"Befreit!"
Konstantin Wecker war es, der an die Geschwister Scholl und die "Weiße Rose" erinnerte und einen Bogen in die Gegenwart schlug. Bei Wecker sprang der Funke über ins Publikum, ihm flogen im Haus der hannoverschen Landesbühne die Sympathien zu - bei einer Veranstaltung, die demonstrativ mit dem Ausruf "Befreit!" überschrieben war. Denn man kann diesen 8. Mai nicht benennen, ohne zugleich politisch Stellung zu beziehen.
Wecker über die bei den Zuschauern erhoffte Wirkung:
"Sie sollen mit dem Gefühl rauskommen, dass es nie mehr einen Krieg geben darf, an dem wir in irgendeiner Weise beteiligt sind - dass wir uns endlich daran gewöhnen und es erlernen, dass nur noch eine pazifistische Welt eine Überlebenschance hat. Und selbst wenn wir das Gefühl haben, dass unser Tun, unser Engagement keinen Sinn hat, sollten wir es trotzdem tun."
Lieder, Gedichte und kurze Reden zu Gegenwart und Zukunft: ob Ökonom, Gewerkschaftsvertreter oder Oberbürgermeister - man wechselte sich am Rednerpult ab, warnte vor dem Neonazismus und forderte die Beseitigung der Arbeitslosigkeit als Humus rechter Tendenzen.
Von Abrüstung war die Rede, von den Interessen des großen Kapitals und der politischen Verantwortung der Intellektuellen. Für wirkliche Farbe sorgte die Kunst in diesem von Dieter Dehm moderierten Programm. Eines seiner bekanntesten Lieder brachte die Gruppe "Emma" wieder mal zu Gehör:
Musik: "Das weiche Wasser bricht den Stein"
Ein Lied, das vor Jahrzehnten den Gefühlshaushalt so mancher bundesdeutschen Wohngemeinschaft belebt hatte, bevor es zu einer Art Hymne der SPD wurde. Aber passt ein solcher Song denn überhaupt zum 8. Mai - zur militärischen Befreiung von der NS-Diktatur? Rolf Hochhuth am Rande der Präsentation zum "weichen Wasser, das den Stein bricht":
"Das ist eine chinesische Weisheit. Sie ist sehr, sehr albern. Bestien wie Hitler oder Ludwig XIV. sind nicht durch weiches Wasser zu besiegen, sondern durch einen ganz großen, verlustreichen Opfergang."
Dies war das geheime Spannungsmoment in dieser Veranstaltung: Bei einigen wie z.B. Wecker spürte man einen unbedingten Pazifismus, bei anderen die Gewissheit, dass sich Tyrannen nicht durch Sanftheit beeindrucken lassen.
Hochhuth meldete sich hier zurück aus dem Reich der Irrungen, Wirrungen und unsäglichen Zeitungsinterviews. In einem schon älteren Gedicht versucht er, hinter den abstrakten Zahlen der in Konzentrationslagern Ermordeten Gesichter und konkrete Namen aufscheinen zu lassen.
Auszug aus dem Gedicht: "Die drei Schwestern Kafkas"
Auch ein paar schnörkellose Verse über Johann Georg Elser, den Widerstandskämpfer mit der Bombe, trug er vor - und eine Eloge auf Winston Churchill: für Hochhuth eine Jahrtausendfigur, Motor bei der Befreiung vom NS-Staat.
Der wohl am häufigsten zitierte Gewährsmann aber war in den Vorträgen der Poet und politische Denker Bertolt Brecht. Als "Tatort"-Kommissar Peter Sodann nach einem neuen, besseren Text für unsere Nationalhymne fahndete, stieß er - wie andere vor ihm - auf Verse des "armen B.B.":
"Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.
Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir's
Und das liebste mag's uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs."
Leitgedanken für eine deutsche Zukunft.
"Befreit!" war eine Form linksgewirkter politischer Öffentlichkeit, wie man sie in den siebziger und achtziger Jahren gewohnt war, aber nach all dem Gerede über "Gutmenschentum" und "politische Korrektheit" kaum noch für möglich hielt. Die Veranstaltung hinterließ eine emotionale Wirkung - und weil es sich nicht um eine selbstgenügsame Gedenkstunde zwischen Buchsbäumen handelte, gingen Signale aus, waren Botschaften nicht zu überhören: auch die Warnung, mit dem Tod der Zeitzeugen in der Bundesrepublik eine Schlussstrichdebatte anzuzetteln.
Der Tag der Befreiung ist auch 60 Jahre später noch Verpflichtung.
"Sie sollen mit dem Gefühl rauskommen, dass es nie mehr einen Krieg geben darf, an dem wir in irgendeiner Weise beteiligt sind - dass wir uns endlich daran gewöhnen und es erlernen, dass nur noch eine pazifistische Welt eine Überlebenschance hat. Und selbst wenn wir das Gefühl haben, dass unser Tun, unser Engagement keinen Sinn hat, sollten wir es trotzdem tun."
Lieder, Gedichte und kurze Reden zu Gegenwart und Zukunft: ob Ökonom, Gewerkschaftsvertreter oder Oberbürgermeister - man wechselte sich am Rednerpult ab, warnte vor dem Neonazismus und forderte die Beseitigung der Arbeitslosigkeit als Humus rechter Tendenzen.
Von Abrüstung war die Rede, von den Interessen des großen Kapitals und der politischen Verantwortung der Intellektuellen. Für wirkliche Farbe sorgte die Kunst in diesem von Dieter Dehm moderierten Programm. Eines seiner bekanntesten Lieder brachte die Gruppe "Emma" wieder mal zu Gehör:
Musik: "Das weiche Wasser bricht den Stein"
Ein Lied, das vor Jahrzehnten den Gefühlshaushalt so mancher bundesdeutschen Wohngemeinschaft belebt hatte, bevor es zu einer Art Hymne der SPD wurde. Aber passt ein solcher Song denn überhaupt zum 8. Mai - zur militärischen Befreiung von der NS-Diktatur? Rolf Hochhuth am Rande der Präsentation zum "weichen Wasser, das den Stein bricht":
"Das ist eine chinesische Weisheit. Sie ist sehr, sehr albern. Bestien wie Hitler oder Ludwig XIV. sind nicht durch weiches Wasser zu besiegen, sondern durch einen ganz großen, verlustreichen Opfergang."
Dies war das geheime Spannungsmoment in dieser Veranstaltung: Bei einigen wie z.B. Wecker spürte man einen unbedingten Pazifismus, bei anderen die Gewissheit, dass sich Tyrannen nicht durch Sanftheit beeindrucken lassen.
Hochhuth meldete sich hier zurück aus dem Reich der Irrungen, Wirrungen und unsäglichen Zeitungsinterviews. In einem schon älteren Gedicht versucht er, hinter den abstrakten Zahlen der in Konzentrationslagern Ermordeten Gesichter und konkrete Namen aufscheinen zu lassen.
Auszug aus dem Gedicht: "Die drei Schwestern Kafkas"
Auch ein paar schnörkellose Verse über Johann Georg Elser, den Widerstandskämpfer mit der Bombe, trug er vor - und eine Eloge auf Winston Churchill: für Hochhuth eine Jahrtausendfigur, Motor bei der Befreiung vom NS-Staat.
Der wohl am häufigsten zitierte Gewährsmann aber war in den Vorträgen der Poet und politische Denker Bertolt Brecht. Als "Tatort"-Kommissar Peter Sodann nach einem neuen, besseren Text für unsere Nationalhymne fahndete, stieß er - wie andere vor ihm - auf Verse des "armen B.B.":
"Und nicht über und nicht unter
Andern Völkern wolln wir sein
Von der See bis zu den Alpen
Von der Oder bis zum Rhein.
Und weil wir dies Land verbessern
Lieben und beschirmen wir's
Und das liebste mag's uns scheinen
So wie andern Völkern ihrs."
Leitgedanken für eine deutsche Zukunft.
"Befreit!" war eine Form linksgewirkter politischer Öffentlichkeit, wie man sie in den siebziger und achtziger Jahren gewohnt war, aber nach all dem Gerede über "Gutmenschentum" und "politische Korrektheit" kaum noch für möglich hielt. Die Veranstaltung hinterließ eine emotionale Wirkung - und weil es sich nicht um eine selbstgenügsame Gedenkstunde zwischen Buchsbäumen handelte, gingen Signale aus, waren Botschaften nicht zu überhören: auch die Warnung, mit dem Tod der Zeitzeugen in der Bundesrepublik eine Schlussstrichdebatte anzuzetteln.
Der Tag der Befreiung ist auch 60 Jahre später noch Verpflichtung.