Behandeln und bezeugen
Am 20. Dezember 1971 gründeten junge französische Ärzte zusammen mit einigen Journalisten die Hilfsorganisation "Médecins Sans Frontières", zu deutsch "Ärzte ohne Grenzen". Ihr Wahlspruch: "soigner et témoigner" - "behandeln und bezeugen".
"Wir bleiben standhaft, wenn alles zusammenbricht. Wir gehen weiter, wenn nichts weitergeht. Wir verlieren keine Zeit, wenn jede Sekunde zählt."
Mit rund 30.000 Mitarbeitern in über 60 Ländern und einem Spendenvolumen von fast 900 Millionen Euro ist sie einer der global Player in der humanitären Hilfe: Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, deren französischer Name "Médecins Sans Frontières" – oder kurz "MSF" - auf ihre Ursprünge verweist.
"Es sind Ärzte und Journalisten. Zusammen gründen sie im Dezember 1971 "Médecins Sans Frontières": die "Ärzte ohne Grenzen". Ziel ist eine medizinische Eingreiftruppe, die auf Notfälle in der ganzen Welt reagieren kann: Überall dort, wo sie am dringendsten gebraucht wird – um zu behandeln und zu bezeugen."
Das Bezeugen war fast noch wichtiger als das Behandeln. Die Charta der Organisation, die am 20. Dezember 1971 unterzeichnet wurde – andere sprechen vom 21. Dezember – verbot zwar jede öffentliche Parteinahme, doch für einige der Gründungsväter stand genau das im Vordergrund. Sie hatten in der abtrünnigen nigerianischen Provinz Biafra als Ärzte für das Internationale Rote Kreuz gearbeitet und waren damit dem Schweigegebot der Organisation unterworfen, erklärt die ehemalige Geschäftsführerin von "Ärzte ohne Grenzen" in Deutschland, Ulrike von Pilar.
"Sie hatten das miterlebt, was das bedeutet in Biafra, wenn man eben nichts in der Öffentlichkeit sagen darf über die eigenen Erfahrungen oder über die Analyse, die man in der Situation macht, und fanden das fast kriminell, weil in Biafra Bürgerkrieg tobte und Hunderttausende von Menschen umkamen, das aber bei uns auf den Fernsehschirmen eher dargestellt wurde als eine Hungersnot, also als eine Naturkatastrophe, wie oft bis heute, und eben nicht als Krieg oder Bürgerkrieg."
Zur Gruppe derjenigen, die das Schweigegebot brechen, gehört der junge Arzt - und spätere Außenminister Frankreichs - Bernard Kouchner. In Pressekonferenzen klagen er und andere die nigerianische Regierung an, in Biafra einen Völkermord durchzuführen. Eine Analyse, die sich später als falsch herausstellt, betont Rony Brauman. Brauman war in den 80er- und 90er-Jahren Präsident von Ärzte ohne Grenzen.
"Ich glaube, Kouchner und seine Freunde haben sich in der Einschätzung der Situation geirrt. Sie haben einen falschen Genozid angeprangert und damit Partei für die Abspaltung Biafras ergriffen. Und ich glaube, sie sind diesem Irrtum aufgesessen, weil das Thema Völkermord in den 60er-Jahren sehr stark im öffentlichen Bewusstsein war. Das hing mit dem Eichmann-Prozess 1961 zusammen, der den Völkermord an den Juden weltweit bekannt gemacht hatte. Ich glaube sie hatten alle im Kopf: Wir wollen nicht durch unser Schweigen Komplizen einer furchtbaren Tat werden, des schlimmsten vorstellbaren Verbrechens, also müssen wir sprechen."
In den späten 70er-Jahren kommt es zum Bruch zwischen den Gründungsvätern von MSF um Kouchner und der nachfolgenden Generation. Für Kouchner ist "Ärzte ohne Grenzen" letztlich nur ein Mittel, die Weltöffentlichkeit aufzurütteln, die Nachfolger um Brauman dagegen, die sich schließlich durchsetzen, stellen die medizinisch-humanitäre Nothilfe in den Mittelpunkt und machen aus Ärzte ohne Grenzen jenes internationale Netzwerk, das heute in fast allen Flüchtlingslagern und Krisengebieten der Welt tätig ist.
Der Anspruch, Sprachrohr für Menschen in Not zu sein, besteht nach wie vor, doch er kommt erst an zweiter Stelle. An erster Stelle steht die medizinische Behandlung. Um in bewaffneten Konflikten nicht des Landes verwiesen zu werden - und damit den Zugang zu den Opfern zu verlieren -, schweigt Ärzte ohne Grenzen manchmal, anstatt die Verantwortlichen für die Gewalt zu benennen. Eine unschuldige humanitäre Hilfe gibt es nicht, sagt Ulrike von Pilar.
"Wie kann man den Opfern eines Konfliktes zu Hilfe kommen, ohne die Verantwortlichen mit zu unterstützen. Das geht gar nicht. Verhandeln muss man immer mit denen, die die Macht haben, die das Gewehr in der Hand haben, die einem Zugang verschaffen oder daran hindern können, also man muss immer mit den Mächtigen verhandeln, und im Zweifelsfall haben die Interessen, die nicht 100-prozentig mit den Interessen der Schwächsten in ihrer Gemeinschaft übereinstimmen. Insofern ist man immer in diesem Dilemma. Ich glaube, es ist ein grundsätzliches, unauflösbares Dilemma, dass man das nie komplett vermeiden kann."
Mit rund 30.000 Mitarbeitern in über 60 Ländern und einem Spendenvolumen von fast 900 Millionen Euro ist sie einer der global Player in der humanitären Hilfe: Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen, deren französischer Name "Médecins Sans Frontières" – oder kurz "MSF" - auf ihre Ursprünge verweist.
"Es sind Ärzte und Journalisten. Zusammen gründen sie im Dezember 1971 "Médecins Sans Frontières": die "Ärzte ohne Grenzen". Ziel ist eine medizinische Eingreiftruppe, die auf Notfälle in der ganzen Welt reagieren kann: Überall dort, wo sie am dringendsten gebraucht wird – um zu behandeln und zu bezeugen."
Das Bezeugen war fast noch wichtiger als das Behandeln. Die Charta der Organisation, die am 20. Dezember 1971 unterzeichnet wurde – andere sprechen vom 21. Dezember – verbot zwar jede öffentliche Parteinahme, doch für einige der Gründungsväter stand genau das im Vordergrund. Sie hatten in der abtrünnigen nigerianischen Provinz Biafra als Ärzte für das Internationale Rote Kreuz gearbeitet und waren damit dem Schweigegebot der Organisation unterworfen, erklärt die ehemalige Geschäftsführerin von "Ärzte ohne Grenzen" in Deutschland, Ulrike von Pilar.
"Sie hatten das miterlebt, was das bedeutet in Biafra, wenn man eben nichts in der Öffentlichkeit sagen darf über die eigenen Erfahrungen oder über die Analyse, die man in der Situation macht, und fanden das fast kriminell, weil in Biafra Bürgerkrieg tobte und Hunderttausende von Menschen umkamen, das aber bei uns auf den Fernsehschirmen eher dargestellt wurde als eine Hungersnot, also als eine Naturkatastrophe, wie oft bis heute, und eben nicht als Krieg oder Bürgerkrieg."
Zur Gruppe derjenigen, die das Schweigegebot brechen, gehört der junge Arzt - und spätere Außenminister Frankreichs - Bernard Kouchner. In Pressekonferenzen klagen er und andere die nigerianische Regierung an, in Biafra einen Völkermord durchzuführen. Eine Analyse, die sich später als falsch herausstellt, betont Rony Brauman. Brauman war in den 80er- und 90er-Jahren Präsident von Ärzte ohne Grenzen.
"Ich glaube, Kouchner und seine Freunde haben sich in der Einschätzung der Situation geirrt. Sie haben einen falschen Genozid angeprangert und damit Partei für die Abspaltung Biafras ergriffen. Und ich glaube, sie sind diesem Irrtum aufgesessen, weil das Thema Völkermord in den 60er-Jahren sehr stark im öffentlichen Bewusstsein war. Das hing mit dem Eichmann-Prozess 1961 zusammen, der den Völkermord an den Juden weltweit bekannt gemacht hatte. Ich glaube sie hatten alle im Kopf: Wir wollen nicht durch unser Schweigen Komplizen einer furchtbaren Tat werden, des schlimmsten vorstellbaren Verbrechens, also müssen wir sprechen."
In den späten 70er-Jahren kommt es zum Bruch zwischen den Gründungsvätern von MSF um Kouchner und der nachfolgenden Generation. Für Kouchner ist "Ärzte ohne Grenzen" letztlich nur ein Mittel, die Weltöffentlichkeit aufzurütteln, die Nachfolger um Brauman dagegen, die sich schließlich durchsetzen, stellen die medizinisch-humanitäre Nothilfe in den Mittelpunkt und machen aus Ärzte ohne Grenzen jenes internationale Netzwerk, das heute in fast allen Flüchtlingslagern und Krisengebieten der Welt tätig ist.
Der Anspruch, Sprachrohr für Menschen in Not zu sein, besteht nach wie vor, doch er kommt erst an zweiter Stelle. An erster Stelle steht die medizinische Behandlung. Um in bewaffneten Konflikten nicht des Landes verwiesen zu werden - und damit den Zugang zu den Opfern zu verlieren -, schweigt Ärzte ohne Grenzen manchmal, anstatt die Verantwortlichen für die Gewalt zu benennen. Eine unschuldige humanitäre Hilfe gibt es nicht, sagt Ulrike von Pilar.
"Wie kann man den Opfern eines Konfliktes zu Hilfe kommen, ohne die Verantwortlichen mit zu unterstützen. Das geht gar nicht. Verhandeln muss man immer mit denen, die die Macht haben, die das Gewehr in der Hand haben, die einem Zugang verschaffen oder daran hindern können, also man muss immer mit den Mächtigen verhandeln, und im Zweifelsfall haben die Interessen, die nicht 100-prozentig mit den Interessen der Schwächsten in ihrer Gemeinschaft übereinstimmen. Insofern ist man immer in diesem Dilemma. Ich glaube, es ist ein grundsätzliches, unauflösbares Dilemma, dass man das nie komplett vermeiden kann."