"Before the Sky Falls" am Schauspielhaus Zürich
nach William Schakespeare
Regie: Christiane Jatahy
mit Daniel Lommatzsch, Lukas Vögler, Matthias Neukirch u.a.
"Before the Sky Falls" in Zürich
Christiane Jatahy zeigt eine Welt im Würgegriff eines Verrückten - hier feiert die Machtclique exzessiv in "Before the Sky Falls" einen Sieg. © Schauspielhaus Zürich, Diana Pfammatter
Theater über die Zerstörung der Erde
08:21 Minuten
Shakespeares Macbeth steht als Vorlage für Zürichs Inszenierung "Before the Sky Falls". Die brasilianische Regisseurin Christiane Jatahy erzählt so vom Schrecken im eigenen Land. "Ein spektakuläres Theater-Ereignis", urteilt Kritiker Michael Laages.
Christiane Jatahy aus Rio de Janeiro gehört zu den herausragenden Regisseurinnen im aktuellen brasilianischen Theater, sie steht in der Tradition der großen Modernisten Antunes Filho, Zé Celso und Gerald Thomas. Seit Jahren aber arbeitet sie überwiegend in Paris und ist dort eng mit dem Théâtre National de l'Odéon verbunden.
Auch am Thalia Theater in Hamburg hat sie schon inszeniert, beim "Theater der Welt" 2017. Gerade steckt sie mitten in einer "Trilogie des Horrors" – "Entre chien e loup", motiviert von Lars von Triers "Dogville"-Film, wurde in Genf produziert, hatte beim Sommer-Festival in Avignon Premiere und erzählte vom grassierenden neuen Faschismus in Brasilien.
Bevor sie zum dritten Teil in die Heimat zurückkehrt, hat sie sich fürs Schauspielhaus in Zürich Shakespeare vorgenommen – und bringt das Schreckensstück in direkten Zusammenhang mit den Kämpfen daheim: gegen die Vernichtung der Regenwälder im Amazonas-Gebiet, gegen die Verfolgung und Ausrottung indigener Völker und natürlich zuallererst gegen den autokratischen Präsidenten Jair Bolsonaro.
Bolsonaro verharmlost die Katastrophe
Der heißt ja mit dem zweiten Vornamen allen Ernstes "Messias" - und wird von immer noch treuen Anhängern auch als genau das verehrt; obwohl die Polit- und Lebensbilanz des brandgefährlichen Exzentrikers längst katastrophische Ausmaße angenommen hat, nicht nur der weit über 600.000 – offiziell verzeichneten – Opfer der Pandemie wegen, die in Brasilien beklagt werden; während der Präsident die Dramatik beharrlich leugnet. Ein "Grippchen" sei das doch nur, eine "gripezinha" - das hat er immer wieder behauptet und alles zu verhindern versucht, was helfen und Leben retten könnte.
Aber auch der zerstörerischen Feldzüge gegen die indigene Bevölkerung – wie gegen Arme, Schwarze oder Homosexuelle – gilt Bolsonaro Gegnerinnen und Gegnern vor Ort mittlerweile als "genocida", als Völkermörder.
Welt im Würgegriff eines Verrückten
Zeternd und lärmend wehrt sich nun die zentrale Figur in Christiane Jatahys Shakespeare-Bearbeitung gegen diese Angriffe – und bezeichnet sich selbst als "Messias". So wird schnell klar, was die Regisseurin zeigen will, und mit diesem Shakespeare-Stück auch zeigen kann: eine Welt im Würgegriff einer durchgeknallten Führer-Figur.
Um ihn herum agiert eine Art "Think Tank" des Terrors: eine Männer-Clique, die wie am Stammtisch exzessiv den eigenen, gerade errungenen Sieg feiert. Jetzt werden sie das Land ausplündern, wie und wo immer das geht. Das ist der Deal der Bande. Und Macbeth ist ihr Messias.
Macbeth lässt grüßen
Einer aus der Clique fehlt: Banquo. Dass er einst Freund und Partner war für Macbeth, wird erst mit der Zeit deutlich. Jatahy erzählt von den finsteren Machenschaften des Cliquen-Führers quasi in zwei Durchgängen – bis zum legendären Bankett, in dem der tote Banquo als Geist erscheint, und danach. Da steckt Macbeth schon mitten im Wahn.
Und noch mehr Geister bedrängen ihn: Viele Kinder, die mit Texten des indigenen Aktivisten Davi Kopenawa Yanomami – der zum gleichnamigen Stamm gehört und zur Premiere jetzt nach Zürich kam – persönliche Opfergeschichten aus der Schreckensherrschaft erzählen. Wie aus den Wänden der Züricher Schauspielhaus-Bühne treten sie hervor, leibhaftig und als Video-Projektion, und viele sprechen das brasilianische Portugiesisch der ungezählten Toten.
Und wir sind genauso angeklagt wie die Autokraten der Weiße-Männer-Clique – denn das immer sehr puppenstubenhafte Schauspielhaus-Ambiente hat Bühnenbildner Thomas Walgrave in die Bühne hinein erweitert; sogar das Tapetenmuster findet sich wieder. Video-Projektionen und eine große Spiegelwand hinten, die natürlich immer auch das Publikum zeigt, vervielfachen den Raum zum Pandämonium zwischen den Kontinenten. In Zürich nämlich wird ja immerhin viel von all dem Gold verarbeitet, das illegale "garimpeiros" schürfen in den Gebieten indigener Völker.
Und zum Schluss, wenn bei Shakespeare der Wald von Birnam zu "wandern" beginnt, weil Krieger sich als Bäume tarnen, quillt amazonischer Regenwald quasi ins Theater: mit einer unendlich langen Kamerafahrt tief hinein ins grüne Herz, in die Lebenslunge der Welt.
Shakespeare weiterentwickelt
Grandios gelingt Jatahy der Zugriff mit Shakespeare auf die brasilianische Gegenwart. Die Regisseurin dreht die Macbeth-Fabel sogar noch eine Schmerzdrehung weiter. Als die Männer-Clique für den in Wahnsinn und Schizophrenie zerstörten Chef nämlich einen Nachfolger kürt – Malcolm ist das im Original – kommt einer an die Macht, der nicht mal mehr vorgibt, politisch zu denken: stattdessen nur noch als kriminelles, mörderisches Monster.
Benjamin Lillie spielt ihn, eisig-aasig kalt als Nachfolger des exzentrisch lärmenden Daniel Lommatzsch; Lukas Vögler, Matthias Neukirch und Kay Kisela sind daneben der Klub der geschäftstüchtigen Horror-Gentlemen.
Kraftvoll-politische Konzeption
Was für ein zeitgenössischer Shakespeare da zu sehen ist! Nichts ist hier modisch und beliebig wie sonst derzeit so oft bei "Überschreibungen", alles folgt kraftvoll-politischer Konzeption. Der auch ästhetisch fremde, unverstellte Blick ist hier geschärft wie selten.
Und nicht nur der Wald holt sich die Welt zurück – in den Prophezeiungen der indigenen Yanomami wird die Welt von den Geistern zu sonnenloser Finsternis verdammt. "Before the Sky falls" - der Himmel fällt der dummen Menschheit auf den Kopf.