Trauermusik

Und die Tränen dürfen fließen

05:14 Minuten
Popsänger Elton John am Klavier bei der Trauerfeier für Prinzessin Diana in der Londoner Westminster Abtei
Als Musterbeispiel für musikalisches Trauern gilt „Candles in the wind“ von Popsänger Elton John bei der Trauerfeier für Prinzessin Diana in der Londoner Westminster Abtei. © picture alliance / epa AFP Eggitt
Von Julian Theilen |
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Sie ist kaum erforscht und bereitet Hinterbliebenen oft Kopfzerbrechen: die richtige Trauermusik für die Beerdigung. Wenn sie stimmig ausgewählt ist, kann sie da ansetzen, wo Worte nicht mehr weiterkommen.
Als sich Christoph Louven, Professor für Musikwissenschaft an der Universität Osnabrück, vor einigen Jahren beruflich der Trauermusik widmen will, stellt er fest: Da ist nichts. Kaum Forschung, kaum Empirie.
"Das ist kein Thema mit dem sich – auch die Musikpsychologie -  intensiv und gerne beschäftigt. Das hat schon 2007 Heiner Gembris festgestellt, Kollege aus Paderborn, dass es da einen blinden Fleck gibt, eine Scheu, sich mit dieser Thematik zu beschäftigen.“
In den seltensten Fällen verfügen bald Sterbende testamentarisch darüber, was sie auf ihrer Beerdigung gespielt haben wollen. Louven und sein Team haben deshalb zwei explorative Studien angeregt, in der sie Bestatter und Pfarrer fragten, nach welchen Kriterien die Musik ausgewählt wird.
Das Ergebnis: „Letztlich wendet sich die Trauermusik an die Hinterbliebenen. Also die Musik ist für die Hinterbliebenen. Es ist nicht für denjenigen, der da verstorben ist. Der hat auch nicht mehr sehr viel davon.“

Musikalisch trauern, aber richtig!

Stopp mal, werden nun einige sagen. Es wird doch häufig der Lieblingssong des Verstorbenen ausgewählt. Und auch Prof. Louven erinnert sich an eine Beerdigung, auf der eine Operette gespielt wurde.
„Das ist psychologisch interessant, das macht man letztendlich ja nicht, um den Verstorbenen nochmal eine Freude zu machen, sondern das macht man, um eine Folie zu haben, um sich an den Verstorbenen in seiner musikalischen Persönlichkeit zu erinnern.“
Wie macht man es richtig: musikalisch trauern? Als Musterbeispiel gilt „Candles in the wind“. Elton John hatte das Lied ursprünglich für Marilyn Monroe komponiert, zum Gedenken seiner Freundin Prinzessin Diana nochmal umgeschrieben. So entstand eine eindrückliche Intimität, die gleichzeitig aber auch für Fremde zugänglich war.
Der Moment, als Elton John es in der Westminster Abbey spielte, ergriff Millionen Menschen auch vor dem Fernseher zu Hause.

Überforderte Hinterbliebene

Die Realität kommt meist aber mit weniger Nachdruck daher. Aus Verlegenheit werden Hitplaylisten abgefeuert oder der Pastor schlägt ein Lied vor, die überforderten Hinterbliebenen nicken ab.
Deprimierend, befanden vor einigen Jahren die Kunstschaffenden Mirko Winkler und Karen Winzer. In Berlin veranstalteten sie einen Deathlab – eine Art Experimentierlabor für den Tod. Sie ließen unkonventionelle Urnen bauen, spielten zeitgenössische und abseitige Musik – auch um die starre Form des Rituals aufzuweichen.
„Die Qualität eines Rituals ist eben, dass sie stimmig sein muss, im Sinne von authentisch. Es muss tatsächlich passen zu dem Menschen, um den es geht und zu der Situation“, sagt Karen Winzer.

Schiefklang und Poesie

Karen Winzer und Mirko Winkel versuchten es also mit einer elektroakustischen Komposition von Nikolas Wiese, der sich damit am New Orleans Funeral Jazz orientierte. Eine Mehrrauminstallation, wie die beiden betonten.
Auch Olof Dreijer haben sie ausprobiert. „Er hat so ein Tonspektrum, was aus 20 Tönen besteht; also viel mehr als die üblichen Töne und produziert dadurch auch so einen leichten Schiefklang.“
Und deutschsprachiger Pop? Funktioniert er auch dann, wenn er nicht explizit den Tod thematisiert? Für die beiden Kunstschaffenden schon, deshalb spielten sie „Die geheime Party“ von Jens Friebe:
„Unsere Klasse ist so groß / Es fällt nicht auf, wenn jemand fehlt / Traurig machst du den Regenwurm vom Stacheldraht ab“, singt der darin.
„Sehr poetisch“, meint Mirko Winkel, „und nicht so haudrauf-eindeutig.“
Musik soll da ansetzen, wo Worte nicht mehr weiterkommen. Die Trauerrede ist vorbei, die Erinnerungen sind geteilt, die Tränen dürfen fließen, „deshalb hat Trauermusik auch etwas vom Kino. Es ist so ein bisschen der Soundtrack zum Gefühl, oder? Und am Ende steht der große Schmerz, aber der muss nun auch mal sein. Und dafür gibt es auch die richtigen Töne.“

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