Begeisterung für das Gehirn
Vilayanur Ramachandran bietet eine persönliche Einführung in die Neurowissenschaften. Er beschreibt eigene Fälle, wie etwa den Mann, der nach einem Schlaganfall seine Ehefrau ablehnt, weil er keine Gefühle mehr mit ihr verbindet.
Statt wie andere Neurowissenschaftler mit immer teureren Geräten in das menschliche Gehirn hineinzuschauen, setzt Vilayanur Ramachandran allein auf die Beobachtung. Aus Gesprächen mit Patienten, die sich aufgrund einer neurologischen Störung ihres Gehirns anders verhalten, zieht er Rückschlüsse auf den Aufbau des menschlichen Gehirns und versucht zu ergründen, was den Menschen so einzigartig macht. Dabei treibt ihn die Frage an: Wie gelang es der Evolution, "dem Gehirn eines Affen solche eine Fülle an gottähnlichen Fähigkeiten zu entlocken"?
Sorgfältig und einfühlsam beschreibt Vilayanur Ramachandran zum Beispiel das Schicksal eines Mannes, der nach einem Schlaganfall seine Frau nicht mehr akzeptiert. Obwohl die Frau, die vor ihm steht, aussieht wie seine Frau, so riecht und auch so spricht, glaubt er nicht, dass sie wirklich seine Frau ist. Er ist überzeugt, eine andere habe ihre Rolle übernommen und ahmt sie täuschend echt nach. Vilayanur Ramachandran hat dafür eine einfache neurobiologische Erklärung: Die Nervenbahnen, die die Hirnregion für das Erkennen von Personen mit den Strukturen für die Gefühlswelt verbinden, wurden bei diesem Mann unterbrochen. Der Patient erkennt seine Frau nach wie vor, aber das Gefühl fehlt. Das emotionale Band, das die beiden über Jahrzehnte verband, ist gerissen; und die Ursache dafür ist eine Verletzung im Gehirn.
Ähnlich erklärt der Autor das rätselhafte Phänomen der Synästhesie. Wenn für einige Menschen Töne eine Farbe haben oder Zahlen wie Musik klingen, dann dürfen Ärzte dies nicht als Hirngespinst abtun. Viel mehr steckt hinter der Verbindung verschiedener Sinneseindrücke eine seltene Verknüpfung von benachbarten Hirnregionen. Allein durch Gespräche und einfache Tests mit diesen Personen können Neurowissenschaftler allerhand über das menschliche Gehirn erfahren.
Manche Passagen des Buches erinnern an die berühmten Fallgeschichten des Neurologen Oliver Sacks aus den achtziger Jahren, als er den Mann beschrieb, der seine Frau mit einem Hut verwechselte. Und dennoch gibt es einen wichtigen Unterschied. Während bei Sacks die Menschen und ihre Lebensumstände im Mittelpunkt stehen, dreht sich bei Vilayanur Ramachandran alles um das menschliche Gehirn. Eindrucksvoll liefert er Beispiele, die die Welt der Zellen und Moleküle verbinden mit der Welt der Gedanken und Gefühle. Dabei liefert er nicht nur Fakten, sondern bietet seinen Leserinnen und Lesern die Möglichkeit, ihn bei seinen Gedankengängen zu begleiten.
Das Buch bietet eine sehr persönlich geschriebene Einführung in einige Debatten der modernen Neurowissenschaften. Mit sprachlicher Eleganz wirbt Ramachandran für seine Sichtweise, und dass ohne zu belehren oder zu bevormunden. Für ihn ist das Gehirn ein "wunderbares" Organ, das das menschliche Verhalten steuert und alle Facetten unserer Persönlichkeit erzeugt. Und diese Begeisterung zu vermitteln, das gelingt ihm.
Besprochen von Michael Lange
V.S. Ramachandran: "Die Frau, die Töne sehen konnte - Über den Zusammenhang von Geist und Gehirn"
Rowohlt, Berlin 2013
528 Seiten, 24,95 Euro
Sorgfältig und einfühlsam beschreibt Vilayanur Ramachandran zum Beispiel das Schicksal eines Mannes, der nach einem Schlaganfall seine Frau nicht mehr akzeptiert. Obwohl die Frau, die vor ihm steht, aussieht wie seine Frau, so riecht und auch so spricht, glaubt er nicht, dass sie wirklich seine Frau ist. Er ist überzeugt, eine andere habe ihre Rolle übernommen und ahmt sie täuschend echt nach. Vilayanur Ramachandran hat dafür eine einfache neurobiologische Erklärung: Die Nervenbahnen, die die Hirnregion für das Erkennen von Personen mit den Strukturen für die Gefühlswelt verbinden, wurden bei diesem Mann unterbrochen. Der Patient erkennt seine Frau nach wie vor, aber das Gefühl fehlt. Das emotionale Band, das die beiden über Jahrzehnte verband, ist gerissen; und die Ursache dafür ist eine Verletzung im Gehirn.
Ähnlich erklärt der Autor das rätselhafte Phänomen der Synästhesie. Wenn für einige Menschen Töne eine Farbe haben oder Zahlen wie Musik klingen, dann dürfen Ärzte dies nicht als Hirngespinst abtun. Viel mehr steckt hinter der Verbindung verschiedener Sinneseindrücke eine seltene Verknüpfung von benachbarten Hirnregionen. Allein durch Gespräche und einfache Tests mit diesen Personen können Neurowissenschaftler allerhand über das menschliche Gehirn erfahren.
Manche Passagen des Buches erinnern an die berühmten Fallgeschichten des Neurologen Oliver Sacks aus den achtziger Jahren, als er den Mann beschrieb, der seine Frau mit einem Hut verwechselte. Und dennoch gibt es einen wichtigen Unterschied. Während bei Sacks die Menschen und ihre Lebensumstände im Mittelpunkt stehen, dreht sich bei Vilayanur Ramachandran alles um das menschliche Gehirn. Eindrucksvoll liefert er Beispiele, die die Welt der Zellen und Moleküle verbinden mit der Welt der Gedanken und Gefühle. Dabei liefert er nicht nur Fakten, sondern bietet seinen Leserinnen und Lesern die Möglichkeit, ihn bei seinen Gedankengängen zu begleiten.
Das Buch bietet eine sehr persönlich geschriebene Einführung in einige Debatten der modernen Neurowissenschaften. Mit sprachlicher Eleganz wirbt Ramachandran für seine Sichtweise, und dass ohne zu belehren oder zu bevormunden. Für ihn ist das Gehirn ein "wunderbares" Organ, das das menschliche Verhalten steuert und alle Facetten unserer Persönlichkeit erzeugt. Und diese Begeisterung zu vermitteln, das gelingt ihm.
Besprochen von Michael Lange
V.S. Ramachandran: "Die Frau, die Töne sehen konnte - Über den Zusammenhang von Geist und Gehirn"
Rowohlt, Berlin 2013
528 Seiten, 24,95 Euro