Bedingungsloses Grundeinkommen
Das bedingungslose Grundeinkommen würde Freiräume öffnen, davon ist Sarah überzeugt: für Engagement in der Familie oder in der Nachbarschaft, in Kultur oder Gesellschaft. © Thilo Schmidt
Eine Utopie im Praxistest
29:44 Minuten
Drei Jahre lang, 1200 Euro monatlich, bedingungslos - ein solches Grundeinkommen erhalten 122 Personen gerade im Rahmen eines Pilotprojekts. Beteiligt ist auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Drei Probanden erzählen.
Es ist eine utopische Idee und es wäre die dramatischste Umgestaltung des Sozialstaats überhaupt: das bedingungslose Grundeinkommen. Jeder, vom Bettler bis zum Millionär erhält ein monatliches Grundgehalt vom Staat. Ohne sich dafür rechtfertigen zu müssen, ohne etwas dafür tun zu müssen.
In Deutschland verlost der Verein "Mein Grundeinkommen" seit 2014 eine solche finanzielle Unterstützung für die Dauer von einem Jahr: monatlich 1000 Euro, finanziert aus Spenden.
Im letzten Jahr startete der Verein zusätzlich ein Pilotprojekt. 122 Studienteilnehmer, ausgewählt aus über zwei Millionen Bewerbern, erhalten für drei Jahre 1200 Euro, jeden Monat. Ein Einkommen, das ausreichen soll, um die Existenz zu sichern.
Mehr für Deutschland machen
Jay ist einer der 122 Probanden. Er ist Programmierer, 2015 aus Indien nach Deutschland gekommen, um sein Studium abzuschließen. Seit 2017 arbeitet er in Vollzeit – in Deutschland. Eigentlich bekommt er ein gutes Gehalt. Aber das Grundeinkommen ermöglicht es ihm, ohne Last seine Familie in Indien zu unterstützen.
„Es ist mehr Freude. Also Zufriedenheit … Freiheit, für mich“, sagt er. „Ich schicke jeden Monat Geld zu meinen Eltern. Jeden Monat schicke ich die Hälfte von meinem Gehalt nach Hause. Und ich lebe mit der Hälfte meines Gehaltes. Und vor dem Grundeinkommen war das stressig, alles zu teilen. Aber jetzt fühle ich mich gut, ich kann genauso alles teilen, und habe eine Leistung, die mir Sicherheit bringt. Und das ist auch ein Vorteil, so. Ich will dann mehr für Deutschland machen.“
Mehr für Deutschland machen. Mehr abgeben, nicht nur Geld spenden, sondern auch Zeit haben, sich mehr zu engagieren, auf vielleicht sinnlose oder schlecht bezahlte Jobs zu verzichten, das könnte möglich sein, wenn jeder ein bedingungsloses Grundeinkommen erhält. Genau das möchte das Pilotprojekt, das vor anderthalb Jahren gestartet ist, herausfinden. Und, wie sich das Grundeinkommen auf die Probanden auswirkt. Auf Psyche, Gesundheit, Sozialverhalten.
Keine Beantragung, keine Bedingungen
„Ich habe zuerst gedacht: Oh Gott. Ach, ich verdiene das doch gar nicht. Jemand anders kann das doch viel besser gebrauchen“, sagt Sarah, Architektin, alleinstehend. Arbeiterkind aus dem Ruhrgebiet.
„Ich hab ganz lange nur freiberuflich gearbeitet und gerade auch wenn man in diesem soziokulturellen Bereich mit Design und Ausstellung ist, also für die Museen, für die wir gearbeitet haben, das sind natürlich alles vereinsgeführte Museen, die kein Geld haben. Ist schon sehr viel Idealismus einfach, und wenig Geld. Und das muss man sich sozusagen leisten können, solche Projekte überhaupt zu machen“, sagt sie.
Das Grundeinkommen für alle, diese umstrittene Utopie, von der manche sagen, sie würde das Nichtstun belohnen, ist nicht an Bedingungen gekoppelt. Man müsste es auch nicht beantragen. Es würde einfach ungefragt kommen. Und es würde, davon ist Sarah überzeugt, Freiräume öffnen. Für Engagement in der Familie oder in der Nachbarschaft, in Kultur oder Gesellschaft.
„Was hab ich denn jetzt mit dem Geld gemacht“, überlegt Sergej. Er ist in Kasachstan geboren und kam mit seinen Eltern als Aussiedler nach Deutschland. „ja wahrscheinlich aus Euphorie und gutem Willen hab ich erst mal ein bisschen Schulden erlassen in meinem Umkreis.“ Ebenso wenig wie Jay und Sarah hat auch er nicht angefangen, plötzlich ganz viele Dinge zu kaufen.
„Aktuell komme ich auf so Ideen, dass ich auf mein Dach eine Solaranlage draufsetze, da würde das natürlich gut finanziell helfen. Eventuell dann ein Elektroauto sich dann anschaffen, was auch Geld kostet. Das würde das natürlich auch unterstützen. Aber es ist jetzt nichts, was ich ohne das Geld nicht machen würde. Also ich würde es sowieso machen.“ Die einzige große Veränderung sei, sagt er, dass er nun bei seiner Arbeit als Sachbearbeiter bei einem Versandhandel von 40 auf 30 Stunden runtergegangen sei.
Erfahrungswerte aus Finnland
Wissenschaftlich begleitet wird das Projekt vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DWI). „Naja gut, es wird Menschen geben, die bei der Zahlung eines Grundeinkommens möglicherweise keine Bemühungen mehr unternehmen, zum Jobcenter zu gehen um sich selbst eine Arbeit zu suchen. Diese Gruppe besteht sicherlich“, sagt Jürgen Schupp vom DWI.
„Aber zumindest das finnische Experiment zum Grundeinkommen, das richtete sich ja nur an Personen, die keine Arbeit hatten, hat gezeigt, dass die Befürchtung, jetzt legen sich auch die Langzeitarbeitslosen, wenn man denen jetzt einfach bedingungslos Geld gibt, und nicht mehr vorschreibt, sie müssen beim Jobcenter vorstellig werden, nicht mehr vorschreibt, welchen Job sie annehmen müssen, um nichts gekürzt zu bekommen, die legen sich auf die faule Haut – und das konnte zumindest wissenschaftlich falsifiziert werden. Also sprich widerlegt werden. Dem war nicht so.“
Befürworter und Kritiker beim DIW
Das Grundeinkommen soll das Arbeitslosengeld II und zugehörige Leistungen wie Wohngeld ersetzen. Andere Modelle gehen darüber hinaus und sehen das Grundeinkommen sogar als Alternative für die gesetzliche Rente. Allen Modellen gemein ist, dass beitragsfinanzierte Sozialleistungen durch steuerfinanzierte, universelle Zahlungen ersetzt werden. Eine grundlegende Reform des deutschen Sozialsystems sei ohnehin überfällig, sagt Jürgen Schupp vom DIW. Er sieht das Modellprojekt zum Grundeinkommen auch als Versuch, grundlegend über die Zukunft unseres Sozialstaats nachzudenken.
Widerspruch erhält Schupp aus dem eigenen Haus. Für Marcel Fratzscher, den Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, ist das deutsche Sozialsystem zwar auch grundlegend reformbedürftig, er ist aber ein entschiedener Gegner des bedingungslosen Grundeinkommens.
„Das bedingungslose Grundeinkommen heißt auch im Prinzip, dass Menschen wählen können, nicht zu arbeiten. Und damit habe ich ein grundlegendes Problem. Denn eine solidarische Gesellschaft hat wirklich beide Seiten. Das fördern und fordern. Solidarität heißt, ich hab das Anrecht, was vom Staat, von der Gesellschaft, von anderen Menschen zu bekommen, hab aber auch die Pflicht und die Verantwortung, mich einzubringen.“
Das bedingungslose Grundeinkommen polarisiert die Gesellschaft. Es sind etwa genauso viele Menschen dafür wie dagegen. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage des DIW hervor. Für die Befürworter ist es der Weg in eine bessere Welt, für die Kritiker ein Sackgasse. Es ist ein Grundsatzstreit, der bisweilen akademische Züge trägt. Praktische Erfahrungen mit dem Grundeinkommen gibt es kaum. Es könnte helfen, wenn diese Lücke jetzt ein bisschen geschlossen wird.
Redaktion: Gerhard Schröder
Regie: Beatrix Ackers
Technik: Martin Eichberg
Sprecherin: Eva Meckbach
Sprecher: Thilo Schmidt
Der Online-Text ist eine gekürzte Fassung des Features.