Elisa Hoven ist Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig. Ihre Forschungsschwerpunkte sind das deutsche und internationale Strafrecht, das Wirtschaftsstrafrecht, das Medienstrafrecht und das Sexualstrafrecht. Seit 2020 ist sie Richterin am Sächsischen Verfassungsgericht.
Antiquiertes Majestätsrecht, das abgeschafft gehört
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Gott sei Dank ist so etwas bei uns nicht möglich. So dachten viele über die Begnadigungen, die Donald Trump in seinen letzten Amtstagen Verurteilten gewährte. Weit gefehlt. So anders ist die Rechtslage in Deutschland nicht. Leider, meint Juristin Elisa Hoven.
Man kann Donald Trump nicht vorwerfen, in seinen letzten Tage im Amt gar nichts getan zu haben. Immerhin gewährte er 143 Personen Begnadigungen und Strafmilderungen. Darunter viele alte Freunde und Gönner. Die New York Times berichtet von einem regelrechten "Begnadigungsmarkt", auf dem hohe Summen geflossen sein sollen.
Aber nicht nur Trump nutzte das Ende seiner Amtszeit auf diese Weise: Auch Bill Clinton begnadigte ganz kurz vor Toresschluss 170 Personen, unter anderen einen Steuerbetrüger, der üppig an die Demokraten und an eine Stiftung der Clintons gespendet hatte. Das mag zwar rechtens sein, aber die politische Bewertung fällt leicht: Solche Begnadigungen sind nichts anderes als Machtmissbrauch.
Gottseidank ist das bei uns nicht möglich, könnte man denken, läge damit aber falsch. Bei uns kommt sogar noch dazu, dass wir es so ganz genau gar nicht wissen. Und dass das so gewollt ist.
Nicht nur der Bundespräsident darf begnadigen
Nach Art. 60 Abs. 2 unseres Grundgesetzes steht dem Bundespräsidenten das Begnadigungsrecht zu. Dies gilt allerdings nur für bestimmte Fälle, insbesondere für Spionage und terroristische Straftaten. Für alle anderen Strafgefangenen üben die Länder und dort meist die Justizminister das Begnadigungsrecht aus.
Doch bleiben wir beim Bundespräsidenten. Er ist befugt, eine von einem Gericht verhängte Strafe zu mildern oder zu erlassen. Rechtliche Maßstäbe – oder auch Grenzen – für die Begnadigung gibt es nicht. Der Bundespräsident trifft seine Entscheidung nach freiem politischem Ermessen. Er muss sie nicht begründen und sie ist auch gerichtlich nicht nachprüfbar. Das hat das Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 1969 mit vier zu vier Stimmen entscheiden. Nicht erlaubt ist dem Präsidenten allerdings – und hier unterscheiden wir uns glücklicherweise von den USA –, in laufende Verfahren einzugreifen. Er kann den Schuldspruch durch ein Gericht also nicht verhindern, wohl aber dessen Folgen abwenden.
Begnadigungsentscheidungen sind geheim
In der Praxis spielt die Begnadigung von Strafgefangenen durchaus eine Rolle. Viel wissen wir über die Begnadigungsentscheidungen der Bundespräsidenten allerdings nicht. Seine Entscheidungen sind geheim, Akteneinsicht wird nicht gewährt, Begründungen nicht veröffentlicht. Nur bei einigen besonders prominenten Gefangenen werden Begnadigungen publik. Bekannt ist etwa, dass einigen ehemaligen RAF-Terroristen wie Bernd Rössner oder Verena Becker der Rest ihrer Strafen erlassen wurden. Warum dies geschah – und weshalb im Fall von Christian Klar anders entschieden wurde – wissen wir nicht.
Mit der Begnadigung setzt sich der Bundespräsident über ein Urteil hinweg, das ein Gericht in einem rechtsstaatlichen Verfahren gefällt hat. Richterinnen und Richter befinden ja nicht nur über Schuld oder Unschuld eines Täters, sie treffen unter Einbeziehung aller strafschärfenden und -mildernden Faktoren auch eine Entscheidung über die angemessene Höhe der Strafe.
Richter können Urteil mildern
Ein soziales Bedürfnis nach Gnadenentscheidungen besteht kaum. Die Gerichte haben heute viele Möglichkeiten, auf besondere Situationen zu reagieren. Richter können von Strafe absehen, wenn den Täter die Folgen der Tat selbst schwer getroffen haben, sie können Bewährungsstrafen verhängen oder – auch bei schwereren Delikten – nach zwei Dritteln der verbüßten Freiheitsstrafe den Rest zur Bewährung aussetzen.
Möchte man darüber hinaus die Möglichkeit einer Begnadigung erhalten, etwa für Fälle schwerer Erkrankungen des Gefangenen oder enger Familienangehöriger, dann sollte darüber nicht der Bundespräsident, sondern eine Expertenkommission entscheiden – und zwar transparent und nach klaren rechtlichen Vorgaben.
Antiquiertes Majestätsrecht
Dass der Bundespräsident eine Strafe erlassen kann, ohne dafür Gründe angeben zu müssen und ohne dass sein Handeln gerichtlich kontrolliert werden kann, läuft dem in einer Demokratie wesentlichen Ziel der Begrenzung personaler Macht zuwider.
Auch wenn eine derart schamlose Verflechtung wirtschaftlicher und politischer Interessen, wie sie in den USA zu beobachten ist, in Deutschland bislang nicht zu befürchten ist: Das Begnadigungsrecht ist ein Relikt der Monarchie, ein antiquiertes Majestätsrecht, das in einen demokratischen Rechtsstaat nicht passt. Es gehört abgeschafft.