Gotteshäuser werden mit Kunst bespielt
Die Tschechen sind weitgehend atheistisch, Kirchen lassen sie links liegen - die Gebäude zerfallen. In Pilsen sollen vier Gebetshäuser mit künstlerischen Installationen wiederbelebt werden, zumal die böhmische Stadt im nächsten Jahr Kulturhauptstadt Europas werden soll.
Wo keine Christen mehr sind, verfallen auch die Gotteshäuser. Die Anzahl der heute verfallenen Kirchen in Tschechien ist erschreckend hoch. Allein im Pilsener Umland sind über 120 Kirchen verfallen – oder gelten als bedroht. Studenten und Lehrer der Fakultät für Kunst und Design an der Universität Pilsen haben nun das Projekt "Bedrohte Kirchen" ins Leben gerufen, um verfallene und verlassene Kirchen in Tschechien zu retten. Im nächsten Jahr, 2015, ist geplant, die vier ausgewählten Orte in der Pilsner Diözese durch einen Wanderweg zu verbinden.
In der St. Georgskirche in Lukova sehen wir weiße Figuren in den Kirchenbänken. Die verhüllten Gestalten sollen die Gläubigen darstellen, die ihr Gesicht verloren haben, weil sie zu viele Kompromisse eingegangen sind. Der Koordinator für das Kulturhauptstadtjahr Pilsen, Martin Kosa, erwähnt noch einen zweiten Punkt, der dem Künstler Jakub Hadrava, einem Studenten der Universität Pilsen, wichtig gewesen ist. Er wolle auch auf die Menschen aufmerksam machen, die ihre Heimat in den Jahren 1938/39 verlassen mussten.
Martin Kosa: "Er sagt uns, dass sie sollen symbolisieren die Idee vom Frieden in unserem Denken. Über das, was auch wir getan haben den Leuten, die weg sind."
Verwahrlostes Haus der Gebete
Die Kirche liegt auf einem Hügel. Das Eingangstor zum Friedhof, über den man zur Kirche gelangt, lässt sich nur schwer öffnen. Das Tor ist seit langem nicht mehr repariert worden. Die Dorfkirche aus dem Jahre 1352 wurde mehrmals umgebaut. Nach einem Brand im Jahre 1796 wurde die Kirche im neo-romanischen und neo-gotischen Stil wieder aufgebaut. Der Turm mit dem Pyramidendach wurde 1992 instand gesetzt.
Auf der Südseite des Kirchenschiffs lesen wir die Inschrift auf Deutsch "Mein Haus ist ein Haus der Gebete". Das Innere der Kirche ist schwer beschädigt. Das ist ein Sinnbild für das weitgehend entchristlichte Tschechien - eine Entwicklung, die tiefe Wurzeln hat. Der Historiker Martin Zückert:
"Ganz grundsätzlich kann man sagen, dass sicherlich in hohem Maße die kommunistische Kirchenpolitik nach 1948, also nach der Machtübernahme der kommunistischen Partei, eine zentrale Rolle spielte. Ich denke aber, dass das als Erklärung insgesamt nicht ausreicht. Wenn wir in andere ehemals kommunistische Länder sehen, dann stellen wir fest, dass es auch dort eine kirchenfeindliche Haltung der Kommunisten gab, aber die Folgen nicht so dramatisch waren wie im heutigen Tschechien."
Die Unterdrückung der Kirche nach 1948, nach dem Sturz der bürgerlichen Demokratie in der Tschechoslowakei, war umfassend und geplant: Katholische Publikationen wurden verboten, katholische Verlage beschlagnahmt. Der Vatikan wurde zum Feind erklärt, der Nuntius aus Prag ausgewiesen. Zugleich erteilte der Vatikan geheime Vollmachten an die Bischöfe. Es entstand eine Untergrundkirche in Tschechien, die immer unter Beobachtung der Staatssicherheit stand. Ordensleute wurden noch in den fünfziger Jahren in Konzentrationsklöster oder Umerziehungslager gesteckt.
Brutalität gegen die Orden
Martin Zückert: "Das waren die scharfen Maßnahmen in der Zeit des Stalinismus nach 1948, als es das klare Bestreben gab, die katholische Kirche als Einflussfaktor weitgehend auszuschließen, zurückzudrängen. Und das lief auf mehreren Ebenen. Zum einen die brutalen Maßnahmen gegen die Orden, gegen die Klöster, zum anderen hat man versucht, gegen die Hierarchie vorzugehen, insbesondere gegen die Bischöfe. Hier gab es zum Teil Hausarrest für Bischöfe. Zum Teil haben die Kommunisten einfach die freiwerdenden Bischofsstühle nicht mehr besetzt bzw. versucht, ein Veto einzulegen."
Die Folgen: Heute gehören zur römisch-katholischen Kirche in Tschechien etwa 10,4 Prozent der Bevölkerung. Die evangelische Kirche der Böhmischen Brüder zählt rund 52.000 Mitglieder, das sind 0,5 Prozent der Bevölkerung. 34 Prozent der Tschechen bezeichnen sich als konfessionslos, und 44 Prozent haben bei der letzten statistischen Befragung zu Glaubensfragen überhaupt keine Angaben gemacht. Die weitgehende Entchristlichung Tschechiens war in der Zeit der Samtenen Revolution in den Jahren um 1989 nicht unbedingt zu erwarten. Denn zwischenzeitlich erlebten die Kirchen einen Zuwachs an Bedeutung.
Glaube soll wiederbelebt werden
Der Historiker Martin Zückert: "Zunächst kann festgestellt werden, dass in den achtziger Jahren, in der Zeit der Samtenen Revolution in der Tschechoslowakei, und auch in der ersten Zeit danach, die Kirchen durchaus eine Rolle spielten als Ort des Protestes, als Ort der Opposition, und besonders die katholische Kirche hoffte nach 1989 auf eine Wiederbelebung mit entsprechenden politischen und gesellschaftlichen Einflussmöglichkeiten. Und genau diese Hoffnung hat sich relativ rasch zerschlagen."
Die verfallenden Kirchen haben ein bewegendes Schicksal und sind mit zahlreichen Erinnerungen verbunden. Das Gedächtnis der Orte soll mit den Installationen des Projekts "Bedrohte Kirchen" wieder aktiviert werden. Auch der Glaube, die Verbindung mit der Kirche, war ein Lebenselixier der dort lebenden Menschen. Und der Friedhof von Lukova erzählt noch eine andere Geschichte: Auf ihm sind viele deutsche Gräber zu finden. Die letzten mit deutschen Inschriften aus dem Jahre 1938. Bei den so genannten wilden Vertreibungen der Deutschen im Frühjahr und Sommer 1945 mussten die deutschen Priester das Land verlassen, wenn sie nicht als Antifaschisten anerkannt waren.
Martin Zückert: "Also, es war ein radikaler Bruch. Die Vertreibungen und die Wiederbesiedlung nach 1945. Und es spielte sicherlich eine Rolle, dass die Zahl der Neusiedler geringer war als die Zahl der früheren Siedler."
Einige Dörfer konnten nicht neu besiedelt werden. Mit dem Projekt "Bedrohte Kirchen" soll an die Menschen erinnert werden, die früher religiös unterdrückt wurden. Vielleicht ist auch so ein neuer Anfang für das religiöse Leben in Tschechien möglich.