Beklemmende Vergangenheit
"Ob wir wollen oder nicht" erzählt mit kafkaeskem Humor von enttäuschten Menschen in einem südbadischen Dorf. Der Ich-Erzähler Richard findet sich plötzklich in Untersuchungshaft wieder. Dort lässt er die alles andere als makellosen Biografien der Dorfbewohner Revue passieren. Autor Karl-Heinz Ott schildert eindringlich beklemmende Umstände und lässt die Geschichte auf ein bewusst unbefriedigendes, offenes Ende zudriften.
Worum es in Karl-Heinz Otts Romanen geht, lässt sich nicht leicht zusammenfassen. Zeigte "Endlich Stille" (2005) einen beklagenswerten Philosophieprofessor, der an den Nachstellungen eines ungebetenen Gastes zugrunde zu gehen drohte, so nimmt "Ob wir wollen oder nicht" mit einer vergleichbar fatalen Situation seinen Anfang.
Der im südbadischen Liedberg lebende Richard, Ich-Erzähler des Buches und Anfang 50 wie sein Autor, findet sich jählings in Untersuchungshaft wieder, angeklagt wegen "gefährlicher Körperverletzung und versuchten Totschlags". Warum Richard im Gefängnis sitzt, will oder kann er nicht sagen - wie es überhaupt zur Komposition des Romans gehört, dass dieser nicht zu jenen "Geschichten mit einem Anfang und einem richtigen Schluss gehört".
So viel lässt sich - vielleicht - festhalten: Im Dorfgasthof "Zum Löwen" wurde eine Frau grob misshandelt. Die Wirtin Lisa, Richards Ex-Geliebte, und ihr neuer Partner, Pfarrer Johannes, sind wie vom Erdboden verschwunden. Ein Maler will Richard beim Verlassen der unseligen Lokalität beobachtet haben, was diesen zum Hauptverdächtigen macht. In der Haft erhält er Gelegenheit, die Vergangenheit und die alles andere als makellosen Biografien der Beteiligten Revue passieren zu lassen.
Denn an Verletzungen mangelt es nicht, das Dorf hat seine beste Zeit längst hinter sich. Richard, der merkwürdige polnische Geschäftskontakte pflegt, blickt mit Wehmut auf seine Jahre als erfolgreicher Tankstellenpächter zurück. Lisa malt sich aus, die badische Enge zu verlassen und zum Sehnsuchtsort Valparaiso aufzubrechen. Pfarrer Johannes wiederum sinniert über die Welt- und Kulturgeschichte, ohne gegenüber seinem meist einsilbigen Gesprächspartner Richard an die dunkle Stelle seiner Vita zu rühren, an den sieben Jahre zuvor erhobenen Vorwurf, dass er sich an Kindern vergangen habe.
"Ob wir wollen oder nicht" erzählt mit kafkaeskem Humor von Menschen, die auf Enttäuschungen zurückblicken. Einst war Richard darauf aus, die Welt zu verändern und den "großen Sinn" zu erfassen. Mittlerweile wartet er als enttäuschter Revoluzzer auf den Moment, da die Rollläden endgültig heruntergelassen werden. In seinem Abseits sehnt er sich - ein Ott’sches Dauermotiv - nach regressiver Stille.
Karl-Heinz Ott verfügt über großes Geschick, beklemmende Umstände eindringlich zu fixieren. Er lässt seine Sätze hin- und herschweifen, verlängert sie nach Belieben, baut Anspielungen auf Uhland oder T. S. Eliot ein und lässt seine im zweiten Teil etwas abfallende Geschichte auf ein bewusst unbefriedigendes Ende zudriften, bei dem "so gut wie alles offen daliegt".
Obschon Erzählfäden zuletzt nach Paris führen, vermeiden es Karl-Heinz Ott und sein Erzähler bis zur letzten Seite, für Klarheit zu sorgen. "Was das eine mit dem anderen zu tun hat, mag begreifen, wer will." Richards Räsonnement taugt als Motto für die Machart dieses intelligenten, vergnüglich zu lesenden Romans: "Wir müssen da durch, ob wir wollen oder nicht".
Rezensiert von Rainer Moritz
Karl-Heinz Ott: Ob wir wollen oder nicht
Roman, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008,
206 Seiten, 17,95 Euro
Der im südbadischen Liedberg lebende Richard, Ich-Erzähler des Buches und Anfang 50 wie sein Autor, findet sich jählings in Untersuchungshaft wieder, angeklagt wegen "gefährlicher Körperverletzung und versuchten Totschlags". Warum Richard im Gefängnis sitzt, will oder kann er nicht sagen - wie es überhaupt zur Komposition des Romans gehört, dass dieser nicht zu jenen "Geschichten mit einem Anfang und einem richtigen Schluss gehört".
So viel lässt sich - vielleicht - festhalten: Im Dorfgasthof "Zum Löwen" wurde eine Frau grob misshandelt. Die Wirtin Lisa, Richards Ex-Geliebte, und ihr neuer Partner, Pfarrer Johannes, sind wie vom Erdboden verschwunden. Ein Maler will Richard beim Verlassen der unseligen Lokalität beobachtet haben, was diesen zum Hauptverdächtigen macht. In der Haft erhält er Gelegenheit, die Vergangenheit und die alles andere als makellosen Biografien der Beteiligten Revue passieren zu lassen.
Denn an Verletzungen mangelt es nicht, das Dorf hat seine beste Zeit längst hinter sich. Richard, der merkwürdige polnische Geschäftskontakte pflegt, blickt mit Wehmut auf seine Jahre als erfolgreicher Tankstellenpächter zurück. Lisa malt sich aus, die badische Enge zu verlassen und zum Sehnsuchtsort Valparaiso aufzubrechen. Pfarrer Johannes wiederum sinniert über die Welt- und Kulturgeschichte, ohne gegenüber seinem meist einsilbigen Gesprächspartner Richard an die dunkle Stelle seiner Vita zu rühren, an den sieben Jahre zuvor erhobenen Vorwurf, dass er sich an Kindern vergangen habe.
"Ob wir wollen oder nicht" erzählt mit kafkaeskem Humor von Menschen, die auf Enttäuschungen zurückblicken. Einst war Richard darauf aus, die Welt zu verändern und den "großen Sinn" zu erfassen. Mittlerweile wartet er als enttäuschter Revoluzzer auf den Moment, da die Rollläden endgültig heruntergelassen werden. In seinem Abseits sehnt er sich - ein Ott’sches Dauermotiv - nach regressiver Stille.
Karl-Heinz Ott verfügt über großes Geschick, beklemmende Umstände eindringlich zu fixieren. Er lässt seine Sätze hin- und herschweifen, verlängert sie nach Belieben, baut Anspielungen auf Uhland oder T. S. Eliot ein und lässt seine im zweiten Teil etwas abfallende Geschichte auf ein bewusst unbefriedigendes Ende zudriften, bei dem "so gut wie alles offen daliegt".
Obschon Erzählfäden zuletzt nach Paris führen, vermeiden es Karl-Heinz Ott und sein Erzähler bis zur letzten Seite, für Klarheit zu sorgen. "Was das eine mit dem anderen zu tun hat, mag begreifen, wer will." Richards Räsonnement taugt als Motto für die Machart dieses intelligenten, vergnüglich zu lesenden Romans: "Wir müssen da durch, ob wir wollen oder nicht".
Rezensiert von Rainer Moritz
Karl-Heinz Ott: Ob wir wollen oder nicht
Roman, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2008,
206 Seiten, 17,95 Euro