Bekannte und unbekannte Köpfe

Von Tobias Barth |
Vor 150 Jahren wurde das Leipziger Städtische Kunstmuseum eröffnet. Reiche Leipziger Bürger mit ihren großen Kunstsammlungen hatten den Bau des Hauses auf den Weg gebracht. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Museum zerstört. Erst vor vier Jahren zog das Museum der bildenden Künste, wie es heute heißt, in einen eigenen, imposanten Neubau. Mit der Ausstellung "Kopf oder Zahl - Leipziger Gesichter und Geschichten" wird das Jubiläum nun gefeiert.
Auf einer Stellwand prangt rechts das Ölbild des reichen, pelztragenden Seidenwarenhändlers Adolf Heinrich Schletter, Museumssponsor anno 1858. Links daneben: ein Foto der Museumsputzfrau Brigitte Gertig anno 2008. Neben dem Foto, an einem Kleiderhaken in der Wand, hängen Gertigs roter Putzkittel und ihre gelben Gummihandschuhe. So präsentiert sich der Eingang zur Jubiläumsausstellung die gegenwärtig im Leipziger Museum der bildenden Künste zu sehen ist. 150 Jahre alt ist diese Institution heute geworden, "Kopf oder Zahl" nennt sich die Jubelschau. Kuratorin Pavla Langer:

"Die Ausstellung 'Kopf oder Zahl – Leipziger Gesichter und Geschichten" umfasst die 150 Jahre Museumsgeschichte, und unsere Idee war dabei, dass wir jedes Jahr dieser 150-jährigen Museumsgeschichte mit einem Kopf besetzen, also mit einem Porträt sozusagen."

Pavla Langer hat für das Leipziger Bildermuseum ein Potpourri arrangiert: Bekannte und unbekannte Köpfe illustrieren die Geschichte des Hauses und die der Malerei. Da hängen Porträts namhafter Leipziger Verleger wie Brockhaus oder Seemann, daneben das Bildnis eines namenlosen Mädchens dort. Einige der Bilder werden von "Reliquien" assistiert, so nennt Langer augenzwinkernd die Fundstücke aus Leipziger Museen, die den Gemälden beigestellt sind:

"Wir haben hier für das Jahr 1862 ein Porträt, das Richard Wagner zeigt, auch ein berühmter Leipziger, berühmter Sohn der Stadt. Und als Beigabe hier aus der Stadtgeschichte ausgeliehen, einen Splitter vom Taktstock, den Richard Wagner selbst zertrümmert hat bei einer Probe zur Einweihung seines Festspielhauses in Bayreuth."

Im Anschluss an die Gesichter des 19. Jahrhunderts erst wird die Ausstellung wirklich spannend. In den Kabinetten mit DDR-Kunst der 60er und 70er Jahre ist es vorbei mit den honorigen Großbürgern. Stattdessen unkommentiert und deshalb den Besucher herausfordernd Trümmerfrauen neben Parteifunktionären, Kranfahrer neben Erich Honecker und Walter Ulbricht – die Sujets des sozialistischen Realismus.

"Für 1964 haben wir uns aus unserem Bestand die 'Sozialistische Jugendbrigade' rausgesucht, ein Gemälde von Werner Tübke, ein Staatsauftrag. Und anders als man erwarten würde bei diesem Titel zeigt er die Jugendbrigade nicht in der Produktion, sondern beim Brigadefest."

Erst in der Betrachtung von heute zeigt sich der Widerspruch zwischen dem sozialistischen Gleichheitsanspruch und der privilegierten Wirklichkeit von Tübkes Berufsjugendlichen. Mit eingefrorenen Gesichtern sitzen sie um einen Tisch im Nobelhotel Astoria. Eine andere Facette dokumentiert das Bildnis des Regionalwissenschaftlers Karl-Christian G., der eingeklemmt in einen klaustrophobisch engen Raum die Flucht in die Nische verkörpert. Ein Gemälde von Andreas Deckardt. Und um die Ecke: Volker Stelzmanns Gemälde der DDR-Punkband "Wutanfall" von 1983. No Future-Stimmung bis hinein in die grauen Gesichter der Bandmitglieder. Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt:

"Interessant ist, wie sich Porträtauffassungen über 150 Jahre ändern. Und gleichzeitig ist es ein Stelldichein von nach wie vor bekannten Köpfen, von inzwischen unbekannten Köpfen bis hin zu verdrängten Köpfen."

Hans-Werner Schmidt leitet das städtische Museum seit mehr als acht Jahren. Vor vier Jahren zog er mit seiner Sammlung in einen 75 Millionen Euro teuren, mit großen Erfolgshoffnungen beladenen Neubau. Doch es gibt kaum Geld aus dem Stadthaushalt für Ausstellungen, Ankäufe oder Restaurierungen. Der Leipziger Kunstkritiker Meinhard Michael:

"Zwangsläufig musste man erkennen, dass die Pläne, mit einem schönen Neubau in Leipzig an das Ausstellungsgeschehen der modernen Kunst zwischen Berlin, Köln und München anzuschließen, dass das hier sehr, sehr schwer oder wahrscheinlich gar möglich ist, weil das sehr viel mehr Geld kostet, als zu Verfügung steht und weil das Publikum, das solche Ausstellungen sehen möchte, nicht in der Umgebung wohnt beziehungsweise deshalb nicht nach Leipzig kommt."

Auch die Leipziger taten sich anfangs schwer mit ihrem neuen Museum. Nicht nur, weil der Neubau teurer und viel später fertig wurde als geplant, sondern auch wegen der inhaltlichen Ausrichtung. Das einheimische Publikum ließ sich zunächst nicht locken von ambitionierten Ausstellungen wie "40 Jahre Videokunst" oder "Art & Politics". Der Leipziger Kunstkritiker Meinhard Michael:

"Das Museum selbst möchte internationaler fahren, möchte nach außen wirken. Das muss man auch verstehen. Aber daraus entstand, aus dieser Divergenz, eine gewisse Fremdelei in Leipzig mit dem Museum."

Seit 2008 fährt das Museum einen neuen Kurs. Direktor Schmidt zeigte eine Gunter Sachs-Ausstellung. Die professionelle Kritik verriss die Schau, doch das Publikum stand Schlange. Es folgt eine hoch gelobte Lovis Corinth-Schau. Auch sie ein Publikumsrenner.

"Das Jahr 2008 verlief für uns so erschreckend gut, dass ich schon denke, wie kriegen wir das annähernd 2009 wieder hin."

Das Museum sucht weiter nach einem Weg zwischen regionaler Verwurzelung und überregionaler Wahrnehmung. Im nächsten zeigen drei Privatsammler ihre Bilder in Leipzig, darunter Eduard Beaucamp, langjähriger Kunstkritiker der FAZ und weithin bekannter Anwalt der Leipziger Malerei.