"Begierde im Blick" - Surrealistische Fotografie
Surreale Malerei kennt jeder. Große Ausstellungen mit entsprechenden Bildern gab es in den letzten Jahren in Paris und Düsseldorf. Fotografie kam dabei nur als Randerscheinung vor. Jetzt widmet sich erstmals in Deutschland eine mit über 300 Arbeiten sehr umfangreiche Ausstellung der surrealen Fotografie: "Begierde im Blick" heißt die Reise in surreale Welten im Hubertus-Wald-Forum der Hamburger Kunsthalle.
Der große zentrale Raum des Hubertus-Wald-Forums wurde mithilfe grauer Trennwände mehrfach unterteilt: Kabinette tun sich auf, wo man sie nicht vermutet, eine Wand steht dort, wo man dachte, weiter zu kommen. Die Ausstellungsarchitektur wird zu einem Labyrinth, das den Besucher immer weiter in die surrealen Foto-Welten hineinzieht. Die hat Annabelle Görgen, Mitarbeiterin der Hamburger Kunsthalle, in jahrelanger Forschungsarbeit zusammengetragen: Über 300 Fotografien sind zu sehen, darunter Leihgaben aus New York und Paris, zahlreiche der berühmten surrealistischen Zeitschriften, in denen die Bilder in den 20er und 30er Jahren erschienen, sowie eine Dokumentation der letzten surrealistischen Ausstellung von 1938. All dies ermöglicht einen umfassenden und beeindruckenden Blick auf die bisher kaum beachtete surrealistische Fotografie, die Künstler nach dem Schock des 1. Weltkriegs entwickelten.
Annabelle Görgen:
"Sie reagieren auf all das, was bürgerlich ist und auf all das, was sie für oberflächlich und für falsch halten. Und sie versuchen aufzudecken, dass hinter der bürgerlichen Fassade durchaus der Horror lauern kann. Und genau das machen sie mit ihren Fotos. "
Brassai, Man Ray, Hans Bellmer, aber auch hierzulande unbekanntere Künstler wie Claude Cahun, Eli Lotar oder Raoul Ubac - sie alle spielen in ihren Fotografien mit dem Grat zwischen Fiktion und Realität. Mit Begierde im Blick zersprengen sie die herkömmliche Perspektive auf die Welt. Dafür nutzen sie eigenwillige Blickwinkel und Ausschnitte ebenso wie Fotomontage oder Doppelbelichtung. -
Die Welt, das ist vor allem Paris: Eli Lotar etwa fotografiert düstere Szenen von Pariser Schlachthöfen, Brassai hält Graffitis fest, die urzeitlichen Höhlenzeichnungen ähneln. Viele zeigen Paris bei Nacht, mit schwarzen Straßenzügen, zerrissen vom Licht einer Laterne.
"Paris bei Nacht: Der Kampf zwischen der Kultur - und die Dunkelheit, die einbricht. Dann, wie die Dunkelheit wieder von dem elektrischen Licht - also der menschlichen Kraft sozusagen gebrochen wird - das ist ja immer wieder auch der Kampf: Kultur - Natur, das Wuchernde, das Unbewusste, das Triebhafte gegen das Gesetzte, das Kontrollierte und das Normale."
Die Ausstellung dokumentiert auch, wie die Künstler ihre Fotos einsetzten: Die Vintage-Abzüge, die wir heute als Kunst betrachten, sind das eine - das andere die eigenen Zeitschriften, in denen die Fotos damals erschienen. Versehen mit einer provozierenden Unterschrift erhielten dort viele der ohnehin verstörenden Bilder eine zusätzliche Sprengkraft, wurden zu bissigen Kommentaren ihrer Zeit. Wie etwa das Bild einer Hummerschere.
"Die Fotografie eignete sich eben unheimlich gut als Medium, um den neuen Blick auf diese Objekte festzuhalten. Also: da sehen wir eine ganz normale Hummerschere, durch die Art wie sie aufgenommen wird, wird es zu einem Monster, und es kriegt etwas Gesichthaftes, und es kriegt dann auch noch den Untertitel "de Gaulle” - und dann verstehen Sie schon, dass es auch als Karikatur natürlich gemeint ist."
Auch der menschliche Körper wird verfremdet, um der Wirklichkeit ein Stück näher zu kommen. Die hierzulande unbekannte Fotografin Claude Cahin inszeniert sich in Geschlechterrollen und sucht so nach einer eigenen Identität. Hans Bellmer zeigt ein verstörend-brutales Spiel mit einer Puppe, das einem jeden Glauben an so etwas wie "Liebe” austreiben kann. Man Ray macht die Frau zum Objekt und präsentiert ihren Körper als Violine, die es nur noch richtig zu spielen gilt. Mit diesen inszenierten Wirklichkeiten gingen die surrealistischen Fotografen immer wieder an gegen die von der bürgerlichen Gesellschaft kreierten Bilder einer harmonischen Welt. Bilder, von denen sie wussten, so Annabelle Görgen:
"Die lügen! Das Bild ist nicht immer die Wirklichkeit, es kommt darauf an, wie ich es sehe, wie ich es aufnehme. Und das ist auch ein großes Ziel dieser Ausstellung, zu zeigen: das gab es schon in den 20er, 30er Jahren, dass man dort neue Realitäten inszeniert, versucht, dadurch der Wirklichkeit, in der wir leben, auch näher zu kommen."
So führt die Ausstellung nicht nur sämtliche künstlerischen Facetten und Spielarten surrealistischer Fotografie vor - indem sie die Zeitschriften - also den Kontext, in dem die Bilder entstanden - mit einbezieht, betont sie ihr subversives politisches Potential -
und verweißt damit auch auf die Möglichkeiten einer engagierten aktuellen Fotografie, die im bunten Einerlei von heute so dringend notwendig wäre.
Begierde im Blick
Surrealistische Photographie
Hubertus-Wald-Forum der Hamburger Kunsthalle
11. März 2005 bis 29. Mai 2005
Annabelle Görgen:
"Sie reagieren auf all das, was bürgerlich ist und auf all das, was sie für oberflächlich und für falsch halten. Und sie versuchen aufzudecken, dass hinter der bürgerlichen Fassade durchaus der Horror lauern kann. Und genau das machen sie mit ihren Fotos. "
Brassai, Man Ray, Hans Bellmer, aber auch hierzulande unbekanntere Künstler wie Claude Cahun, Eli Lotar oder Raoul Ubac - sie alle spielen in ihren Fotografien mit dem Grat zwischen Fiktion und Realität. Mit Begierde im Blick zersprengen sie die herkömmliche Perspektive auf die Welt. Dafür nutzen sie eigenwillige Blickwinkel und Ausschnitte ebenso wie Fotomontage oder Doppelbelichtung. -
Die Welt, das ist vor allem Paris: Eli Lotar etwa fotografiert düstere Szenen von Pariser Schlachthöfen, Brassai hält Graffitis fest, die urzeitlichen Höhlenzeichnungen ähneln. Viele zeigen Paris bei Nacht, mit schwarzen Straßenzügen, zerrissen vom Licht einer Laterne.
"Paris bei Nacht: Der Kampf zwischen der Kultur - und die Dunkelheit, die einbricht. Dann, wie die Dunkelheit wieder von dem elektrischen Licht - also der menschlichen Kraft sozusagen gebrochen wird - das ist ja immer wieder auch der Kampf: Kultur - Natur, das Wuchernde, das Unbewusste, das Triebhafte gegen das Gesetzte, das Kontrollierte und das Normale."
Die Ausstellung dokumentiert auch, wie die Künstler ihre Fotos einsetzten: Die Vintage-Abzüge, die wir heute als Kunst betrachten, sind das eine - das andere die eigenen Zeitschriften, in denen die Fotos damals erschienen. Versehen mit einer provozierenden Unterschrift erhielten dort viele der ohnehin verstörenden Bilder eine zusätzliche Sprengkraft, wurden zu bissigen Kommentaren ihrer Zeit. Wie etwa das Bild einer Hummerschere.
"Die Fotografie eignete sich eben unheimlich gut als Medium, um den neuen Blick auf diese Objekte festzuhalten. Also: da sehen wir eine ganz normale Hummerschere, durch die Art wie sie aufgenommen wird, wird es zu einem Monster, und es kriegt etwas Gesichthaftes, und es kriegt dann auch noch den Untertitel "de Gaulle” - und dann verstehen Sie schon, dass es auch als Karikatur natürlich gemeint ist."
Auch der menschliche Körper wird verfremdet, um der Wirklichkeit ein Stück näher zu kommen. Die hierzulande unbekannte Fotografin Claude Cahin inszeniert sich in Geschlechterrollen und sucht so nach einer eigenen Identität. Hans Bellmer zeigt ein verstörend-brutales Spiel mit einer Puppe, das einem jeden Glauben an so etwas wie "Liebe” austreiben kann. Man Ray macht die Frau zum Objekt und präsentiert ihren Körper als Violine, die es nur noch richtig zu spielen gilt. Mit diesen inszenierten Wirklichkeiten gingen die surrealistischen Fotografen immer wieder an gegen die von der bürgerlichen Gesellschaft kreierten Bilder einer harmonischen Welt. Bilder, von denen sie wussten, so Annabelle Görgen:
"Die lügen! Das Bild ist nicht immer die Wirklichkeit, es kommt darauf an, wie ich es sehe, wie ich es aufnehme. Und das ist auch ein großes Ziel dieser Ausstellung, zu zeigen: das gab es schon in den 20er, 30er Jahren, dass man dort neue Realitäten inszeniert, versucht, dadurch der Wirklichkeit, in der wir leben, auch näher zu kommen."
So führt die Ausstellung nicht nur sämtliche künstlerischen Facetten und Spielarten surrealistischer Fotografie vor - indem sie die Zeitschriften - also den Kontext, in dem die Bilder entstanden - mit einbezieht, betont sie ihr subversives politisches Potential -
und verweißt damit auch auf die Möglichkeiten einer engagierten aktuellen Fotografie, die im bunten Einerlei von heute so dringend notwendig wäre.
Begierde im Blick
Surrealistische Photographie
Hubertus-Wald-Forum der Hamburger Kunsthalle
11. März 2005 bis 29. Mai 2005