Begründer des politischen Konservatismus
Als Berater des österreichischen Staatskanzlers Metternich war Friedrich Gentz im Zeitalter des Wiener Kongresses eine wichtige Persönlichkeit. Schon der Historiker Golo Mann widmete sich dem staatsphilosophischen Theoretiker. Erst jetzt, rund 70 Jahre später, kommt eine weitere Biografie heraus.
Gentz war einer der wirksamsten politischen Schriftsteller seiner Zeit und Ahnherr eines modernen politischen Konservatismus. Wenn selbst dessen Anhänger sich daran nicht erinnern, ist dies für ihr Geschichtsbewusstsein kein besonders gutes Zeugnis.
"Auf dem Wiener Kongress fungierte er neben Metternich als Sekretär Europas und Mitgestalter der neuen Friedensordnung. Als Schriftsteller hat er dem fürstlichen Repräsentationswesen eine ungeahnte Stilbrillanz verliehen. Gentz war es, der dem Spätabsolutismus einen öffentlich präsentablen Moralkodex erschrieb und ihn in ein Streitverhältnis zu den kontinentalen Aufklärungsgeistern versetzen konnte wie kein zweiter."
So Harro Zimmermann in seinem Buch über Gentz. Der Redakteur bei Radio Bremen hat vor drei Jahren eine ausführliche Monografie über Friedrich Schlegel vorgelegt, seine früheren Publikationen waren befasst mit Klopstock, Knigge und Rebmann, allesamt Zeitgenossen der Französischen Revolution. Schlegel wandelte sich von deren Bewunderer zur ihrem Kritiker, der Freigeist konvertierte zum Katholizismus und begab sich in den österreichischen Staatsdienst. Dort hatte er verschiedentlich mit Gentz Berührung; dass er, entgegen landläufigem Urteil, in seiner Spätzeit der Denkungsart seiner Anfänge nicht untreu wurde, hat Zimmermann überzeugend nachgewiesen.
Steht es um Gentz vergleichbar? Man kann es so sehen, doch die Sache ist komplizierter.
Gentz stammte aus Schlesien. Die Provinz hatte lange zu Österreich gehört, war aber inzwischen an Preußen gefallen; mit beiden Ländern würde Gentz intensiv zu tun haben. Sein Vater war hoher preußischer Beamter, der Junge studierte in Königsberg, bei Immanuel Kant. Er machte Karriere im preußischen Staatsdienst, auch da er sich alsbald als Publizist hervortat. Er unterhielt gute Beziehungen in höchste Regierungskreise ebenso wie ins tonangebende Berliner Salon-Milieu. Als ordentlicher Kantianer hing er der Aufklärung an, begrüßte den Sturm auf die Bastille und das Folgegeschehen, bis ihm die "Betrachtungen über die Revolution in Frankreich" von Edmund Burke in die Hände kamen.
"Die konstituierende Versammlung ging auseinander, ohne das Geringste zur Realisierung eines Plans getan zu haben. Es ist noch äußerst zweifelhaft, ob diese Nachfolger mit Talenten, wie sie ein Unternehmen von solcher Größe erforderte, versehen waren: So viel ist aber gewiss, dass ihnen die Befriedigung augenblicklicher Leidenschaften weit mehr am Herzen lag, als die wesentlichsten Veranstaltungen für das Wohl künftiger Generationen."
So Burke in der Übersetzung von Gentz.
Der Brite kritisierte nicht nur die Ereignisse, sondern auch deren Vorbereitung durch aufgeklärte Intellektuelle wie Voltaire.
Burkes "Betrachtungen" erschienen 1790. Da gab die Schreckensherrschaft des Wohlfahrtsausschusses noch nicht, Burke hatte dergleichen immerhin vorausgeahnt, und Gentz, als er es las, sah es durch das Geschehen bestätigt. Die Lektüre wurde sein Damaskus. Er übertrug den Text und kommentierte ihn. Beispielsweise sei die Menschenrechtsdeklaration, immerhin Herzstück der Revolution, -
"- Werk der blinden Arroganz, dies denkwürdige Moment der menschlichen Torheit, voll falscher Lehren und unphilosophischer Begriffe und für die blutige Zerstörung der französischen Monarchie verantwortlich."
Damit hatte sich Gentz als entschiedener Gegner von Revolution und Aufklärung profiliert. Es brachte ihm nicht bloß Respekt ein. Die Frankreich-Kritik eines preußischen Staatsangestellten irritierte die preußische Außenpolitik, und da Gentz auch mit scharfzügiger Polemik wider die Administration, der er angehörte, nicht sparte, kam es zur Trennung. 1802 wechselte er nach Österreich, wo er zunächst als Autor, später als Kabinettspolitiker zu immer mehr Einfluss gelangte. Er sammelte Titel, Orden und Gelder, er führte ein großes Haus, zwei Jahrzehnte diente er seinem Förderer Metternich, um sich dann mit ihm zu entzweien. 1832 starb er im Alter von 68.
Bis dahin hatte er zahlreiche Bücher verfasst. Er gründete Zeitschriften und bediente Zeitungen. Napoleon hat er publizistisch wie praktisch-politisch verfolgt und ist am Ende für ihn eingetreten. Das Autonomiebestreben der Griechen hat er geschmäht, das gleichgeartete Bestreben der Polen hat er verteidigt. Er war der wortmächtige und administrative Verfechter von Ständeherrschaft und absoluter Monarchie, daneben fand er freundliche Worte für die Sache der Republik. Sein politisches Ideal war die konstitutionelle Monarchie der Briten, für die er dann ätzende Worte fand.
Seine Haltung war abhängig von den Gegebenheiten des Augenblicks. Man mag das Opportunismus oder zynischen Wankelmut nennen, Harro Zimmermann nennt es Realpolitik.
"Niemals in seinem Leben sei er Revolutionär, ebenso wenig sei er Konterrevolutionär gewesen, hat Gentz kurz vor seinem Tod noch einmal erklärt."
Weiter sieht Zimmermann ihn als -
"- Realpolitiker im Widerschein der Aufklärung."
Sichtlich fasziniert von den Schriften, zeichnet er die geistige Biografie ihres Autors Gentz nach. Er tut das höchst eindringlich. Er analysiert die Voraussetzungen und die Inhalte einzelner Titel, er benennt, so vorhanden, die öffentlichen Reaktionen. Das liest sich nirgends langweilig und füllt den größeren Teil des Buchs.
Das private Leben wird nicht ausgespart, aber bleibt beschränkt aufs Nötigste. Nur die Affäre des 64-jährigen Gentz mit der 19-jährigen Tänzerin Fanny Elßler, zu jener Zeit eine cause celèbre, wird ausführlicher bedacht. Dabei wären die anderen Amouren, die unehelichen Kinder, die ständigen Geldnöte und die dadurch verursachten Verrenkungen nicht bloß pikant zu lesen, sie würden auch eine Erklärung liefern für Gentzens unstete politische Fasson. Selbst zeitgeschichtliche Hintergründe setzt Zimmermann eher voraus, als dass er sie ausbreitet, was im Falle der österreichischen Innenpolitik zu einem Mangel wird: Die polizeistaatliche Schnüffelei und Unterdrückung dort übertraf alles, was das System Metternich anderswo angerichtet hat, und belastet den dafür mitverantwortlichen Gentz.
Für Liebhaber von historischem Klatsch ist das Buch eher unergiebig. Dafür liefert es ausführliche Informationen über eine Situation, da die Bewusstseinsindustrie immer stärkeren Einfluss aufs politische Geschäft erfuhr. Es holt die schwierige, die schillernde, die widersprüchliche Figur des Gentz aus der Vergessenheit und lässt uns darüber nachdenken, wie es um Realpolitik und politischen Moralkodex heutzutage bestellt ist. Das Buch ist vorzüglich geschrieben und eine lohnende Lektüre.
Harro Zimmermann: Friedrich Gentz. Die Erfindung der Realpolitik.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2012
"Auf dem Wiener Kongress fungierte er neben Metternich als Sekretär Europas und Mitgestalter der neuen Friedensordnung. Als Schriftsteller hat er dem fürstlichen Repräsentationswesen eine ungeahnte Stilbrillanz verliehen. Gentz war es, der dem Spätabsolutismus einen öffentlich präsentablen Moralkodex erschrieb und ihn in ein Streitverhältnis zu den kontinentalen Aufklärungsgeistern versetzen konnte wie kein zweiter."
So Harro Zimmermann in seinem Buch über Gentz. Der Redakteur bei Radio Bremen hat vor drei Jahren eine ausführliche Monografie über Friedrich Schlegel vorgelegt, seine früheren Publikationen waren befasst mit Klopstock, Knigge und Rebmann, allesamt Zeitgenossen der Französischen Revolution. Schlegel wandelte sich von deren Bewunderer zur ihrem Kritiker, der Freigeist konvertierte zum Katholizismus und begab sich in den österreichischen Staatsdienst. Dort hatte er verschiedentlich mit Gentz Berührung; dass er, entgegen landläufigem Urteil, in seiner Spätzeit der Denkungsart seiner Anfänge nicht untreu wurde, hat Zimmermann überzeugend nachgewiesen.
Steht es um Gentz vergleichbar? Man kann es so sehen, doch die Sache ist komplizierter.
Gentz stammte aus Schlesien. Die Provinz hatte lange zu Österreich gehört, war aber inzwischen an Preußen gefallen; mit beiden Ländern würde Gentz intensiv zu tun haben. Sein Vater war hoher preußischer Beamter, der Junge studierte in Königsberg, bei Immanuel Kant. Er machte Karriere im preußischen Staatsdienst, auch da er sich alsbald als Publizist hervortat. Er unterhielt gute Beziehungen in höchste Regierungskreise ebenso wie ins tonangebende Berliner Salon-Milieu. Als ordentlicher Kantianer hing er der Aufklärung an, begrüßte den Sturm auf die Bastille und das Folgegeschehen, bis ihm die "Betrachtungen über die Revolution in Frankreich" von Edmund Burke in die Hände kamen.
"Die konstituierende Versammlung ging auseinander, ohne das Geringste zur Realisierung eines Plans getan zu haben. Es ist noch äußerst zweifelhaft, ob diese Nachfolger mit Talenten, wie sie ein Unternehmen von solcher Größe erforderte, versehen waren: So viel ist aber gewiss, dass ihnen die Befriedigung augenblicklicher Leidenschaften weit mehr am Herzen lag, als die wesentlichsten Veranstaltungen für das Wohl künftiger Generationen."
So Burke in der Übersetzung von Gentz.
Der Brite kritisierte nicht nur die Ereignisse, sondern auch deren Vorbereitung durch aufgeklärte Intellektuelle wie Voltaire.
Burkes "Betrachtungen" erschienen 1790. Da gab die Schreckensherrschaft des Wohlfahrtsausschusses noch nicht, Burke hatte dergleichen immerhin vorausgeahnt, und Gentz, als er es las, sah es durch das Geschehen bestätigt. Die Lektüre wurde sein Damaskus. Er übertrug den Text und kommentierte ihn. Beispielsweise sei die Menschenrechtsdeklaration, immerhin Herzstück der Revolution, -
"- Werk der blinden Arroganz, dies denkwürdige Moment der menschlichen Torheit, voll falscher Lehren und unphilosophischer Begriffe und für die blutige Zerstörung der französischen Monarchie verantwortlich."
Damit hatte sich Gentz als entschiedener Gegner von Revolution und Aufklärung profiliert. Es brachte ihm nicht bloß Respekt ein. Die Frankreich-Kritik eines preußischen Staatsangestellten irritierte die preußische Außenpolitik, und da Gentz auch mit scharfzügiger Polemik wider die Administration, der er angehörte, nicht sparte, kam es zur Trennung. 1802 wechselte er nach Österreich, wo er zunächst als Autor, später als Kabinettspolitiker zu immer mehr Einfluss gelangte. Er sammelte Titel, Orden und Gelder, er führte ein großes Haus, zwei Jahrzehnte diente er seinem Förderer Metternich, um sich dann mit ihm zu entzweien. 1832 starb er im Alter von 68.
Bis dahin hatte er zahlreiche Bücher verfasst. Er gründete Zeitschriften und bediente Zeitungen. Napoleon hat er publizistisch wie praktisch-politisch verfolgt und ist am Ende für ihn eingetreten. Das Autonomiebestreben der Griechen hat er geschmäht, das gleichgeartete Bestreben der Polen hat er verteidigt. Er war der wortmächtige und administrative Verfechter von Ständeherrschaft und absoluter Monarchie, daneben fand er freundliche Worte für die Sache der Republik. Sein politisches Ideal war die konstitutionelle Monarchie der Briten, für die er dann ätzende Worte fand.
Seine Haltung war abhängig von den Gegebenheiten des Augenblicks. Man mag das Opportunismus oder zynischen Wankelmut nennen, Harro Zimmermann nennt es Realpolitik.
"Niemals in seinem Leben sei er Revolutionär, ebenso wenig sei er Konterrevolutionär gewesen, hat Gentz kurz vor seinem Tod noch einmal erklärt."
Weiter sieht Zimmermann ihn als -
"- Realpolitiker im Widerschein der Aufklärung."
Sichtlich fasziniert von den Schriften, zeichnet er die geistige Biografie ihres Autors Gentz nach. Er tut das höchst eindringlich. Er analysiert die Voraussetzungen und die Inhalte einzelner Titel, er benennt, so vorhanden, die öffentlichen Reaktionen. Das liest sich nirgends langweilig und füllt den größeren Teil des Buchs.
Das private Leben wird nicht ausgespart, aber bleibt beschränkt aufs Nötigste. Nur die Affäre des 64-jährigen Gentz mit der 19-jährigen Tänzerin Fanny Elßler, zu jener Zeit eine cause celèbre, wird ausführlicher bedacht. Dabei wären die anderen Amouren, die unehelichen Kinder, die ständigen Geldnöte und die dadurch verursachten Verrenkungen nicht bloß pikant zu lesen, sie würden auch eine Erklärung liefern für Gentzens unstete politische Fasson. Selbst zeitgeschichtliche Hintergründe setzt Zimmermann eher voraus, als dass er sie ausbreitet, was im Falle der österreichischen Innenpolitik zu einem Mangel wird: Die polizeistaatliche Schnüffelei und Unterdrückung dort übertraf alles, was das System Metternich anderswo angerichtet hat, und belastet den dafür mitverantwortlichen Gentz.
Für Liebhaber von historischem Klatsch ist das Buch eher unergiebig. Dafür liefert es ausführliche Informationen über eine Situation, da die Bewusstseinsindustrie immer stärkeren Einfluss aufs politische Geschäft erfuhr. Es holt die schwierige, die schillernde, die widersprüchliche Figur des Gentz aus der Vergessenheit und lässt uns darüber nachdenken, wie es um Realpolitik und politischen Moralkodex heutzutage bestellt ist. Das Buch ist vorzüglich geschrieben und eine lohnende Lektüre.
Harro Zimmermann: Friedrich Gentz. Die Erfindung der Realpolitik.
Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2012