Prof. Manuela Rousseau ist seit Juni 1999 Mitglied im Aufsichtsrat der Beiersdorf AG. Nach dem Hauptschulabschluss absolvierte Rousseau eine Lehre als Einzelhandelskauffrau. Nach einem Intermezzo als Unternehmerin begann sie 1982 ein Volontariat bei Teldec Schallplatten. 1984 ging sie zu Beiersdorf, zunächst in den Einkauf, bevor sie in die Kommunikation des Konsumgüterkonzerns wechselte und bis zur stellvertretenden Konzernsprecherin aufstieg. Später übernahm Rousseau die Leitung der neu aufgebauten Abteilung Corporate Social Responsibility. Seit 1992 lehrt sie zudem an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater im Studiengang Kultur- und Medienmanagement. Ihr Fachgebiet ist Fundraising-Management. 2019 erschien ihr Buch "Wir brauchen Frauen, die sich trauen".
Traut Euch, Frauen!
29:21 Minuten
Unter zehn Prozent der Vorstände deutscher Unternehmen sind Frauen. Damit das nicht so bleibt, muss sich einiges ändern, sagt Aufsichtsrätin Manuela Rousseau: Strukturen, Führungskulturen, Mentalitäten. Aber ganz ohne Quote funktioniere es nicht.
"Männer und Frauen sind gleichberechtigt", heißt es in Artikel 3 des Grundgesetzes. Und seit 1994 verpflichtet das Grundgesetz den Staat, "die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken."
Es hat sich ja auch tatsächlich in Deutschland einiges getan, wenn man bedenkt, dass Frauen bis Ende der 50er-Jahre eine Erlaubnis ihres Ehemannes und Familienoberhauptes brauchten, um zu studieren, ein Konto zu eröffnen, einen Führerschein zu machen. Und bis in die 70er-Jahre konnten sich Männer gegen die Vollzeit-Erwerbstätigkeit ihrer Ehefrauen stellen, wenn diese ihnen nicht "mit Pflichten in Ehe und Familie" vereinbar schien.
Gleichberechtigung bedeutet nicht Gleichstellung
Inzwischen hat sich das erheblich geändert, aber noch immer sind Frauen, wiewohl gleichberechtigt, nicht gleichgestellt. Das zeigt sich darin, dass sie noch immer in den Führungsetagen von Wirtschaft und Staat in der Minderheit sind. Und das zeigt sich auch darin, dass sie noch immer im Schnitt deutlich weniger verdienen und in der Folge entsprechend geringere Altersbezüge haben als ihre männlichen Kollegen. Andere Industrieländer sind da erheblich weiter. Daran haben auch 15 Jahre einer Frau im Bundeskanzleramt nichts geändert.
Was muss sich gesetzgeberisch und strukturell ändern, damit aus Gleichberechtigung auch Gleichstellung wird? Inwieweit sind Frauen selbst mitverantwortlich, dass sie an den Schaltstellen der politischen und wirtschaftlichen Macht in der Minderheit sind?
Das Interview im Wortlaut:
Deutschlandfunk Kultur: Frau Rousseau, am 8. März ist der Internationale Frauentag. Erstmals wurde der 1911 initiiert von sozialistischen Organisationen im Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen und das Wahlrecht für Frauen. Seit 1921 ist dieser 8. März in weiten Teilen der Welt Internationaler Frauentag. Brauchen wir den eigentlich in Deutschland überhaupt noch? Oder ist das so ein bisschen Folklore mittlerweile?
Manuela Rousseau: Schön wäre, wenn wir jetzt über Folklore sprechen könnten. Ja, wir brauchen den Weltfrauentag auch 110 oder 111 Jahre nach seiner Gründung – vielleicht leider –, aber weltweit demonstrieren Frauen seit 110 Jahren für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung. Es ist viel erreicht, besonders in Deutschland, aber lange noch nicht alles.
Deutschlandfunk Kultur: Zumindest haben wir seit 1949 den wunderbaren Satz im Grundgesetz: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." Und seit 1994 steht auch im Grundgesetz, dass der Staat verpflichtet ist – ich zitiere – "die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken". Da tut er nicht genug?
Rousseau: Ich glaube, das Thema durchzieht wirklich unseren gesamten Alltag. Wenn ich so aus meinem Lebensumfeld spreche – sei es in einem Wirtschaftsunternehmen oder auch an der Hochschule mit den jungen Menschen –, dann ist viel passiert, aber es sind noch unendlich viele Chancen, die nicht genutzt werden. Das meine ich in Bezug auf Familie, aber auch auf Gesellschaft, auf Manager, auf Unternehmen. Es könnte für uns alle besser sein. Es könnte besser sein, wenn wir nicht unnötig an alten Klischees festhalten würden.
Deutschlandfunk Kultur: Ist vielleicht auch ein Unterschied zwischen Gleichberechtigung, was sehr theoretisch ist, und "Gleichstellung"?
Rousseau: Also, Gleichberechtigung sehe ich als Chancengleichheit für alle Menschen. Und Gleichstellung bedeutet zum Beispiel, dass wir nicht alle, wenn wir die gleiche Qualifikation haben, das gleiche Geld bekommen. Es sind zwei etwas unterschiedliche Begriffe. Aber beide sind noch lange nicht am Ende.
Deutschlandfunk Kultur: Nun ist es ja so, dass wirklich heute Frauen überall im öffentlichen Leben in Deutschland präsent sind, wenn man sich mal überlegt, dass bis in die 50er-Jahre der Mann die Erlaubnis geben musste, damit eine Frau den Führerschein machen konnte oder überhaupt arbeiten gehen konnte, ein eigenes Konto eröffnen konnte. Heute haben wir sogar bekanntlich eine Regierungschefin. Welche Veränderungen haben diese 15 Jahre Kanzlerschaft von Angela Merkel aus Ihrer Sicht gebracht?
Rousseau: Na, dann nehmen wir doch mal als erstes die Quote, die mit Fidar – Frauen in die Aufsichtsräte – sozusagen initiiert wurde, aber es gab durchaus einen großen Ruck nach vorne, nachdem in den Aufsichtsräten die 30-Prozent-Quote gesetzlich geregelt wurde. Und ich glaube, wir brauchen Vorbilder. Wir brauchen einfach Frauen, die zeigen, dass sie dem Klischee nicht unterliegen, sondern dass Frauen durchaus sehr gute Führungseigenschaften haben.
Männer sind noch nicht in der Zukunft angekommen
Deutschlandfunk Kultur: Dass es noch nicht so ganz funktioniert, zeigen Zahlen – dazu gleich mehr. Ich möchte noch eine Sekunde bei der Politik bleiben. Nach fast zwanzig Jahren mit einer Frau an der Parteienspitze der CDU stehen jetzt wieder nur Männer in den Startlöchern. Natürlich kann man sagen: "Hey, zweimal in Folge waren es Frauen, dann halt jetzt wieder die Männer dran – das ist doch ganz normal". Ist das ganz normal?
Rousseau: Ich wünschte mir, dass die Männer heute auf einem Niveau wären, wo sie die Gleichberechtigung wertschätzen. Wenn ich ehrlich bin, dann ist der Zustand in Deutschland, wenn ich jetzt mal auf Zitate schaue – von Friedrich Merz beispielsweise mit seiner Botschaft des Burka-Verbots bis hin zu seinen Herrenwitzen gegen Frau Kramp-Karrenbauer –, dann merke ich, dass da die Zukunft nicht angekommen ist.
Das könnten wir uns schlicht nicht leisten. Wir leben in einer modernen Lebenswelt und Gesellschaft. Die geht anders.
Deutschlandfunk Kultur: Hat das vielleicht auch etwas damit zu tun, Frau Rousseau, dass Angela Merkel ja nie ein Hehl daraus gemacht hat, dass sie keine feministisch orientierte Personalpolitik macht? Die Frauen sind in der Kanzlerinnenpartei tatsächlich ja auch nicht auffallend gefördert worden. Es gibt dadurch da einen ziemlich dünnen Mittelbau. Da wächst natürlich dann auch nicht so viel auf.
Rousseau: In der Tat brauchen Frauen ein bisschen mehr Ermutigung. Sie müssen ermutigt werden, eine Führungsaufgabe zu übernehmen. Frauen denken häufig noch in Defiziten und Männer eher in Potenzialen. Die Frauen rufen nicht laut genug: "Hier! Ich kann’s, ich bin da und ich werde es können, ich möchte es machen." Frauen brauchen von außen immer nochmal so einen kleinen Schubs. Das war jetzt ein bisschen verallgemeinert, aber grundsätzlich erlebe ich das in der Praxis so, wenn ich jemandem sage: "Ich traue dir zu, dass du diese nächste Aufgabe übernimmst", dass da dann auch mal stärkere Motivation freigesetzt wird.
Frauen brauchen öfter erst einen Schubs aus der Komfortzone
Deutschlandfunk Kultur: Es wird natürlich den Kritikern der mangelnden Frauenbeteiligung auch ein bisschen der Wind aus den Segeln genommen, wenn man sagt, im Kanzleramt – noch – in der Partei – noch – und in der EU-Kommission sind an der Spitze CDU-Frauen. Also, was gibt’s da eigentlich zu mosern?"
Andererseits haben wir seit 2017 erstmals einen Rückgang von Frauenanteilen im Bundestag. In den Parteien ist der Anteil von Frauen sowieso dünn. Sind die Frauen selbst schuld, wenn sie sich nicht vernünftig engagieren?
Rousseau: Die Frauen tragen schon Verantwortung dafür, was sie tun oder was sie lassen. Man könnte beispielsweise sagen, ich kann ja ein Unternehmen verlassen, wenn es nicht genug tut für Frauen oder wenn es mir keine Chancen gibt. Da würde jeder Mann auch sagen, "wenn ich im Unternehmen keine Chance habe, gehe ich". Also, man muss es nicht aushalten. Man muss gestalten. Man muss den Willen haben, auch eine Entscheidung für sich treffen. Was soll mein Leben auszeichnen? Wir Frauen haben ein großes Geschenk. Wir können uns entscheiden – für Kinder, gegen Kinder, für Teilzeit, was auch immer oder auch gar nicht zu arbeiten. Das ist ein großes Geschenk. Aber die Entscheidung dafür, die müssen wir einmal treffen oder vielleicht auch zweimal im Leben. Auf jeden Fall muss diese Entscheidung getroffen werden und es darf nicht dem Zufall überlassen werden.
Und wir brauchen einen Schubs aus unserer Komfortzone. Ich denke, sich selber weiterentwickeln bedeutet, immer auch einen Schritt zu tun, der vielleicht erst mal nicht mit Selbstzweifeln Unbehagen hervorruft oder zu zögerlich ist. Sich weiterzuentwickeln und neue, größere Verantwortung zu übernehmen, bedeutet einfach, auch mal ins kalte Wasser zu springen und einfach zu sagen: "Ich kann es und ich will es!"
Deutschlandfunk Kultur: Haben Sie denn Verständnis für die Entscheidung vieler Frauen, nicht in die Politik, nicht in politische Parteien zu gehen, wo Politik ja nun mal bei uns organisiert wird? Also, die CDU hat einen Frauenanteil von rund 26 Prozent, CSU kaum über 20 Prozent, Grüne immerhin über 40, SPD um die 35, die AfD nur 17 Prozent. Ja, dann geht doch rein, Frauen, in die Parteien!
Rousseau: Ja, das wäre jetzt tatsächlich der Appell. Demokratie lebt vom Mitmachen und nicht vom Zugucken. Das wundert mich auch, dass auch das Wahlrecht, das wir ja nun auch erst hundert Jahre haben für Frauen, nicht zu hundert Prozent genutzt wird, wenn jedermann und jede Frau auch von diesem Wahlrecht Gebrauch macht uns ich natürlich auch für Mandate aufstellen lässt.
Den richtigen Partner zum Lebensmodell aussuchen
Deutschlandfunk Kultur: "Selbst gewählt sind viele Dinge", haben Sie eben gesagt. In kaum einem anderen Industrieland sind Frauen derartig ökonomisch abhängig von Männern wie in Deutschland. Zur Veranschaulichung zwei Zahlen: In 82 Prozent der deutschen Familien mit kleinen Kindern ist nach wie vor der Mann der Hauptverdiener. Und 63 Prozent der verheirateten Frauen zwischen dreißig und fünfzig verdienen weniger als tausend Euro netto.
Ist das selbst gewählt? Oder sind die Frauen da noch immer in tradierten Rollenmustern, Geschlechterklischees, wer was zu tun hat, verfangen?
Rousseau: Das ist selbst gewählt, weil die Partner, mit denen ich meine Zukunft aufbaue, suche ich mir in den meisten Fällen – jedenfalls in Deutschland – selber aus. Mit dem werde ich Lebensmuster besprechen. Was werden wir tun? Wer wird wie viel zu seinem Lebensunterhalt, zu dem gemeinsamen Lebensunterhalt beitragen? Wie sieht das Familienmodell aus? Ja, wir können das selbst bestimmen, mit wem wir uns zusammentun und in welcher Form wir unser Lebensmuster gestalten wollen.
Es ist alles in Ordnung. Ich finde, jede Frau kann sagen: "Ich bleibe zu Hause. Mir ist das Thema so wichtig; die Kinder brauchen mich. Ich will das." Ich würde dieses Muster nicht als tradiertes Muster abarbeiten, sondern ich würde sagen: Wir haben eine Vielfalt an Möglichkeiten, aus denen wir schöpfen können.
Was noch nicht funktioniert, ist tatsächlich die Verteilung der Hausarbeit oder auch der Pflegearbeiten oder Ähnliches. Wenn beide Partner sich entscheiden zu arbeiten, müssen auch beide genau an der anderen Stelle diese Aufgaben miteinander teilen. Das ist selbstverständlich.
Deutschlandfunk Kultur: Weil sich ja auch immer in Studien zeigt, dass dieser Knick in der Karriere, aber auch in dem Einkommen, was sich dann später auch in den Altersbezügen zeigt, oft bei Frauen dann eintritt, wenn sie Mutter werden, also, wenn Kinder zu der Partnerschaft dazukommen. Das ist dann natürlich möglicherweise selbst gewählt, aber auch ein Stück kurzsichtig.
Ich fand ganz schön, was die frühere Familienministerin von der SPD, Renate Schmidt, mal dazu gesagt hat. Nämlich: "Ein Mann ist keine Altersvorsorge."
Rousseau: Sehr kluger Satz! Den können wir einfach so stehen lassen. Den würde ich heute noch unterschreiben.
Deutschland ist diesbezüglich vielleicht tatsächlich noch ein Entwicklungsland, weil, Männer werden nicht zu Verlierern in diesen Zeiten. Für mich ist es eher das Gegenteil. Die beste Zeit für Männer ist jetzt, denn sie dürfen eine Rolle, die sie jahrelang ausgefüllt haben, nämlich die des Alleinverdieners, komplett aufgeben. Sie können neue Ideen dazu nehmen. Sie können für sich und für ihre Weiterbildung was tun, weil die Frau mitarbeitet, also nicht nur mitarbeitet, sondern gleichberechtigt arbeitet – in welcher zeitlichen Konstellation auch immer. Das heißt, sie tragen nicht mehr allein die Verantwortung. Wenn die Ehe auseinandergeht, haben beide Partner die Möglichkeit, auch neue Beziehungen einzugehen und finanziell nicht irgendwie mit dem Rücken an der Wand zu stehen.
Die skandinavischen Länder sind da deutlich weiter. Die geben uns gute Beispiele, wie das funktionieren kann. Das hat mehrere Gründe. Männer übernehmen ganz selbstverständlich Kinderbetreuung.
Rückwärtsgang in Sachen Geschlechterklischees?
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben nicht das Gefühl, dass wir uns da ein bisschen auf einer Rolle rückwärts bewegen, also, dass das die "Rückkehr der Rosa-Blau-Falle" ist, also, dass wir uns eben wieder stärker als vielleicht schon mal auf bestimmte Rollenmuster, bestimmte Geschlechterklischees einlassen und es vermeintlich als Wahlfreiheit empfinden?
Rousseau: Ich glaube nicht, dass wir bei der Rolle rückwärts sind. Ich erlebe gerade die jüngeren Menschen, also, die jetzt auch bei uns im Studium sind, oder auch die jungen Väter bei Beiersdorf im Betrieb, die tatsächlich Elternzeit nehmen – immer noch nicht so viele, wie man sich das vielleicht wünschen würde, aber der Anfang ist gemacht. Und die gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass sie eine Partnerin auf Augenhöhe haben, die auch für ihren Unterhalt selber sorgt oder für das Familieneinkommen mit Verantwortung trägt. In der jüngeren Generation ist das für mich keine Rolle rückwärts.
Vielleicht schwingt noch eine Sehnsucht mit, eine Sehnsucht nach Zuhause, nach Entschleunigung. Wir leben ja in einer Zeit, in der sowohl die Männer als auch die Frauen sich dreimal überschlagen müssen, um diesen Spagat überhaupt zu bewerkstelligen. Dass da vielleicht eine Sehnsucht ist, nachgeordnet, etwas weniger schnell, das kann ich mir vorstellen.
Deutschlandfunk Kultur: Aber das würde ja nicht erklären, warum zwei Drittel der Mini-Jobber Frauen sind, warum in Teilzeit 46 Prozent der Frauen, aber nur elf Prozent der Männer sind. Denn Sehnsucht nach Entschleunigung, wie Sie es nennen, wäre ja etwas, das eigentlich relativ geschlechterunabhängig sein sollte.
Rousseau: Das stimmt. Wenn ich aber mit jüngeren Männern spreche, dann sagen die: "Ja, das schadet meiner Karriere, wenn ich auf Teilzeit gehe." Die Männer haben dann eigentlich die gleichen Sorgen, die die Frauen haben. Karrierefördernd ist Teilzeit zurzeit noch nicht. Aber ich sehe einfach, dass es Beispiele gibt. Wir können auf SAP schauen, auf Jennifer Morgan und Christian Klein, die auf CEO-Ebene tatsächlich ein Job-Sharing-Modell leben, wo sich ein Mann und eine Frau die höchste Führungs-Aufgabe im Konzern teilen. Das gibt’s auch unseren Unternehmen schon, wenn auch noch nicht so viele Männer, die mitmachen, aber immer mehr Frauen, die sich eine Aufgabe teilen.
Deutschlandfunk Kultur: Aber eine Jennifer Morgen – eine "Schwalbe" – macht noch keinen Sommer.
Rousseau: Da haben Sie recht, aber jeder Anfang ist einer. Ich bringe es immer wieder gerne als Beispiel mit, weil es ermutigen soll, dass es andere auch können, was beim DAX-Unternehmen SAP funktioniert.
Tradierte Muster noch stark verankert
Deutschlandfunk Kultur: Und Sie befürchten nicht, dass durch aufkommendes Erstarken von Rechtspopulismus auch hier in Deutschland Gegenwind gegen diese Art von Gleichberechtigung, Gleichstellung kommt? Rechtspopulismus ist nicht gerade dafür bekannt, dass er sich um Gleichstellung kümmert…
Rousseau: Da möchte ich mal mit einem konkreten Beispiel antworten, das ich erlebt habe, und zwar in einer Hauptversammlung 2015 in Hamburg in einem DAX-Konzern. Und zwar ging ein Redner ans Pult, einer der Aktionäre, und stellte die These auf: "Frauen haben keine Führungskompetenz. Die sind oft zu emotional, um Verantwortung zu übernehmen." Ich saß da oben als Aufsichtsrätin, schaute in den Saal und dachte, hier ist irgendwo eine versteckte Kamera. Das kann nicht 2015 sein. Was ist bitte das?
Und im Saal brauste Applaus auf. Mir wurde in dem Moment schlagartig klar, egal, völlig ohne politische Zuordnung, dass diese alten tradierten Muster noch immer stark verankert sind.
Deutschlandfunk Kultur: Und von Frauen eben teilweise selber übernommen werden. Wenn wir zum Beispiel beklagen, dass viele Frauen nicht in die berühmten MINT-Berufe gehen – also naturwissenschaftlich-mathematische Berufe –, dann hat das vielleicht auch tatsächlich etwas damit zu tun, dass es diese Vorstellungen gibt, was Frauen können und was Frauen nicht können, dass es die auch bei Frauen gibt und dass es manchmal stärker Einfluss beispielsweise auf die Berufswahl von Frauen nimmt als die eigenen Fähigkeiten und Anlagen.
Rousseau: Das ist genau der Punkt. Ich habe das vorhin ganz kurz angesprochen, dass Männer in Potenzialen denken und Frauen in Defiziten. Dieses Thema Selbstzweifel erlebe ich tatsächlich täglich, kann man sagen. Frauen überlegen, wenn sie ein Angebot bekommen, dann doch: "Was sagt mein Chef dazu? Kann ich das noch mit meinen Aufgaben vereinbaren? Wie soll ich das jetzt schaffen? Hab ich überhaupt die Fähigkeiten? Ach, ich bringe doch nur achtzig Prozent mit." Die Männer sagen: "Ist doch logisch, ist ja ein neuer Job. Da kannst du ja noch nicht 110 mitbringen. Das kann man ja erst lernen mit dem neuen Job."
Da sind bei Frauen doch noch Hürden. Männer haben sie auch. Auch Männer haben Selbstzweifel. Die Frauen zeigen diese aber mehr. Sie preschen nicht nach vorne und sagen, "ich traue mir das zu, ich will das machen", sondern sie warten so ein bisschen darauf, gefunden zu werden und unterstützt zu werden und nochmal zu hören, dass man es ihnen zutraut.
"Verkauft Euch ja nicht unter Wert!"
Deutschlandfunk Kultur: Und die Frauen scheinen ja sogar zu akzeptieren, dass sie teilweise bei gleicher Qualifikation und gleicher Tätigkeit im Schnitt sechs Prozent weniger Entgelt bekommen. Und sie finden das mehrheitlich sogar gerechtfertigt, habe ich diese Woche in einer Studie gelesen.
Rousseau: Hoffentlich nicht! Es ist aber richtig, was Sie sagen. Es ist so, dass die Frauen nicht so sehr darauf drängen, dass Geld ein materieller Wert ist, der eigentlich nur diese Dienstleistung, die ja gebracht wird, honoriert. Und die muss für alle gleich honoriert werden. Das kann gar nicht anders sein. Frauen dürfen in Gehaltsgesprächen viel mutiger werden. Das ist ihr eigentlicher Wert, ihre Ausbildung, die sie dort verkaufen.
Bei meinen Studentinnen habe ich letztens eine gehabt, die hat gesagt: "Den besten Rat hat Frau Rousseau mir mal gegeben. Sie hat gesagt: "Verkauft euch ja nicht unter Wert"! Wir kriegen eine qualifizierte Ausbildung, und die hat am Markt ein Preisschild, genauso für Männer wie für Frauen. Und das dürfen wir auch einfordern.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben, Frau Rousseau, im vergangenen Jahr eine Biographie veröffentlicht. Die heißt: "Wir brauchen Frauen, die sich was trauen". Wenn man sich die verschiedenen Kapitel-Untertitel anschaut, dann heißen die zum Beispiel: Mut, authentisch zu sein. Mut, risikoreich zu sein – inklusive, das Risiko der Unvollkommenheit einzugehen. Mut, sichtbar zu sein. Mut, souverän zu sein – raus aus der Komfortzone zu gehen. Mut, verantwortlich zu sein. Ja, meine Güte, haben Frauen das denn etwa alles nicht?
Rousseau: Ich bin so gerne auf diesen Lesungen, wo ich in Frauennetzwerken bei Unternehmen, aber eben auch bei Buchhandlungen oder wo auch immer mit Frauen zusammenkomme. Und wir reden drüber und es ist eine Atmosphäre im Raum, die alles bestätigt, was in diesem Buch steht. Ich habe offenbar ein gesellschaftliches Thema angesprochen, von dem ich überrascht bin, dass es ein so großes Thema ist: das Thema "Selbstzweifel". Es sich sozusagen einzugestehen und damit authentisch zu sein.
Jeder in diesem Raum bestätigt, dass er dieses Gefühl kennt und dass es da ist. Genauso "Risikobereitschaft", Scheitern ist für Frauen ein Thema: "Das tut so weh. Ach, lieber nicht." Und dann gehen sie eben doch kein Risiko ein, um nur diese beiden Punkte einmal rauszugreifen. Oder eben auch Sichtbarkeit, sich zu melden, zu Wort zu melden, in Meetings etwa und erst recht, wenn es um ausgeschriebene Positionen geht – das ist alles nicht selbstverständlich. Das hat mich komplett überrascht.
Forsche Frauen werden als aggressiv wahrgenommen
Deutschlandfunk Kultur: Das würde aber bedeuten, dass es weniger strukturelle Gründe sind, die wir schon auch noch benennen sollten, aber weniger diese Gründe, warum Frauen weniger von selbst in die Führungsetagen drängen, sondern hausgemachte, geschlechterspezifische, typisch weibliche?
Rousseau: Man tritt nicht sozusagen aus dem Schatten heraus und exponiert sich. Das ist tatsächlich etwas, was mich überrascht hat. Das ist aber Fakt, dass die Frauen gefunden werden wollen, weil eine Frau, die zu forsch nach vorne geht, leicht als aggressiv eingeschätzt wird. Was bei Männern positiv ist, wird bei Frauen eher negativ wahrgenommen.
Deswegen vermute ich, dass diese Frauen auch genau deswegen versuchen, eine gute Balance, eine gute Mitte zu finden, zwischen: "Ja, wir wollen nach vorne. Ja, wir wollen Führung. Wir wollen Verantwortung" und auf der anderen Seite aber doch Fragen haben: "Darf ich mir selber das erlauben? Hab ich Nachteile, wenn ich das tue? Werde ich dafür vielleicht auch in irgendeine Schublade gesteckt?" Diese Fragestellung haben die Männer nicht.
Deutschlandfunk Kultur: Nun gehört ja dazu ein Schieben und ein Ziehen, wenn man in die Führung will. Seit 1999 sind Sie im Aufsichtsrat von Beiersdorf. Sie waren damals die erste Frau. Eine Selbstverständlichkeit – wir haben es angesprochen – ist das auch in der Wirtschaft nach wie vor nicht. Das wiederum versteht man eigentlich nicht. Wenn es die Frauen, wie Sie es beschrieben haben, zumindest zum Teil nicht unbedingt an die Spitze oder in die Führungsetagen drängt – warum zieht die Wirtschaft nicht mehr? Wir wissen, dass Frauen mindestens genauso gut qualifiziert sind wie Männer, mindestens so gute Abschlüsse haben wie Männer. Wir wissen, dass wir einen Fachkräftemangel haben. Zahlreiche Studien belegen, dass es einem Betrieb gut tut und es sich buchstäblich auszahlt, wenn auch Frauen in den Führungsebenen sind. Warum zieht die Wirtschaft da nicht mehr?
Rousseau: Ich glaube, die Unternehmen könnten mehr tun. Das stimmt. Beispiel: interne Frauennetzwerke aufzubauen. Bei Beiersdorf haben wir seit drei Jahren ein internationales Frauennetzwerk, das sich auch einmal im Jahr persönlich trifft, unter der Gastgeberschaft unseres Arbeitsdirektors und unserer Diversity-Beauftragten. Ich habe erlebt, wie Frauen auf dem ersten Kongress einfach gemerkt haben: "Hallo, wir werden hier ganz wahrgenommen, als Gruppe wahrgenommen, als Kraft, als Multiplikatoren, als wirtschaftlicher Faktor gesehen und auch sozusagen ernst genommen."
Im zweiten Kongress ein Jahr später hatten wir eine CFO, also eine Finanzchefin. Da kam die Stimmung so rüber: "Jetzt ist es auch bei uns angekommen. Wir Frauen sind jetzt eben auch an der Spitze, wirklich ganz oben."
Die dritte Veranstaltung war so, dass die Männer anfingen zu sagen: "Hallo, sagt mal, warum macht ihr denn da so eine Frauenveranstaltung? Können wir Männer nicht auch daran teilnehmen?" Wir haben das mal ernst genommen und haben dann gesagt: "Okay, jede Frau darf einen Mann mitbringen, der sich für das Thema Diversity aktiv einsetzt." Es sind immerhin sechzig Männer mitgekommen auf 240 Frauen und die Situation war dann schon mal eine andere.
Was ich daran sehe, ist: Wir müssen den Frauen die Möglichkeit geben, dass sie wahrgenommen werden im Unternehmen und gewollt sind und gebraucht werden, wirklich aus wirtschaftlichen Gründen gebraucht werden. An der Stelle, irgendwann dreht es sich so, dass man sagt: "So, und jetzt führen wir auch zusammen! Jetzt ist auch die Gleichberechtigung dann wirklich irgendwann erreicht."
Frauen geht es oft weniger um Macht – sondern um Sinn
Deutschlandfunk Kultur: Und wenn trotzdem auch bei Beiersdorf nur eine Frau in einem Vorstand von Sieben ist, dann hat das welche für Gründe? Dass es noch nicht genug greift? Oder eben dann doch diese strukturellen Gründe? Und wir müssen sie benennen an der Stelle: Es sind Arbeitszeiten, gerade in den Führungsebenen, die zumindest nicht familien-, teilweise auch nicht partnerschaftskompatibel sind. Eine bestimmte Führungskultur, die vorherrscht. Das Steuerrecht darf man da sicherlich auch nicht vergessen. Was sind die wirklichen Gründe dafür, dass es so langsam vorangeht?
Rousseau: Erstmal bin ich für den Anfang schon mal sehr dankbar. Und da wir ja im Aufsichtsrat auch über diese Vorstandspositionen entscheiden, weiß ich, wie intensiv wir diese Diskussion nicht nur führen, sondern auch wie viele Frauen wir uns auch anhören. Aber: Auf fünf Männer kommt eine Frau, die sich um eine Stelle bewirbt. Das ist jetzt nicht statistisch bewiesen, aber gefühlt, wie ich es in der Praxis erlebe.
Warum kommen die Frauen nicht? Die Rahmenbedingungen stimmen vielleicht noch nicht. Vielleicht ist aber auch die Karrierestufe Vorstand schon wieder eine so hohe Liga, dass man eben sagt: "Bei den Rahmenbedingungen – das ist es mir nicht wert." Ich erlebe Frauen, die sagen: "Ich will gar keine Macht. Ich will Sinn. Ich will Wirkung erzielen." Vielleicht passen da die beiden noch nicht Muster so ganz optimal zusammen.
Deutschlandfunk Kultur: Sie, Frau Rousseau, sind erklärtermaßen kein Quoten-Fan, aber Sie sagen gleichzeitig, "wir brauchen sie vielleicht als Krücke". Also, schlussendlich, dieser wunderbare Satz, "wer gut ist, setzt sich durch", stimmt dann eben so doch nicht?
Rousseau: Ich denke, das stimmt auf Dauer auf jeden Fall. Ich war tatsächlich gegen die Quote, habe dann ja bei Fidar mit dafür gesorgt, dass die Quote im Aufsichtsrat gesetzlich geschaffen wurde, und habe damit wunderbare Erfahrungen gemacht. Wir sind bei Beiersdorf im Moment von zwölf Personen fünf Frauen im Aufsichtsrat. Das war historisch noch nie der Fall.
Das wiederum hat die Quote bewirkt. Sie hat bewirkt, dass die Frauen sich getraut haben, sich nämlich aufzustellen, als Arbeitnehmervertreterinnen in diesem Fall. Und sie haben es geschafft. Also, ich bin da nicht mehr die einzige Frau auf der Arbeitnehmerseite. Jetzt sind wir drei, und zwei auf der Anteilseigner-Seite. Die Quote funktioniert.
Und es war immer so. Sie haben vorhin gesetzliche Veränderungen erwähnt, wie die, dass der Ehemann nicht mehr unterschreiben musste, ob die Frau mitarbeiten oder ein Konto eröffnen durfte, und all diese Dinge. Immer, wenn die gesetzliche Regelung kam, kam auch eine Veränderung.
Das Gegenbeispiel, das ist natürlich die freiwillige Quote für Vorstandsmandate. Familienministerin Giffey ist ja gerade dabei, darüber auch nochmal neu zu diskutieren, denn die freiwillige Quote in dieser Zeit hat sich kaum bewegt. Die liegt, wenn ich richtig informiert bin, bei ungefähr neun, 9,2 Prozent. Und sechzig Unternehmen haben die Zielvorgabe Null angegeben. Sie haben nicht gesagt, "wir brauchen keine Frauen". Soweit sind sie nicht gegangen, aber sie begründen das mit taktischen Gründen. Es laufen noch Verträge; wir werden gerade nicht neu besetzen, usw. Aber ich finde, eine mögliche Null-Option im Vergleich zu einer gesetzlichen Quote zeigt schon, dass da was verändert werden kann.
Freiwillig kommt die Gleichstellung im Management nicht voran
Deutschlandfunk Kultur: Bisher gibt es für die Vorständen nur eine freiwillige Selbstverpflichtung. Das will Frauenministerin Giffey zusammen mit Justizministerin Lamprecht ändern. Sie wollen so was wie eine Mindestbeteiligung durchsetzen, wenn schon keine echte Quote – manche sagen böse, das wäre "eine Quote light". Die Pläne haben sie jetzt vorgestellt: Wenn ein Vorstand mehr als drei Angehörige hat, ein großes Unternehmen, mit mehr als 2.000 Mitarbeiter, börsennotiert ist, dann sollte mindestens eine Frau mit im Vorstand sein. Und die beiden Ladys wollen auch, dass die gesetzliche Regelung für die Aufsichtsräte, die Sie eben schon erwähnt haben, auf mehr Unternehmen ausgeweitet wird.
Sie empfinden das – Sie sind ja immerhin in einem Wirtschaftsunternehmen – nicht als einen Eingriff in die Vertragsfreiheit von Unternehmern, wie zum Beispiel BDI und BDA, Arbeitnehmer- und Industrieverbände sagen?
Rousseau: Nein, bin ich nicht der Meinung. Ich glaube, wir kommen nicht vorwärts. Wir haben vorhin kurz drüber gesprochen, warum die Wirtschaft, wenn sie doch davon profitiert – oder angeblich profitiert – nicht alles dafür tut, dass sich das ändert. Wir müssen auch an dieser Stelle diese Veränderung herbeiführen.
In Deutschland läuft so eine klare Ansage – das würde in anderen Kulturen als Beleidigung gelten. Ich glaube, wir brauchen eine sehr hohe emotionale Kompetenz. Da sind Frauen im Durchschnitt besser. Das ist kein Votum gegen Männer, sondern dieser Mix muss stimmen. Erst dann sind die Teams erfolgreicher und produktiver – auch im Vorstand.
Deutschlandfunk Kultur: Aber es ist ein Eingriff in die Vertragsfreiheit, wenn es so kommt, indem man Unternehmen Vorschriften macht.
Rousseau: Das macht man ja mit der Aufsichtsrats-Quote auch.
Quote für Frauen in Vorständen würde in der Praxis schwierig
Deutschlandfunk Kultur: Aber das ist nicht das operative Geschehen.
Rousseau: Ja, das verstehe ich. Ich eiere auch ein bisschen rum, ganz bewusst, weil ich in der Praxis weiß, wie schwierig das werden wird. Insofern wäre ich froh, wenn man darauf drängt, dass es eine Beteiligung gibt, ohne eine ganz feste Quote für den Vorstand. Es ist nicht einfach umzusetzen.
Deutschlandfunk Kultur: Vielleicht hat das mangelnde Vorangehen des Rutschens von Frauen oder des Aufsteigens von Frauen in immer mehr Führungspositionen auch was damit zu tun, dass der Staat nicht gerade eine Vorbildfunktion hat. Zwar ist da insgesamt der Anteil von Frauen besser als in vielen Unternehmen, aber es ist so, dass bei manchem öffentlichen Unternehmen auch noch immer null Frauenanteil ist. Nimmt der Staat da seine Vorbildfunktion nicht angemessen wahr?
Rousseau: Die nimmt er nicht angemessen wahr. Das kann man tatsächlich so sagen. In Hamburg, die CDU, ihr Frauenanteil ist seit Jahren eine Debatte. Ich weiß nicht, warum es nicht funktioniert, wenigstens vierzig Prozent Frauen sozusagen in ihren Gremien zu haben.
Deutschlandfunk Kultur: Dann wären Sie also eine heiße Unterstützerin dessen, was Frau Giffey und Frau Lamprecht jetzt auf den Weg bringen wollen, nämlich dass es ein Führungspositionen-Gesetz gibt oder eine Veränderung des bestehenden und damit gesetzlich verankert wird, dass zumindest in den Bundesunternehmen – Bahn, Bundesdruckerei, Deutsche Flugsicherung – in allen Führungsebenen gleichberechtigt viel Frauen wie Männer agieren.
Rousseau: Absolut ja. Das Ziel müsste es eigentlich für alle Unternehmen sein, Führungspositionen gleichberechtigt zu verteilen.
Deutschlandfunk Kultur: Der Staat hätte natürlich auch noch eine andere Möglichkeit, Einfluss zu nehmen auf die Wirtschaft, jetzt jenseits von seinen eigenen Betrieben. Er könnte sagen: "'Wir vergeben Aufträge' – und er ist der größte Auftraggeber überhaupt – 'als Staat vergeben wir Aufträge überhaupt nur an Firmen, die so eine Art Quotenbonus haben'", ganz freiwillig, aber wir können das ja mit unserer Vergabepolitik ein Stück lenken.
Rousseau: Gut, dass ich in einem Wirtschaftsunternehmen arbeite. Ist das praktikabel? Es erinnert mich gerade an die Credit Social Points für Unternehmen, die in China gerade eingeführt werden.
Deutschlandfunk Kultur: Will sagen?
Rousseau: Will sagen: Wie viele Vorschriften kann denn die freie Marktwirtschaft noch ertragen? Jetzt waren Sie ja gerade bei den Behörden, aber in der Wirtschaft frage ich mich das wirklich. Wir brauchen auch Luft zum Atmen und Freiräume, um agieren zu können und schnell zu sein. Ein modernes Unternehmen kann nur ein eigenes Interesse haben, eine angemessene Verteilung der Aufgaben zu haben. Das müsste selbstverständlich sein. Vielleicht ist es auch ein wichtiger Anhaltspunkt für Offenheit, wenn man es mit dieser Selbstverständlichkeit leben würde. Dann müssten wir nicht mehr alles regulieren, sondern es würde so selbstverständlich sein. Das ist mal mein Wunsch für die Zukunft.
Platz in der Hölle für Frauen, die Frauen nicht unterstützen
Deutschlandfunk Kultur: Ich würde Sie gern zum Schluss noch fragen, was Sie bewegen konnten bei dem Unternehmen, bei dem Sie arbeiten. Sie waren 1999 – wir haben es schon kurz erwähnt – die erste Frau im Aufsichtsrat, typischerweise, wie oft von der Arbeitnehmerseite gestellt. Inzwischen sind Sie stellvertretende Vorsitzende.
Was ist das, was Sie bewirken können? Vielleicht noch am ehesten Frauen nachzuziehen – Stichwort Seilschaften? Also, Gustav engagiert und protegiert eher Martin und Martina eher Anne?
Rousseau: Dann sind wir beim Thema Netzwerke angekommen, im weitesten Sinne. Ich glaube schon, dass wir Frauen uns untereinander unterstützen können. Ich wünschte mir viel mehr Solidarität unter Frauen. Die amerikanische US-Außenministerin, Madeleine Albright, hat mal gesagt: "Es gibt einen Platz in der Hölle für Frauen, die andere nicht unterstützen." Den finde ich nach wie vor sehr richtig, weil wir Frauen, die wir jetzt schon angekommen sind, natürlich Möglichkeiten haben, auch andere Frauen zu ermutigen, aber auch nachzuziehen, zu unterstützen.
Wir müssen einfach zusammen lernen, zementierte Muster loszulassen und diese neuen Wege zu gehen. Das erfordert Mut von Frauen, aber auch von Männern. Die Fakten zeigen uns jetzt ja schon, dass es der richtige Weg ist. Fangen wir doch am Weltfrauentag gleich damit an!