Die Vinyl-Schatzsucher aus London
Die Schallplatte erfährt ein Revival. Kleine Labels konzentrieren sich sogar auf die Produktion von Musik auf Vinyl. Eine der Plattenfirmen, die in den letzten Jahren mit ganz besonderen Vinyl-Veröffentlichungen auf sich aufmerksam gemacht hat, ist das Londoner Label Gearbox Records.
Eine kleine Seitenstrasse in einem schmucklosen Gewerbegebiet nördlich von King's Cross. Wie Spielzeugblöcke reihen sich ein paar moderne Bürogebäude aneinander. Die Firmenschilder verraten: Hier haben sich Medienfirmen niedergelassen. Im ersten Stock der "Nummer 8" sitzt Gearbox Records, in ein paar Räumen auf kaum 50 Quadratmetern.
Das labeleigene Studio ist ein feuchter Traum für Audophile, vollgestopft mit Audio-Equipment der 60er-Jahre. Legendäre Bandmaschinen, Mikrophone und Mischpulte stehen da – alles bestens gepflegt und einsatzfähig.
Zusammengesammelt von Labelchef Darrel Scheinman. Seit Jahren streift er durch Archive auf der Suche nach unveröffentlichten Aufnahmen, die er restauriert und auf Vinyl herausbringt. Der elegant gekleidete Mitt-Fünfziger zieht seine neueste Entdeckung aus einem hohen Regal…
"Hier haben wir ein Band von Yusef Lateef. Eine Kopie, die wir sogar noch verbessern konnten. Die Originalaufnahme entstand im Jazzclub von Ronnie Scott. Genau, hier steht's: Yusef Lateef, 15. Januar 1966."
Darrel Sheinman arbeitete jahrelang erfolgreich in der Seenot-Rettungstechnik. Mit dem Geld baute er Gearbox Records auf. Heute geht er in die British Library oder die BBC auf der Suche nach musikalischen Schätzen. Dort wird er oft in Regalen mit Bandkartons fündig. Live-Sessions, Konzerte, Radiosendungen - gerade in den 60er wurden in Londoner Jazz-Clubs und bei der BBC unzählige Stunden Musik aufgenommen, etwa von britischen Jazzern, die heute etwas in Vergessenheit geraten sind, wie die Saxophonisten Ronnie Scott oder Tubby Hayes.
Knapp 40 Vinyl-Platten hat Gearbox bisher veröffentlicht. Neben alten Jazzaufnahmen sind auch ein paar neue Künstler dabei wie etwa das Londoner Jazz-Duo Binker and Moses oder das amerikanische Folktrio Applewood Road.
Eher eine Klangästhetik als ein Stil
Im Gegensatz zu den anderen Vinyl-Labels, spezialisiert sich Gearbox nicht so sehr auf Genres oder Epochen. Das Label steht eher für eine Klangästhetik, als für einen bestimmten Stil. Schnitt und Mastering auf dem original-Equipment der 60er. Die Musik soll von Aufnahme bis zur Pressung komplett analog durchlaufen. Wie vermarktet man solche Musik? Adam Sieff, der Marketing-Chef von Gearbox sagt, es geht vor allem darum, sein Publikum zu kennen.
"Jede Veröffentlichung von uns ist etwas besonderes. Die Leute bestellen direkt bei uns. Und weil wir ein kleines Label sind, machen wir alles selbst, die Platten verpacken, den Versand erledigen usw. So lernen wir die Kunden besser kennen. Wir beginnen einen Dialog mit ihnen. Und wir lernen, wer diese Musikkäufer sind. Wenn man sich die Major-Labels anschaut und das was sie antreibt – das geht es immer nur um schnellen Umsatz. Wir hingegen bauen alles über die Qualität unserer Arbeit auf. Und das ist eine viel längerfristige Angelegenheit."
Nach welchen Kriterien entscheidet man sich nun bei Gearbox? Wann ist ein altes Tonband würdig, auf Platte gepresst zu werden? Noch einmal Labelchef Darrel Sheinman.
"Wichtig ist für uns erstmal, ob eine Aufnahme Vinyl-tauglich ist. Das soll nicht heißen, dass die Musik unwichtig ist. Aber der klangliche Wert steht erstmal im Vordergrund. Und wenn uns das zu einer seltenen Aufnahme von Nico führt – warum nicht?"
Der Markt ist abgegrast
Die Zahl der Vinyl-Labels ist in den letzten Jahren spürbar gewachsen. Gearbox Records gehört zu jenen, die die Kontrolle über alle Produktinosschritte behalten möchte: Mit eigenem Studio, eigenem Mastering und sogar einer eigenen Platten-Schneidemaschine, von denen es weltweit nicht mehr viele gibt. Ein zentnerschweres Ungetüm. Labelchef Scheinman schmeißt es für uns auch nochmal an.
"So, jetzt hört hier man die Vakuumpumpe, die die Späne beim Schneiden von der Oberfläche saugt."
Der Vinylmarkt hat sich in den letzten zehn Jahren enorm verändert. Einige Dutzend Labels buhlen inzwischen um die Gunst der Sammler und ihrer Portmonees. Man verliert schnell die Übersicht. Doch die Vorräte an musikalischen Schätzen scheinen sich langsam dem Ende zuzuneigen. Verschollene Alben bekannter Künstler oder schöne Singles-Sammlungen kleiner Soullabels aus den 60ern sind mittlerweile rar. Inzwischen ist der Markt abgegrast und die Musikarchäologen mancher Labels tauchen in immer obskurere Tiefen hinab. Das Label Numero zum Beispiel veröffentlichte vor einer Weile Aufnahmen semiprofessioneller Highschool Bands aus den 70ern. Als Vinylfreund muss inzwischen also sehr genau hinschauen, was einem als rare und musikalisch wertvolle Entdeckung verkauft wird.