktionen hatten keine Aufmerksamkeit erzeugt
Klarsfeld: Die Ohrfeige, das war natürlich, alles was wir machen, ist zusammen vorbereitet worden, aber die Ohrfeige kam auch, weil wir anders nicht vorgehen konnten. Wir hatten viel Dokumentation über die Vergangenheit von Kiesinger zusammengetragen, Serge hatte in Potsdam in den Archiven gearbeitet, in der DDR damals, in Washington. Und wir merkten dann, dass die Verbreitung durch Broschüren nichts brachte, weder bei den Studenten noch bei den Parlamentariern, auch nicht bei den Journalisten.
Wir mussten versuchen, durch irgendeine spektakuläre Aktion auf seine Vergangenheit aufmerksam zu machen. Das Erste war eine Unterbrechung im Bundestag damals in Bonn, wo ich sagte "Kiesinger, Nazi abtreten!", und dann war eben der Anlass der CDU-Kongress, der also weltweit beobachtet war.
Brink: Und da ist dann im dritten Anlauf das passiert, was Sie so beschrieben haben in Ihrem Buch:
"Als ich hinter Kiesinger war, spürte er, dass da jemand war und wandte den Kopf ein wenig. Meine Anspannung war wie weggeblasen. Ich hatte gewonnen. Ich schrie, so laut ich konnte, Nazi, Nazi! und ohrfeigte ihn mit voller Wucht, ohne dabei seinen Gesichtsausdruck zu sehen."
Brink: Wie hat das Ihr Leben verändert?
Klarsfeld: Das war natürlich der ... Wie soll ich sagen? Die Symbolik (entsteht) dadurch, dass es eben die Ohrfeige ist der jungen Generation gegen die Nazi-Generation. Deswegen ist die Symbolik auch so groß. Es war kein Erschießen, es war eine Ohrfeige. Also ohne Gewalt. Obwohl der Richter, der mich am Abend selbst zu einem Jahr Gefängnis verurteilte, sagte: Frau Klarsfeld, Sie haben Gewalt angewendet, indem Sie den Bundeskanzler schlugen. Ich sagte, Gewalt ist, wenn man der deutschen Jugend einen Nazi-Propagandisten als Bundeskanzler aufzwingt.
Brink: Also Sie denken, das hat etwas gebracht, das hat etwas ausgelöst?
Klarsfeld: Das hat sehr viel ausgelöst, selbstverständlich, schon vor allen Dingen, ich hatte dann einen Wahlkampf geführt gegen ihn im gleichen Wahlkreis, und ich hatte in einem meiner Artikel auch – ich bin ja aufgrund dieser Artikel aus dem Deutsch-Französischen Jugendwerk entlassen worden, was für mich natürlich auch wichtig war, denn ich habe dann eben die Kiesinger-Kampagne stark fortgeführt, aber ich hatte mich immer für Willy Brandt eingesetzt, den ich Berlin noch als Bürgermeister kannte. Und dann war eben, das Resultat war, Kiesinger musste abtreten, und Willy Brandt ist Bundeskanzler geworden.
Brink: Ich möchte noch ein Zitat hier zu Gehör bringen aus Ihren Erinnerungen, die ja heute erscheinen. Und zwar haben Sie 2012, nein, 2012 nicht, sondern in diesem Jahr im Sommer das Bundesverdienstkreuz bekommen.
"Für mich selbst war das Bundesverdienstkreuz die offizielle Anerkennung dafür, dass der mit einem Jahr Gefängnis bestrafte, skandalöse Akt des Nachdenkens wert war. Die deutsche Gesellschaft hatte 45 Jahre nachgedacht und schließlich eine schwere Strafe doch noch in eine schöne Belohnung verwandelt."
Brink: War dieses Bundesverdienstkreuz noch mehr als Ihre Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten – Sie sind ja aufgestellt worden 2012 von den Linken –, und interessanterweise hat ja dann Joachim Gauck sozusagen diese Urkunde für das Bundesverdienstkreuz unterschrieben.
Früher Nestbeschmutzerin, heute Ex-Kandidatin für das Bundespräsidentenamt
Klarsfeld: Ich meine, beides natürlich eine große Befriedigung für Serge und mich, schon die Aufstellung als Bundespräsidentenkandidatin von der Linken und dann natürlich auch das Bundesverdienstkreuz. Es haben ja viele Organisationen, auch Freunde immer nachgehakt, Auswärtiges Amt, Bundespräsidialamt, und es kam ja also eigentlich ziemlich spät.
Aber es ist eine große Befriedigung, denn es heißt, was ich damals vorausgesehen hatte, dass in Deutschland eben ehemalige Nazis wieder an allen Stellen waren, die Ohrfeige war wichtig gewesen. Damals wurde ich als Nestbeschmutzerin und ich weiß nicht was bezeichnet, und heute ist eben durch das Bundesverdienstkreuz anerkannt worden, dass meine ganze Arbeit, von Serge und mir, richtig war. Bloß wir waren vielleicht im Voraus (...), aber heute ist bestätigt worden, dass wir recht hatten, und es hat sich auch sehr viel in Deutschland geändert, auch in der Aufarbeitung der Vergangenheit.
Brink: Wir sprechen mit der Publizistin Beate Klarsfeld anlässlich der Veröffentlichung ihrer Lebenserinnerungen heute. Heute ist ja der 9. November, ein sehr bedeutender Tag für die deutsche Geschichte. Ein Tag, Trauer und Freude, 1938, 1989 – ich möchte auf das zweite Datum noch zu sprechen kommen, was auch einen breiten Raum einnimmt in Ihrem Buch, nämlich die Wiedervereinigung. Sie haben da schon 1968 geschrieben, die Wiedervereinigung ist natürlich wünschenswert. Deutschland solle eine Brücke zwischen Ost und West sein. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis heute?
Klarsfeld: Selbstverständlich bin ich zufrieden. Ich habe mich auch in meinen ganzen Konferenzen, die ich sogar in Amerika führte, immer als eine wiedervereinte Deutsche vorgestellt. Es war für mich damals schon ein Wunsch gewesen, dass Deutschland wiedervereint wird. Und es ist ja auch auf friedlichem Wege geschehen.
Brink: Nun erleben wir ja heute, wenn wir auf das andere Datum zu sprechen kommen, 9. November 1938, und wir erleben in Dresden, und nicht nur da, Pegida-Demonstrationen, die Ausgrenzung propagieren und, so wie letzten Montag, den Justizminister mit Goebbels vergleichen. Wenn Sie so was hören und sehen, was geht da in Ihnen vor, was empfinden Sie?
Der Kampf gegen Pegida muss von den etablierten Parteien geführt werden
Klarsfeld: Das ist natürlich fürchterlich, dass diese Rechtsextremen jetzt auch schon (...), nicht nur diese Flüchtlingskrise, die gab es ja auch davor schon. Und dagegen muss man sich eben stark wenden. Heute ist das ein Problem auch bei uns in Frankreich. Wir haben eine sehr starke Partei, die Front Nationale, gegen die wir auch ankämpfen. Denn man hat gesehen, was der Hitler, der zuerst wenig Leute hatte, was dann da kam. Er wurde dann Kanzler. Auch heute ist die Gefahr, sobald es Krisen in einem Land gibt, werden die Linken oder die Rechten, hauptsächlich hier jetzt die Rechtsextremen so stark, und dagegen muss man hart ankämpfen. Das ist wirklich ein – ich sagte, in Deutschland auch, gegen die Pegida, und in Frankreich Front National, das ist ein Kampf, der von den etablierten Parteien geführt werden muss.
Brink: Aber interessant ist ja, wie führt man diesen Kampf. Sie sind ja Journalistin, und es gibt dieses berühmte Motto von Hans-Joachim Friedrichs, der Tagesthemen-Legende, das da lautet: "Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache."
Klarsfeld: Ich weiß nicht, ob ich Journalistin gewesen bin. Ich meine, ich hatte mal für eine Zeitung geschrieben ...
Brink: Aber Publizistin.
Klarsfeld: Aber ich bin eigentlich keine ausgebildete Journalistin, aber ich würde sagen, was ich heute sagen kann, mein Aufruf ist, dass sich die etablierten Parteien in Frankreich und auch in Deutschland also gegen diese rechtsextreme Bewegung – man muss versuchen, natürlich auch das Flüchtlingsproblem zu regeln. Aber trotz allem, die Gefahr ist, wenn Rechtsextreme wieder stark werden, dann kann was Fürchterliches geschehen.
Brink: Aber wie sieht die Einmischung aus, die Sie sich vorstellen? Wie konkret, wie konkret muss die sein?
Klarsfeld: Natürlich, das Flüchtlingsproblem muss gelöst werden, man muss versuchen, auch zu verhindern, dass zum Beispiel diese ganzen Flüchtlingsheime, die es natürlich an Orten gibt, wo es wenig Bevölkerung gibt und die sich natürlich dagegen wenden, dass jetzt Ausländer kommen, mit denen sie wenig gemeinsam haben. Man muss erst mal versuchen, diese Flüchtlingsheime besser zu schützen. Es ist doch unmöglich, dass NPD und Pegida so weit kommen, dass sie also von außen in diese Flüchtlingsheime Molotowcocktails werfen können. Das heißt, es muss abgezäunt werden wahrscheinlich, leider Gottes, ja, aber es ist wichtig, dass man zumindest diese Flüchtling erst mal physisch schützt, dass sie nicht angegriffen werden können und dass die Heime auch irgendwie abgesichert werden.
Brink: Beate Klarsfeld, vielen Dank! Herzlichen Dank für das Gespräch hier in "Studio 9". Und Ihre "Erinnerungen", die Sie zusammen mit ihrem Mann Serge Klarsfeld geschrieben hat, sind bei Piper erschienen, und zwar heute.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.