Begriffe in Bewegung
Lachen, übersetzen, verlernen, dramatisieren - durch die Untersuchung dieser zentralen Begriffe nähert sich Marie Luise Knott den Denkbewegungen von Hanna Arendt und dringt so schließlich in das Zentrum ihres philosophischen Denkens vor.
In erster Ehe war sie mit Günter Anders verheiratet, in zweiter mit Heinrich Blücher; Martin Heidegger gestand ihr seine Liebe mit einem Kniefall und mit Walter Benjamin, der niemandem anders als ihr seine letzte Schrift, die "Thesen über den Begriff der Geschichte", vor seiner Flucht in die USA anvertraute, hat sie Schach gespielt. Die Rede ist von Hannah Arendt. Ingeborg Bachmann schrieb an Arendt, sie habe immer gewusst, dass es "jemanden geben müsse, der ist, wie Sie sind, aber nun gibt es Sie wirklich". Nicht weniger beeindruckt war Uwe Johnson von der 1906 geborenen, kettenrauchenden Philosophin, der er einen Platz in seinem Roman "Jahrestage" einräumte.
Hannah Arendts Name ist untrennbar mit dem Wort von der "Banalität des Bösen" verbunden. 1961 nahm sie als Beobachterin am Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem teil. Im Angeklagten Eichmann, dem Organisator der Deportationen der Juden in die Vernichtungslager, erkennt sie einen "Hanswurst". So ungeheuerlich auch seine Taten waren, als Täter erscheint er Arendt nur "gewöhnlich" und eher "durchschnittlich". Eichmann hatte, so Arendt, eine "Lust am Funktionieren". Die Teilnahme am Prozess war für die kurz nach der Machtergreifung der Nazis aus Deutschland geflüchtete Jüdin eine "Verpflichtung". Dass Hannah Arendt aber, wie aus dem elegant geschriebenen und ungemein anregenden Buch "Verlernen. Denkwege bei Hannah Arendt" von Marie Luise Knott zu erfahren ist, bei der Lektüre von Eichmanns Verhörprotokollen oft laut gelacht hat, nahmen ihr "die Leute übel".
Marie Luise Knott nähert sich den Denkbewegungen von Hannah Arendt, indem sie vier für Arendt zentrale Begriffe näher untersucht. Neben dem "Lachen" geht sie auf das "Übersetzen", das "Verlernen" und das "Dramatisieren" ein. Dadurch gelingt es ihr, ins Zentrum von Arendts philosophischem Denken vorzudringen. Über das Lachen bahnt sich Arendt, was Knott überzeugend deutlich macht, einen Erkenntnisweg, der zum Begriff der "Banalität des Bösen" führt. Denn die Gründe, die Eichmann während des Prozesses zu seiner Verteidigung vorbrachte, waren in ihrem Kern banal.
Ausgelöst auch durch die Begegnung mit dem radikal Bösen in der Person des Schreibtischtäters, hinterfragt Arendt den Begriff des "Verzeihens", der für sie 1950 noch unakzeptabel war. Denn, so argumentierte sie zunächst, Verzeihen könne zwischen Menschen nur heißen, jemandem, der eine "Untat" begangen hat, die Last abzunehmen und sie sich selbst aufzuladen. Deshalb sei der Terminus für die politische Begrifflichkeit untauglich. Vor dem Hintergrund der McCarthy-Verfolgung in den USA, wo Arendt lebte, ändert sie jedoch ihre Haltung. Verzeihen, so heißt es später, sei notwendig. Denn jemand, der um Verzeihung bittet und so zu verstehen gibt, dass er einen Neuanfang will, dem sollte eine Chance für diesen neuen Anfang gewährt werden. In diesem Sinn, so deutet es Knott, hat Arendt ihre frühere Position "verlernt", ohne dabei das Übel zu vergessen. Dem "Übel" könne aber durch das "Verzeihen" seine zukünftige Wirkkraft genommen werden. Verlernen bedeutet für Arendt, verschiedene Denkwege zu gehen, da es so möglich ist, zu neuen Positionen zu gelangen und sich so die Freiheit im Denken zu erhalten.
Marie Luise Knott hat ein profundes und ein äußerst kluges Buch geschrieben. Den Leser lädt sie dazu ein, lesend einem Schauspiel in Bewegung befindlicher Begriffe zu folgen. In Knotts beeindruckender Inszenierung nimmt Arendts Denken erstaunliche Konturen an. Ein Buch, das einem Hannah Arendt auf überzeugende, sehr anschauliche Weise nähert.
Besprochen von Michael Opitz
Marie Luise Knott: Verlernen. Denkwege bei Hannah Arendt
Mit Zeichnungen von Nanne Meyer
Matthes & Seitz, Berlin 2011
151 Seiten, 19,90 Euro
Hannah Arendts Name ist untrennbar mit dem Wort von der "Banalität des Bösen" verbunden. 1961 nahm sie als Beobachterin am Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem teil. Im Angeklagten Eichmann, dem Organisator der Deportationen der Juden in die Vernichtungslager, erkennt sie einen "Hanswurst". So ungeheuerlich auch seine Taten waren, als Täter erscheint er Arendt nur "gewöhnlich" und eher "durchschnittlich". Eichmann hatte, so Arendt, eine "Lust am Funktionieren". Die Teilnahme am Prozess war für die kurz nach der Machtergreifung der Nazis aus Deutschland geflüchtete Jüdin eine "Verpflichtung". Dass Hannah Arendt aber, wie aus dem elegant geschriebenen und ungemein anregenden Buch "Verlernen. Denkwege bei Hannah Arendt" von Marie Luise Knott zu erfahren ist, bei der Lektüre von Eichmanns Verhörprotokollen oft laut gelacht hat, nahmen ihr "die Leute übel".
Marie Luise Knott nähert sich den Denkbewegungen von Hannah Arendt, indem sie vier für Arendt zentrale Begriffe näher untersucht. Neben dem "Lachen" geht sie auf das "Übersetzen", das "Verlernen" und das "Dramatisieren" ein. Dadurch gelingt es ihr, ins Zentrum von Arendts philosophischem Denken vorzudringen. Über das Lachen bahnt sich Arendt, was Knott überzeugend deutlich macht, einen Erkenntnisweg, der zum Begriff der "Banalität des Bösen" führt. Denn die Gründe, die Eichmann während des Prozesses zu seiner Verteidigung vorbrachte, waren in ihrem Kern banal.
Ausgelöst auch durch die Begegnung mit dem radikal Bösen in der Person des Schreibtischtäters, hinterfragt Arendt den Begriff des "Verzeihens", der für sie 1950 noch unakzeptabel war. Denn, so argumentierte sie zunächst, Verzeihen könne zwischen Menschen nur heißen, jemandem, der eine "Untat" begangen hat, die Last abzunehmen und sie sich selbst aufzuladen. Deshalb sei der Terminus für die politische Begrifflichkeit untauglich. Vor dem Hintergrund der McCarthy-Verfolgung in den USA, wo Arendt lebte, ändert sie jedoch ihre Haltung. Verzeihen, so heißt es später, sei notwendig. Denn jemand, der um Verzeihung bittet und so zu verstehen gibt, dass er einen Neuanfang will, dem sollte eine Chance für diesen neuen Anfang gewährt werden. In diesem Sinn, so deutet es Knott, hat Arendt ihre frühere Position "verlernt", ohne dabei das Übel zu vergessen. Dem "Übel" könne aber durch das "Verzeihen" seine zukünftige Wirkkraft genommen werden. Verlernen bedeutet für Arendt, verschiedene Denkwege zu gehen, da es so möglich ist, zu neuen Positionen zu gelangen und sich so die Freiheit im Denken zu erhalten.
Marie Luise Knott hat ein profundes und ein äußerst kluges Buch geschrieben. Den Leser lädt sie dazu ein, lesend einem Schauspiel in Bewegung befindlicher Begriffe zu folgen. In Knotts beeindruckender Inszenierung nimmt Arendts Denken erstaunliche Konturen an. Ein Buch, das einem Hannah Arendt auf überzeugende, sehr anschauliche Weise nähert.
Besprochen von Michael Opitz
Marie Luise Knott: Verlernen. Denkwege bei Hannah Arendt
Mit Zeichnungen von Nanne Meyer
Matthes & Seitz, Berlin 2011
151 Seiten, 19,90 Euro