Belarus

Opposition ruft zu "Marsch des Stolzes" auf

04:02 Minuten
Swetlana Tichanowskaja mit rotweißem Regenschirm und roten und weißen Blumen in der Hand bei einer Solidaritätskundgebung in Vilnius am 10.10.2020.
Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja durfte zum ersten Mal seit vier Monaten mit ihrem inhaftierten Ehemann telefonieren. © imago / Scanpix / Zygimantas Gedvila
Von Thielko Grieß |
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Trotz eines Treffens Lukaschenkos mit Oppositionellen gehen die Proteste in Belarus weiter. Unklar ist, wie dieser Schritt des Präsidenten zu deuten sei: als Zeichen der Schwäche oder als Manöver, um die Menschen vom Demonstrieren abzuhalten?
Die Proteste sollen am Sonntag unter der Überschrift "Marsch des Stolzes" stehen. Die Demonstrationen gehen damit in ihren dritten Monat. Der Sonntag hat sich längst als der Wochentag etabliert, an dem in Minsk Zehntausende, oft auch mehr Menschen auf die Straße gehen. Jedes Mal ist die Frage, wie die staatlichen Einsatzkräfte dort und in anderen Städten reagieren werden und wie viele Festnahmen es geben wird.
Am Sonnabend wurde Belarus Zeuge eines ungewöhnlichen Ereignisses. Der Präsident des Landes, dem die Demonstranten jede Legitimität absprechen, fuhr mit seiner Dienstwagenkolonne zu einer Untersuchungshaftanstalt des Geheimdienstes KGB.
Bilder seines eigenen Pressedienstes zeigten ihn wenig später, wie er dort in einem kargen Gesprächsraum mit einer Reihe von Oppositionellen an einem Tisch saß. Unter ihnen war auch Viktor Babariko. Dieser frühere Banker hatte selbst zur Wahl kandidieren wollen und galt als populär. Wegen mutmaßlicher Steuerhinterziehung wurde er jedoch vorzeitig festgenommen und seine Kandidatur so beendet. Das war mit ein Grund dafür, dass das Trio aus den Frauen Swetlana Tichanowskaja, Maria Kolesnikowa und Weronika Zepkalo seine Kräfte bündelte und buchstäblich die politische Bühne des Landes betrat.

Taktisches Manöver oder Zeichen politischer Schwäche?

Lukaschenko hatte bislang jeden Dialog mit Oppositionellen abgelehnt. Daher die Überraschung, dass er nun doch mit manchen von ihnen an einem Tisch saß. Von der Begegnung ist nur wenig bekannt geworden. Lukaschenko sagte an die Inhaftierten gewandt:
"Das Land lebt zurzeit nach der Parole: Gib uns Dialog! Ausgehend von den Vorwürfen Ihrer Anhänger habe ich darüber nachgedacht, was die radikalsten Vorschläge zu allen Fragen sind. Man darf sich nicht allein auf die Verfassung versteifen. Soweit ich es verstehe, ist die Hälfte hier Juristen, denen sonnenklar ist, dass man eine Verfassung nicht auf der Straße schreibt. Ich habe darauf einen weiteren Blick, versuche, nicht allein Ihre Anhänger zu überzeugen, sondern die gesamte Gesellschaft, dass man dieses Problem breiter in den Blick nehmen muss."
Erwiderungen, Meinungen der Inhaftierten sind nicht öffentlich geworden.
Nun fragt sich das Land, was der Besuch zu bedeuten hat. Darauf gibt es keine eindeutige Antwort. Etliche Beobachter legen es Lukaschenko als Zeichen einer politischen Schwäche aus, dass er sich nach mehr als zwei Monaten des Protests öffentlich mit Oppositionellen filmen ließ. Vielleicht ging es ihm auch darum, ein Zeichen der Deeskalation in der Hoffnung zu setzen, dass heute einige Demonstranten zu Hause bleiben.

Erstes Telefonat mit inhaftiertem Ehemann

Auch wurde gestern Abend bekannt: Swetlana Tichanowskaja durfte nach vier Monaten zum ersten Mal mit ihrem inhaftierten Mann Sergej telefonieren. Unter welchen Umständen beide miteinander sprechen durften, ist nicht bekannt. Veröffentlicht wurde ein kurzes Fragment. Tichanowskaja wirkt angespannt, sie verwendet eine formalisierte Sprache:
"Wir tun unser Möglichstes, damit ihr bald rauskommen könnt. Ich weiß nicht, wie lange das dauern wird, aber wir hoffen: sehr bald. Wir machen alles Notwendige, um die Situation in der Republik zu verändern. Ich halte nur dank der Belarussen durch. Ich weiß, dass wir nicht zurückweichen können, das werden wir nie tun, solange ihr nicht alle befreit sein werdet, solange wir nicht Neuwahlen erreicht haben."
Tichanowskaja hatte in der vergangenen Woche einige Regierungschefs in europäischen Hauptstädten getroffen und lebt aus Sicherheitsgründen im Exil.
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