Belästigung oder Brückenschlag?

Flirten in Zeiten von #metoo

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Tänzerin und Tänzer beim Pausenflirt. © picture alliance / Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/ZB
Von Alma Gretenkord · 05.12.2017
Eine "Halbwüste" nennt Alma Gretenkord die deutsche Flirtlandschaft - und die #metoo-Debatte habe die Sache nicht einfacher gemacht. Die Deutsch-Spanierin beschreibt, wie Annäherung heute unsexistisch - und sogar offline - funktionieren könnte.
Ein kalter und nasser Berliner Herbsttag. Bahnhof Friedrichstraße. Ich reihe mich in den Strom der Menschen ein, die ihre Züge erreichen wollen. Da überholt mich ein junger Mann, bleibt neben mir stehen und sagt etwas aus der Puste: "Entschuldigung, dass ich dich anspreche, aber du bist mir gerade aufgefallen. Du hast eine schöne Ausstrahlung, und ich wollte fragen, ob wir mal was trinken gehen?"
Die Leute strömen weiter an uns vorbei. Ich erröte leicht, wir lächeln uns an. "Danke, dass du das sagst, das ist sehr charmant, aber ich hab einen Freund, und deshalb wird das mit dem Trinken nichts." Wir wünschen uns alles Gute, schmunzelnd geh ich weiter und freue mich über sein Kompliment.
Der junge Mann hat mich offensichtlich angeflirtet. Wie aber steht es generell um das Kennenlernen bei uns jungen Leuten heutzutage? Wie und wann nähern wir uns in Zeiten von Me-too- und Sexismusvorwürfen an?

Die deutsche Flirtlandschaft ist eine Halbwüste

Der Unbekannte am Bahnhof Friedrichstraße stellt eine Ausnahme in der deutschen Flirtlandschaft dar, die ich als Deutsch-Spanierin eher als "Halbwüste" bezeichnen würde. Hierzulande lernen sich die meisten Paare über die Schule, die Uni oder den Arbeitsplatz kennen, und es gibt nur bestimmte Orte, wo Flirten allgemein akzeptiert ist. Zum Beispiel in Clubs oder Bars.
In Spanien flirtet man hingegen auch auf der Straße, im Café oder in der Straßenbahn. Was als guter oder angenehmer Kennenlernversuch gilt - auch in Bezug auf Blickkontakt, Körpersprache und Respektabstand -, wird nicht überall gleich gesehen. Für andere wäre die Art, wie mich der Unbekannte vom Bahnhof Friedrichstraße angesprochen hat, sicher schon eine Zumutung.

Am Arbeitsplatz sind Komplimente unangemessen

Wann also ist ein Kennenlernversuch belästigend oder gar sexistisch? Wir bewegen uns in einer Grauzone ohne klare Trennlinien. Sicher spielt es eine Rolle, ob derjenige, der mich anspricht, sympathisch auf mich wirkt. Komplimente sind allerdings immer situations-und kontextabhängig.
Ich empfinde es beispielsweise als sexistisch, wenn ich ein Kompliment am Arbeitsplatz bekomme, wo Machtverhältnisse und Abhängigkeiten mit im Spiel sind. Mein Geschlecht oder Aussehen tun dabei nichts zur Sache, und ich möchte nicht auf mein Aussehen reduziert werden.
Spielen hier noch uralte patriarchalische Grundmuster eine Rolle? Oder führt die Werbung ständig Frauen vor, die sexy sind, und suggeriert so deren Verfügbarkeit?

Faustregel: Kommunikation und Konsens

Halten wir fest: Flirten und sich kennenlernen ist etwas sehr Schönes. Da wir nicht wissen, was unser Gegenüber als angenehm empfindet, gibt es zwei Regeln: Kommunikation und Konsens. Frag dein Gegenüber, ob es geküsst werden will. Ist die Antwort ein "Nein", keine Reaktion oder Passivität, bedeutet das: "Nein." Ist die Antwort ein Ja? – Super für euch beide!
Was uns Frauen betrifft, würde ich mir in der Kontaktaufnahme mehr Mut wünschen. Selber mal die Kerle ansprechen und nicht geknickt sein, wenn es nichts wird.
Für alle Geschlechter gilt: Nicht immer muss das Anbandeln unter Alkoholkonsum stattfinden, damit beide Parteien locker sind. Mehr direkte Kommunikation würde auch die Nachfrage nach einer Online-Dating-App wie Tinder verringern.
Zukünftig hat der Unbekannte vom Bahnhof Friedrichstraße vielleicht mehr Glück. Er hat mich nicht angefasst, war nicht aufdringlich. Er war freundlich, ehrlich und charmant. Eigentlich alles richtig gemacht. Vielleicht klappt es beim nächsten Mal besser.

Alma Gretenkord (geboren 1991), Deutsch-Spanierin aus Berlin. Sie studierte in Göttingen Geschichtswissenschaft und Kulturanthropologie. Zur Zeit ist sie im Masterstudium der Europäischen Ethnologie an der Humboldt-Universität. Ihr Fokus liegt bei der Kritischen Europäisierungsforschung. Sie schreibt als Redakteurin für die unabhängige Studierendenzeitung "Unaufgefordert".

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