Bedrohtes Paradies

Von Jantje Hannover · 15.01.2011
Mit seinen großen Regenwäldern und reichhaltigen Rohstoffvorkommen könnte Papua-Neuguinea eigentlich ein wohlhabender Inselstaat sein. Trotzdem werden die Menschen immer ärmer und ihre paradiesische Heimat ist bedroht: Durch rücksichtslose Abholzung und ausländische Investoren, die sich wenig um Nachhaltigkeit scheren. Der Evangelische Entwicklungsdienst unterstützt die Einheimischen dabei, ihre Zukunft selbst zu bestimmen.
"Wir finden, dass bei einem so profitorientierten Projekt wenigstens etwas für uns rausspringen muss. Denn die Jobs dort werden sehr armselig sein"

Ausnahmezustand im Dorf Rempi in Papua-Neuguinea. Seit Investoren aus China und den Philippinen hier zehn Fischfabriken für den globalen Markt errichten wollen, ist es mit der Ruhe vorbei. Die Dorfbewohner haben sich versammelt, hocken im Schneidersitz um ihren Sprecher herum. Hohe Palmen spenden etwas Schatten.

"Die Regierung muss dafür sorgen, dass wir angemessen an dem Entwicklungsprojekt beteiligt werden. Es wird die nächsten hundert Jahre hier sein. Das geht uns etwas an!"

Schon jetzt wurden für das Fischereiprojekt über 200 Hektar Kokospalmen gerodet. Die Dorfbewohner wollen nicht weiter tatenlos zusehen und befürchten, dass andere eines Tages ihre Fischgründe leerräumen. Zumindest wollen sie angemessen entschädigt werden, wenn sie ihr Land für den Marinepark hergeben: Sie könnten zum Beispiel eine neue Schule oder ein Leitungsnetz für die Wasserversorgung gebrauchen.

Konflikte wie der in Rempi spielen sich überall in Papua-Neuguinea ab. Hier durchläuft eine in Stammestraditionen verwurzelte Bevölkerung in Rekordzeit den Wandel zur globalisierten Marktwirtschaft. Die Menschen wissen wenig darüber, welche Rechte sie haben und wie sie dafür streiten können.

In Rempi helfen ihnen die Mitarbeiter der Bismarck Ramu Group, eine lokale Nichtregierungsorganisation. Sie wird vom Evangelischen Entwicklungsdienst finanziell unterstützt. John Chitoa leitet die Bismarck Ramu Group:

"Unser Land, unser Boden bedeutet uns sehr viel, er ist für uns wie eine Mutter, die uns ernährt. Man könnte auch sagen, Land ist für uns das, was in westlichen Gesellschaften Geld ist. Ihr könnt nicht ohne Geld überleben, aber wir schon. Wenn die Firma mich rauswirft, kann ich sagen: Das ist mir doch egal, ich habe ja noch mein Land. Das ist völlig anders in Ländern, wo der Boden der Regierung oder den Konzernen gehört, da müssen die Menschen in den Fabriken arbeiten, um zu überleben."

Überall in Papua-Neuguinea wird um Land gestritten. Die Regierung fordert die Menschen auf, ihr Land registrieren zu lassen, damit es an Firmen verkauft und industriell genutzt werden kann. Aber die Menschen haben wenig Vertrauen in die Regierung. Lieber bewahren sie ihr Stückchen Erde als eine Art Lebensversicherung.
Zu Recht. Denn die Regierung ist zwar demokratisch gewählt, aber sie tut wenig für ihr Volk.

Dabei ist Papua-Neuguinea ein reiches Land: neben intakten Fischgründen besitzt die Insel noch fast unberührte Wälder, der Boden ist fruchtbar und es regnet genug. Dass das Land seit etwa 20 Jahren Investoren aus aller Welt anzieht, liegt an den Rohstoffen, die überall im Vulkangestein lagern: Gold, Kupfer, Nickel, Öl und Gas, ständig werden neue Minen entdeckt.

"Ich kann nicht sagen, wir sind gegen Industrieentwicklung."

Sagt Claudia Warning vom Evangelischen Entwicklungsdienst:

"Sondern die Frage, die uns beschäftigt, ist zum Beispiel die Frage: Werden die Dörfer, auf deren Land das stattfindet, werden die eigentlich gefragt? Werden die enteignet oder bekommen sie eine vernünftige Entschädigung. Gibt es Arbeitsplätze zu vernünftigen Bedingungen? Vernünftig heißt in dem Fall, dass es einen Mindestlohn gibt, dass Sicherheitsstandards und Sozialstandards eingehalten werden, all diese Fragen.

Das ist unsere Rolle, bei der Sprechfähigkeit der Bevölkerung zu helfen, dass sie in der Lage sind, mit solchen Firmen und der Regierung zu verhandeln und zu sagen: Hier sind wir betroffen, da wollen wir mitreden!"

Dass die Zivilgesellschaft sich stärker einmischt, ist dringend geboten. Denn die Regierung investiert die Gewinne aus dem Rohstoffabbau nicht in eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung: Es gibt kaum Straßen, die meisten Dörfer im Hochland sind nur mit dem Flugzeug zu erreichen. Ähnlich schlecht ist es um die öffentliche Gesundheitsversorgung und das Schulwesen bestellt.

Reverend Kinim Siloi leitet bei der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Papua-Neuguinea die Ökumeneabteilung:

"Ich bin nicht wirklich sauer, aber ich werde langsam ungeduldig. Die Regierung hat ihr Volk nicht im Blick. Ich erwarte, dass die Regierung mit dem Geld aus dem Rohstoffabbau endlich das Gesundheitssystem entwickelt. Oder Schulen und Bildung. Aber vieles müssen hier immer noch die Kirchen machen."

Ein Beispiel für die tragende Rolle der Kirchen ist das Gaubin-Krankenhaus auf der Insel Karkar vor der Küste von Rempi. Es wird vom Lutherischen Gesundheitsdienst unterhalten. Vor dem Eingang zum Hospitalgelände hat sich eine bunte Menschenmenge versammelt: Mit ihrem Gesang begrüßen die Bewohner der umliegenden Dörfer die Besucher aus Deutschland. Dafür haben sie sich mit Federn, Blüten und Blättern geschmückt.

Als das Krankenhaus vor 60 Jahren gegründet wurde, hatte die Insel Kakar 8000 Einwohner. Heute leben hier 60.000 Menschen.

Die Klinik bietet neben einem kleinen klimatisierten OP-Saal eine Entbindungs- und Wöchnerinnenstation, Aids-Ambulanz, Chirurgie und mehrere Abteilungen für Tuberkulosepatienten.

Die Gebühren für die Behandlungen sind extrem niedrig, erklärt die Ärztin Tanja Ihle.Sie und ihr Mann sowie eine einheimische Kollegin sind hier die einzigen Ärzte. Zwei Kina fünfzig, umgerechnet 75 Cent, kostet ein Bluttest oder der Hausbesuch einer Krankenschwester inklusive Medikamente, für einen Klinikaufenthalt werden fünfzehn Kina, also etwa vier Euro fünfzig, fällig.

Mehr als 20 Betten stehen in jedem Krankenzimmer. Alle Räume sind von außen frei zugänglich, statt Fenster sitzen einfache Fliegengitter in den Rahmen. Auf den Bettgestellen aus schwarzem Metall liegen farbenfrohe Tücher. Besucher sitzen auf der Bettkante, wer hier eigentlich krank ist, ist oft nicht so eindeutig. Noch voller ist es im Flur vor der Ambulanz. Hier können die Menschen täglich zur offenen Sprechstunde kommen. Inmitten des Gedränges berät ein Gesundheitshelfer eine Mutter mit Baby auf dem Arm.

Das Kind leidet unter nächtlichem Husten und Atemnot, der Gesundheitshelfer verordnet eine fünftägige Antibiotika-Kur. Vor dem Eingang zur Gaubin-Klinik befindet sich ein neues, zweistöckiges Holzhaus, auf das hier alle stolz sind: Es ist eine Schule für Krankenschwestern und Gesundheitshelfer. Die Schüler und Schülerinnen sollen später in den Dörfern eine Basis-Gesundheitsversorgung anbieten.

Denn längerfristig sollte Papua-Neuguinea selbstständig seine Gesundheitsversorgung regeln, finden die hier ansässigen evangelischen und katholischen Kirchen. Claudia Warning vom Evangelischen Entwicklungsdienst:

"Wir haben am Beispiel Gesundheit diskutiert, wo die Kirchen etwa 40 Prozent des hiesigen Gesundheitswesens stellen. Wir sind durchaus der Auffassung, dass das Gesundheitswesen eine staatliche Aufgabe ist. Wir können es auch gar nicht schaffen, mit unseren Ressourcen einen so großen Bereich von Gesundheitsbereitstellung zu finanzieren. Insofern erwarten wir von den Kirchen durchaus, dass sie mit ihrer Regierung darüber verhandelt, wie eigentlich das Gesundheitswesen aufgebaut und finanziert werden soll. Es kann nicht sein, dass die Kirchen ein Parallelsystem aufbauen zu einem staatlichen, das dann nicht funktionsfähig ist."

Fast die gesamte Bevölkerung Papua-Neuguineas bekennt sich zum christlichen Glauben. Die wenigen gemauerten Häuser in den Städten sind oftmals Kirchen. Weil die Kirche hier so eine wichtige Institution ist, hätte sie Gelegenheit, in den politischen Dialog einzugreifen. Denn natürlich sind auch die Politiker Christen. Die lassen zwar dem Evangelischen Entwicklungsdienst und auch den lokalen Bürgerinitiativen freie Hand bei ihrer Arbeit.

Cynthia Lies vom ökumenischen Melanesian Institut in Goroka findet trotzdem, dass mehr passieren müsste:

"Die Evangelisch-Lutherische Kirche von Papua-Neuguinea hält jedes zweite Jahr eine große Synode, da sind Delegierte aus allen verschiedenen Distrikten des Landes. Im Januar auf der Synode in Lae waren auch alle lutherischen Parlamentarier eingeladen, darunter fünf Minister der Regierung, da musste ich feststellen: Die waren da, die stellten sich im Grunde der Synode vor. Aber wir, die lutherischen Leute, die da waren, wir haben nicht die gefragt nach den Missständen, wovon wir uns immer beklagen."

Eine verpasste Gelegenheit, auf die Politiker einzuwirken. In Zukunft wollen die Kirchen in Papua-Neuguinea ihre Macht nutzen und mehr Gerechtigkeit für ihr Land einfordern.