Beglückende Erfahrungen in der Wüste
Der amerikanische Schriftsteller John Dos Passos wollte 1927 eine aufregende Reise machen und begab sich auf den Weg in den Orien. Nach der Rückkehr schrieb er den Bericht - ohne Vorurteile und mit wohlüberlegten Einschätzungen. Der 1927 veröffentlichte Band "Orient-Express" ist nun erstmals auf Deutsch zu haben.
Dem legendären, zwischen Paris und Konstantinopel verkehrenden "Orient-Express" hat einst Agatha Christie mit ihrem Krimi "Mord im Orient-Express" Berühmtheit verliehen. Mit eben jenem Luxuszug reiste auch der amerikanische Schriftsteller John Dos Passos 1921 bis Konstantinopel und begann dort dann seine Reise durch das Morgenland. "Orient-Express" heißt das nun erstmals auf Deutsch erschienene Buch, das diese Reise durch die Türkei, Georgien, Armenien, Persien, den Irak und Syrien dokumentiert. Verfasst von jenem Autor, der späterhin mit seinen Romanen "Manhattan Transfer" und der Trilogie "U.S.A." Weltruhm erlangen sollte.
In Teheran stellt sich dem 25-jährigen Reisenden irgendwann die Sinnfrage: "Was will ich überhaupt im Orient? Was gehen mich diese welken Fragmente alter Ordnungen an, diese toten Religionen, diese Ruinen, gespickt mit den Larven der Geschichte?" Doch wenige Wochen später entschädigt den "a. O.", wie sich der amerikanische Orientreisende John Dos Passos gern abkürzt, in Babylon "eine Flasche Münchner Exportbier, kühl und beschlagen", für all die Strapazen, die er bis dahin hat durchmachen müssen.
Wie der bayerische Trunk in den Irak hat finden können? Dafür ist die koloniale Großmannssucht des deutschen Kaisers und dessen Traum von der "Bagdadbahn" verantwortlich. Mit dem Zug, zu Pferd, zu Fuß, mit dem Auto, dem Schiff sowie auf dem Kamel und einer wackeligen Wagonette, permanent Wind und Hitze ausgesetzt, reiste Dos Passos 1921 durch den Orient. Und wurde so zum Chronisten von Massakern (durch die Truppen Mustafa Kemals, des späteren Begründers der modernen Türkei), zum Dokumentaristen großen Flüchtlingselends (verschiedener, in den Kriegswirren hierhin und dorthin bugsierter Völker) und zum nüchternen Beobachter des Alltagslebens etwa in Eriwan oder Damaskus.
Seine Einschätzungen erweisen sich dabei als heute noch hochinteressant, weil sie nie ressentimentgeladen und immer reflektiert sind. John Dos Passos weiß, dass "wir Okzidentalen" im Orient meist nur eine riesige Projektionsfläche erkennen. Ihn überkommt bisweilen "eine Abscheu vor den ganzen romantischen Orientklischees, von denen es ja selbst im Orient wimmelt". Neugierig blickt er sich um, lässt sich nicht blenden von der Farbenpracht aus "papageiengrüner Seide", "rosa Staub" und unermesslich weiten "schlachtschiffgrauen" Ebenen, die willkürlich von fremden Besatzungsmächten gezogene Grenzlinien durchschneiden: "Das Landkartenspiel im Orient" - nicht die einzige Kritik des Amerikaners am "tödlichen Ansturm des Westens".
So war der vom späteren Gesellschaftskritiker keinesfalls verklärte Orient (dem hier vorherrschenden Islam stand Dos Passos denkbar fern) bereits seinerzeit angekränkelt von der "Tyrannei der Dinge", "dem ganzen Schund, den unsere Kultur für das Höchste hält, für den wir uns krummlegen und zu Tode rackern": "Henry Fords Evangelium von Arbeitsteilung und Standardisierung wird Herzen gewinnen, die Thales und Demokrit, Galileo und Faraday standhielten."
Bei all dem erinnert sich John Dos Passos stets daran, wie schwierig es ist, "den Schlüssel zu finden, diese komplizierte Arabeske lesen zu können, die gedankenlos auf einem Grund von schierem Schmerz hingeschrieben wurde". Und er macht die beglückende Erfahrung, "die Wüste, dieses kalte purpurrote feuersteinerne Plätteisen, hat alles Gallige aus meinem Bauch, alles Runzlige aus meinen Gedanken weggebügelt." Verzichtbar erscheint in diesem überaus aufschlussreichen Buch lediglich der abschließende kurze Passus über eine Marokko-Reise im Jahr 1926, der wie angeklatscht wirkt.
Besprochen von Knut Cordsen
In Teheran stellt sich dem 25-jährigen Reisenden irgendwann die Sinnfrage: "Was will ich überhaupt im Orient? Was gehen mich diese welken Fragmente alter Ordnungen an, diese toten Religionen, diese Ruinen, gespickt mit den Larven der Geschichte?" Doch wenige Wochen später entschädigt den "a. O.", wie sich der amerikanische Orientreisende John Dos Passos gern abkürzt, in Babylon "eine Flasche Münchner Exportbier, kühl und beschlagen", für all die Strapazen, die er bis dahin hat durchmachen müssen.
Wie der bayerische Trunk in den Irak hat finden können? Dafür ist die koloniale Großmannssucht des deutschen Kaisers und dessen Traum von der "Bagdadbahn" verantwortlich. Mit dem Zug, zu Pferd, zu Fuß, mit dem Auto, dem Schiff sowie auf dem Kamel und einer wackeligen Wagonette, permanent Wind und Hitze ausgesetzt, reiste Dos Passos 1921 durch den Orient. Und wurde so zum Chronisten von Massakern (durch die Truppen Mustafa Kemals, des späteren Begründers der modernen Türkei), zum Dokumentaristen großen Flüchtlingselends (verschiedener, in den Kriegswirren hierhin und dorthin bugsierter Völker) und zum nüchternen Beobachter des Alltagslebens etwa in Eriwan oder Damaskus.
Seine Einschätzungen erweisen sich dabei als heute noch hochinteressant, weil sie nie ressentimentgeladen und immer reflektiert sind. John Dos Passos weiß, dass "wir Okzidentalen" im Orient meist nur eine riesige Projektionsfläche erkennen. Ihn überkommt bisweilen "eine Abscheu vor den ganzen romantischen Orientklischees, von denen es ja selbst im Orient wimmelt". Neugierig blickt er sich um, lässt sich nicht blenden von der Farbenpracht aus "papageiengrüner Seide", "rosa Staub" und unermesslich weiten "schlachtschiffgrauen" Ebenen, die willkürlich von fremden Besatzungsmächten gezogene Grenzlinien durchschneiden: "Das Landkartenspiel im Orient" - nicht die einzige Kritik des Amerikaners am "tödlichen Ansturm des Westens".
So war der vom späteren Gesellschaftskritiker keinesfalls verklärte Orient (dem hier vorherrschenden Islam stand Dos Passos denkbar fern) bereits seinerzeit angekränkelt von der "Tyrannei der Dinge", "dem ganzen Schund, den unsere Kultur für das Höchste hält, für den wir uns krummlegen und zu Tode rackern": "Henry Fords Evangelium von Arbeitsteilung und Standardisierung wird Herzen gewinnen, die Thales und Demokrit, Galileo und Faraday standhielten."
Bei all dem erinnert sich John Dos Passos stets daran, wie schwierig es ist, "den Schlüssel zu finden, diese komplizierte Arabeske lesen zu können, die gedankenlos auf einem Grund von schierem Schmerz hingeschrieben wurde". Und er macht die beglückende Erfahrung, "die Wüste, dieses kalte purpurrote feuersteinerne Plätteisen, hat alles Gallige aus meinem Bauch, alles Runzlige aus meinen Gedanken weggebügelt." Verzichtbar erscheint in diesem überaus aufschlussreichen Buch lediglich der abschließende kurze Passus über eine Marokko-Reise im Jahr 1926, der wie angeklatscht wirkt.
Besprochen von Knut Cordsen
John Dos Passos: Orient-Express
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Nachwort von Stefan Weidner
Nagel & Kimche, München 2013
206 Seiten, 18,90 Euro
Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Nachwort von Stefan Weidner
Nagel & Kimche, München 2013
206 Seiten, 18,90 Euro