"Bei der Energiewende fehlt ein Masterplan"

Moderation: Martin Steinhage und Michael Groth |
Der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer sieht Defizite bei der Umsetzung der Energiewende. Er fordert, dass ein Manager mit entsprechender Erfahrung die nötigen Prozesse steuern soll. Ein solcher Kopf sei dafür besser geeignet als ein Energieministerium, das derzeit als neue Behörde im Gespräch ist.
Klaus Töpfer: Einen schönen guten Tag. Herzlichen Dank für die Einladung.

Deutschlandradio Kultur: Herr Töpfer, in der aus Zeitgründen unvollständigen Liste mit Ihren beruflichen Stationen hat mein Kollege unter anderem unterschlagen, dass Sie seit vier Jahrzehnten CDU-Mitglied sind. Spielt dieser Umstand für Sie eigentlich noch eine Rolle? Oder sind Sie der Parteipolitik entwachsen?

Klaus Töpfer: Nein, die Tatsache spielt natürlich eine Rolle. Ich habe immer die Meinung vertreten und werde sie weiter vertreten, dass das, was wir mit Umweltfragen im breitesten Sinne verbinden, in einer in meinem Sinne konservativen Partei bestens aufgehoben ist. Auch insofern sehe ich da überhaupt keine Konflikte. Ganz im Gegenteil – ich sage noch einmal: Wir sind aufgerufen Schöpfung zu erhalten. Wir sind aufgerufen unseren Lebensstil so auszurichten, dass er mit der Gerechtigkeit in der Welt auch in Übereinstimmung steht. Alles das sind ganz wichtige Fragen, die ich – glaube ich – sehr, sehr gut auch in der CDU vertreten kann.

Deutschlandradio Kultur: Herr Töpfer, Sie waren bei dem Thema Umwelt sozusagen der etwas andere Christdemokrat, ich bleibe mal dabei. Zumindest galt das noch vor einem Vierteljahrhundert, als Sie damals schon sagten, "wir müssen eine Energieversorgung ohne Atomkraft erfinden". Inzwischen ist Ihre Position zum Atomausstieg mehrheitsfähig – auch in der eigenen Partei. Heute sind acht alte AKW abgeschaltet. Die verbliebenen neun Kernkraftwerke folgen sukzessive in den nächsten zehn Jahren. Das ist das Ausstiegsszenario. Was sagen Sie denjenigen, die nach wie vor meinen, der Atomausstieg sei viel zu hastig in die Wege geleitet worden?

Klaus Töpfer: Wir müssen alles dran setzen, diese Veränderung unserer Energieerzeugung als ein Gemeinschaftswerk umzusetzen. Es ist eine große Herausforderung. Und das geht wirklich nur, wenn wir nicht nur Parteigrenzen überwinden können, das ist durch dieses Beschluss des Bundestags möglich geworden, sondern wenn wir auch dazu kommen, dass die Wirtschaft, die Bürgerinnen und Bürger, alle zusammen sagen: Jawoll, das ist eine große Chance für unsere Zukunft. Insofern ist das eine Notwendigkeit, intensiv zu diskutieren und am Ende zu beweisen, das geht.

Deutschlandradio Kultur: Wenn wir heute eine vorläufige Bilanz ziehen, wo stehen wir mit der deutschen Energiewende?

Klaus Töpfer: Wir haben gesetzlich sehr viel im Bundestag erledigt gesehen. Leider fehlt da das eine oder andere noch, dann auch in der Übereinstimmung mit den Bundesländern. Denken Sie nur an die Frage der Effizienzverbesserung unserer Wohngebäude, wo die finanzielle Förderung immer noch nicht entschieden ist, wo die finanziellen Möglichkeiten begrenzt sind, was wirklich ein echter Hemmschuh ist. Denn Energieeffizienz ist die zentrale Notwendigkeit, diese Energiewende möglich zu machen. Also, das sind Bereiche, die gesetzlich noch nicht durch sind.

Was mich aber in besonderer Weise besorgt, ist die Tatsache, dass wir dieses Jahr nicht genutzt haben, um so was wie einen Masterplan, einen klaren Umstiegsfahrplan durchzuführen und den wirklich professionell zu managen. Das haben wir in dem Ergebnis der Ethik-Kommission sehr deutlich angesprochen. Wir haben gesagt, wir brauchen dafür jemanden, der ein Gesicht dafür gibt, der Ansprechpartner ist, der auch verantwortlich dafür ist, einen Beauftragten etwa des Parlaments.

Ich bin heute der Meinung, noch besser wäre es, wenn wir einen Manager, der mit dem Management großer Projekte viel Erfahrung hat, da mit gewinnen könnten. Ich glaube, dass dies ein wirklich besorgniserregender Mangel ist. Denn wir brauchen am Ende eines Jahres oder im Laufe auch dieser Umsetzung einen Monitoringprozess, eine Überprüfung. Wo sind wir, wo hakt es? Beispiele gibt es da gegenwärtig bereits – etwa in der Frage: Wie erreichen wir es, dass jemand investiert in fossile Kraftwerke, vornehmlich in Gaskraftwerke, die wir für den Übergang brauchen, wenn nicht klar ist, dass da auch die ökonomischen Rahmenbedingungen stimmen?

Wir haben vorgeschlagen, den Kapazitätsmarkt zu organisieren. Das heißt, dass nicht nur für die Leistung des Kraftwerks bezahlt wird, sondern auch für die Tatsache, dass es da ist, dass es eine Reserve darstellt. Das ist eigentlich gar nichts so konzeptionell Weitreichendes. Die Rahmenbedingungen sind noch nicht. Nun haben wir jetzt das Gespräch der Bundeskanzlerin auch und gerade mit den Energieunternehmen. Ich hoffe wirklich sehr, dass das weitergeht und dass damit wirklich auch eine Perspektive geschaffen werden kann.

Deutschlandradio Kultur: Herr Töpfer, Sie haben jetzt einiges schon vorweg genommen. Sie haben sich gerade für einen Energieberater ausgesprochen, der ein Monitoring vornimmt. Und sicherlich meinen Sie damit auch, dass es wenig Sinn macht, nun explizit ein Energieministerium einzurichten.

Etwas anders: Ich will noch mal nachlegen bei dem, was nicht so richtig läuft. Kritiker sagen, der Ausbau des Stromleitungsnetzes geht zu langsam voran, ebenso der Ausbau der Offshore-Windparks. Die Integration der erneuerbaren Energien funktioniert noch nicht so richtig. Die Gebäudesanierung haben Sie angesprochen. Die ist weiter in der Schwebe. Es gibt also reichlich Baustellen. Warum lässt die Koalition die Dinge so schleifen?

Klaus Töpfer: Ich will keinen Berater haben, sondern ich will einen Manager haben, der verantwortlich dafür ist das umzusetzen in einem industriell organisierten Managementprozess.

Deutschlandradio Kultur: Aber kein Energieministerium.

Klaus Töpfer: Aber kein Energieministerium! Ich bin und bleibe der Überzeugung, dass da noch mehr Zeit vertan wird. Und dadurch, dass man ein Ministerium einrichtet, sind ja die unterschiedlichen Interessen, etwa zwischen Umweltministerium und Wirtschaftsministerium, nicht auf einmal eben in Luft aufgelöst. Das geht bis in eine Koalition hinein. Ich glaube nicht, dass es ein Lösungsansatz ist. – Das dazu.

Wenn ich die anderen Fragen sehe, die Sie nennen, finde ich das bemerkenswert, wie sich auf einmal durch solche Knappheiten, durch Engpässe, die nicht beseitigt werden, auch neue Technologien entwickeln. Sie nennen die Netze. Was haben wir nicht alles schon für Kilometerzahlen gehört, die man ausbauen müsste – 4.000 und mehr. Und jetzt steht vor wenigen Tagen eine schöne Meldung in den deutschen Zeitungen, dass einer der großen Netzbetreiber gesagt hat: Durch relativ geringe Veränderung am bestehenden Netz könnten sie sehr viel mehr Strom transportieren als sie vorher gedacht haben. Konsequenzen für das Netz sind, dass man so viel Ausbau nicht braucht.

Wir sehen, dass wir an vielen Stellen auch eine sehr dezentrale Stromerzeugung haben. Die Konsequenzen für das Netz sind natürlich damit verbunden wiederum. Also, man sagt immer, wir wären die "Dagegen-Republik", ich kann immer nur sagen: Aus dem Dagegen entstehen neue Ideen. Wissen Sie, wir haben einmal die Dagegen-Republik beim Abfall gehabt. Kein Mensch wollte irgendwo eine Deponie oder irgendwo eine Verbrennungsanlage. Und da sind wir auf die Idee gekommen und haben gesagt, dann machen wir Kreislaufwirtschaft. – Das ist der Knüller geworden, ist der ökonomische Knüller geworden, den wir weltweit exportieren. Also, man muss das auch mal positiv aufgreifen.

Deutschlandradio Kultur: Aber ein bisschen schneller gehen könnte es schon, oder?
Klaus Töpfer: Na selbstverständlich. Das habe ich ja im Eingang gesagt. Wir brauchen so einen, auch, na ja, Prioritätenplan. Welches ist als Erstes, wie ist das durchzuführen? Wo können wir auch weitere technologische Entwicklungen erwarten? Ich erwähne nicht nur dieses eben angesprochene Unternehmen mit der besseren Kapazität bestehender Leitungen, sondern ich erwähne auch die Tatsache, dass immer mehr darüber intensiv nachgedacht wird und umgesetzt wird – hoffentlich bald –, dass wir aus Strom auch Gas machen können. Die Elektrolyse ist keine geheimnisvolle Technologie und dass man auf diese Art und Weise Leitung und Speicher machen könnte.

Also, ja, ich bin weit davon entfernt zu sagen, dass es so läuft, wie es hätte laufen können im ersten Jahr, aber eins ist deutlich geworden: Die Energiewende von unten – bei den Bürgerinnen und Bürgern – ist gut in Gang gekommen. Wir sehen massive Entwicklungen im dezentralen Bereich. Energiegenossenschaften sprießen wie Pilze aus dem Waldboden. Die Aufgabe wird sein: Wie kriegen wir die koordiniert zusammen? Wie können wir vermeiden, dass wir einen Flickenteppich haben, der hinterher nicht zusammenpasst?

Wir sehen, dass wir technologische Weiterentwicklung als Antwort auf die gerade von Ihnen angesprochenen Engpässe bekommen, aber es muss systematisch auch daran gearbeitet werden, dieses in einem Masterplan, in einem Umsetzungsplan, um es etwas verständlicher zu machen, durchzubringen. Dafür gibt es gute Chancen.

Deutschlandradio Kultur: Sie sagen, da wächst was von unten heran. Ist das wirklich so, Herr Töpfer? Bei Umfragen heißt es ja, dass viele Bürger, sogar Mehrheiten eigentlich eher Desinteresse an der Energiewende zeigen. Viele Bürger verfahren nach dem Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Zum Beispiel: Man ist natürlich für den Ausbau regenerativer Energien und damit müsste man auch für den Ausbau der entsprechenden Starkstromleitungen sein. Aber diese Leitungen will niemand in seiner Nähe haben. Also, noch mal nachgefragt: Wie bekommt man die Bevölkerung ins Boot?

Klaus Töpfer: Die erste große Voraussetzung, die wir ja in ganz konkreten Projekten immer wieder kennengelernt haben, ist: Es reicht nicht, dass wir am Ende beteiligen, sondern dass wir am Anfang Mitwirkung in Lösungen hinein ermöglichen. Wir haben das in dem Institut, das ich in Potsdam leite, zu einer der zentralen Fragen gemacht. Wie kriegen wir diesen Transfer von Technik, Weiterentwicklung auch in eine Bevölkerung mit hinein? Nicht als Verkaufsshow, sondern als eine Frage: Wie können wir Mitwirkung an einer Wissensgesellschaft möglich machen? Wir sprechen von transdisziplinär, also die Mitarbeit von Gesellschaft in wissenschaftliche Entwicklung, eine ganz spannende, ganz wichtige Entwicklung, fast unabhängig von der Energiewende, aber für diese von größter Bedeutung – gar keine Frage.

Deutschlandradio Kultur: Herr Töpfer, man kann sicherlich, um den Gedanken von eben noch mal aufzunehmen, den effizienten Umgang mit Energie lernen, zum Beispiel Strom sparen. Haben Sie den Eindruck, dass die Notwendigkeit der Energieeffizienz beziehungsweise Einsparung wirklich schon in den Köpfen drin ist?

Klaus Töpfer: Wer viel Energie verbraucht, bezahlt sehr viel dafür. Wissen Sie, wenn man mir immer sagt, aber durch all das, wird der Strompreis steigen, dann kann ich immer nur sagen: Das ist ja wahr. Es hat der Strompreis sich auch früher nicht als konstant ergeben, sondern er ist auch früher gestiegen – ohne Energiewende. Aber wenn der Preis steigt, umso mehr müssen wir alles tun, um die Effizienz zu verbessern.

Das, was der Bürger bezahlt, ist nicht nur der Preis, sondern der Preis mal Menge. Das steht auf seiner Rechnung. Wie viel Kilowattstunden hat er gebraucht? Wie viel Liter Öl hat er verbraucht, um sein Haus zu wärmen? Alles das, was wir dort machen können, ist ja auf der Rechnung ein Positivum. Wenn wir ein Dreiliterhaus machen können, dann ist das eine ganz andere Fragestellung. Deswegen ist ja die Verbindung zwischen der Sozialverträglichkeit und der Effizienz, also des sparsamen Umgangs mit Energie so zentral.

In dem, was wir in der Ethikkommission gemacht haben, stand die Frage der sozialen Verträglichkeit natürlich ganz oben an der Spitze. Man geht ja nicht davon aus, dass alle Töpfers sind. Der kann mal eine Strompreiserhöhung schon mal einigermaßen vernünftig abfedern. Aber es sind sehr viele Menschen, bei denen der Strompreis eine wirklich zentrale Rolle in ihrem Haushaltsbudget spielt. Also müssen wir da dran denken, dass diese Preisentwicklungen, die uns auch eine größere Energieversorgungssicherheit bringen, nicht sozial unverträglich werden. Und das geht entscheidend mit über den besseren Umgang, über die Effizienz, die ich versucht habe, gerade noch mal ganz konkret auch zu kennzeichnen.

Deutschlandradio Kultur: Was sagen Sie denn dann zu dem Stichwort Energiearmut? In dieser Woche wurde bekannt, dass immer mehr Menschen die hohen Energiepreise nicht mehr bezahlen können – mit der Folge, dass pro Jahr angeblich rund 600.000 deutschen Haushalten der Strom abgestellt wird. Wird im Zeichen der Energiewende Strom also in diesem Sinne zu einem Luxusgut?

Klaus Töpfer: Nein, wird es ganz sicherlich nicht.

Deutschlandradio Kultur: Aber Fakt ist doch, ich glaube, seit 2005 ist der Strompreis noch mal um 40 Prozent gestiegen. Das sind im Wesentlichen staatliche Abgaben. Es ist beispielsweise auch der Punkt, dass energieintensive Unternehmen von den Netzentgelten befreit worden sind. Die Zeche müssen jetzt oft die Privathaushalte zahlen. Ist das noch sozial verträglich?

Klaus Töpfer: Na ja, wenn Sie sagen, von 2005 bis her, kann man das ja nicht gerade alles der Energiewende zuschreiben.

Deutschlandradio Kultur: Das meinen wir ja auch nicht. Der Strompreis steigt.

Klaus Töpfer: Das war ja meine Aussage. Was mich im Augenblick in besonderer Weise mit bewegt, ist die Frage: Welchen der Anstiege, die wir gehabt haben, würden wir denn bei der Energiewende nicht oder nicht so haben oder wo hätten wir mehr? Das ist ja die zentrale Fragestellung.

Die Notwendigkeit, die damit verbunden ist, ist ganz ohne jeden Zweifel, dass wir uns unabhängiger machen von Stromimporten oder von Energieimporten. Nur, wenn es uns wirklich gelingt, und ich habe keinen Zweifel dran, dass es gelingen kann, die erneuerbaren Energien bei uns weiter so auszubauen, dass die Lernkurve und damit die Kosten endlich das Niveau erreichen, wo sie uns nicht mehr belasten, sondern ein Stückchen auch mit zur Stabilisierung von Preisen beitragen. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir gerade auch bei den Haushalten alles, aber auch wirklich alles dran setzen, um die Energieeffizienz voranzubringen.

Nur das gilt nicht nur für die Gebäudehülle, was wir ja meistens sagen, sondern das gilt auch für all das, was im Haus dann hinterher Energie verbraucht. Sehen Sie sich mal die Heizungsstrukturen in unseren privaten Häusern an. Sie kriegen graue Haare, wenn Sie die Effizienz sehen.

Deutschlandradio Kultur: 73 Prozent ...

Klaus Töpfer: Wissen Sie, wenn denn mal es notwendig war, irgendwo eine Abwrackprämie zu zahlen, hätten wir besser da bezahlt. Das hätte auch dem Handwerk viel mehr genutzt und hätte uns wirklich dazu gebracht, eine andere Effizienz zu haben. Also, gehen Sie heute zu den großen und den kleinen Unternehmen in Deutschland. Sie alle sagen: Die Energieeffizienz ist auch wirklich für uns Markt. Da können wir Geld verdienen dabei. Das machen wir auch in Breite.

Insofern noch einmal: Ich will das gar nicht wegreden. Ich weiß genau, diese Probleme sind die Dinge, die auch argumentativ genutzt werden, um zu sagen, die Energiewende geht ja nicht, du siehst es ja an den Preisen.

Ich wäre da viel vorsichtiger. Wenn man das gerade auch von marktwirtschaftlich orientierten Menschen hört, die doch eigentlich sagen, Preise haben eine Wirkung, und die auch sagen, dass man Märkte nicht statisch, sondern dynamisch betrachten muss, dann frage ich mich allerdings, ob ich doch noch etwas intensiver hätte darauf achten müssen, dass wir unsere volks- und betriebswirtschaftlichen Kenntnisse breiter unterbringen.

Deutschlandradio Kultur: Es gab ja auch andere Warnungen. Vor dem Winter war oft die Rede von der Gefahr eines Blackouts, also, dass infolge des Atomausstiegs buchstäblich die Lichter ausgehen könnten. Acht AKW sind vom Netz – nichts ist passiert. Hatten wir nur Glück oder könnte es doch zu einem Blackout kommen? Oder haben interessierte Kreise hier versucht ein bisschen Angst zu schüren.

Klaus Töpfer: Faktum ist, es ist nicht dazu gekommen.

Deutschlandradio Kultur: Kann es noch dazu kommen?

Klaus Töpfer: Ein Faktum ist es natürlich auch: Wenn Sie Grundlastkraftwerke rausnehmen, wird die Steuerungsnotwendigkeit ansteigen. Also, wir werden auch auf Dauer nicht mehr in die Zeit hineingehen, in der wir praktisch ein sehr stabiles, fast kaum nachsteuerbares Stromnetz zu betreiben haben, was in der gegebenen Erzeugungsstruktur natürlich der Fall ist – gar keine Frage.

Deswegen waren viele höchst besorgt, dass man jetzt sehr viel regeln muss. Und man kann nur Respekt vor denen haben, die es gemacht haben, dass sie das prima umgesetzt haben. Ich glaube, wenn das, was ich vorhin gerade mal knapp nur angesprochen habe, die Frage von Kapazitätsmärkten möglich wird, und ich gehe davon aus, dass das nun wirklich möglich wird, in der einen oder anderen Form, auch wenn der Name ein bisschen anders ist, aber dass wir die Rahmenbedingungen, die ökonomischen Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass wir auch entsprechende Zuwachskapazitäten haben, dann ist die Gefahr deutlich abgemildert.

Auch die Notwendigkeiten der Anpassungen, ich sage es noch mal, die im Kern verändert bleiben werden, ich muss halt darauf hinweisen, das, was wir vorhaben, ist eine auf die erneuerbaren Energien hin ausgerichtete Energieversorgungsstruktur bis 2050. Und wenn du das hast, dann musst du sagen: Bisher war es so: Du hast fossile und nukleare Kapazitäten und erneuerbare kommen hinzu. Demnächst wirst du sagen: Du hast erneuerbare Kapazitäten und fossile kommen hinzu.

Das heißt, wir kriegen einen anderen Marktentwurf. Das ist eine ganz große Herausforderung. Das ist wirklich der zentrale Punkt. Da gehen solche Dinge rein wie Speicherfragen, auch Eigenverbrauch. Das ist eine wiederum ganz breite Palette auch von Veränderungen. Von einem Energy Internet haben wir vorher nie gesprochen. Heute spricht man in England darüber, deswegen habe ich es mal englisch ausgesprochen. – Alles natürlich Bereiche, in denen wir natürlich genau diese Disparitäten von Erzeugung und Nachfrage ein Stück mit abfedern können.

Ich bin wirklich nicht blauäugig optimistisch. Ich weiß, wie viele harte Arbeiten in Details dafür erforderlich sind, um dahin zu kommen. Aber was sagt man so schön in China? Der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt. – Es muss aber sicher sein, dass der Schritt in die richtige Richtung geht, sonst verlängert er den Weg.

Deutschlandradio Kultur: Wir sind beim Ausland. Da bringen Sie mich auf die nächste Frage. Sie kommen ja viel herum, Herr Töpfer. Wie beurteilt man denn den deutschen Atomausstieg im Ausland? Sind alle begeistert oder sagen auch manche, Mensch, ihr spinnt, ihr Deutschen?

Klaus Töpfer: Also, Sie haben völlig recht. Man kommt gerade unter dem Gesichtspunkt jetzt wieder sehr viel mehr noch ins Ausland. Ich hatte die Freude in der deutschen Botschaft in Paris eingeladen zu sein und dort französische Öffentlichkeit zu unterrichten. Dasselbe habe ich in London gemacht.

Die Reaktionen sind ganz spannend. Da gibt es natürlich, wenn Sie das in Paris machen, na ja, die große Besorgnis, dass wir damit einen falschen Weg gehen. Wir sind halt weltweit ein Unikat. Man muss das ganz brutal und einfach so sagen. Es gibt noch die Schweiz, die auch in der Tendenz gesagt hat, man will aus der Kernenergie heraus, aber doch einen deutlich anderen Zeitrahmen hat. Andere, die noch nicht drin sind, wie Italien, haben beschlossen, auch nicht reinzugehen. Das ist auch eine andere Situation.

Deutschlandradio Kultur: Andere wie Polen wollen rein.

Klaus Töpfer: Andere wollen rein.

Deutschlandradio Kultur: Tschechien will Temelin ausbauen.

Klaus Töpfer: Ja, warten wir das mal alles ab. Ich weiß nicht, ob Sie vor einiger Zeit eines der großen Wirtschaftmagazine der Welt, Economist, gelesen haben. Die sagten, dass diese Erwartungen so wohl nicht eintreten würden, weil einfach die Kosten zu hoch sind. Und wenn heute gefragt wird, ob man nicht die Kernenergie auch so fördern solle, ist das ja ein Hinweis darauf, dass die Erwartung, das ist die ganz billige Sache, nicht ganz so stimmt. Fragen Sie mal in Großbritannien nach, wie die Möglichkeit dort in Kernenergie zu investieren, aufgenommen worden ist, ob da jemand wirklich investiert.

Aber ich sage das nur am Rande. Es ist für mich kein tragendes Thema. Wir haben nirgends gesagt, dass dies so etwas wie das globale Modell aus Deutschland sein soll. Wir haben nur gesagt, es ist eine Chance, die wir haben, weil wir nach Tschernobyl nun wirklich sehr viel Geld auch in die Hand genommen haben, um andere Energiemöglichkeiten zu erforschen. Wir sind weltweit unschlagbar mit Fragen der erneuerbaren Energien, mit Wind und Sonne – gar keine Frage. Wir sind nur soweit gegangen, dass jetzt andere, die es auch wunderbar aufgenommen haben und unter ihren Bedingungen an vielen Stellen günstiger produzieren können. Deswegen haben wir viele der Solareinrichtungen, die wir haben, importiert aus Asien, aus China, aus Korea und anderwärts.

Wir sehen aber auch, dass die Chinesen massiv in die Windenergie hineingehen – massiv in ihrem neuen Fünfjahresplan an Größenordnungen in Gigawatt, die wir gar nicht für möglich halten können.

Deutschlandradio Kultur: Und trotzdem aber sagen sie: Chinesen werden ohne Atomenergie nicht auskommen. Das ist eine saubere Technologie. Und wir brauchen sie, um den Anschluss zu schaffen.

Klaus Töpfer: Wissen Sie: Wenn ich sehe, dass auch die Chinesen selbst, wenn sie ihre Ausbaupläne so durchführen, in Größenordnungen hineinkommen, in dem sie nicht einen zweistelligen Prozentsatz ihrer Stromerzeugung aus Kernenergie haben, dann wissen sie auch, dass sie eine klare Perspektive der Vielfalt dort haben werden. – Nein, es ist klar: Es ist dann ein Erfolg, auch in den Augen anderer, wenn wir daraus wirklich ein Business Case machen können, wenn es sich auch international rechnet.

Wissen Sie, ich bin gerade lange in Afrika gewesen, bin dann zurückgekommen, habe in Südafrika mehrere Reden in Universitäten undsoweiter gehalten und diskutiert. Die fragen alle nur: Wann seid ihr mit der Solarenergie in einem solchen Preisbereich, wo wir auch mitwirken können, wo sie für uns interessant wird? – Und das liegt im Preisbereich, der mit Sicherheit unter 10 Eurocent pro Kilowattstunde liegt.

Denn Sie müssen ja sehen: Wenn wir bei uns 10 Cent pro Kilowattstunde erreichen, bei 900 Sonnenstunden im Durchschnitt im Jahr, und wir bringen dieselbe Technik in eine Gegend wie in Südafrika und andere Bereiche, wo du über 3.000 Sonnenstunden hast, ist das eine andere Rechnung, die da zustande kommt. Und dann ist dieses natürlich eine wettbewerbsfähige Energie. Wenn Sie so wollen, sind die Subventionen, die wir wirklich eingebracht haben und auch einbringen, etwa durch das Energieeinspeisegesetz, Entwicklungsinvestitionen einer neuen Energietechnik, die dann allen zur Verfügung steht.

Also, darüber kannst du natürlich lange nachdenken. Aber wenn nicht ein technologisch führendes Land wie Deutschland, wenn nicht ein Land, das auch wirtschaftliche Stabilität vorweisen kann, sich mit solchen Entwicklungsaufgaben beschäftigt, die sich hinterher für sie auch auszahlen – wer soll es denn sonst machen? –, dann werden wir nie in den Bereich der erneuerbaren Energien kommen. Und das, glaube ich, sollten wir einer Welt, die, wie gesagt, auf neun und mehr Milliarden Menschen zugeht, nicht als Erbe hinterlassen.

Deutschlandradio Kultur: Das war ja ein schönes Schlusswort, aber eine Frage haben wir noch: Es war zu lesen, Klaus Töpfer trägt stets eine Krawatte mit Tiermotiven. Heute sind es Eulen. Warum immer Tiere? Ein augenzwinkerndes Statement des Umweltexperten?

Klaus Töpfer: Ach, wissen Sie, wenn alles, was man macht, rational verankert werden müsste, hätte das Leben keinen Spaß. Ich freue mich darüber und bin einmal drauf gekommen und hatte dann immer den Eindruck – nebenbei, die erste habe ich von einer durchaus bekannten Politikerin aus Frankreich geschenkt bekommen –, und das hat mir irgendwo das subjektive Gefühl gebracht, du, wenn du das an hast, dann hast du mehr Glück und es läuft besser. Na ja, lassen Sie mich so viel Irrationalität weiter tragen. Es gibt wunderbare Krawatten mit Tieren.

Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank, Herr Töpfer.

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