Das ungeliebte Sakrament
Für Katholiken ist die Beichte eines der sieben Sakramente. Doch immer mehr Gläubige in Deutschland finden diese Praxis nicht mehr zeitgemäß. In Polen dagegen beichtet noch jeder Fünfte regelmäßig.
Vitus Seibel ist Jesuit. Zu Beginn seiner priesterlichen Laufbahn verbrachte er zwei Stunden täglich im Beichtstuhl der St. Michael-Kirche in München. Heute findet die Beichte einmal die Woche statt, Beichtstühle werden in manchen Kirchen als Abstellkammer zweckentfremdet, die Zahl der Beichtwilligen sinkt - sagt der 70-Jährige.
"Das hängt sicherlich mit der allgemeinen Säkularisierung zusammen und damit, dass ein Sünden-Bewusstsein sich geändert hat und vieles nicht mehr als Sünde angesehen wird, oder dass es viele Möglichkeiten der Sündenvergebung gibt, indem ich etwas bereue in der Heiligen Messe. Aber der allgemeine Trend ist: es geht ganz gut auch ohne die Beichte."
Und damit meint der Jesuit in erster Linie das allgemeine Schuldbekenntnis zu Beginn der Messliturgie – für viele ein angst- und scheufreier Ersatz für das persönliche Gespräch mit einem Priester, der stellvertretend für Gott die Sünden vergeben kann. Der Berliner Franziskaner, Clemens Wagner, sieht noch eine weitere Tendenz.
"Ich erlebe, dass mir viele sagen: 'Das mache ich mit meinem Gott aus.' Ich antworte dann immer: 'Wenn Ihnen Gott antwortet, dann haben Sie Glück, weil er mir so bis jetzt so noch nicht geantwortet, wie wenn ich im Beichtgespräch bin.'"
Mindestens einmal pro Jahr soll der Gläubige beichten
Das Sakrament der Beichte hat in der katholischen Kirche eine lange Tradition. Die sogenannte Ohrenbeichte, also das Gespräch unter vier Augen mit einem Beichtvater kam im 6. Jahrhundert mit den iroschottischen Mönchen nach Europa. Seit dem Vierten Laterankonzil 1215 gebietet die katholische Kirche ihren Gläubigen, wenigstens einmal im Jahr all ihre Sünden einem Priester zu beichten. Doch die Beichte verliert an Popularität. Internetportale wie katholisch.de werben deshalb zunehmend für die Beichte:
Beichten heißt, wir erkennen, dass wir Mist gebaut haben, und wir stehen dazu. In der Beichte ist der Priester das Ohr Gottes, stellvertretend nimmt er unser Bekenntnis entgegen, unsere Reue... Der Priester will uns nicht analysieren, er will uns vergeben.
Laut katholischer Kirchenlehre ist die Reue eine wichtige Voraussetzung für Sündenerlass. Gebeichtet werden müssen vor allem schwere Sünden – Mord, Abtreibung, Gotteslästerung. Solche spektakulären Schuldbekenntnisse sind zwar selten, machen aber sogar die hartgesottenen Priester sprachlos. Clemens Wagner:
"Ich merke, dass ich auch in mir Gefühle habe, dass ich mir immer wieder sage, ich möchte nicht in dessen Haut stecken. Für mich ist ein Problem Kindesmissbrauch, wo ich sehr an meine Grenzen komme. Meine Aufgabe ist nicht zu richten, sondern durch die Lossprechung neue Hoffnung zu geben."
"Als Katholik hat man es heutzutage schwer"
Die 76-jährige Rentnerin Renate geht zur Beichte öfter als vorgeschrieben und kann das Vergebungswort, das bei mangelnder Reue einigen vorenthalten wird, kaum abwarten.
"Das ist schon mal eine Befreiung, wenn man einem Priester gegenüber sitzt und sein Leben vor Gott ausbreitet. Bis vor kurzem bin ich alle 14 Tage zur Beichte gegangen, weil ich merkte, ich wurde sensibler für das, was ich falsch mache oder wo ich krumm liege."
Philipp ist 17. In den letzten zehn Jahren machte er einen Bogen um die Beichte. Er wollte sich nicht als Außenseiter sehen, doch als Austauschschüler hat er das unliebsame Sakrament in den USA wieder entdeckt.
"Als Katholik in einer Gesellschaft hat man es vor allem heutzutage schwerer, weil sich immer weniger Menschen zu Gott hingezogen fühlen und die Religion immer mehr den Stellenwert verliert. Mein Gastvater hat mir die Beziehung zu Jesus nahegelegt, so dass ich sie wiedergefunden habe. Ich glaube, dieses „Befreit-Sein", dass man sich „gereinigt fühlt" und befreit von der Schuld, das ist etwas Außergewöhnliches. Etwas, was man nur bei der Beichte empfangen kann."
Polen: Lange Schlangen vor den Beichtstühlen
Im katholischen Nachbarland Polen geht jeder Fünfte regelmäßig zur Beichte – so sagt es das Kirchliche Statistikamt. Besonders vor Weihnachten und Ostern stehen lange Schlangen vor den Beichtstühlen. Der Dominikaner Tomasz Franc merkt, dass die Nachfrage nach einer Beichte immer noch groß ist.
"Das unterscheidet Polen von anderen Ländern, und ich denke nicht, dass da nur die katholische Tradition dahinter steckt. Schließlich muss ein 40-Jähriger nicht in die Fußstapfen seiner Eltern treten. Die polnischen Priester bemühen sich, den Gläubigen den Sinn einer Beichte zu erklären. Vor Weihnachten wartet man darauf bis zu anderthalb Stunden – keiner beschwert sich. Die meisten wissen, so kommt man mit Gott und Menschen ins Reine, lernt das eigene 'Ich' kennen."
Franc, der selbst Psychologe ist, sieht darin die therapeutische Wirkung einer Beichte. Für ihn ist das die beste Erklärung, weshalb sich viele Polen einen festen Seelsorger suchen, bei dem sie ihr Herz regelmäßig ausschütten können. Positive Erfahrung mit der Beichte macht auch die Religionslehrerin, Monika Rochowiak:
"Ich hatte noch nie einen Schüler, der mir sagen würde, dass ihn die Beichte irgendwie stört. Wenn überhaupt, dann liegt das daran, dass wir ungern über unsere schlechten Seiten reden oder dass die Kommunikation mit einem Beichtvater nicht stimmt. Doch auch wenn ein Priester ein Sünder ist, er ist, der in Gottes Namen losspricht. Johannes Paul II. ging alle 14 Tage zur Beichte. Ich fühle mich danach so unbeschwert."
Kritik am Hierarchiedenken der Kirche wächst - auch in Polen
Doch auch in Polen ändert sich die Einstellung zur Beichte. Der Grund ist die allgemeine Säkularisierung, die immer lauter werdende Kritik an der Kirche wegen Missbrauchsskandalen oder des Lebensstils mancher Geistlicher. Ewa ist Hochschullehrerin. Obwohl die 40-jährige Feministin in einer streng katholischen Familie aufgewachsen ist, geht sie seit acht Jahren nicht mehr zur Beichte. Manche Strukturen der Kirche erscheinen ihr nicht mehr zeitgemäß, außerdem ist ihr Sündenverständnis anders als das der Kirche.
"Als mein Vater starb, hatte ich ein unangenehmes Beicht-Erlebnis mit einem Franziskaner-Mönch – ich wollte mich verabschieden. Wir Gläubige stehen in einem Hierarchieverhältnis, ein Priester bewertet unser Tun. Wie kann das sein? Ich weiß, ich entspreche nicht der typischen Vorstellung eines polnischen Katholiken. Dieses Hierarchiedenken in der Kirche, mangelnde Dialogbereitschaft stören mich. Ich denke, auch bei uns wird die Säkularisierung noch weiter voranschreiten."
Leere Beichtstühle sind in Polen noch eher unwahrscheinlich, auch wenn auf den Internetforen junge Menschen nachfragen, ob eine Internet- oder Telefonbeichte möglich wäre. Der Trend ist aber klar: Immer mehr Gläubige entscheiden sich für ein ausführliches Seelsorgegespräch, verbunden mit einer Lossprechung. Die klassische Beichtvariante ist ihnen zu kurz, um geistig zu wachsen.