Belarus und der Westen

Demokratische Grundsätze enden nicht vor unserer Haustür

04:17 Minuten
Ein Mann schwenkt die ehemalige weiß-rot-weiße Flagge von Belarus.
In Belarus reagiert Präsident Lukaschenko weiter mit großer Härte auf die Proteste gegen sein Regime. Hunderte Demonstranten sind mittlerweile inhaftiert. © AFP / Stringer
Ein Standpunkt von Martin Hyun · 06.11.2020
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Der Autor Martin Hyun fordert von Bundesregierung und EU, sich für die in Belarus inhaftierten Unterstützer der Protestbewegung gegen Lukaschenko einzusetzen. Eine Möglichkeit sieht er in der Übernahme politischer Patenschaften.
Schon vor den Präsidentschaftswahlen in Belarus wurden Lukaschenko-Gegner gnadenlos ins Gefängnis gesteckt. Mein Freund Vitali Shkliarov ist einer von ihnen. Er wurde am 30. Juli 2020 während eines Familienbesuches in seiner Heimatstadt Gomel verhaftet und inhaftiert. Seit Jahren setzt sich Vitali für freie und demokratische Wahlen in Belarus ein und ist ein engagierter Regimegegner Lukaschenkos.
Und Vitali ist nicht irgendein Kritiker: In der Vergangenheit arbeitete er als Wahlkampfhelfer für Barack Obama und war stellvertretender Wahlkampfdirektor für den Demokraten Bernie Sanders. In Russland beriet er Oppositionskandidaten bei ihren Wahlkämpfen. Zuletzt war er als Visiting Fellow an der Harvard-Universität tätig.

Schlafentzug durch Licht und sowjetische Lieder

Die Anklage gegen Vitali lautet: "Organisation und Teilnahme am gemeinsam begangenen Landfriedensbruch" – Störung des öffentlichen Friedens. Darauf stehen bis zu drei Jahre Haft.
Im Gefängnis wurde Vitali zwar nicht physisch gefoltert. Doch war er massiver psychologischer Folter ausgesetzt. Tagsüber durfte er nicht auf der Pritsche in seiner Zelle liegen. Nachts erlebte er Schlafentzug durch grelles Licht, das 24 Stunden lang seine Zelle beleuchtete. Morgens musste er sich mit einer stumpfen Rasierklinge trocken rasieren. Einmal in der Woche war es Vitali erlaubt, sich mit kaltem Wasser zu duschen. Nach 22 Uhr abends wurden alte sowjetische Lieder permanent in voller Lautstärke gespielt.

Selbst der US-Außenminister forderte Vitalis Freilassung

Ich habe mit weiteren Freunden Vitalis eine Petition für seine Freilassung initiiert, wir veranstalteten Demonstrationen unter anderem auch vor der belarussischen Botschaft in Berlin, forderten Bundestags- und EU-Abgeordnete auf, sich für die Freilassung Vitalis einzusetzen. Auch erhielten wir die Unterstützung von Vitalis ehemaligen Chef Bernie Sanders. Selbst US-Außenminister Pompeo forderte seine sofortige Freilassung, weil Vitali die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt.
Im Oktober – über zwei Monate nach Vitalis Inhaftierung und anhaltenden Protesten im Land – traf sich Lukaschenko mit verhafteten Oppositionellen, unter anderen auch mit Vitali, der sichtlich von den Strapazen der Haft gezeichnet und gesundheitlich angeschlagen war. Damit wollte Lukaschenko wohl eine Art Schein-Dialogbereitschaft signalisieren. Alle Mittel sind dem Diktator recht, um seine Macht zu sichern. Vor kurzem wurde unser Freund Vitali Shkliarov vorerst aus der Haft entlassen und unter Hausarrest gestellt. Mittlerweile wurde der Hausarrest aufgehoben. Doch dieses Privileg kann durch Lukaschenko jederzeit wieder entzogen werden.

Politische Patenschaften für Gefangene

Die meisten politischen Gefangenen in Belarus können sich nicht auf so viel internationale Solidarität verlassen, wie es Vitali erlebt hat. Viele Hunderte andere sitzen noch immer im Gefängnis. Täglich kommen neue hinzu. Ihnen stehen physische und psychische Folter bevor. JournalistInnen wird die Berichterstattung erschwert. Immer wieder werden wichtige Informationsquellen im Internet blockiert.
Trotz der Repressalien, Gewalt und Brutalität, die die protestierenden Menschen erleben, gehen sie weiterhin mutig auf die Straßen. Es ist unsere Aufgabe, die Stimme für die Menschen zu erheben, die dafür im Gefängnis landen. Ebenso müssen auf politischer Ebene Bundestags- und EU-Abgeordnete die Inhaftierten identifizieren, politische Patenschaften übernehmen und ihren Einfluss für ihre Freiheit einsetzen. Auch die Bundesregierung sollte sich in Zusammenarbeit mit den EU-Partnern für eine freie und faire Neuwahl in Belarus einsetzen. Denn demokratische Grundsätze enden nicht vor unserer Haustür.

Martin Hyun wurde 1979 Krefeld geboren. Er ist Sohn koreanischer Gastarbeiter und studierte Politik sowie International Relations in den USA und Belgien. Er war der erste koreanisch-stämmige Bundesliga-Profi in der Deutschen Eishockey-Liga sowie Junioren-Nationalspieler Deutschlands. Seit 1993 ist er deutscher Staatsbürger. Er ist Autor des Buches "Gebrauchsanweisung für Südkorea".

© Felix Park
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