Brandenburg-Preußen und die Kämpfe des Großen Kurfürsten
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Vor 400 Jahren wurde in Berlin Friedrich Wilhelm geboren - der spätere "Große Kurfürst". Das enge Verhältnis von Staat und Militär in Preußen, das auf ihn zurückgeht, wurde zur Hypothek der deutschen Geschichte. Wie bedeutend war dieser Mann?
Kein preußischer Herrscher ist in so finsterer Zeit aufgewachsen wie er. Geboren 1620 – da herrschte seit zwei Jahren Krieg. Und es sollten noch 28 Kriegsjahre hinzukommen, in denen Brandenburg-Preußen immer wieder verwüstet wurde.
Kein fürstliches Leben für einen Herrscher in spe, sagt sein Biograf Jürgen Luh: "Im Grunde ist er jahrelang auf der Flucht gewesen oder gefangen. Denn er ist ja als Jugendlicher nach Küstrin gekommen. Rundum gab es keine Bewegungsfreiheit, weil das Land entweder von den Schweden besetzt war oder von den kaiserlichen besetzt während des Dreißigjährigen Krieges. Und das bedeutet wiederum: Er, der wusste, dass er dereinst Kurfürst werden würde, denn er war der Erstgeborene, kann in seinem eigenen Land sich nicht bewegen. Das ist nicht so schön gewesen für jemanden, der doch Ehrgeiz entwickelt hat, der sich auch für auserwählt hielt."
Unsteter Herrscher mit schwieriger Kindheit
In dieser schwierigen Kindheit und Jugend sieht Luh den Schlüssel für das Verständnis des unsteten Herrschers aus dem Haus Hohenzollern, der seine Verbündeten verblüffend schnell und unverfroren wechselt. Luh ist Historiker und bei der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg für Wissenschaft und Forschung zuständig.
Aus Anlass von Friedrich-Wilhelms rundem Geburtstag hat er die Quellen noch einmal neu studiert und in einer Biografie sein das Leben des Kurfürsten, so der Untertitel, "neu betrachtet." Luh zeichnet Friedrich Wilhelm nicht wie so viele seiner Kollegen vor ihm als rationalen Strategen, sondern als Zauderer, unsicher, misstrauisch und wankelmütig, einen, der sich das Attribut "groß" durch geschickte Propaganda zunächst selbst zuschreibt.
"'Groß' wird er schon im 17. Jahrhundert genannt und zwar auch aufgrund eigener Initiative von seinen Diplomaten. Schon in den 1640er-Jahren, kurz nachdem er die Regierung übernommen hat, ist das nachweisbar. Das hat aber keinen Widerhall. Widerhall findet das erst, als sein Nachfahr Friedrich der Große ihn in seiner Geschichte des Hauses Brandenburg gleich am Anfang als einen Großen bezeichnet, einen Großen der Geschichte, gleichwertig zu Ludwig XIV., gleichwertig zu anderen Größen – und das hat natürlich die Geschichtsschreibung des 19. und des frühen 20. Jahrhunderts freundlich aufgenommen, die ja eine Rechtfertigung für den Staat Preußen brauchte. Da hat man ihn dann gleich auch noch zum Gründer Preußens gemacht, obwohl er keineswegs der Gründer Preußens gewesen ist.
Früh die Nachfolge des Vaters angetreten
Friedrich Wilhelm ist erst 20, als er im Dezember 1640 die Erbschaft seines Vaters Georg Wilhelm antritt und Kurfürst von Brandenburg wird. Sein Herrschaftsgebiet: ein von den Wirren des Dreißigjährigen Krieges zerstörtes, entvölkertes Land bestehend aus zwei Landesteilen: Den kleinen versprengten Grafschaften und Herzogtümern Cleve, Mark und Ravensberg im Westen sowie Brandenburg, Pommern und dem Herzogtum Preußen im Osten.
Ein zersplittertes Land, von dem der Kurfürst im Zuge der westfälischen Friedensverhandlungen 1645 auch noch Vorpommern an die schwedische Krone abtreten muss. Diese Verhandlungen zeigen, dass er mit den Mächtigen in Wien, Paris, London oder Stockholm nicht konkurrieren kann – und sie stacheln Friedrich Wilhelms Ehrgeiz an.
Jürgen Luh: "Er hat eine Armee aufgebaut und dem Staat damit sicher ein Fundament gegeben und er hat die Schweden nach und nach zur Seite gedrängt."
Aber eben nicht allein, wie das die preußische Geschichtsschreibung Jahrhunderte lang heroisierend dargestellt hat, sondern im Zusammenspiel mit dem Habsburger Kaiser Leopold. Das hat Jürgen Luh akribisch erforscht. 1660 besiegelt Friedrich Wilhelm seinen größten politischen Erfolg: Er wird endgültig Souverän über das Herzogtum Preußen und schafft damit die Voraussetzung dafür, dass aus dem Kurfürstentum bald das Königtum Preußen wird.
Harte Auseinandersetzungen mit den Ständen
Im Mai 1667 formuliert Friedrich Wilhelm in seinem "Politischen Testament": "Allianzen sind zwar gut, aber eigene Kräfte noch besser. Darauf kann man sich sicherer verlassen. Ein Herrscher genießt nur dann Ansehen, wenn er selbst über Mittel und Volk verfügt."
Wovon aber ein stehendes Heer finanzieren, das im Kriegsfall auf bis zu 20.000 Mann aufgestockt werden soll?
"Er hat da richtig viel Ärger mit den Ständen gehabt. Die haben ihm keineswegs gerne irgendetwas abgegeben, sondern die mussten das denen immer nach harten Verhandlungen und Erpressungen wirklich abringen", sagt Jürgen Luh.
1653 bestätigt Friedrich Wilhelm den Ständen ihre angestammten Rechte und erhält dafür ihre Zusage, innerhalb der kommenden fünf Jahre 530.000 Taler an Steuern aufzubringen. Zudem erhebt er Mahl-, Schlacht- und Brausteuern zur Finanzierung seines Heeres.
Er möchte die vom Dreißigjährigen Krieg verheerten Landstriche wieder bevölkern und fördert die Zuwanderung. 1671 siedeln sich 50 wohlhabende jüdische Familien aus Wien in der Mark Brandenburg an und durch das Potsdamer Edikt von 1685 kommen 15.000 calvinistische Protestanten aus Frankreich in seine Herrschaftsgebiete.
Schlacht bei Fehrbellin macht ihn zum "Großen"
Langsam erholt sich das ausgeblutete Land. 1675 gelingt Friedrich Wilhelm ein von der Nachwelt vielfach bejubelter militärischer Erfolg: In der Schlacht bei Fehrbellin schlägt er die schwedische Armee – fortan gilt er als "Der Große". Dabei habe der Kurfürst damals nur gegen einen unerfahrenen schwedischen Heerführer und eine von Krankheit geschwächte Armee gewonnen, sagt Historiker Jürgen Luh:
"Aber das wird ja alles zur Seite geschoben, um eben aus dem Kurfürsten was Großes zu machen: Der einzig Handelnde, der schon vorausschauend geblickt hat, der nach Preußen gesehen hat, der die Vereinigung Deutschlands unter preußische Führung gesehen hat – das ist alles Unfug."
Und doch, sagt Luh, habe mit Friedrich Wilhelm eine für Preußen jahrhundertelange, schicksalshafte Entwicklung begonnen – die Abhängigkeit des Staates von einem starken Heer:
"Das ist wahr bei einem so zerstückelten Territorium. Letztendlich steht er vor dem Problem, vor dem Deutschland im Ersten Weltkrieg und im Zweiten Weltkrieg stand. Es gibt mehrere Fronten und sie sind nicht stark genug, um an allen zwei Fronten etwas gleichzeitig zu machen und das sehen die natürlich auch schon im 17. Jahrhundert."
Insofern ist die größte Leistung des Großen Kurfürsten – dass sein Land feindlichen Mächten nicht mehr wehrlos ausgeliefert war - auf lange Sicht auch die größte Hypothek für die spätere deutsche Geschichte: die herausragende Stellung des Militärs im preußischen Staat.