Begehbaren Wolken und endlose Räume
Zum ersten Mal leitet eine Frau die Architektur-Biennale. Kazuyo Sejima möchte untersuchen, was gebaute Räume eigentlich noch gesellschaftlich bewirken können. Dabei steht das ästhetische Erlebnis von Räumlichkeit im Vordergrund.
Nachdem sich die Architekturbiennale in den letzten Jahren mahnend vor allem mit den Katastrophenszenarien, mit Klimakollaps und Überbevölkerung, implodierenden Megacitys und Ressourcenknappheit befasst hat, herrscht in diesem Jahr ein deutlich leiserer Ton. Er verkörpert sich der Direktorin, der Japanerin Kazuyo Sejima.
Die Pritzker-Preisträgerin und Mitbegründerin des Architekturbüros SANAA ist die erste Frau, die die sonst von Männern dominierte Architektursektion der Biennale leiten darf, und mit ihr hat eine völlig ungewohnte Bescheidenheit in die Selbstdarstellung dieses Großereignisses Einzug gehalten. Angesprochen auf ihre Ernennung zur Direktorin bekennt Kazuyo Sejima:
"Zuerst hatte ich das Gefühl, das ist eine zu 99 Prozent unmögliche Aufgabe, und ich befürchtete, ich würde scheitern. Andererseits ist es ein Angebot, das man nur einmal im Leben erhält. Also beschloss ich, es zu versuchen, mir nicht zu viele Sorgen zu machen und mich der Herausforderung zu stellen."
Zwar dürfen schon aus Gründen des Sponsorings auch diesmal die ganz großen Namen nicht fehlen – Rem Koolhaas, Frank O. Gehry, Dominique Perrault oder der experimentelle japanische Architekt Toyo Ito wurden von Kazuyo Sejima eingeladen -, aber ein reines Aufgebot der Stars kann und will diese Biennale diesmal nicht sein.
Unter dem Titel: "People meet in architecture" möchte Sejima in erster Linie untersuchen, was gebaute Räume heute eigentlich noch gesellschaftlich bewirken können. Können sie, wie in den Utopien der Moderne formuliert, tatsächlich noch Menschen zusammenbringen, und wenn: wie?
Dazu hat sie eher poetische Vorschläge ausgestellt, weniger die sonst übliche Leistungsschau konkret geplanter Bauten. Architektur aus begehbaren Wolken, filigrane Räume aus dünnen Fäden, Räume aus Wasserstrahlen oder gekrümmte, endlose Räume. Das ästhetische Erlebnis von Räumlichkeit steht klar im Vordergrund. Hierzu bedient sich Sejima auch immer wieder der Kooperation mit Künstlern:
"Nicht nur Architekten, auch Künstler zeigen manche Möglichkeiten des Raumes auf. Zugleich ist mir bewusst, dass heutige Architektur in vielfachen Kooperationen entsteht. Deshalb habe ich nicht nur Architekten, sondern auch Künstler ausgewählt, die spezielle Vorschläge machen. Zum Beispiel am Ende des Arsenale eine Installation von Janet Cardiff, deren Arbeit sehr gut geeignet ist, über Räumlichkeit nachzudenken und wie der Raum die Architektur macht."
Janet Cardiff hat in einer der alten und weiten Hallen des Arsenale einen großen Kreis aus Lautsprechern gebildet, aus dem Stimmen dringen, eine Unterhaltung mehrerer Leute, scheint es, ein lautes Lachen von dort, ein Flüstern von hier. Der Raum scheint gut gefüllt zu sein, auch wenn man allein darin steht. Der Effekt ist, dass der Raum sich je nach akustischem Eindruck weitet oder schrumpft, während der optische Eindruck gleich bleibt. Insgesamt ist diese Biennale höchst abwechslungsreich, auch wenn Kritiker bemängeln, dass die Probleme der Welt diesmal außen vor geblieben seien.
Auch der Deutsche Pavillon am traditionellen Standort in den Giardini wurde dieses Jahr schon im Vorfeld mit Skepsis bedacht, was vermutlich auch am Titel der Präsentation lag: "Sehnsucht" – das schien manchen Kritikern nun doch ein wenig zu sehr einem Zeitgeist anzudienen, der Stadtschlösser wieder aufbauen und das Berliner Hotel Adlon zur Maßgabe für Gegenwartsarchitektur machen möchte.
Doch Cordula Rau, Eberhard Tröger und Ole Fischer vom Büro Walverwandtschaften, die drei Kommissare des Pavillons, haben eigentlich etwas völlig anderes im Sinn. Cordula Rau:
"Jede Kreativität beginnt mit Sehnsucht und endet mit Sehnsucht, egal ob das jetzt Architektur ist oder sonstige kreative Tätigkeiten. Auch bei Künstlern ist es immer diese Sehnsucht, diese Suche nach etwas oder dieser Wunsch nach etwas Bestimmtem vorhanden. Ob das jetzt rückwärtsgewandt ist oder visionär, utopisch nach vorne gewandt ist, diese Richtung wollen wir gar nicht thematisieren. Wir lassen jegliche Art von Sehnsucht zu, also unser Anliegen ist nicht, irgendwie nostalgisch rückwärtsgewandte Sehnsucht oder rückwärtsgewandte Architektur zu fördern, im Gegenteil, für uns ist die Sehnsucht beziehungsweise die Architektur, die vor einem liegt, das Anliegen."
Da Rau, Tröger und Fischer den Hauptraum des Pavillons in ein ziemlich edles Salonambiente mit mit rotem Tuch bespannten Wänden und gemütlichen Sesseln verwandelt haben, damit die Besucher dort über ihre persönliche Sehnsucht nach einer gelungenen Architektur nachdenken, argwöhnen Kritiker, dass die Geschichte des Deutschen Pavillons mit ihren nationalsozialistischen Umbauten der dreißiger Jahre hier weichgespült wird. Cordelia Rau aber erwidert:
"Wir sehen das jetzt als weitere Transformation und wollen nur die Gleichzeitigkeit der Geschichte oder der verschiedenen Schichten darstellen – aber auch wertfrei."
Geradezu omnipräsent auf dieser Biennale ist der niederländische Theoretiker und Architekt Rem Koolhaas. Er wird mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet, aber vor allem stellt er hier zahlreiche Projekte und Theorieräume vor. Gleich zu Beginn beklagt er, dass das Verhältnis von Tradition und Fortschritt in der Architektur völlig aus den Fugen geraten sei und begründet dies – was man gerade in Deutschland vielleicht interessiert aufnehmen wird – mit einer Inflation der Kulturerbestätten:
"Das Great Barrier Reef wird geschützt, es gibt eine Eisenbahn in der Schweiz, die 400 Kilometer lang ist und mitsamt ihrer umgebenden Landschaft geschützt wird. Diese Karte, die wir angefertigt haben, schockierte uns selbst, denn sie zeigt, dass derzeit 12 Prozent der Erde unter dem Regime eines absoluten Schutzes stehen. Das bedeutet, dass die Welt sich einerseits radikal verändert, andererseits radikal stillsteht. Und das beides gleichzeitig."
Das, so Koolhaas, sei nicht in erster Linie ein architektonisches, sondern ein politisches Phänomen, weil immer mehr Staaten die Auszeichnung von Gebieten als Weltkulturerbe zugleich als Aufwertung ihrer Politik anstreben. Mit Symposien, Ausstellungen und Diskussionsrunden möchte er auf dieser Biennale diese politische Dimension der Architektur betonen – fast so etwas wie eine unfreiwillige, produktive Ergänzung zu Kazuyo Sejimas sensitiver Raumästhetik.
Zum Thema:
Englische Homepage der Architektur-Biennale
Die Pritzker-Preisträgerin und Mitbegründerin des Architekturbüros SANAA ist die erste Frau, die die sonst von Männern dominierte Architektursektion der Biennale leiten darf, und mit ihr hat eine völlig ungewohnte Bescheidenheit in die Selbstdarstellung dieses Großereignisses Einzug gehalten. Angesprochen auf ihre Ernennung zur Direktorin bekennt Kazuyo Sejima:
"Zuerst hatte ich das Gefühl, das ist eine zu 99 Prozent unmögliche Aufgabe, und ich befürchtete, ich würde scheitern. Andererseits ist es ein Angebot, das man nur einmal im Leben erhält. Also beschloss ich, es zu versuchen, mir nicht zu viele Sorgen zu machen und mich der Herausforderung zu stellen."
Zwar dürfen schon aus Gründen des Sponsorings auch diesmal die ganz großen Namen nicht fehlen – Rem Koolhaas, Frank O. Gehry, Dominique Perrault oder der experimentelle japanische Architekt Toyo Ito wurden von Kazuyo Sejima eingeladen -, aber ein reines Aufgebot der Stars kann und will diese Biennale diesmal nicht sein.
Unter dem Titel: "People meet in architecture" möchte Sejima in erster Linie untersuchen, was gebaute Räume heute eigentlich noch gesellschaftlich bewirken können. Können sie, wie in den Utopien der Moderne formuliert, tatsächlich noch Menschen zusammenbringen, und wenn: wie?
Dazu hat sie eher poetische Vorschläge ausgestellt, weniger die sonst übliche Leistungsschau konkret geplanter Bauten. Architektur aus begehbaren Wolken, filigrane Räume aus dünnen Fäden, Räume aus Wasserstrahlen oder gekrümmte, endlose Räume. Das ästhetische Erlebnis von Räumlichkeit steht klar im Vordergrund. Hierzu bedient sich Sejima auch immer wieder der Kooperation mit Künstlern:
"Nicht nur Architekten, auch Künstler zeigen manche Möglichkeiten des Raumes auf. Zugleich ist mir bewusst, dass heutige Architektur in vielfachen Kooperationen entsteht. Deshalb habe ich nicht nur Architekten, sondern auch Künstler ausgewählt, die spezielle Vorschläge machen. Zum Beispiel am Ende des Arsenale eine Installation von Janet Cardiff, deren Arbeit sehr gut geeignet ist, über Räumlichkeit nachzudenken und wie der Raum die Architektur macht."
Janet Cardiff hat in einer der alten und weiten Hallen des Arsenale einen großen Kreis aus Lautsprechern gebildet, aus dem Stimmen dringen, eine Unterhaltung mehrerer Leute, scheint es, ein lautes Lachen von dort, ein Flüstern von hier. Der Raum scheint gut gefüllt zu sein, auch wenn man allein darin steht. Der Effekt ist, dass der Raum sich je nach akustischem Eindruck weitet oder schrumpft, während der optische Eindruck gleich bleibt. Insgesamt ist diese Biennale höchst abwechslungsreich, auch wenn Kritiker bemängeln, dass die Probleme der Welt diesmal außen vor geblieben seien.
Auch der Deutsche Pavillon am traditionellen Standort in den Giardini wurde dieses Jahr schon im Vorfeld mit Skepsis bedacht, was vermutlich auch am Titel der Präsentation lag: "Sehnsucht" – das schien manchen Kritikern nun doch ein wenig zu sehr einem Zeitgeist anzudienen, der Stadtschlösser wieder aufbauen und das Berliner Hotel Adlon zur Maßgabe für Gegenwartsarchitektur machen möchte.
Doch Cordula Rau, Eberhard Tröger und Ole Fischer vom Büro Walverwandtschaften, die drei Kommissare des Pavillons, haben eigentlich etwas völlig anderes im Sinn. Cordula Rau:
"Jede Kreativität beginnt mit Sehnsucht und endet mit Sehnsucht, egal ob das jetzt Architektur ist oder sonstige kreative Tätigkeiten. Auch bei Künstlern ist es immer diese Sehnsucht, diese Suche nach etwas oder dieser Wunsch nach etwas Bestimmtem vorhanden. Ob das jetzt rückwärtsgewandt ist oder visionär, utopisch nach vorne gewandt ist, diese Richtung wollen wir gar nicht thematisieren. Wir lassen jegliche Art von Sehnsucht zu, also unser Anliegen ist nicht, irgendwie nostalgisch rückwärtsgewandte Sehnsucht oder rückwärtsgewandte Architektur zu fördern, im Gegenteil, für uns ist die Sehnsucht beziehungsweise die Architektur, die vor einem liegt, das Anliegen."
Da Rau, Tröger und Fischer den Hauptraum des Pavillons in ein ziemlich edles Salonambiente mit mit rotem Tuch bespannten Wänden und gemütlichen Sesseln verwandelt haben, damit die Besucher dort über ihre persönliche Sehnsucht nach einer gelungenen Architektur nachdenken, argwöhnen Kritiker, dass die Geschichte des Deutschen Pavillons mit ihren nationalsozialistischen Umbauten der dreißiger Jahre hier weichgespült wird. Cordelia Rau aber erwidert:
"Wir sehen das jetzt als weitere Transformation und wollen nur die Gleichzeitigkeit der Geschichte oder der verschiedenen Schichten darstellen – aber auch wertfrei."
Geradezu omnipräsent auf dieser Biennale ist der niederländische Theoretiker und Architekt Rem Koolhaas. Er wird mit dem Goldenen Löwen für sein Lebenswerk ausgezeichnet, aber vor allem stellt er hier zahlreiche Projekte und Theorieräume vor. Gleich zu Beginn beklagt er, dass das Verhältnis von Tradition und Fortschritt in der Architektur völlig aus den Fugen geraten sei und begründet dies – was man gerade in Deutschland vielleicht interessiert aufnehmen wird – mit einer Inflation der Kulturerbestätten:
"Das Great Barrier Reef wird geschützt, es gibt eine Eisenbahn in der Schweiz, die 400 Kilometer lang ist und mitsamt ihrer umgebenden Landschaft geschützt wird. Diese Karte, die wir angefertigt haben, schockierte uns selbst, denn sie zeigt, dass derzeit 12 Prozent der Erde unter dem Regime eines absoluten Schutzes stehen. Das bedeutet, dass die Welt sich einerseits radikal verändert, andererseits radikal stillsteht. Und das beides gleichzeitig."
Das, so Koolhaas, sei nicht in erster Linie ein architektonisches, sondern ein politisches Phänomen, weil immer mehr Staaten die Auszeichnung von Gebieten als Weltkulturerbe zugleich als Aufwertung ihrer Politik anstreben. Mit Symposien, Ausstellungen und Diskussionsrunden möchte er auf dieser Biennale diese politische Dimension der Architektur betonen – fast so etwas wie eine unfreiwillige, produktive Ergänzung zu Kazuyo Sejimas sensitiver Raumästhetik.
Zum Thema:
Englische Homepage der Architektur-Biennale