Beatrice Frasl: „Patriarchale Belastungsstörung“

    Krankheiten der Gesellschaft

    05:51 Minuten
    Cover des Sachbuchs "Patriarchale Belastungsstörung" von Beatrice Frasl: Vor einem orangefarbenen Hintergrund ist eine Collage zu sehen. Sie besteht aus schwarzweißen Fotos von Gesichtern, Händen und einem gezeichneten Organ. Aus einem Kopf wächst eine grüne Pflanze und ein Schmetterling fliegt heraus.
    © Haymon Verlag

    Beatrice Frasl

    Patriarchale BelastungsstörungHaymon Verlag, Innsbruck 2022

    384 Seiten

    19,90 Euro

    Von Ramona Westhof |
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    Wer leidet vor allem an psychischen Krankheiten? Und wer findet einen Therapieplatz? Dem Zusammenhang von mentaler Gesundheit und sozialer Ungleichheit widmet die Kulturwissenschaftlerin Beatrice Frasl ein interessantes, gut lesbares Buch.
    Zu Beginn ihres Buches „Patriarchale Belastungsstörung“ beschreibt Beatrice Frasl ihre eigene mühsame Suche nach einem Therapieplatz. Die Zahl der Psychotherapeut:innen, deren Behandlung die Krankenkassen übernehmen, ist in Österreich gedeckelt. Weshalb man ihr damals sagte, sie müsse Monate bis Jahre auf einen Therapieplatz warten – es sei denn, sie könne ihn selbst finanzieren.
    Frasl unterstreicht viele ihrer Punkte mit eigenen Erfahrungen, weitet dann aber jedes Mal den Blick. Gefüttert mit Daten und Fakten macht sie auf viele Missstände in der Versorgung psychischer Krankheiten vor allem in Österreich, aber auch in Deutschland aufmerksam.
    Sie findet dabei durchaus positive Worte für die Versorgung psychischer Krankheiten, aber: Sie wirft in ihrem Buch auch viele Fragen auf, etwa darüber, wie neutral Diagnosen sein können, wenn noch bis vor wenigen Jahrzehnten Krankheitsbilder wie Homosexualität oder Hysterie in den Diagnosekatalogen standen.
    Oder sie fragt, ob Antidepressiva wirklich jede:r Patient:in helfen oder ob nicht etwa sinnstiftende Arbeit – das sogenannte „Social Prescribing“ – eine gute Therapie sein könne.

    Soziale Ursachen einer Depression

    Das Buch beschäftigt sich im Kern damit, wie gesellschaftliche Ungleichheiten und psychische Krankheiten sich gegenseitig bedingen. Und im Fokus stehen dabei die Kategorien Klasse und Geschlecht.
    Ärmere Menschen beispielsweise hätten aufgrund ihrer belastenden Situation nicht nur ein erhöhtes Risiko etwa an Depressionen zu erkranken, sie hätten auch Probleme, Kostenbeteiligungen an ihren Medikamenten zu tragen oder könnten unmöglich Therapiestunden aus eigener Tasche bezahlen.
    Gleichzeitig seien psychische Erkrankungen ähnlich wie Armut stark stigmatisiert. Die Autorin erklärt beides mit der neoliberalen Vorstellung, jede:r sei für persönliches Versagen selbst verantwortlich, habe sich nicht stark genug bemüht, um reich oder gesund zu sein. Dass in den meisten Fällen gesellschaftliche Faktoren eine viel größere Rolle spielten, werde nach dieser Lesart ausgeblendet und müsse auch in der Therapie eine größere Rolle spielen.

    An Männern orientierte Medizin

    Ein großer Teil des Buches beschäftigt sich schließlich mit dem Patriarchat. Frasl zeigt, wie Frauen aufgrund ihrer gesellschaftlichen Situation nicht nur ebenfalls ein höheres Risiko für bestimmte Krankheiten haben, sondern auch gleichzeitig durch das an männlichen Patienten ausgerichtete Gesundheitssystem benachteiligt werden, ja sogar – auch das komme noch vereinzelt vor – in stationären Einrichtungen Gewalt und Willkür des Personals ausgeliefert sind.

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    Das Buch ist dabei in einem angenehm leichten Ton gehalten, Frasl spricht ihre Leser:innen an einigen Stellen direkt an. Sie wiederholt wichtige Punkte gelegentlich, was hilfreich ist, wenn man das Buch nur abschnittweise lesen möchte. Dazu kommt, dass jede Zwischenüberschrift von einigen Stichpunkten über die kommenden Seiten begleitet wird. Ein Kniff, der auch anderen Sachbüchern guttun würde.
    Frasl will in ihrem Buch aber nicht nur auf gesellschaftliche Probleme in der Versorgung psychischer Krankheiten hinweisen und mögliche Lösungen vorschlagen. Sie will auch, so schreibt sie, grundlegendes Wissen über die Behandlung psychischer Krankheiten vermitteln. Nur so könne man im Notfall eine informierte Entscheidung treffen. Beide Vorhaben gelingen ihr.
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