Bedrohter Sehnsuchtsort

Der Wald steht auf der Kippe

04:16 Minuten
Abgestorbene Bäume im Odenwald auf einer Aufnahme vom 21.05.2020. Die Trockenheit ist die Ursache fürr die Schäden.
Seit Mitte der 1980er-Jahre sei klar, dass der Mensch den Wald bedrohe, sagt Stephan Börnecke © imago images / epd / Heike Lyding
Ein Einwurf von Stephan Börnecke |
Audio herunterladen
Unser Bild vom Wald ist von Romantik geprägt. Doch Ausbeutung, Schadstoffe und Klimawandel setzen ihm zu. Nur jeder fünfte Baum ist gesund, die Wälder werden lückiger, der Bewuchs spärlicher, warnt der Journalist Stephan Börnecke.
Der Schriftsteller Robert Musil sah im Wald nur Bretterreihen, "die oben mit Grün verputzt sind". Wer durch den heutigen Wald streift, der wird ergänzen: Manchmal fehlt sogar der grüne Putz, denn viele Fichten und manchmal sogar Buchen starben den Hitze Tod.
Wir tragen ein seltsames, von Sehnsucht geprägtes Waldbild in uns. Wir sind korrumpiert von Romantikern und alten Meistern. Sie kreierten eine Vorstellung, die schon zu ihrer Zeit kaum der Realität entsprach. Es gibt keinen Urwald mehr. Die gigantischen Stämme schickten bereits unsere Vorfahren ins Reich der Fabeln.
Seit Jahrhunderten dient der Wald: Ausgebeutet für die Öfen der Häuser, sein Holz loderte unter den Sudpfannen der Glas-, Salz- und Erzindustrie. Er wurde abgeholzt für den Schiffs- und den Bergbau. Er hielt her als Weide für Hausschweine sowie als Jagdparadies für die Betuchten.
Es ist dem Verfasser der "Silvicultura Oeconomica", Hans Carl von Carlowitz, zu verdanken, dass nach dem 30-jährigen Krieg sich der Gedanke der Nachhaltigkeit allmählich etablierte. Mit diesem Gedanken aber wurde der wilde Wald durch den Försterwald ersetzt.

Nutzung des Waldes steht im Vordergrund

Mit dem haben wir es heute zu tun. Ohne Försterwald kein Brenn- und kein Bauholz. Es kommt der Klimawandel hinzu: Wir verlangen vom Wald die Rolle als Klimaaggregat. Wir brauchen den Wald als Speicher der Kühle, vor allem die Frische des Buchenwalds. Er ist das Kühlste, was wir haben, versichert uns der Eberswalder Forstwissenschaftler, Pierre Ibisch.
Gerade dieser Wald wirkt als Klimabremse – solange er intakt, dicht und voller auch toter Biomasse ist. Doch was passiert? Förster schlagen Löcher in die Buchenbestände, pflanzen nordamerikanische Douglasien hinein, die sie in Plastikhüllen stecken, damit sie sicher sind vor Hirsch und Reh.
Die Forstpolitik behauptet, Douglasien hielten den steigenden Temperaturen besser Stand. In Wahrheit aber setzen die Waldbesitzer, das ist sehr häufig der Staat, auf die Schnellwüchsigkeit. Sie schielen auf den raschen Erlös.

Nur jeder fünfte Baum ist gesund

Wir suchen Stille und Erholung im Wald, wir brauchen sein Wasser, wir wünschen die Vielfalt seiner Pflanzen und Tiere. Wir verlangen ein intaktes Ökosystem, das es in Folge industrieller Landwirtschaft auf den Feldern und Wiesen nicht mehr gibt. Weshalb wir es nun im Wald erhoffen.
Doch seit der Mitte der 1980er-Jahre wissen wir: Der Mensch bedroht den Wald. Der Begriff vom Waldsterben wurde geprägt. Leider hat uns die Politik eingeredet, das Waldsterben sei damals mit dem Einbau von Filtern an Industrieschornsteinen besiegt worden.
Das Gegenteil ist der Fall: Die Waldschadensberichte und Auswertungen von Satellitenbildern belegen: Nur jeder fünfte Baum ist gesund, die Wälder werden lückiger, der Bewuchs spärlicher. Eine halbe Milliarde junger Bäumchen sind seit 2016 in den Wäldern vertrocknet. 245.000 Hektar sind vernichtet. Fichten gelten im Flachland als nicht mehr überlebensfähig.

Stickstoffverbindungen schädigen Wald weiter

Vor allem aber bedrohen Schadstoffe den Wald, und zwar Stickstoffverbindungen. Sie stammen einerseits aus den Verbrennungsprozessen von Auto, Industrie oder Heizung. Zur anderen Hälfte aber aus der Tierhaltung.
Wenn diese Stoffe als Ammonium und Nitrat über die Luft im Wald landen, dann rauscht alles, was die Bäume nicht aufsaugen, irgendwann ins Grundwasser. Mitgerissen werden Nährstoffe wie Kalium und Magnesium. Das Wachstum ist gehemmt, denn die Wurzelsysteme verkümmern, die Bäume sind anfälliger für Trockenheit, Stürme, Pilze und Insekten.
Die Resilienz des Waldes steht auf der Kippe. Die Robustheit des Waldes zu schützen, ist also wichtiger denn je. Andernfalls funktioniert das angesagte "Waldbaden" bald nur noch virtuell.
Stephan Börnecke arbeitet als Journalist und Autor, und zwar mit den Schwerpunkten Agrarpolitik, Ökolandbau und Naturschutz. Er war Redakteur und Reporter bei der "Frankfurter Rundschau", zuletzt im Ressort Wirtschaft. In mehreren Buchveröffentlichungen widmete der Autor sich Themen aus den Bereichen Landwirtschaft und Natur. Börnecke wurde mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Journalistenpreis der Deutschen Umwelthilfe für sein Lebenswerk.
Porträtfoto von Stephan Börnecke.
© privat