Wirkungsmächtig
Am 27. November 2015 feiert Helmut Lachenmann seinen 80. Geburtstag – und die Musikwelt feiert einen Komponisten, der wie kaum ein anderer unsere Art des Hörens und des Denkens über Musik verändert hat. Aus diesem Anlass wiederholt Deutschlandradio Kultur vier Folgen der Reihe "Begegnungen mit Helmut Lachenmann", in denen der Komponist über seine künstlerische Entwicklung, seine Ästhetik und seine Erlebnisse mit Musikern und Institutionen spricht.
Helmut Lachenmann, geboren 1935 in Stuttgart, ist einer der wichtigsten und wirkungsmächtigsten Komponisten der Gegenwart, der unsere Hörgewohnheiten und unser Denken über Musik grundlegend verändert hat. Ein Komponist, der seit fast 50 Jahren mit seiner differenzierten Klangwelt und seinem konsequent die Gesellschaft herausfordernden Kunstbegriff Vorbild und Herausforderung für Generationen von Komponisten und Kunstschaffenden ist.
Sein Werk steht im Kontext abendländischer Musiktradition, die aber einer kritischen Reflexion unterworfen wird. Vermeintliche Sicherheiten werden in Frage gestellt, Verkrustungen und alte Gewohnheiten aufgebrochen. Nicht zuletzt ist Helmut Lachenmann auch ein scharfer und hellsichtiger Beobachter der politischen Verhältnisse, ein unerbittlicher Kämpfer die Freiheit der Kunst von inneren und äußeren Zwängen, gegen ihre Vereinnahmung und Funktionalisierung.
Im Jahr 2013 hat sich Rainer Pöllmann über mehrere Tage hinweg mit Helmut Lachenmann unterhalten – über dessen künstlerische Entwicklung und Ästhetik, aber auch über Lachenmanns Erlebnisse mit Musikern und Institutionen. Diese Gespräche flossen in die siebenteilige Sendereihe "Begegnungen mit Helmut Lachenmann" ein, die Deutschlandradio Kultur im Sommer 2014 ausstrahlte. Zum 80. Geburtstag Helmut Lachenmanns am 27. November wiederholen wir vier Folgen dieser Reihe, ergänzt durch ein O-Ton-Feature mit dem Titel "Vom Widerstand und der Magie. 80 Kapitel zu Helmut Lachenmanns 80. Geburtstag".
"Geboren in Stuttgart, Pfarrhaus, viele Geschwister, viele Anregungen, viel Musik. Krieg, Nachkriegszeit, Klavierstunden, Knabenchor, Komponieren, Gymnasium, Bücher, Partituren, Abitur und Beginn des Musikstudiums." So lakonisch fasste Helmut Lachenmann 1975 seine frühen Jahre zusammen. In der ersten Folge der "Begegnungen" schildert er ausführlich seine Kindheit in einem schwäbischen Pfarrhaus während des Nationalsozialismus, erste Erfahrungen der Verführbarkeit durch Musik (im Positiven wie im Negativen), frühen Kompositionsunterricht bei Helmut Degen. Ab 1955 studiert er an der Stuttgarter Musikhochschule, Klavier bei Jürgen Uhde, Theorie und Kontrapunkt bei Johann Nepomuk David. Im gleichen Jahr entsteht das erste seiner heute für gültig erachteten Werke, "Fünf Variationen über ein Thema von Schubert" für Klavier.
Bald allerdings werden die Zentren der zeitgenössischen Avantgarde – die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik und die Donaueschinger Musiktage – für den jungen Komponisten wichtiger als sein konservativer akademischer Lehrer. Protagonisten dieser radikalen Avantgarde sind Karlheinz Stockhausen, Pierre Boulez und Luigi Nono, die Kompositionsmethode der Zeit ist der Serialismus, eine strenge Ordnung der Töne, die nicht nur die Tonhöhen, sondern auch die Dauern, die Lautstärken und andere Faktoren systematisch zu behandeln versucht.
Als junger Student erlebt Lachenmann in Darmstadt und Donaueschingen die Protagonisten der Avantgarde wie Stockhausen, Boulez, Nono und Cage, aber auch Theoretiker wie Theodor W. Adorno und Heinz-Klaus Metzger – und er nimmt Anteil an den teilweise leidenschaftlichen ästhetischen Debatten jener Jahre. Sein Besucher der Darmstädter Ferienkurse 1957 wird zu einem einschneidenden Erlebnis für seine weitere künstlerische Entwicklung.
Die zweite Folge der Begegnungen mit Helmut Lachenmann senden wir am 4. November 2015 um 20:03 Uhr. Im Zentrum steht dann die Entwicklung der "Musique concrète instrumentale".
"Begegnungen mit dem Komponisten Helmut Lachenmann"
Rainer Pöllmann im Gespräch mit Helmut Lachenmann
(Wiederholung vom 16. Juli 2014)
(Teil 2 am 4. November 2015)
Teil 1: Kindheit und Jugend, Studium, erste Werke, Donaueschingen und Darmstadt (1935 bis 1957).
Mit Ausschnitten aus folgenden Werken:
Max Reger
Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart
Radio-Symphonie-Orchester Stuttgart
Leitung: Carl Schuricht
(Aufnahme von 1950)
Alban Berg
Konzert für Violine und Orchester "Dem Andenken eines Engels"
Max Rostal, Violine
BBC Symphony Orchestra
Leitung: Hermann Scherchen
(Aufnahme von 1953)
Christian Wolff
"For Piano II"
John Cage und David Tudor, Klavier
(Donaueschinger Musiktage 1954)
Helmut Lachenmann
Fünf Variationen über ein Thema von Franz Schubert für Klavier
Lars Vogt, Klavier
Karlheinz Stockhausen
"Gruppen" für drei Orchester
Kölner Rundfunk-Sinfonieorchester
Leitung: Karlheinz Stockhausen, Bruno Maderna, Michael Gielen
Luigi Nono
"Il canto sospeso" für Sopran, Alt, Tenor, gemischten Chor und Orchester
Ilse Hollweg (Sopran)
Niederländischer Rundfunkchor
Concertgebouw Orkest Amsterdam
Leitung: Pierre Boulez