Ein Aal - und viele Todesrisiken
Der Aal steht zusammen mit Berggorillas, Elefanten und Nashörnern auf der roten Liste des Washingtoner Artenschutzabkommens. Trotzdem darf er geangelt und verkauft werden, denn die Lobby der Fischer ist stark. Wissenschaftler in Frankreich versuchen, den Aal zu retten.
Paris, Rue Saint Honoré. Wenige Schritte vom Louvre entfernt liegt das japanische Restaurant Nodaïwa. "Gegrillte Aalspezialitäten" verspricht die Speisekarte im Schaufenster. In der winzigen Küche sind schwarze Plastikkörbe zu einem Turm aufgestapelt. Darin tummeln sich fast 300 Aale, sagt Restaurantbetreiber Eric Ryckelynck.
"Natürlich bekommen wir die Aale lebendig, das ist die Voraussetzung für unsere Zubereitungsart. Wir werden zwei bis drei Mal pro Woche beliefert. Die Fische kommen hier sofort ins Frischwasser, um sie am Leben zu halten."
Der Fisch wird guillotiniert
Der Koch Yoshimasa Tsuchiya nimmt einen Aal aus dem Wasser, spießt den Kopf auf einem Schneidebrett fest. Ein gezielter Schlag mit dem Messer und der Fisch ist guillotiniert. Tsuchiya schlitzt den Rücken des Tieres auf, klappt den schlangenartigen Körper auseinander, entgrätet ihn, schneidet rechteckige Filetstücke zurecht und greift zum nächsten Aal. Der feucht schimmernde Rücken ist dunkelgrau, der Bauch glänzt silbrig weiß. So sieht ein Aal aus, dessen Stoffwechsel sich gerade umstellt, sagt Eric Ryckelynck.
"Für unsere Zubereitungsart ist das der beste Moment. Vorher sind Aale sesshaft. Ihre Haut ist bräunlich. Sie bewegen sich wenig, ernähren sich kaum und setzen deshalb kein Fett an. Solche Tiere interessieren uns nicht. Wir brauchen Aale, die sich auf die Ozeanüberquerung vorbereiten und einen Fettvorrat anlegen, um für die Reise gewappnet zu sein."
Die Reise ist weit, sie führt den Fisch zu seinem Ursprung zurück. Jeder Europäische Aal wird in der Karibik gezeugt, Strömungen tragen die Larven dann Richtung Europa, sechs- bis siebentausend Kilometer weit. Noch im Atlantischen Ozean verwandeln sie sich in Jungfische. Diese sind fast durchsichtig, deshalb werden sie Glasaale genannt. Irgendwo zwischen Marokko und dem Baltikum treffen sie auf die europäische Küste. Dank seiner Geografie ist Frankreich der wichtigste Lebensraum für Europäische Aale. Viele Jungfische ziehen hier die Flüsse hinauf, wo sie 10, 15 oder sogar 20 Jahre lang im Süßwasser leben. Erst dann setzt langsam ihre Pubertät ein, sichtbar durch die Silberfärbung der Tiere. Aale vermehren sich nur ein einziges Mal im Leben. Und immer in der Sargassosee, östlich von Florida.
Noch vor 50 Jahren gab es genug Aale
Bis in die 60er-Jahre wimmelte es in Europas Flüssen von Aalen. In vielen Regionen war der schlangenartige Fisch früher ein billiges Alltagsgericht. Räucheraal im Brötchen, Aal in Gelee, Aalsuppe sind in Deutschland auch heute noch beliebte Leckerbissen. Zur französischen Esskultur hat der Aal aber nie gehört. Nodaïwa ist wohl das einzige Restaurant in Frankreich, das ausschließlich Aalgerichte auf seiner Karte führt. Der japanische Besitzer hat die Filiale in Paris vor 22 Jahren eröffnet. Er wollte die Franzosen für die japanisch verfeinerte Delikatesse begeistern.
"Au début ca a été un très très long travail de pédagogie .."
Das war harte Überzeugungsarbeit, sagt Eric Ryckelynck. Inzwischen ist das Lokal immer gut besucht. Aber für ihn ist es schwieriger geworden, 100 bis 200 Kilogramm Aal pro Woche in der gewünschten Qualität zu kaufen, weil Aale immer seltener werden.
Sylvie Dufour ist Forschungsleiterin im naturhistorischen Museum von Paris und arbeitet gleich neben dem Jardin des Plantes mit seinem kleinen Zoo. Wenn sie aus dem Fenster blickt, kann sie Flamingos, Ibisse und Tukane sehen. Die Biologin hat sich auf die Fortpflanzung von Aalen spezialisiert.
"Seit den 60er-Jahren sind weltweit rund 90 Prozent aller Aale verschwunden. Das ist ein dramatischer Arten-Rückgang."
Seit 2010 steht der Europäische Aal auf der roten Liste des Washingtoner Artenschutzabkommen, zusammen mit Berggorillas, Elefanten, Nashörnern. Erstaunlicherweise darf er trotzdem geangelt und verkauft werden. Nur der Export aus der EU ist streng untersagt. Sylvie Dufour vermeidet es, Fische eigens für ihre Forschungen zu töten. In ihrem Labor stehen keine Aquarien, dafür zahlreiche Tiefkühltruhen. Darin bewahrt sie Gewebeproben auf, die ihr Kollegen aus anderen Laboren zusenden.
"Was wir heute Aalzucht nennen, das Mästen von Aalen, beruht ausschließlich auf dem Fang wilder Glasaale, also auf den äußerst gefährdeten natürlichen Reserven. Dieser Wirtschaftszweig ist nicht nachhaltig. Mit unseren Forschungen wollen wir erreichen, dass Aale in Gefangenschaft vermehrt werden können, damit man die Wildaale nicht mehr dezimieren muss."
Das gelingt aber nicht.
Wissenschaftler fordern Schutz für Aale in Europa
Besorgte Wissenschaftler fordern daher, dass die bedrohte Art nun endlich auch innerhalb Europas geschützt wird. Fragt sich nur, wie. Jerôme Souben ist im "Nationalen Berufsverband der Fischer" für Wanderfische verantwortlich. Was die EU bisher unternimmt, stellt den Lobbyisten nicht zufrieden.
"2007 hat die EU eine Aalverordnung beschlossen. Seither muss jedes Land einen Plan vorlegen, in dem es auflistet, wie es seine Aalbestände verwalten und die verschiedenen Todesfaktoren verringern will. Wir verlangen, dass jetzt erst einmal Bilanz gezogen wird."
Souben ist überzeugt, dass die französischen Berufsfischer vorbildlich handeln: Niemand außer Frankreich legt Fang-Quoten fest, sagt er. Die Fischerei-Praktiken sind reglementiert, alle Fänge und jeder Verkauf werden registriert, 60 Prozent der Beute ist für staatliche Aufzuchtaktionen bestimmt, die den Aal schützen sollen. Souben bezweifelt, dass sich die Nachbarländer ähnlich engagieren.
"Aber weil die Wissenschaftler feststellen, dass der Bestand weiter abnimmt, hat die EU-Kommission Sofortmaßnahmen ergriffen, die einzig und allein bei den Berufsfischern ansetzen."
Brüssel hat soeben eine dreimonatige Schonzeit für ausgewachsene Aale im Meer verhängt, jeder Staat muss die Fangpause zwischen Ende September und Ende Januar einlegen. Das ist die Periode, in der Aale zur Fortpflanzung in die Karibik aufbrechen. Umweltschützer haben ein komplettes Fangverbot gefordert, sind aber am Widerstand der Fischereiminister gescheitert. Anders als die Fischer hat der Aal in Brüssel keine starke Lobby. Jerome Souben geht sogar die Schonzeit zu weit.
"Das Problem mit der neuen Regelung: Sie zielt allein auf die Berufsfischerei. In Frankreich gibt es aber nur noch ganz wenige Aalfischer, und die bilden bei weitem nicht das größte Todesrisiko für den Aal."
Der Aal hat viele Feinde
Tatsächlich sind die Gründe für das Verschwinden der Aale vielfältig: Die Klimaveränderung beeinflusst die Meeresströmungen. Und wenn es die Aale bis in die Flüsse geschafft haben, müssen sie chemischen Belastungen, Parasiten, Verringerung der Feuchtzonen und - nicht zuletzt - Kraftwerken trotzen.
Barrage d´Arzal, so heißt ein großes Stauwehr in der Bretagne, es regelt den Wasserstand kurz vor der Mündung des Flusses Vilaine in den Atlantik. In die Sperranlage wurde eine kleine Forschungsstation eingebaut. Dort beugt sich Cédric Briand über ein Bassin. Der Wissenschaftler fischt mit einem Kescher junge Aale heraus.
"Allerorts sind Stauwehre und Kraftwerke. Das hindert Wanderfische wie den Aal daran, die verschiedenen Wasserläufe zu besiedeln. Wenn man eine Karte mit Frankreichs Flüssen anguckt, sieht man: Wehre und Turbinen sind wirklich überall."
Cédric Briand arbeitet für den Internationalen Rat für Meeresforschung. Dieser bestimmt regelmäßig die Bestände der Aale in Europa. Jeden Winter, sagt Briand, spült es Millionen Jungaale aus den fernen Laichgebieten in die Vilaine. Aber nur etwa ein Viertel von ihnen findet den Weg zur Fischtreppe des mächtigen Wehrs. Sie mündet in der Forschungsstation. Briand nimmt ein paar Tierchen in die Hand: Sie sind etwa sechs Zentimeter lang und fast transparent. Er begutachtet den Gesundheitszustand der Fische, wiegt sie und gießt sie dann in einen Tunnel, der sie oberhalb des Stauwehrs wieder in die Vilaine spült.
65 Tonnen Glasaale durften letzten Winter gefischt werden
Unterhalb des Stauwehrs haben die Berufsfischer leichte Arbeit. Während der Fangsaison fischen sie zwei, drei Wochen lang ein paar Stunden pro Nacht vor dem Wehr, dann ist die Quote schon ausgeschöpft. Im vergangenen Winter durften in Frankreich 65 Tonnen Glasaale gefischt werden. Den Fischern ist die Quote zu niedrig, Tierschützer halten sie für viel zu hoch. Um den dramatischen Rückgang des Aalbestands zu bremsen, verpflichtet die EU die betroffenen Länder nun schon seit zehn Jahren, ihre Aalbestände, wie es heißt, "wieder aufzufüllen", sagt Briand.
"… aus politischen Gründen. Vermutlich, weil es damals schon in vielen nordeuropäischen Ländern an Glasaalen mangelte. Vielleicht gab es auch Druck von der Aquakultur-Branche, die sie mästen will. Eigentliches Ziel der Umsiedlung ist aber, dass die Glasaale zu fortpflanzungsfähigen Tieren heranwachsen. Dazu sollen sie in Flüsse mit besonders guter Wasserqualität transportiert werden, wo es kein Todesrisiko gibt."
Bis 2010 hatte Europa noch die steigende Nachfrage aus Japan und der Volksrepublik China bedient, weil die Bestände dort ebenfalls drastisch abgenommen hatten. Aber seit der Europäische Aal auf der roten Liste des Washingtoner Artenschutzabkommens steht, dürfen Aale nur noch innerhalb der EU umgesiedelt werden.
Mehr als eine Million Glasaale im Wert von 130.000 Euro
Etwa 40 Kilometer flussauf des Stauwehrs ist die Vilaine ein guter Lebensraum für Aale. Ein Abschnitt des Flusses wurde für die diesjährige Umsiedlungsaktion ausgewählt. Ein Lieferwagen fährt ans Ufer, er ist bis unter die Decke mit Kisten gefüllt: 360 Kilogramm Glasaale schwimmen abgepackt in Drei-Kilo-Paketen im Wasser. Alles in allem sind das mehr als eine Million Glasaale, ihr Wert: 130.000 Euro. Es regnet in Strömen. Männer mit Gummistiefeln laden die Kisten auf einen flachen Kahn. Unter ihnen Florian Bonnaire von der Firma Fish-Pass, sie ist mit der Aktion beauftragt. Bonnaire erklärt:
"Wir haben die Glasaale markiert, damit wir später kontrollieren können, ob die Umsiedlung erfolgreich ist. Dazu haben wir die Fische in ein Bad mit Lebensmittelfarbe getaucht, das ihre Knochen färbt. Nach sechs Monaten, nach einem Jahr und nach drei Jahren angeln wir einige von ihnen, um sie zu untersuchen."
Das Team von Fish-Pass zwängt sich neben die aufgetürmte Ladung auf den Kahn. Florian Bonnaire öffnet die erste Kiste: Eine zuckende, graue Masse kommt zum Vorschein. Tausende Fischchen schlängeln sich über-, unter- und nebeneinander. Alle 500 Meter hält der Steuermann an. Der Techniker senkt jeweils eine geöffnete Kiste in den Fluss. Bräunliches Wasser schwappt hinein, verschluckt die Tierchen.
"C´est bon? c´est tout bon. 1 million 80.000 de civelles"
Am späten Nachmittag sind alle Kisten geleert. Eine Million Glasaale besiedeln nun die Vilaine. Didier Macé vertäut seinen Kahn am Ufer. Der Bootsführer hat zwar keine Lizenz für Glasaale, er darf aber ausgewachsene Aale angeln.
"Ich bin der letzte Aalfischer auf der Vilaine. Als 2010 der Bewirtschaftungsplan für Aale erlassen wurde, habe ich gekämpft, um dieses Recht zu behalten. Wenn es von heute auf morgen keinen Berufsfischer für Aale mehr gibt, habe ich argumentiert, dann liefert auch niemand mehr Informationen über diese Fischart."
Trotzdem geht er kaum noch auf Aalfang – weil sich die Vilaine dafür nicht mehr eignet: Anders als die Loire wurde sie begradigt, Hecken und Böschungen an den Ufern sind verschwunden, das beschleunigt die Strömung. Zudem haben sich invasive Wasserpflanzen ausgebreitet, die Macés Netze beschädigen können. So kommt es, dass aus der Vilaine deutlich mehr Silberaale als früher zur Migration in Richtung Atlantik aufbrechen.