Philip Kovce, geboren 1986, Ökonom und Philosoph, forscht an den Universitäten Witten/Herdecke und Freiburg im Breisgau sowie am Basler Philosophicum. Er veröffentlichte gemeinsam mit Daniel Häni die Bücher "Was fehlt, wenn alles da ist? Warum das bedingungslose Grundeinkommen die richtigen Fragen stellt" (2015) sowie "Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? Manifest zum Grundeinkommen" (2017) und gemeinsam mit Birger P. Priddat den Sammelband "Bedingungsloses Grundeinkommen. Grundlagentexte" (2019).
Die Zeit ist reif für das Grundeinkommen!
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In diesen Tagen kursieren viele Petitionen zum bedingungslosen Grundeinkommen und alle werden lebhaft gezeichnet und verbreitet. Das ist kein Wunder, sagt der Ökonom und Philosoph Philip Kovce. In der gegenwärtigen Krise würde es viele Probleme lösen.
Beginnen wir mit einem "Was wäre, wenn…"-Szenario: Stellen Sie sich vor, wir hätten aus der Finanzkrise vor gut zehn Jahren oder aus dem bereits über 15 Jahre währenden Hartz-IV-Debakel inzwischen die richtigen Schlüsse gezogen und unter anderem ein bedingungsloses Grundeinkommen eingeführt. Was wäre dann jetzt?
Mit Grundeinkommen sähe die derzeitige Krise anders aus
Ganz einfach: Es wäre alles anders! Die Coronakrise als Wirtschaftskrise würde es in dieser dramatischen Form nicht geben. Warum? Weil das Grundeinkommen exakt jene unbürokratische, ja unbedingte Existenzsicherung darstellt, die unzähligen Menschen dieser Tage fatalerweise fehlt.
Deshalb ist es kaum verwunderlich, dass Petitionen, die ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern, derzeit wie Pilze aus dem Boden schießen und weltweit millionenfach unterzeichnet werden. Zwar handelt es sich dabei meistens nur um Forderungen eines befristeten Notfall-Grundeinkommens, doch klar ist: Wer das Existenzminimum jedes Einzelnen nachhaltig garantieren will, der muss ein unbefristetes Normalfall-Grundeinkommen etablieren.
Fragt sich also, warum wir das nicht schon längst getan haben? Antwort: Weil ein bedingungsloses Grundeinkommen, so heißt es immer wieder gebetsmühlenartig von seinen Kritikern, die Arbeitsmoral zerrütte, niemals zu finanzieren und überdies ungerecht sei. Was ist von diesen Einwänden zu halten?
Der Mensch ist von Natur aus kein Faultier
Stichwort Arbeitsmoral: Spätestens seit die globale Coronacommunity in einem XXL-Experiment zum Füße hochlegen in den eigenen vier Wänden verdonnert ist, sollte auch den letzten Misanthropen klar geworden sein, was jede Menge Studien längst zeigen: Der Mensch ist von Natur aus kein Faultier. Im Gegenteil: Wir sind auf die freie Entfaltung unserer tatkräftigen Persönlichkeit angewiesen.
Während zwangsweise Stubenhocker-Sesshaftigkeit ebenso wie unfreiwillige Arbeitsmarkthörigkeit auf die Stimmung schlägt, verspricht selbstbestimmte Tätigkeit, die ein Grundeinkommen ermöglicht, ein Hoch der Gefühle. Wer dennoch stur behauptet, ein Grundeinkommen würde vor allem Faultiere züchten, der missachtet die conditio humana.
Grundeinkommen ist günstiger als der heutige Sozialstaat
Stichwort Finanzierung: Wer den Taschenrechner zückt und Pi mal Daumen 80 Millionen Bundesbürger mal 1000 Euro Grundeinkommen mal zwölf Monate multipliziert, dem wird angesichts von rund einer Billion Euro leicht schwindelig. Finanzielle Höhenangst ist hier allerdings fehl am Platz, entspricht dieser Betrag doch ziemlich genau dem aktuellen Sozialbudget von knapp einem Drittel des Bruttoinlandsprodukts.
Ein Grundeinkommen könnte einen Großteil der bisherigen über 150 Sozialleistungen samt deren kostspieliger Kontrollbürokratie ersetzen und wäre damit, je nach Modell, sogar günstiger, jedenfalls aber liberaler als der heutige Sozialstaat.
Das Grundeinkommen ist ein Grundrecht
Stichwort Gerechtigkeit: Warum ausgerechnet Grundeinkommen für Faule? Und warum ausgerechnet Grundeinkommen für Reiche? Darüber klagen viele, die gewohnt sind, dass Sozialleistungen nur brave Bedürftige erhalten. Sie übersehen, dass das Grundeinkommen gerade keine Sozialleistung, sondern ein verfassungsgemäßes Grundrecht ist, das das menschenwürdige Existenzminimum ausnahmslos aller gewährleistet. Damit ist das Grundeinkommen keine identitätspolitische, sondern eine – wenn man so will – individualitätspolitische Maßnahme.
Kurzum: Das bedingungslose Grundeinkommen macht weder faul, noch ist es prinzipiell unbezahlbar oder ungerecht. Diese populären Einwände erweisen sich schlicht als falsch und sollten seine Einführung nicht länger behindern.
Kurzum: Das bedingungslose Grundeinkommen macht weder faul, noch ist es prinzipiell unbezahlbar oder ungerecht. Diese populären Einwände erweisen sich schlicht als falsch und sollten seine Einführung nicht länger behindern.
Der Bismarck’sche Sozialstaat hat ausgedient
Schließen wir mit einem "Was wäre, wenn…"-Szenario: Wenn dem coronesken Ausnahmezustand eine Frohe Botschaft abzugewinnen wäre, dann bestünde sie wohl darin, dass er uns trotz vieler Unwägbarkeiten klarer sehen lässt, was an der Zeit ist. In Sachen sozialer Sicherheit heißt das: Der Bismarck’sche Sozialstaat von anno dazumal hat ausgedient. Er gehört ins Industriemuseum. Die Zeit ist reif für eine neue freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Zeit ist reif für das bedingungslose Grundeinkommen.