Beklemmende Nachbarschaft
In ihrem Roman erzählt die Autorin Anna Katharina Hahn die Geschichte zweier benachbarter Ehepaare, die eine befremdliche Form der Fürsorge auf seltsame Art zusammenschweißt. Eine literarisch kluge Konstellation, psychologisch genau bis zum kaum noch Erträglichen.
"Am Schwarzen Berg" ist eine Adresse in Stuttgart. Es sind aber auch die ersten Worte eines Gedichts von Eduard Mörike. Und in dem Land, das sich hinterhältig als Ländle verharmlost, wo Biedermeier jederzeit in Romantik kippen kann, in der literarischen Welt eines Mörike und einer Anna Katharina Hahn also ist es natürlich auch eine düstere Verheißung, ein starkes dunkles Bild, Anfang und Ende einer Geschichte.
Es ist die Geschichte zweier Ehepaare, die der Zufall am Schwarzen Berg zu Nachbarn macht, die das Leben gerade so bewältigen, wie man das Leben eben gerade so bewältigt, und die eine sich ins Befremdliche, Beklemmende und schließlich gänzlich Maßlose steigernde Form der Fürsorge auf seltsame Art zusammenschweißt. Gegenstand und Opfer dieser Fürsorge ist Peter, der Sohn eines der beiden Paare, anfangs das einzige Kind in der Konstellation, am Ende selbst erwachsen und Vater zweier Söhne, aber selbst dann noch im Fokus der sich scheinbar um ihn, tatsächlich aber vor allem um sich selbst Sorgenden, oben "Am Schwarzen Berg".
Das ist eine vielversprechende, literarisch kluge Konstellation für eine, die schreiben kann wie Anna Katharina Hahn: stets aus der Fülle des Alltäglichen schöpfend, psychologisch genau bis zum kaum noch Erträglichen.
Mit den Erzählbänden "Sommerloch" (2000) und "Kavaliersdelikt" (2004), schließlich mit ihrem ersten Roman "Kürzere Tage" (2009) hat sie sich einen prominenten Platz in der jüngeren deutschen Literatur erschrieben, nicht zuletzt aufgrund ihres unverwechselbaren Erzähltons, in dem das Changieren zwischen schwäbischer Bedächtigkeit und düsterem Abgrund auf eigenwillige Weise aufgehoben ist. Wie ihr literarischer Ahn Mörike, den sie ausführlich in den neuen Roman hineinzitiert, und wie einige ihrer Figuren ist Hahn Sammlerin. Sie klaubt Fundstücke auf und setzt sie zu nie vollständigen Mosaiken zusammen. In den Spalten, die zwischen den Funden klaffen, lauert das Dunkle. Und das kann tiefer, grausamer, schwärzer sein als man es sich hätte träumen lassen in der beschaulichen Kehrwochenidylle.
Souverän und mitunter schon bestürzend einfühlsam folgt Hahn den beiden Ehepaaren sowie Peter, dessen Freundin Mia und ihren Söhnen vor dem Hintergrund verwildernder Gärten und der als neuer schwäbischer Romantik erlebten Protestkulisse der Baustelle von "Stuttgart 21", dem Ort an dem sich Peter noch am ehesten zu Hause zu fühlen scheint: "Das ist der pure Eichendorff, der auferstandene Mörike!"
Wenn in diesem eng um die Personen entwickelten Erzählkosmos abstrakte Worte wie "Familiengefüge" fallen, klingt das jedes Mal nach Gefahr im Verzug. Aber meistens ist die Erzählerin ohnehin bei ihren Details. Senkt sie den Blick, entgeht ihr kein Grashalm, kein Stein, kein Insekt. Hebt sie ihn, gilt dieselbe diagnostische Gnadenlosigkeit den Schwächen der Menschen, die ihre Kinder oder ihre Liebe oder ihre Bücher oder ihre Bäume oder ihren Mörike retten wollen - am Ende aber eben doch vor allem sich.
Besprochen von Hans von Trotha
Anna Katharina Hahn: Am Schwarzen Berg
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
238 Seiten, 19,95 Euro
Es ist die Geschichte zweier Ehepaare, die der Zufall am Schwarzen Berg zu Nachbarn macht, die das Leben gerade so bewältigen, wie man das Leben eben gerade so bewältigt, und die eine sich ins Befremdliche, Beklemmende und schließlich gänzlich Maßlose steigernde Form der Fürsorge auf seltsame Art zusammenschweißt. Gegenstand und Opfer dieser Fürsorge ist Peter, der Sohn eines der beiden Paare, anfangs das einzige Kind in der Konstellation, am Ende selbst erwachsen und Vater zweier Söhne, aber selbst dann noch im Fokus der sich scheinbar um ihn, tatsächlich aber vor allem um sich selbst Sorgenden, oben "Am Schwarzen Berg".
Das ist eine vielversprechende, literarisch kluge Konstellation für eine, die schreiben kann wie Anna Katharina Hahn: stets aus der Fülle des Alltäglichen schöpfend, psychologisch genau bis zum kaum noch Erträglichen.
Mit den Erzählbänden "Sommerloch" (2000) und "Kavaliersdelikt" (2004), schließlich mit ihrem ersten Roman "Kürzere Tage" (2009) hat sie sich einen prominenten Platz in der jüngeren deutschen Literatur erschrieben, nicht zuletzt aufgrund ihres unverwechselbaren Erzähltons, in dem das Changieren zwischen schwäbischer Bedächtigkeit und düsterem Abgrund auf eigenwillige Weise aufgehoben ist. Wie ihr literarischer Ahn Mörike, den sie ausführlich in den neuen Roman hineinzitiert, und wie einige ihrer Figuren ist Hahn Sammlerin. Sie klaubt Fundstücke auf und setzt sie zu nie vollständigen Mosaiken zusammen. In den Spalten, die zwischen den Funden klaffen, lauert das Dunkle. Und das kann tiefer, grausamer, schwärzer sein als man es sich hätte träumen lassen in der beschaulichen Kehrwochenidylle.
Souverän und mitunter schon bestürzend einfühlsam folgt Hahn den beiden Ehepaaren sowie Peter, dessen Freundin Mia und ihren Söhnen vor dem Hintergrund verwildernder Gärten und der als neuer schwäbischer Romantik erlebten Protestkulisse der Baustelle von "Stuttgart 21", dem Ort an dem sich Peter noch am ehesten zu Hause zu fühlen scheint: "Das ist der pure Eichendorff, der auferstandene Mörike!"
Wenn in diesem eng um die Personen entwickelten Erzählkosmos abstrakte Worte wie "Familiengefüge" fallen, klingt das jedes Mal nach Gefahr im Verzug. Aber meistens ist die Erzählerin ohnehin bei ihren Details. Senkt sie den Blick, entgeht ihr kein Grashalm, kein Stein, kein Insekt. Hebt sie ihn, gilt dieselbe diagnostische Gnadenlosigkeit den Schwächen der Menschen, die ihre Kinder oder ihre Liebe oder ihre Bücher oder ihre Bäume oder ihren Mörike retten wollen - am Ende aber eben doch vor allem sich.
Besprochen von Hans von Trotha
Anna Katharina Hahn: Am Schwarzen Berg
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
238 Seiten, 19,95 Euro