"Bei den Menschen und ihren Nöten"
Es geht um Barmherzigkeit, Homosexualität und die Rolle der Frau in der katholischen Kirche: Mit einem außergewöhnlichen Interview hat Papst Franziskus kontroverse Reaktionen provoziert. Ist das jetzt der Beginn eines Reformprozesses? Ein Gespräch mit dem Kirchenhistoriker Alfons Fürst.
Christine Watty: Auch auf Twitter, dem Dienst für 140 Zeichen umfassende Kurznachrichten, ist das aktuelle Papstinterviewmit einer italienischen Jesuitenzeitschrift äußerst gut angekommen. Erfrischend sei das, zu mögen sei damit dieser neue Papst. Da sagt ein Papst mal das, was vernünftig klingt. Und der Beginn einer Kirchenreform wird dort bereits ebenfalls ausgerufen. Und der Anlass für den virtuellen Beifall ist, dass der Papst offenbar keine Lust mehr auf die Sexualmoraldebatten hat. Er plädiert lieber für Barmherzigkeit, er gibt sich verhalten offen gegenüber der Homosexualität und sagt auch etwas – ich würde mal sagen, Kleineres – zur Rolle der Frau in der Kirche der Zukunft. Wir wollen uns das alles genauer anschauen mit dem Kirchenhistoriker Alfons Fürst von der Uni Münster. Schönen guten Tag, Herr Fürst!
Alfons Fürst: Guten Tag!
Watty: Vorab: Ist es aus Ihrer Sicht nur ein Interview oder tatsächlich der Beginn eines Reformprozesses? Aussagen, die darin stecken, die vielleicht Größeres anstoßen können in der katholischen Kirche?
Fürst: Ja, das ist jetzt schwer zu sagen, aber es könnte Letzteres sein. Wobei ich nicht glaube, dass er das aus taktischen Überlegungen gemacht hat. Sondern es hat sich eben aus dem Interview heraus ergeben, dass er sehr offen, mit sehr bemerkenswerten Überlegungen zu all diesen Fragen Stellung genommen hat.
Watty: Dass er das in einem Interview getan hat und dass er eben nicht taktisch agiert, wie Sie sagen, könnte das auch heißen, dass dieses Interview fast vielmehr zu verstehen ist als eine Rede, und auch eine Rede gegen die Strukturen in der katholischen Kirche, sodass er einfach sagt, was er denkt und dann sich eventuell Veränderungen anschließen?
Fürst: Also auf mich wirkt das wie eine sehr, fast schon programmatische Rede – oder diese Aussagen sind sehr grundsätzlich gemeint. Ich meine nicht, dass jetzt gleich direkt auf konkrete Vorhaben oder Maßnahmen, die jetzt morgen beginnen sollen, zu beziehen sein wird, so klingt das für mich an keiner Stelle, aber er nimmt doch sehr grundsätzlich Stellung zu wesentlichen Fragen, was Kirche und Christsein in der Gegenwart positiv bedeuten kann, und auch mit sehr offenen Überlegungen ohne Scheu. Was mir daran auch so gefällt, ist diese Angstfreiheit, die aus dem Ganzen atmet. Weil man ja doch das Gefühl hat, dass vieles, was in der Kirche passiert, so sehr angstbesetzt ist, was man da jetzt wieder anrichten könnte. Es ist völlig angstfrei ein Umgang mit schwierigen Fragen.
Watty: Man muss ja diese begeisternden Aussagen noch mal ganz genau anschauen, um zu sehen, welches Potenzial sie haben. Ich werde Sie auch gleich noch fragen, was Ihnen am besten gefallen hat, was jetzt aber am meisten durch die Medien natürlich geht, ist tatsächlich die Thematik mit den Homosexuellen, die würde er nicht verurteilen, das hat Franziskus schon mal gesagt, hat das noch mal wiederholt, mit einem bildlichen Beispiel noch mal unterlegt. Und er rief vor allem eben dazu auf, sich nicht nur mit der Sexualmoral zu beschäftigen, mit Abtreibung und Verhütungsmethoden. Das heißt noch nicht, dass er jetzt eine andere Einstellung dazu hat oder man eine andere Einstellung erwarten könnte, sondern dass es auch andere Themen gibt, oder wie ist diese Passage zu verstehen Ihrer Meinung nach?
Fürst: Also ich verstehe die so, dass er sehr stark aus dem Kontext seines Herkunftslandes redet. Und was jetzt in den deutschen Medien zu lesen ist, dass das jetzt im Fokus wieder auf Homosexualität und Frauen abgestellt wird, das ist ja auch sehr stark unser realer Erfahrungskontext, der sehr wichtig ist, das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber ich glaube, er hat tatsächlich einen etwas anderen, und aus dem heraus sagt er, was wichtig ist, sind die wirklichen Lebensprobleme der Leute. Und das ist noch viel, viel mehr als Homosexualität und Frauen, um das auf diese Stichworte, die jetzt nicht so passen wollen, zu bringen. Ohne, dass er die damit kleinreden will. Ich glaube, dass er das meint.
Und was er dann sagt zur Homosexualität, ja, da kann ich nicht verhehlen, dass man das einfach gerne liest, wenn ein Papst sagt, ich verurteile so jemand nicht. Das hat man lange genug getan, einfach nur verurteilt, ohne hinzuschauen, ohne die Leute überhaupt zu kennen, ohne zu wissen, was an konkreten Lebenserfahrungen und -zusammenhängen und auch Lebensnöten hinter allen möglichen Dingen stecken könnte. Und da denkt er und redet er völlig anders.
Watty: Der Papst gibt ja in diesem Interview auch ein ganz schönes Bild ab: Die katholische Kirche, wobei es auch gleichzeitig ein dramatisches natürlich ist, die sei, wie ein Lazarett nach einer Schlacht. Es gehe darum, und das ist der schönere Teil, die Wunden zu heilen. Um es weiterzuführen, dieses Bild, ist der Papst also so was wie der Chefarzt in diesem Lazarett? Welche Wunden aber genau meint er, tatsächlich die, die die katholische Kirche selbst trägt oder die, die sie anderen zugefügt haben könnte?
Fürst: Welche er jetzt genau meint, ist schwer zu sagen, aber es können alle gemeint sein. Auf mich wirkt das Bild wie der barmherzige Samariter, ins Millionenfache jetzt multipliziert jetzt sozusagen. Das heißt, den Menschen helfen in der Not, in der man sie antrifft, und nicht noch ihnen zusätzliche Lasten aufbürden. Und das, glaube ich, ist sein Kernanliegen, für mich sehr stark geprägt von der jesuitischen Spiritualität, die ja auch sehr stark in diesem Interview zum Tragen kommt. Das ist der Hintergrund seines ganzen Agierens. Also wirklich konkret bei den Menschen in ihren Nöten sein.
Und er meint das nicht so allgemein, unverbindlich, wie es klingt, sondern er meint das wirklich im Blick auf einen einzelnen Menschen. Der, mit dem man es gerade zu tun hat, dem soll man sich zuwenden. Wenn ich noch eines sagen darf, mir fällt immer so ein Satz ein aus dem Evangelium, wo Jesus mal schimpft, dass die Religionsautoritäten, also damals sind das Pharisäer und Schriftgelehrte, wie die immer so heißen in den Evangelien, den Menschen schwere Lasten auf ihre Schultern laden, aber ihnen nicht helfen, sie zu tragen. Und genau das hält er für verkehrtes Handeln, wenn die Kirche so auftritt.
Watty: Der Kirchenhistoriker Alfons Fürst im Radiofeuilleton über das aktuelle Interview des Papstes. Das bedeutet, wenn ich Sie richtig verstehe, er geht quasi eine Stufe weiter, und in dem Moment, wo er die Barmherzigkeit propagiert, müssten sich dann auch, wenn man anders auf die Menschen, auf die Mitmenschen zugeht, auch die darunterliegenden Probleme eigentlich fast von selbst lösen. Ist das für Sie auch die schönste oder die größte Botschaft dieser Rede, die auch das meiste Potenzial hat, was zu verändern?
Fürst: Ja, würde ich schon so sagen. Ich glaube jetzt nicht, dass die Probleme sich dann von selbst lösen. Dazu ist das Leben in der Regel zu kompliziert. Aber dass man überhaupt dazu kommt, auf das Wesentliche zu schauen, worum es geht, nämlich, dass die Leute – ja, ich rede jetzt so, als wäre ich nicht auch einer von den Menschen dieser Welt – aber allgemein, denken wir wieder an den Erfahrungshorizont des Papstes, wo er herkommt. Dass die Menschen genügend Lebensprobleme haben, die ihnen das Leben sowieso stellt. Und sehr, sehr elementare Lebens- und Überlebensprobleme.
Und dass man da sagt, es kommt darauf an, den Leuten hier zu helfen, mit ihren großen und kleinen Sorgen und Nöten klarzukommen, und dass er da eben den Fokus verschiebt, nicht noch wieder einfach nur Normen zu formulieren. Das heißt nicht, dass es keine Normen und Regeln mehr geben wird. Das hat er auch an keiner Stelle gesagt. Er hält auch im Grunde daran fest, dass es Normen und Idealvorstellungen geben wird. Aber es kommt darauf an, zu unterscheiden, das ist sein wichtigstes Kriterium, was den Menschen jetzt wirklich dienlich ist und was nicht. Das ist die Zentralbotschaft für mich.
Watty: Neben den schönen Worten und dem Teil der zumindest theoretisch schönen Botschaft wird er ja tatsächlich in der Frage der Frauen relativ schwammig, um es mal so auszudrücken. Er sagt, dass die Räume einer weiblichen Präsenz in der katholischen Kirche größer werden sollten, und unklarer kann man es erst mal nicht ausdrücken. Woher kommt denn überhaupt diese Abneigung oder die Ablehnung der Frau, Maria ist eine Frau, steht über den Bischöfen, warum ist das immer noch so, warum bleibt das so vage auch in einer solchen Rede, in der er hoffnungsfroh klingen will?
Fürst: Ja, das wären jetzt zwei Fragen. Also, wo die Abneigung herkommt vielleicht zuerst. Oder überhaupt, warum das ein Problem ist innerhalb dieser kirchlichen Tradition. Das hat eben eine jahrhundertelange Geschichte, im Grunde bis in die Anfänge zurück. Und meine kürzeste Antwort wäre die, dass eben die kirchlichen Strukturen sich herausgebildet haben in weitestgehend patriarchalen Gesellschaften. Und dann diese Strukturen alle nach diesen Mustern gestrickt worden sind, so wie Kirchenstrukturen immer sehr viel stärker sich an aktuelle Muster anlehnen, als man das vielleicht selber in der Kirche wahrhaben will. Und das transportiert sich natürlich durch, und das war ja in allen – das war ja auch gesellschaftlich so, nicht nur kirchlich. Und erst im 20. Jahrhundert gibt es eben diese Bewegungen, Frauenemanzipation und was wir alles kennen, hin zu mehr Freiheiten für Frauen in ihren Lebenskontexten, Selbstbestimmung und so weiter.
Also es ist, glaube ich, einfach die Last dieser Geschichte, die aber gleichzeitig, meine ich, einen Schlüssel anbietet, wie man da rauskommen kann und damit umgehen kann. Es ist eben auch kulturell geprägt, auch Religionen sind immer kulturell geprägt. Und im Kern lebt diese moderne Geschichte ja von Gedanken von Menschenwürde und Freiheit und Autonomie. Und den halte ich nun für im Kern zutiefst christlich. Und da könnte man durchaus Wege finden, um mit der Frage anders umzugehen. Und damit zum zweiten Teil: Ich finde es nicht ganz so vage. Sie haben schon recht, es bleibt so ein bisschen vage, was heißt das jetzt konkret? Aber immerhin, er plädiert für mehr Beteiligung von Frauen in kirchlichen Entscheidungsprozessen, die ja nur sehr bedingt oder gar nicht gegeben ist. Er redet dann davon, immerhin im Zusammenhang mit der Funktion von Frauen, nicht nur von der Würde der Frau. Ja, von der Würde der Frau hat man immer geredet, aber die konkrete Funktion, die sie denn hat, das hat man immer vermieden. Und das tut er jetzt auch. Und er nimmt sogar das Stichwort Autorität in den Mund an der Stelle. Also auch an wirklich wichtigen Funktionen sollen offenbar oder könnte er sich vorstellen, dass Frauen beteiligt werden. Sie haben recht, das sagt nicht, wo das jetzt aktuell, konkret sein könnte. Aber immerhin, ich finde es schon ein Stück nicht nur vage.
Watty: Nichtsdestotrotz muss man natürlich jetzt abwarten, ob dieser Rede dann doch irgendwann in ferner Zukunft institutionelle Konsequenzen, konkrete Folgen folgen werden. Danke schön an den Kirchenhistoriker Alfons Fürst von der Uni Münster über das aktuelle Interview von Papst Franziskus und die Thesen und Aussagen, die darin stecken. Vielen Dank für das Gespräch!
Fürst: Ja, bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Alfons Fürst: Guten Tag!
Watty: Vorab: Ist es aus Ihrer Sicht nur ein Interview oder tatsächlich der Beginn eines Reformprozesses? Aussagen, die darin stecken, die vielleicht Größeres anstoßen können in der katholischen Kirche?
Fürst: Ja, das ist jetzt schwer zu sagen, aber es könnte Letzteres sein. Wobei ich nicht glaube, dass er das aus taktischen Überlegungen gemacht hat. Sondern es hat sich eben aus dem Interview heraus ergeben, dass er sehr offen, mit sehr bemerkenswerten Überlegungen zu all diesen Fragen Stellung genommen hat.
Watty: Dass er das in einem Interview getan hat und dass er eben nicht taktisch agiert, wie Sie sagen, könnte das auch heißen, dass dieses Interview fast vielmehr zu verstehen ist als eine Rede, und auch eine Rede gegen die Strukturen in der katholischen Kirche, sodass er einfach sagt, was er denkt und dann sich eventuell Veränderungen anschließen?
Fürst: Also auf mich wirkt das wie eine sehr, fast schon programmatische Rede – oder diese Aussagen sind sehr grundsätzlich gemeint. Ich meine nicht, dass jetzt gleich direkt auf konkrete Vorhaben oder Maßnahmen, die jetzt morgen beginnen sollen, zu beziehen sein wird, so klingt das für mich an keiner Stelle, aber er nimmt doch sehr grundsätzlich Stellung zu wesentlichen Fragen, was Kirche und Christsein in der Gegenwart positiv bedeuten kann, und auch mit sehr offenen Überlegungen ohne Scheu. Was mir daran auch so gefällt, ist diese Angstfreiheit, die aus dem Ganzen atmet. Weil man ja doch das Gefühl hat, dass vieles, was in der Kirche passiert, so sehr angstbesetzt ist, was man da jetzt wieder anrichten könnte. Es ist völlig angstfrei ein Umgang mit schwierigen Fragen.
Watty: Man muss ja diese begeisternden Aussagen noch mal ganz genau anschauen, um zu sehen, welches Potenzial sie haben. Ich werde Sie auch gleich noch fragen, was Ihnen am besten gefallen hat, was jetzt aber am meisten durch die Medien natürlich geht, ist tatsächlich die Thematik mit den Homosexuellen, die würde er nicht verurteilen, das hat Franziskus schon mal gesagt, hat das noch mal wiederholt, mit einem bildlichen Beispiel noch mal unterlegt. Und er rief vor allem eben dazu auf, sich nicht nur mit der Sexualmoral zu beschäftigen, mit Abtreibung und Verhütungsmethoden. Das heißt noch nicht, dass er jetzt eine andere Einstellung dazu hat oder man eine andere Einstellung erwarten könnte, sondern dass es auch andere Themen gibt, oder wie ist diese Passage zu verstehen Ihrer Meinung nach?
Fürst: Also ich verstehe die so, dass er sehr stark aus dem Kontext seines Herkunftslandes redet. Und was jetzt in den deutschen Medien zu lesen ist, dass das jetzt im Fokus wieder auf Homosexualität und Frauen abgestellt wird, das ist ja auch sehr stark unser realer Erfahrungskontext, der sehr wichtig ist, das will ich überhaupt nicht bestreiten. Aber ich glaube, er hat tatsächlich einen etwas anderen, und aus dem heraus sagt er, was wichtig ist, sind die wirklichen Lebensprobleme der Leute. Und das ist noch viel, viel mehr als Homosexualität und Frauen, um das auf diese Stichworte, die jetzt nicht so passen wollen, zu bringen. Ohne, dass er die damit kleinreden will. Ich glaube, dass er das meint.
Und was er dann sagt zur Homosexualität, ja, da kann ich nicht verhehlen, dass man das einfach gerne liest, wenn ein Papst sagt, ich verurteile so jemand nicht. Das hat man lange genug getan, einfach nur verurteilt, ohne hinzuschauen, ohne die Leute überhaupt zu kennen, ohne zu wissen, was an konkreten Lebenserfahrungen und -zusammenhängen und auch Lebensnöten hinter allen möglichen Dingen stecken könnte. Und da denkt er und redet er völlig anders.
Watty: Der Papst gibt ja in diesem Interview auch ein ganz schönes Bild ab: Die katholische Kirche, wobei es auch gleichzeitig ein dramatisches natürlich ist, die sei, wie ein Lazarett nach einer Schlacht. Es gehe darum, und das ist der schönere Teil, die Wunden zu heilen. Um es weiterzuführen, dieses Bild, ist der Papst also so was wie der Chefarzt in diesem Lazarett? Welche Wunden aber genau meint er, tatsächlich die, die die katholische Kirche selbst trägt oder die, die sie anderen zugefügt haben könnte?
Fürst: Welche er jetzt genau meint, ist schwer zu sagen, aber es können alle gemeint sein. Auf mich wirkt das Bild wie der barmherzige Samariter, ins Millionenfache jetzt multipliziert jetzt sozusagen. Das heißt, den Menschen helfen in der Not, in der man sie antrifft, und nicht noch ihnen zusätzliche Lasten aufbürden. Und das, glaube ich, ist sein Kernanliegen, für mich sehr stark geprägt von der jesuitischen Spiritualität, die ja auch sehr stark in diesem Interview zum Tragen kommt. Das ist der Hintergrund seines ganzen Agierens. Also wirklich konkret bei den Menschen in ihren Nöten sein.
Und er meint das nicht so allgemein, unverbindlich, wie es klingt, sondern er meint das wirklich im Blick auf einen einzelnen Menschen. Der, mit dem man es gerade zu tun hat, dem soll man sich zuwenden. Wenn ich noch eines sagen darf, mir fällt immer so ein Satz ein aus dem Evangelium, wo Jesus mal schimpft, dass die Religionsautoritäten, also damals sind das Pharisäer und Schriftgelehrte, wie die immer so heißen in den Evangelien, den Menschen schwere Lasten auf ihre Schultern laden, aber ihnen nicht helfen, sie zu tragen. Und genau das hält er für verkehrtes Handeln, wenn die Kirche so auftritt.
Watty: Der Kirchenhistoriker Alfons Fürst im Radiofeuilleton über das aktuelle Interview des Papstes. Das bedeutet, wenn ich Sie richtig verstehe, er geht quasi eine Stufe weiter, und in dem Moment, wo er die Barmherzigkeit propagiert, müssten sich dann auch, wenn man anders auf die Menschen, auf die Mitmenschen zugeht, auch die darunterliegenden Probleme eigentlich fast von selbst lösen. Ist das für Sie auch die schönste oder die größte Botschaft dieser Rede, die auch das meiste Potenzial hat, was zu verändern?
Fürst: Ja, würde ich schon so sagen. Ich glaube jetzt nicht, dass die Probleme sich dann von selbst lösen. Dazu ist das Leben in der Regel zu kompliziert. Aber dass man überhaupt dazu kommt, auf das Wesentliche zu schauen, worum es geht, nämlich, dass die Leute – ja, ich rede jetzt so, als wäre ich nicht auch einer von den Menschen dieser Welt – aber allgemein, denken wir wieder an den Erfahrungshorizont des Papstes, wo er herkommt. Dass die Menschen genügend Lebensprobleme haben, die ihnen das Leben sowieso stellt. Und sehr, sehr elementare Lebens- und Überlebensprobleme.
Und dass man da sagt, es kommt darauf an, den Leuten hier zu helfen, mit ihren großen und kleinen Sorgen und Nöten klarzukommen, und dass er da eben den Fokus verschiebt, nicht noch wieder einfach nur Normen zu formulieren. Das heißt nicht, dass es keine Normen und Regeln mehr geben wird. Das hat er auch an keiner Stelle gesagt. Er hält auch im Grunde daran fest, dass es Normen und Idealvorstellungen geben wird. Aber es kommt darauf an, zu unterscheiden, das ist sein wichtigstes Kriterium, was den Menschen jetzt wirklich dienlich ist und was nicht. Das ist die Zentralbotschaft für mich.
Watty: Neben den schönen Worten und dem Teil der zumindest theoretisch schönen Botschaft wird er ja tatsächlich in der Frage der Frauen relativ schwammig, um es mal so auszudrücken. Er sagt, dass die Räume einer weiblichen Präsenz in der katholischen Kirche größer werden sollten, und unklarer kann man es erst mal nicht ausdrücken. Woher kommt denn überhaupt diese Abneigung oder die Ablehnung der Frau, Maria ist eine Frau, steht über den Bischöfen, warum ist das immer noch so, warum bleibt das so vage auch in einer solchen Rede, in der er hoffnungsfroh klingen will?
Fürst: Ja, das wären jetzt zwei Fragen. Also, wo die Abneigung herkommt vielleicht zuerst. Oder überhaupt, warum das ein Problem ist innerhalb dieser kirchlichen Tradition. Das hat eben eine jahrhundertelange Geschichte, im Grunde bis in die Anfänge zurück. Und meine kürzeste Antwort wäre die, dass eben die kirchlichen Strukturen sich herausgebildet haben in weitestgehend patriarchalen Gesellschaften. Und dann diese Strukturen alle nach diesen Mustern gestrickt worden sind, so wie Kirchenstrukturen immer sehr viel stärker sich an aktuelle Muster anlehnen, als man das vielleicht selber in der Kirche wahrhaben will. Und das transportiert sich natürlich durch, und das war ja in allen – das war ja auch gesellschaftlich so, nicht nur kirchlich. Und erst im 20. Jahrhundert gibt es eben diese Bewegungen, Frauenemanzipation und was wir alles kennen, hin zu mehr Freiheiten für Frauen in ihren Lebenskontexten, Selbstbestimmung und so weiter.
Also es ist, glaube ich, einfach die Last dieser Geschichte, die aber gleichzeitig, meine ich, einen Schlüssel anbietet, wie man da rauskommen kann und damit umgehen kann. Es ist eben auch kulturell geprägt, auch Religionen sind immer kulturell geprägt. Und im Kern lebt diese moderne Geschichte ja von Gedanken von Menschenwürde und Freiheit und Autonomie. Und den halte ich nun für im Kern zutiefst christlich. Und da könnte man durchaus Wege finden, um mit der Frage anders umzugehen. Und damit zum zweiten Teil: Ich finde es nicht ganz so vage. Sie haben schon recht, es bleibt so ein bisschen vage, was heißt das jetzt konkret? Aber immerhin, er plädiert für mehr Beteiligung von Frauen in kirchlichen Entscheidungsprozessen, die ja nur sehr bedingt oder gar nicht gegeben ist. Er redet dann davon, immerhin im Zusammenhang mit der Funktion von Frauen, nicht nur von der Würde der Frau. Ja, von der Würde der Frau hat man immer geredet, aber die konkrete Funktion, die sie denn hat, das hat man immer vermieden. Und das tut er jetzt auch. Und er nimmt sogar das Stichwort Autorität in den Mund an der Stelle. Also auch an wirklich wichtigen Funktionen sollen offenbar oder könnte er sich vorstellen, dass Frauen beteiligt werden. Sie haben recht, das sagt nicht, wo das jetzt aktuell, konkret sein könnte. Aber immerhin, ich finde es schon ein Stück nicht nur vage.
Watty: Nichtsdestotrotz muss man natürlich jetzt abwarten, ob dieser Rede dann doch irgendwann in ferner Zukunft institutionelle Konsequenzen, konkrete Folgen folgen werden. Danke schön an den Kirchenhistoriker Alfons Fürst von der Uni Münster über das aktuelle Interview von Papst Franziskus und die Thesen und Aussagen, die darin stecken. Vielen Dank für das Gespräch!
Fürst: Ja, bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.