Long Covid

Auf der Suche nach Heilung

07:31 Minuten
Eine Frau sitzt erschöpft an einem Fenster, in der Hand ein Wasserglas.
Chronische Erschöpfung sind oft ein Symptom von Long Covid. Die Ursachen sind noch weitgehend unerforscht. © picture alliance / photothek / Ute Grabowsky
Von Horst Gross · 13.10.2022
Audio herunterladen
Etliche Menschen sind von Long Covid betroffen. Die üblichen Rehabilitationsprogramme sind umstritten. Manche Patientinnen und Patienten hoffen auf die Blutwäsche. Doch die ist auch problematisch.
„Ich hatte sofort Geschmacks- und Geruchsstörungen. Die traten sofort auf, und wahnsinnige Kopfschmerzen“, berichtet eine Betroffene aus Thüringen, die anonym bleiben möchte. „Dazu war ich dann so schwach, dass ich mich hinlegen musste. Der Antrieb war ganz schlimm. Ich saß wirklich manchmal wie eine Deko-Figur auf meinem Sofa.“ Fatigue, so der Name dieses krankhaften Zustands. Eine kontinuierliche Erschöpfung im Anschluss an eine Covid-19-Erkrankung – und eins der Hauptsymptome von Long Covid.
Der genaue Krankheitsmechanismus liegt noch im Dunkeln. Autoimmunprozesse könnten der Auslöser sein. „Wir waren im Sommer 2020 einigermaßen erstaunt, dass wir doch ganz schön viele Menschen sind, die nach der eigentlichen Infektion immer noch Beschwerden hatten“, sagt Mia Diekow. Sie ist eine der Sprecherinnen der Initiative Long Covid. „Wir haben damals festgestellt, dass die Politik das überhaupt nicht auf dem Schirm hatte. Dadurch entstand dann eine politische Initiative.“

Rehabilitationskonzepte in der Kritik

Diekow kritisiert, dass bei Long Covid Rehabilitationskonzepte zum Einsatz kommen, die den Betroffenen oft nur wenig helfen – manchmal sogar schaden können. So werde in der Reha beispielsweise oft körperliches Training verordnet, um körperlich wieder fit zu werden. Das sei bei vielen Patienten und Patientinnen mit Long Covid aber genau das Falsche. Körperliches Aufbautraining hat bei Fatigue einen paradoxen Effekt: Kraft und Antrieb nehmen ab. Alles wird nur noch schlimmer. Ein Aspekt, den – der Long-Covid-Initiative zufolge – die aktuellen Rehabilitationsprogramme häufig ignorieren. 
Volker Köllner widerspricht dieser Darstellung. Er ist ärztlicher Direktor des Reha-Zentrums Seehof der Deutschen Rentenversicherung. Zunehmend werden hier auch Long-Covid-Patienten betreut. „Wir achten in der Rehabilitation natürlich darauf, gehen natürlich individuell auf die Belastungsgrenzen der Patientinnen und Patienten ein“, sagt er.

Auf der Suche nach der richtigen Behandlung

Welche Rehabilitations-Konzepte bei Long Covid effektiv sind, ist längst noch nicht klar. Die Forschung dazu läuft, auch am Reha-Zentrum Seehof. Derzeit veröffentlicht die Klinik die Daten ihrer ersten 50 Patienten. Dafür werde unter anderem ein Sechs-Minuten-Geh-Test gemacht, erklärt Köllner. „Wir lassen die Patienten am Anfang sechs Minuten laufen, so schnell, wie sie können und es ihnen angenehm ist, und am Ende der Reha noch mal.“ Die Bilanz: Zwei Patienten der 50 hätten sich nicht verbessert. „Aber wir haben keinen einzigen, der sich verschlechtert hat.“
Ein Mann in Anzug schaut in die Kamera.
Atemtherapie könne bei Long Covid helfen, sagt Volker Köllner von der Reha-Klinik Seehof.© picture alliance / dpa / Sören Stache
Schwere organische Erkrankungen, zu denen Covid-19 und deren Folgen gehören können, sind immer auch eine psychische Herausforderung. Hier kann auch eine psychosomatische Reha helfen, die Belastung zu meistern, sagt Volker Köllner. Beispiel: Luftnot bei Long Covid. „Wenn wir die Atemfunktion unter Belastung messen, sehen wir ein dysfunktionales Atemmuster.“ Die Leute hyperventilieren latent, die Atmung ist gepresst. „Die atmen nicht durch und die haben sich während der Erkrankung wirklich diese dysfunktionalen Atemmuster angewöhnt. Das kriegt man mit der Reha durch die Atemtherapie wirklich gut gebessert, auch durch die Bewegungstherapie“, so Köllner.

Auf der Suche nach den Ursachen

Dezember 2021: Auf einer Pressekonferenz wird die Gutenberg-Studie vorgestellt, eine aufwendige Langzeitbeobachtung des Gesundheitszustands der Bevölkerung. Seit Kurzem werden auch Long Covid Symptome erfasst. Die Studie scheint eine unter Medizinern weitverbreitete Annahme zu bestätigen: Long Covid sei eher ein psychosomatisches Problem. Die Belastung durch die Infektion würde latente Ängste und Depressionen aktivieren.
Noch ein Befund der Studie verblüfft zunächst: Beschwerden, die als typisch für Long Covid gelten, tauchen auch bei Nichtinfizierten auf. Also: Alles nur Einbildung? „Wenn man genau hinschaut, dann sieht man, dass die Häufigkeit der Beschwerden und auch die Kombination an Beschwerden etwas unterschiedlich ist. Es gibt bestimmte Symptome, die spezifisch sind“, sagt der Koordinator der Gutenberg-Gesundheitsstudie Philipp Wild.
Spezifisch für Long Covid – wie etwa chronische Erschöpfung. Ein Vergleich der absoluten Zahlen ist also irreführend. Auch die Vermutung der psychischen Vorbelastung bleibt ohne Beleg. „Was wir beobachten, ist eigentlich, dass der Großteil der Menschen mit einem klassischen Post-Covid-Syndrom keine psychische Erkrankung hat“, so Wild.

Kann Blutwäsche helfen?

Die Diagnose Long Covid erfordert eine sehr aufwendige Diagnostik, denn es gibt keine organischen Befunde, die für die Erkrankung typisch sind. Eine These: Infolge einer Covid-19-Erkrankung kann es zu einer erhöhten Aktivität bestimmter Auto-Antikörper kommen, die die Blutgerinnung stören können. Das beeinträchtigt die Blutzirkulation, auch der Sauerstofftransport im Blut funktioniert nur eingeschränkt. Das könnte einem Teil der Beschwerden zugrunde liegen, über die Long-Covid-Patienten klagen.
Als Abhilfe wird daher seit einiger Zeit eine Blutwäsche, Apherese genannt, empfohlen. Fachleute wie die Mainzer Apherese-Expertin und Nephrologin Julia Weinmann-Menke raten allerdings davon ab. Hierzu gebe es bisher keinerlei wissenschaftliche Daten, keine Studien. Nur bei einigen wenigen durch Autoimmun-Antikörper ausgelösten Erkrankungen liegt bisher eine gesicherte Indikation für die Apherese-Therapie vor. Die Multiple Sklerose sei zum Beispiel eine Erkrankung, wo Apherese-Verfahren zum Einsatz kommen, „wenn alle vorhandenen verfügbaren Therapien nicht greifen“.

Krankenkassen zahlen nicht

Zudem handelt es sich um ein invasives Verfahren mit relevanten Risiken. Thrombosen und allergische Reaktionen sind möglich. Und: Eine Apherese kostet rund 15.000 Euro. Da die Kassen nicht zahlen, müssen die Patienten die Kosten in voller Höhe selbst übernehmen, und das in einer Situation, in der viele durch ihre Erkrankung ohnehin schon in eine prekäre wirtschaftliche Situation geraten sind.
Mehr zum Thema