Befreiung von genetischen Zwängen
So hätte George Orwell seine "Farm der Tiere" geschrieben, wenn er was von Genetik verstanden hätte. Auch in Dietmar Daths neuem Roman "Die Abschaffung der Arten" wird Allzumenschliches von Tieren verkörpert. Ovid, Lafontaine, Orwell: in den animalischen Masken lassen sich seit jeher menschliche Schwächen und Stärken fabelhaft symbolisieren und karikieren.
Die Tierwerdung des Menschen ist dank futuristischer Biotechnologie wörtlich zu nehmen. Die Menschheit löst sich selbst ab, weil sie in eine evolutionäre Sackgasse geraten ist. Der göttliche Schlussstrich kommt allerdings in Dietmar Daths großartiger Parabel aus den eigenen Reihen: einem genialen Forscher, von dem wir nicht sicher sein können, ob es sich um den Erlöser handelt oder um einen Superschurken, ist es gelungen, humane Software und tierische Hardware kompatibel zu machen. Er selbst macht mit sich den Anfang und - wer zuerst kommt, den belohnt das Leben - wird als Löwenkönig Cyrus Golden zum Herrscher eines Imperiums von mongolischen Ausmaßen.
Seine Untertanen sind weitgehend friedfertig. Hunde und Katzen verständigen sich über dieselbe universelle Geruchssprache, lediglich die überlebenden Exemplare von Homo Sapiens werden als Sexsklaven gehalten und gettoisiert.
Es gehört zur Ironie dieser fröhlich-bösen Utopie, dass Cyrus Golden vor seiner Lionisierung nicht etwa an einem US-Labor forschte, sondern offenbar in den Genuss deutscher Fördermittel kam. Wie sollte es anders sein, bei der faustischen Dimension des Themas?
Im Reich der "Gente", so nennen sich die sprachbegabten Tiere nach der Befreiung von allen genetischen Zwängen, herrscht biopolitische Autonomie; nach der Abschaffung der Arten kann das Individuum seine Inkarnation frei wählen und je nach Zweck und Vorliebe rekombinieren.
Das weiß auch Daths Held, der einzelgängerische Wolf Dmitri Stepanowitsch zu schätzen, der sich zwölffingrige Menschenhände und einige andere taktile Raffinessen zulegt, bevor er mit der verführerischen Luchsdame Lasara ins Bett geht.
Dietmar Dath, anerkanntermaßen der einzige Mathematik-, Heavy-Metal- und Lenin-Fan der deutschen Gegenwartsliteratur, vermag Fantastik und Realismus leichthändig ineinanderzuschieben, wie er schon in seinen vorangehenden Romanen "Dirac" und "Waffenwetter" bewiesen hat.
Dass im neuen Roman sogar der heikle Kunstgriff gelingt, das Liebesspiel von Wolf und Luchs unpeinlich erotisch darzustellen, gibt uns gleichzeitig eine Idee von gattungsübergreifendem Magnetismus und von schriftstellerischem Formwillen. Wir lassen uns gerne an die unsterbliche Liebe zwischen Mann und Zentaurenmädchen in Arno Schmidts "Gelehrtenrepublik" erinnern.
Was aber in Schmidts Endzeitvision auf Mutationen nach dem Atomkrieg zurückgeht, ist bei Dath die willentliche Befreiung vom Menschseinmüssen: die rationale Verfügung über die körperlichen Produktionsmittel. Biokommunismus als Fluchtpunkt der Weltgeschichte.
Dath, der ja im Feuilleton der FAZ mitunter virtuos den kommunistischen Bürgerschreck zu geben weiß, fliegt hier ideologisch nur deshalb nicht aus der Kurve, weil er ein Naturgesetz guter Geschichten beherzigt: bevor es total verkopft wird, muss erst mal gekämpft und gestorben werden.
Während also Wolf und Luchs transgene Hochzeit feiern, braut sich über dem Amazonas höherdimensionales Unheil zusammen. Ein feministischer Supercomputer, der auf den Kampfnamen Katahomenleandraleal hört, entfacht einen quantenphysikalischen Weltenbrand, in dem das goldene Zeitalter des Löwen untergeht wie nur was. Gerade in den Kampf- und Splatterszenen entfesselt Dath eine humoristische Schlagfertigkeit, die noch komischer sein könnte, wenn in manchen Passagen des Buches nicht der ungute Verdacht aufkäme, der Autor wolle uns am Ende doch zu so etwas einladen wie einer marxistischen Tiersprechstunde.
Aber mit dem Ende der Löwenzeit hebt die Geschichte erst richtig ab. Nur wenigen Genten gelingt die Flucht zum Mond, von wo sie im Lauf der nächsten Jahrhunderte Mars und Venus besiedeln. Die Kinder von Wolf und Luchs, eine rote Echse und ein Mangaheld von der Größe einer Hauskatze, werden von dort wieder auf die Erde gesandt, um die Überbleibsel der Zivilisation der Gente zu sichern. Adam und Eva wieder am Nullpunkt, von Geschichtsphilosophie keine Spur.
Rezensiert von Ralf Müller-Schmid
Dietmar Dath: Die Abschaffung der Arten
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
552 Seiten. EUR 24,80
Seine Untertanen sind weitgehend friedfertig. Hunde und Katzen verständigen sich über dieselbe universelle Geruchssprache, lediglich die überlebenden Exemplare von Homo Sapiens werden als Sexsklaven gehalten und gettoisiert.
Es gehört zur Ironie dieser fröhlich-bösen Utopie, dass Cyrus Golden vor seiner Lionisierung nicht etwa an einem US-Labor forschte, sondern offenbar in den Genuss deutscher Fördermittel kam. Wie sollte es anders sein, bei der faustischen Dimension des Themas?
Im Reich der "Gente", so nennen sich die sprachbegabten Tiere nach der Befreiung von allen genetischen Zwängen, herrscht biopolitische Autonomie; nach der Abschaffung der Arten kann das Individuum seine Inkarnation frei wählen und je nach Zweck und Vorliebe rekombinieren.
Das weiß auch Daths Held, der einzelgängerische Wolf Dmitri Stepanowitsch zu schätzen, der sich zwölffingrige Menschenhände und einige andere taktile Raffinessen zulegt, bevor er mit der verführerischen Luchsdame Lasara ins Bett geht.
Dietmar Dath, anerkanntermaßen der einzige Mathematik-, Heavy-Metal- und Lenin-Fan der deutschen Gegenwartsliteratur, vermag Fantastik und Realismus leichthändig ineinanderzuschieben, wie er schon in seinen vorangehenden Romanen "Dirac" und "Waffenwetter" bewiesen hat.
Dass im neuen Roman sogar der heikle Kunstgriff gelingt, das Liebesspiel von Wolf und Luchs unpeinlich erotisch darzustellen, gibt uns gleichzeitig eine Idee von gattungsübergreifendem Magnetismus und von schriftstellerischem Formwillen. Wir lassen uns gerne an die unsterbliche Liebe zwischen Mann und Zentaurenmädchen in Arno Schmidts "Gelehrtenrepublik" erinnern.
Was aber in Schmidts Endzeitvision auf Mutationen nach dem Atomkrieg zurückgeht, ist bei Dath die willentliche Befreiung vom Menschseinmüssen: die rationale Verfügung über die körperlichen Produktionsmittel. Biokommunismus als Fluchtpunkt der Weltgeschichte.
Dath, der ja im Feuilleton der FAZ mitunter virtuos den kommunistischen Bürgerschreck zu geben weiß, fliegt hier ideologisch nur deshalb nicht aus der Kurve, weil er ein Naturgesetz guter Geschichten beherzigt: bevor es total verkopft wird, muss erst mal gekämpft und gestorben werden.
Während also Wolf und Luchs transgene Hochzeit feiern, braut sich über dem Amazonas höherdimensionales Unheil zusammen. Ein feministischer Supercomputer, der auf den Kampfnamen Katahomenleandraleal hört, entfacht einen quantenphysikalischen Weltenbrand, in dem das goldene Zeitalter des Löwen untergeht wie nur was. Gerade in den Kampf- und Splatterszenen entfesselt Dath eine humoristische Schlagfertigkeit, die noch komischer sein könnte, wenn in manchen Passagen des Buches nicht der ungute Verdacht aufkäme, der Autor wolle uns am Ende doch zu so etwas einladen wie einer marxistischen Tiersprechstunde.
Aber mit dem Ende der Löwenzeit hebt die Geschichte erst richtig ab. Nur wenigen Genten gelingt die Flucht zum Mond, von wo sie im Lauf der nächsten Jahrhunderte Mars und Venus besiedeln. Die Kinder von Wolf und Luchs, eine rote Echse und ein Mangaheld von der Größe einer Hauskatze, werden von dort wieder auf die Erde gesandt, um die Überbleibsel der Zivilisation der Gente zu sichern. Adam und Eva wieder am Nullpunkt, von Geschichtsphilosophie keine Spur.
Rezensiert von Ralf Müller-Schmid
Dietmar Dath: Die Abschaffung der Arten
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008
552 Seiten. EUR 24,80