Beck: Schulen müssen sich besser auf Migranten einstellen

Moderation: Hanns Ostermann |
In der Debatte über Konsequenzen aus den Ausschreitungen in Frankreich hat die Beauftragte der Bundesregierung für Ausländerfragen, Marieluise Beck (B90/Grünen), eine Neuorganisation der Schulen gefordert. Mangelnde Deutschkenntnisse führten langfristig auch zu Arbeitslosigkeit. Eine Gefahr für ähnliche Zustände wie in Frankreich sehe sie derzeit nicht, so die Ausländerbeauftragte weiter.
Ostermann: Krawalle in Berlin, Hamburg oder Essen - unmöglich sagen die einen, zwischen der Situtation von Migranten in Deutschland und Frankreich gebe es nur wenige Parallelen. Vorsicht warnen andere vor einer Ansteckung mit dem französischen Protestfieber. Die anhaltenden Ausschreitungen in unserem Nachbarland haben bei uns eine breite Debatte ausgelöst. Wie laufen die Integrationsbemühungen zwischen Köln und Berlin, zwischen Hamburg und München und sind wir wirklich gegen Verhältnisse wie in Paris oder in Frankreich gewappnet. Marieluise Beck von den Bündnisgrünen ist die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung. Sie sieht Deutschland nicht von ähnlichen Ausschreitungen bedroht. Frau Beck, Sie haben sinngemäß gesagt, es gäbe in Deutschland keine festen Zentren der Hoffnungslosigkeit. Waren Sie schon mal in Berlin-Neukölln?

Beck: Ja, ich war in Berlin-Neukölln, ich war im Wedding, ich war in der Thomas-Morus-Oberschule. Ich habe die intime Kenntnis der Stadt des Kollegen Mutlu genutzt, der mir viele dieser Orte gezeigt hat. Ich war dort in den Schulen. Also ich denke schon, dass ich eine gute Kenntnis davon habe, was vor Ort passiert.

Ostermann: Wenn die Arbeitslosenquote bei türkischen Migranten bei über 25 Prozent liegt, wenn fast 40 Prozent von ihnen inzwischen zu den Langzeitarbeitslosen zählen, kann dieser Frust sich nicht auch bei uns ein Ventil suchen?

Beck: Er kann sich auch bei uns entladen. Deswegen wird auch niemand ausschließen können, dass wir auch in Deutschland eines Tages vielleicht solchen Aufruhr bekommen. Im Augenblick haben wir aber doch das Gefühl, dass die Situation noch offen genug ist, dass trotz aller Schwierigkeiten, trotz auch der Ausgrenzung, die es gibt vom Arbeitsmarkt, von Ausbildung, wir nicht diese geballte Wut schon haben, die sich in den Quartieren aufbauen würde.

Ostermann: Nicht wenige der jungen Leute aus Migrantenfamilien scheitern auf dem Arbeitsmarkt, weil sie zu schlechte Abschlüsse aus der Schule mitbringen. Müssen nicht auch die Jugendlichen selbst mehr für ihre Perspektive tun?

Beck: Wenn Sie Eltern sind in Deutschland, dann wissen Sie, wie häufig man nachmittags da sitzt und mit den Kindern Algebra oder Französisch oder was auch immer macht. Also Nachhilfe zu Hause, das ist möglich in mittelständischen Familien, das ist nicht möglich in deutschen Unterschichtfamilien und es ist auch nicht möglich in Migrantenfamilien, wo die Eltern selber oft nur sehr geringe Deutschkenntnisse haben. Insofern müssen wir mehr darauf verwenden – und ich glaube, das versteht ja auch zunehmend Politik und Gesellschaft nach PISA -, dass unsere Schulen besser dafür fit gemacht werden, dass immer mehr Kinder ihre Schüler sind, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, wo die Eltern nicht zu Hause helfen können, und deswegen müssen unsere Schulen neu organisiert werden.

Ostermann: Ja, nicht nur neu organisiert, sie brauchen doch auch mehr und gezielt vorbereitetes Personal.

Beck: Das geht um die Frage des Personals. Das geht natürlich auch immer um die Frage der Finanzen, und das ist schwierig in Zeiten knapper Kassen bei Kommunen, Ländern und dem Bund. Aber trotzdem müssen wir Prioritäten setzen. Wir sind ja zudem eine alternde Gesellschaft, die auch die Kompetenzen und Potenziale dieser jungen Menschen braucht. Wir können uns auch im eigenen Interesse überhaupt nicht leisten, 40 Prozent dieser jungen Menschen ohne Berufsabschluss durchs Leben gehen zu lassen. Wir sind eine Wissensgesellschaft, und das setzt eine qualifizierte Bevölkerung voraus, eben auch der Migrantenjugendlichen.

Ostermann: Wolfgang Bosbach, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, fährt eine Doppelstrategie. Er will Integrationsbereiten helfen und parallel hart vorgehen gegen diejenigen, die Recht und Gesetz mit Füßen treten. Sind Sie da an seiner Seite?

Beck: Natürlich geht es immer um eine Mischung von Konsequenz und Toleranz. Der Rechtsstaat muss seine Gesetze durchsetzen, da gibt es überhaupt keine Differenz. Trotzdem ist dann die Frage, wie weit gehen wir mit Verständnis auch auf Unterschiedlichkeit, unterschiedliche kulturelle Haltungen zu auf Migrantenkinder, wie weit achten wir ihre Religion zum Beispiel, wie weit haben wir Respekt vor ihrer Religion.

Ostermann: Vermissen Sie das bei Wolfgang Bosbach?

Beck: Nein, das vermisse ich nicht bei Wolfgang Bosbach. Ich sage nur, da haben wir immer wieder Konflikte ganz praktischer Natur. Wenn muslimische Vereine in den Gemeinden vorhaben, eine Moschee zu bauen, gibt es in der Regel Unruhe in den Gemeinden. Das sind Auseinandersetzungen, Fragen, die müssen in den Kommunen gelöst werden. Ich wünsche mir einfach nur, dass wir offen damit umgehen.

Ostermann: Ich würde gerne noch mal auf das Geld zurückkommen. Das ist ja ein riesiges Problem. Die helfende Hand für Integrationsbereite braucht Geld. Wie erklären Sie das dem Bürger, dass einerseits die Sozialleistungen gekürzt werden müssen und andrerseits die Leistungen für Integration auszudehnen sind?

Beck: Ich glaube, dass inzwischen die gesamtdeutsche Bevölkerung verstanden hat, dass die Zukunft unseres Landes davon abhängt, wie qualifiziert die Menschen dieses Landes sind. Schon der Grundsatz, dass unsere Rohstoffe in den Köpfen unserer Bevölkerung stecken, ist deutlich, für jeden nachvollziehbar, und deswegen wird vom Grundsatz her mit Sicherheit die Frage der Förderung von Bildung und Ausbildung von weiten Teilen der Bevölkerung getragen.

Ostermann: Sollte der scheidende Kanzler oder seine Nachfolgerin ein Zeichen setzen und eine Jugendeinrichtung im türkisch geprägten Stadtteil Berlin-Kreuzberg besuchen? Es gibt ja einen entsprechenden Appell der türkischen Gemeinde in Deutschland.

Beck: Natürlich sollen auch Kanzler oder Kanzlerinnen weiterhin wissen, dass es nicht nur eine deutsche Bevölkerung gibt, sondern auch Menschen mit Migrationshintergrund, das wissen sie auch, und an die Orte vor Ort gehen. Auch ein Besuch in einer Moschee ist immer ein Zeichen von Respekt gegenüber dieser zugewanderten Religion. Ich wünsche mir schon, dass Kanzler, Kanzlerin, Minister, Staatssekretäre viel vor Ort sind und sich anhören, was dort in den Quartieren passiert.