Die Nazi-Jägerin, die den Kanzler ohrfeigte
Kanzler Kurt Georg Kiesinger hatte in der Nazi-Zeit Karriere gemacht. Dafür schlug ihm Beate Klarsfeld, damals 29, ins Gesicht. Mit der Ohrfeige wurde sie berühmt. Klarsfeld widmete ihr Leben der Verfolgung von NS-Verbrechen - jetzt wird sie 80 Jahre alt.
Beate Klarsfeld, die Augen hellwach, beobachtet sehr genau, was um sie herum passiert. In Europa, in der Welt.
"Das ist sehr beängstigend. Nehmen wir Deutschland. So kurz nach der Flüchtlingskrise sind 92 Abgeordnete einer rechtsextremen Partei im Bundestag. Man lässt es so laufen. Man denkt, vielleicht wird es wieder besser werden. Aber es wird nicht besser werden."
Etwas einfach so laufen lassen, was man für ungerecht, für gefährlich hält, das würde Beate Klarsfeld nicht passieren. Sie war es schließlich, die die Deutschen 1968 mit einem Schlag aus dem Schlaf des Nachkriegsvergessens riss. Damals gab sie dem Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger eine Ohrfeige.
"Das war ein letztes Mittel, um die Deutschen aufzuwecken, aber auch um zu erreichen, dass Kiesinger abtreten muss, was nicht der Fall war. Aber zumindest haben wir erreicht, dass er nicht mehr wiedergewählt werden konnte. Uns allen ist es gelungen, dass Willy Brandt Nachfolger von Kurt Kiesinger wurde. Das ist das Wichtigste gewesen."
Der deutschen Jugend einen "Nazi-Kanzler" aufgezwungen
Beate Klarsfeld hatte die Ohrfeige an jenem 7. November 1968 genau vorbereitet, schon vorher war sie auf der Besucher-Tribüne im Parlament in Bonn auffällig geworden, hatte während einer Rede des Kanzlers, "Kiesinger, Nazi, abtreten" gerufen.
Sie würde sich durchaus als Pazifistin bezeichnen, sagt sie in ihrem vollgestopften Pariser Büro, das sie mit ihrem Mann Serge teilt. Einem jüdischen Franzosen, dessen Vater in Auschwitz umgebracht wurde.
Ihre Ohrfeige war demnach keine Gewalt?
"Das sagte ja der Vorsitzende Richter, als er mich zu einem Jahr Gefängnis verurteilte: Sie haben Gewalt angewandt, weil sie einen Kanzler geohrfeigt haben. Das war keine Gewalt, sagte ich. Gewalt ist, wenn man der deutschen Jugend einen Nazi-Kanzler aufzwingt."
Beate Auguste Künzel, wie sie vor ihrer Heirat mit Serge Klarsfeld hieß, war nie ein liebes Fräulein, eine angepasste Mademoiselle. Gegen den Willen ihrer Eltern ging sie aus Berlin nach Paris, da war sie gerade 21. Paris, damals ein Sündenbabel, eine Stadt, in der Beate die Liebe ihres Lebens traf, und ihre Bestimmung.
"Wir haben natürlich zusammen gekämpft, Serge als Jude, dessen Vater deportiert wurde. Ich als deutsche Nichtjüdin. Wir haben viele Ziele gemeinsam gehabt."
Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin
In Frankreich wird das Ehepaar Klarsfeld sehr geschätzt. Gerade hat Beate Klarsfeld aus den Händen von Staatspräsident Macron den Nationalen Verdienstorden erhalten. In Deutschland ist man nach wie vor zurückhaltend bei der Frau, die es wagte, einen Kanzler zu schlagen.
"In Deutschland hat es lange gedauert, um mir das Verdienstkreuz zu geben. Ist nicht das Gleiche wie in Frankreich, wo unsere Arbeit viel mehr anerkannt wird."
Das deutsche Bundesverdienstkreuz erhielt sie schließlich aus den Händen von Joachim Gauck, gegen den sie bei der Wahl zum Bundespräsidenten kandidiert hatte. Theoretisch hätte sie die Wahl auch gewinnen können: Sie wäre die erste Bundespräsidentin gewesen, und noch dazu die erste, die einen Kanzler geohrfeigt hatte. Auch diese Vorstellung bereitet ihr sichtlich Vergnügen.
Es ist nicht so weit gekommen. Natürlich nicht. Das ist auch nicht weiter schlimm. So hat sie eben mehr Zeit für ihre Stiftung und ihren Kampf - für Gerechtigkeit, gegen Nazis. Auch mit 80 Jahren ist Beate Klarsfeld immer noch eine höchst engagierte Frau.