Bekenntnisse eines Selbstdarstellers

Der britische Skandal-Künstler Sebastian Horsley ist bekannt für sein exzessives Leben. Er kokst, prostituiert sich, lässt sich auf den Osterinseln ans Kreuz nageln - und sieht sich selbst als Kunstwerk. Jetzt hat er eine Autobiografie geschrieben.
Als Sebastian Horsley im Jahr 2008 in den USA auf Lesetour gehen wollte, wurde er in Newark an der Einreise gehindert, mit einer interessanten Begründung: Man wollte den britischen Künstler und Autor wegen "moralischer Verkommenheit" nicht ins Land lassen. Horsley musste nach London zurückfliegen, bis heute dankt er den amerikanischen Behörden auf den Knien für diese grandiose Unterstützung in Sachen Horsley-Marketing.

Die Amerikaner haben wohl in erster Linie den exzessiven Drogenmissbrauch Sebastian Horsleys als "moralische Verkommenheit" angesehen. In seinem Buch "Dandy in der Unterwelt" erzählt Horsley in aller Ausführlichkeit, wie er sich mit Kokain, Heroin und Crack ruiniert hat. Das Buch liefert daneben aber noch jede Menge anderer Belege dafür, dass Sebastian Horsley in Sachen Moral auf einem anderen Planeten lebt als die Mehrzahl seiner Mitmenschen. Horsley brüstet sich damit, mit tausenden Prostituierten verkehrt zu haben. Er hat selbst als Callboy gearbeitet, er hat demonstrativ Unsummen an Geld verschwendet und mit allen nur denkbaren Mitteln Aufsehen zu erregen versucht.

Sebastian Horsley ist seit 47 Jahren auf einem bizarren Egotrip, wie er gerade bei britischen Künstlern nicht so ganz selten vorkommt. Horsleys deutscher Verlag, Blumenbar, hat vor kurzem die Lebensgeschichte der "autobiografischen Künstlerin" Tracey Emin herausgebracht, die Horsley zumindest in Sachen Bekenntnismut sehr nahe steht.

Was Sebastian Horsleys "unautorisierte Autobiografie" zu einem lesenswerten Buch macht, das ist seine ganz eigene Mischung aus prächtigster Selbststilisierung und der gnadenlosen Einsicht in die eigene Belanglosigkeit. "Wer wäre ich denn schon ohne meine Sucht. Wo wäre ich - ohne die Pose meines Selbsthasses." Das fragt sich Horsley, als er am Tiefpunkt seiner Drogenkarriere angekommen ist. "Jawohl, ich bin lachhaft, vulgär und absurd." Diese Selbsteinsicht steht am Ende des Buches, sie durchzieht aber den gesamten Lebensbericht.

Horsley kommt aus einer schwerreichen britischen Familie, den Besitzern des Lebensmittelkonzerns Northern Foods. Geld war wohl nie ein Problem in dieser Familie, dafür aber so ziemlich alles andere. Die Eltern von Sebastian Horsley haben sich kaum für ihre Kinder interessiert, sie waren beide Alkoholiker und in diverse Affären verstrickt, bevor sie sich 1975 scheiden ließen. Da war Sebastian Horsley 13 Jahre alt.

Seine Kindheit erzählt er als eine bittere Komödie der Missachtung, die viel beigetragen haben mag zu der gnadenlosen Geltungssucht, die Horsley später ausprägt. Er stilisiert sich als Dandy in der Nachfolge von Lord Byron und Oscar Wilde, dem T-Rex-Sänger Marc Balon oder dem Maler Francis Bacon. Die eigentliche Lebensarbeit von Sebastian Horsley besteht darin, die eigene Persönlichkeit zu einem Kunstwerk zu stilisieren. Darum pflegt er einen exzentrischen Kleidungsstil, spricht darüber in den Kolumnen, die er für die britische "Erotic Review" geschrieben hat und nutzt jeden öffentlichen Auftritt.

Den Höhepunkt dieser Anstrengungen hat Horsley im Jahr 2000 erreicht. Er ist auf die Philippinen gereist, um sich dort bei einem Osterritual kreuzigen zu lassen und aus dieser Aktion ein Kunstevent zu machen. Er wurde mit zehn Zentimeter langen Nägeln ans Kreuz geschlagen. Wie Horsley die schmerzhaften, die erhabenen, genauso aber auch die lächerlichen Seiten dieser Aktion beschreibt, das gehört zu den Höhepunkten seines Buches.

Bei aller ausgestellten Exzentrik kann man diese Autobiografie auch lesen als ein Drama des modernen Individuums, das den eigenen Marktwert hochtreiben muss, auch wenn es sich damit permanent überfordert. Horsley treibt diese Spannung zwischen Selbstdarstellung und innerer Leere ins Extrem.

Diese Dramatisierung und Horsleys konsequente Selbststilisierung machen einen guten Teil des literarischen Reizes dieser "unautorisierten Autobiografie" aus. Horsley stellt seine Sprache genauso rabiat in den Dienst seines Narzissmus wie alles andere. Er schreibt zupackend, zynisch, rücksichtslos, und er stirbt für ein Bonmot. Das geht ab und zu daneben, oft genug aber gelingen Horsley schöne Perlen der Selbstverherrlichung.

Besprochen von Frank Meyer

Sebastian Horsley: Dandy in der Unterwelt. Eine unautorisierte Autobiografie.
Aus dem Englischen von Andreas Leopold Hofbauer
Blumenbar Verlag, München 2009
429 Seiten, 19,90 Euro
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