Die verschwundenen Apfelgärten unserer Kindheit
Streuobstwiesen gehörten einst zum Landschaftsbild, heute sind sie beinahe ganz verschwunden. Dabei sind sie ökologisch wichtig, vor allem für bestimmte Bienenvölker. Das Land Bayern fördert deshalb Projekte, die sich um Pflege und Erhalt von Streuobstwiesen kümmern.
"Schauen Sie mal die schönen Bäume, die sind jetzt im dreizehnten Standjahr und wenn Sie die Blätter anschauen, die wachsen ganz gesund..."
Ottmar Fischer geht stolz durch die große Streuobstwiese. Er zeigt auf die einzelnen bis zu 15 Meter hohen Apfel- und Birnenbäume. Dazwischen stehen Bienenkästen. Das Gras reicht stellenweise bis zu den Knien:
"Wir haben viele seltene Sorten, zu den bekannteren gehört der Rheinische Winterrambour, den Berner Rosenapfel, wir haben den Roten Stettiner, das ist eine alte Sorte. Wir haben Sorten, die können Sie nicht mehr bekommen, das ist zum Beispiel der Zepfer. Wir haben zum Beispiel bei den Birnen den Trockenen Martin, das ist auch eine alte Sorte, wir haben den gestreiften Backapfel, die Römische Schmalzbirne und und und."
Die Streuobstwiesen von Hersbruck im Nürnberger Land liegen oberhalb des Ortes auf ehemaligen Getreideäckern. 1999 gründete sich hier eine der ältesten Streuobstinitiativen Bayerns, um die früher so zahlreichen Streuobstbäume zu erhalten und zu pflegen. 2003 übernahm der Verein die rund drei Hektar, auf denen 250 ältere und jüngere Bäume in lockeren Abständen stehen. Ausgleichsflächen, die sonst als Bauland genutzt worden wären:
"Hier haben wir so einen alten Kerl, ich vermute, der ist in meinem Alter und ich bin 70 Jahre. Hier nisten regelmäßig Meisen und andere Höhlenbrüter."
Interesse für Omas Garten
Schaut man in einen ganz normalen Supermarkt, könnte man glauben, es gäbe nur noch drei, vier Apfelsorten. Golden Delicious und Royal Gala, mehr ist nicht zu finden. Steht man jedoch auf den Streuobstwiesen von Hersbruck, reibt man sich verwundert die Augen. Äpfel in allen nur denkbaren Gelb-, Grün- und Rottönen, mit hellem oder ganz dunklem Fruchtfleisch, kräftiger Säure oder einem Hauch Vanille.
280 verschiedene Sorten kultivieren die Initiatoren um Ottmar Fischer auf rund drei Hektar Land. Die Gemeinde hätte die ehemaligen Äcker auch als Bauland ausweisen können, Fischer und seine Mitstreiter waren schneller. Und überzeugten.
Heute hat der Verein 110 Mitglieder, vor allem junge Leute, sagt Renato Pasalic, der sich um die Vermarktung des Streuobstes kümmert:
"Viele Landwirte haben das ja vernachlässigt, Stellen wurden gerodet, die sind vergreist und verfallen, weil eben die Billiganbieter aus Übersee oder aus den Plantagen, da war ein Kosten-Nutzen-Anbau überhaupt nicht mehr möglich."
In Hersbruck hat sich das geändert. Immer mehr junge Leute interessieren sich für die alten Bäume in Omas Garten, die verschiedenen Obstbaukurse sind gut besucht. Gerade erst hat wieder ein Kurs begonnen. Apfelpapst Josef Weimer:
"Zunächst sucht man sich erstmal das aus, was in den nächsten hundert Jahren das Gerüst des Baumes bildet und die zukünftige Fruchtäste, wo dann die Frucht erscheint, die muss man auch hineinschneiden..."
Weniger anfällig für Krankheiten
Die Kurse für Hobbyobstbauern von Deutschlands Apfelpapst Josef Weimer sind regelmäßig ausgebucht. Die Teilnehmer kommen mittlerweile von Berlin und Nordrhein-Westfalen nach Hersbruck. Anmeldungen werden bereits für Termine in 2018 angenommen. Egal ob Sonne oder Regen, Frühjahr oder Herbst – Gartenbaulehrer Weimer erklärt von der Leiter herab, wie man die jungen und älteren Streuobstbäume richtig erzieht:
"Bei dem zwölfjährigen Baum versucht man, ihn ständig im Gleichgewicht zu halten zwischen Trieb und Fruchtbildung. Sind die Triebe zu lang, ist er zu jung und zu sehr im Treiben und andererseits soll er so viele Früchte haben, das er sich auch nicht überfruchtet."
Im Unterschied zu Plantagenbäumen sind die Streuobstbäume eigentlich weniger anfällig für Krankheiten. Unter den alten Sorten widerstehen etliche gut dem Klimawandel.
Wenn sie gepflegt würden.
Am bayerischen Untermain, im Spessart, kämpfen Obstbauern wie Alexander Vorbeck weniger gegen die Versiegelung der Landschaft an. Der Streuobstbauer aus Mömbris im Kreis Aschaffenburg muss immer häufiger seine Bäume von Misteln befreien, seit einigen Jahren eine regelrechte Plage, nicht nur aufgrund der wärmer werdenden Winter:
"Das größte Problem ist eigentlich, dass wir zu 70 bis 80 Prozent ungepflegte Obstwiesen haben, dass heißt die Misteln werden nicht mehr rausgeschnitten, können sich ungehindert vermehren und wie das dann aussieht sehen wir ja hier, wir haben dann sogenannte Brokkolibäume, die übervoll mit Misteln bewachsen sind."
In Oberbayern, rund um den Chiemsee gibt es eher kleinere Streuobstanlagen. Traditionell als Weg oder Ackerbegrenzung gepflanzt. Die Initiative um Vorstand und Grünenpolitikerin Gisela Sengl wurde 2013 gegründet. 70 Mitglieder seien sie mittlerweile, erzählt Sengl. Das Interesse wächst im Chiemgau genau wie im Nürnberger Land, in Unterfranken und Mainfranken.
Sammeln soll sich wieder lohnen
Man wolle die Dörfer wieder natürlicher gestalten ist das Ziel der Streuobstinitiative Chiemgau. Und das Sammeln von Obst soll sich wieder lohnen:
"Das ist ja das ganz große Problem sehr lange gewesen, wenn man so in die Lande schaut, es liegt einfach sehr viel Obst am Boden, weil es der Mühe nicht lohnt, wenn ich nur fünf Euro bekomme für den Doppelzentner – also ein Doppelzentner sind 100 Kilo – das ist schon ganz schön viel."
Große Obstbäume als Landschaftsmarken, das Bewusstsein dafür wächst und wächst. Viele Menschen erinnert es an die Kindheit. Die EU fördert Initiativen wie die aus dem Chiemgau mit dem Leader-Projekt für die Entwicklung ländlicher Räume. Leider ein bürokratisches Monster, deren Bewilligung lange dauert.
Aber die professionelle Betreuung von Streuobstbäumen, die anstehende Biozertifizierung, die Koordination der Pflege und die Mitgliederwerbung kann nicht mehr ehrenamtlich gestemmt werden:
"Also man muss Kooperationspartner finden, die Anträge werden sehr genau überprüft, klar, das ist ein europaweites Programm, man will Betrugsfälle verhindert, dadurch muss man das sehr genau machen. Aber wir sind auf einem guten Weg."
Streuobstwiesen dienen im reichen Oberbayern mittlerweile als willkommene Öko-Marketingstrategie - neue, exklusive Romantikhotels wie das Gut Steinbach in Reit im Winkl, unweit vom Chiemsee, entdecken die Rückkehr zum Streuobstapfel für sich - und zahlungskräftige Gäste.
Für den Hausherren Klaus Dieter Graf von Moltke gehört die Anpflanzung von Obstbäumen bei der Planung seiner neuen, Tourismus fördernden Hotelanlage wie selbstverständlich dazu:
"Zwischen der Bebauung und dem Hotel soll sich also eine richtige große Streuobstwiese entwickeln, wo das Obst auch wirklich verwendet wird. Da wird Marmelade gemacht, da wird Kuchen gebacken. Wir sind vermessen genug davon auszugehen, dass man in Zukunft in Kitzbühel ins Auto steigt und hierher nach Reit im Winkel fährt, um gescheit Brotzeit zu machen."
Im KZ Dachau interniert
Initiativen wie die von Hersbruck, dem Grafen von Moltke und den Chiemgauer Hobbyobstbauern stehen in einer großen bayerischen Tradition.
Deutschlands Apfelpfarrer, Korbinian Aigner, dessen Apfelbilder 2012 sogar auf der documenta in Kassel zu sehen waren, stammte aus der Nähe von Erding bei München.
Im August 1908 hatte er in seinem Geburtsort Hohenpolding den ersten Obstbauverein gegründet. Bereits damals wurden Aigners Züchtungsversuche vom Königreich Bayerns mit der enormen Summe von 1000 Mark unterstützt. Später im Dritten Reich wurde der kritische Pfarrer im KZ Dachau interniert. Dort züchtete er die Apfelsorte KZ 3, heute Korbiniansapfel genannt.
Auch Aigner wusste schon, dass die Bäume geerntet und das Obst verarbeitet werden muss. Seine noch bestehende Mostkelterei ist heute das Vereinsheim der Hohenpoldinger Freiwilligen Feuerwehr.
Beim Bayerischen Landesamt für Landwirtschaft LfL kümmert sich eine eigene Abteilung nur um das Thema Streuobst. Stefan Kilian koordiniert die Förderung von Initiativen wie in Hersbruck und im Chiemgau. Bis zu 800 Euro kann man pro Hektar für die Neuanpflanzung beantragen, zusätzlich zu Fördermitteln aus dem Fond für Landschaftspflege. Trotz der wachsenden Versiegelung der Landschaft ist er überzeugt:
"Freilich ist Platz. Natürlich verschwinden Streuobstbestände in Bayern, also wir schätzen, sichere Zahlen haben wir nicht, dass wir noch rund 6 Millionen Streuobstbäume haben, Tendenz fallend. Auch da eine Schätzung von unserer Seite, es kann sein, dass wir rund 100 000 Bäume pro Jahr verlieren."
Teil der bayerischen Kulturlandschaft
Streuobstwiesen gehören zur bayerischen Kulturlandschaft, ist Kilian überzeugt. Deshalb müssten vorrangig die alten Bestände erhalten und besser gepflegt werden. Mehr Patenschaften zwischen den Eigentümern und Nutzern der Obstwiesen wären möglich. Regelmäßig organisiert er im Namen der Aktion Streuobst der Landwirtschaftsverwaltung Veranstaltungen, wo alle Verarbeiter und Initiativen untereinander Kontakt knüpfen können. Extra Werbematerial wie bedruckte Gläser stellt das LfL den Hobbysaftlern zur Verfügung.
"Also ganz generell, egal wer jetzt einen Obstbestand neu pflanzen fragen, beraten wir, wie wollt Ihr das verwerten. Wir haben so viele Altbestände, ohne Verwertung wäre ein Neubestand zwar wichtig für die Gesamtmenge, aber ohne eine Verwertung ist es sehr aufwendig und zu teuer."
Womit Kilian zur wirtschaftlichen Seite der Streuobstwiesen kommt. Natürlich sind sie immens wichtig als Bienenfutter, als Unterschlupfmöglichkeit für Insekten und Vögel. Aber das Obst einfach im Herbst am Baum oder im Gras vor sich hin faulen zu lassen, konterkariere den Sinn dieser alten Kulturlandschaft. Aber genau daran denken die Enthusiasten oft nicht:
"Dieser Schritt zum Kunden hin, da braucht es, denke ich, viel Unterstützung. Da stoßen auch erfolgreiche Initiativen oder Projekte an ihre Grenzen. Und das ist schade. Denn auf der anderen Seite, aus Sicht der Kunden, aus meiner Beobachtung her, die ja in den Städten sitzen, dass da Interesse da wäre. Man könnte wesentlich mehr absetzen, aber die Streuobstbewirtschafter sind oft keine Vermarkter und da entsprechend die Brücke zu bauen, jemanden zu haben, der das herstellt, so wie ja auch in Hersbruck, die ja professionelle Unterstützung von Vermarktungsseite hatten, da braucht man Unterstützung damit das funktioniert."
Gefragt ist da nicht mehr das Landesamt für Landwirtschaft, erklärt Kilian, sondern das Landwirtschaftsministerium in München. Eine eigens gegründete staatliche Agentur für Lebensmittelprodukte aus Bayern ALP kümmert sich um diesen Brückenschlag. Bauernmarktmeilen, Hoffeste, Genussfestivals sollen die Verbraucher direkt und zielgruppengerecht erreichen, so das Ziel. Ideen und Produkte gibt es von etlichen Initiativen, sagt der Streuobstbeauftragte Kilian:
"Schlaraffenburger oder Hesselberger (sind das Säfte?) , wenn man sich das anschaut, sind tolle Produkte. Wir haben da gesunde Inhaltsstoffe auch: Quittenmischungen, Rosé, Cidre, Secco, ganz tolle Sachen, wo auch Abnehmer da wären, aber der Schritt vom Erzeuger zum Kunden, das ist eben nicht durchgängig."
In dem kleinen Obststadl der Herrbrucker Streuobstinitiative sitzen Ottmar Fischer und sein Vermarktungsexperte vor den Flaschen ihres eigenen Apfelsaftes. In den Gläsern die naturtrübe Saftschorle von Pom 200 – nach der Anzahl der verwendeten Apfelsorten.
Ein Renner bei den Kunden. Einer Sorte ist Bergamotte beigefügt, eine erfrischende Alternative zu herkömmlichen Limos. Und ein gutes Mitbringsel.
Draußen sind nur die Apfelbäume zu sehen.
Auszeit vom Alltag.
Zum Wohl. Apfelsaft mit Bergamotte."