Wie Künstler die Proteste unterstützen
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Die Proteste gegen Präsident Alexander Lukaschenko dauern in Belarus an. Auch die Künstlerinnen und Künstler des Landes wollen dessen proklamierten angeblichen Wahlsieg nicht hinnehmen. Sie streiken und fordern ein Ende der Gewalt.
Auf den Stufen vor der Philharmonie in Minsk steht eine Gruppe von Menschen und hält Zettel mit Buchstaben hoch. Sie ergeben den Satz: "Unsere Stimmen wurden gestohlen." Der Chor der Philharmonie hat sich den Protesten angeschlossen. "Danke", skandieren die Menschen in Minsk, die den Musikern zugehört haben.
Videoaufnahmen von dem Auftritt wurden später hunderttausendfach im Internet geteilt. Die belarussischen Künstler beteiligen sich in ihrer großen Mehrheit an den Protesten. Auch der Perfomance-Künstler Michail Gulin. Er sagte dem ukrainischen Radiosender "Hromadske": "Ich habe meine künstlerische Tätigkeit komplett unterbrochen. Ich gehe jetzt jeden Tag zu Protestveranstaltungen, so als würde ich zur Arbeit gehen. Am Donnerstag hatte ich mit anderen Künstlern eine Aktion: ‚Zeichne nicht – streike‘, hieß sie. Wir haben einfach weiße Plakate hochgehalten, auf denen nichts zu sehen war."
Verweigerung von Kunst ist eine Form des Protests
Ähnlich die Schauspieler des Belarussischen Staatlichen Dramaturgischen Theaters in Minsk. Sie haben mitgeteilt, dass sie die Theatersaison nicht, wie geplant, übermorgen eröffnen werden. In einem kurzen Film sprechen die Schauspieler und Angestellten abwechselnd eine kurze Botschaft: "Wir sind in erster Linie friedliche Bürger und wir verspüren Schmerz und Schock angesichts dessen, was vor sich geht. Wir fordern, dass die Mitarbeiter des Sicherheitsapparats aufhören, brutale Gewalt anzuwenden. Wir fordern die Freilassung aller, die bei friedlichen Demonstrationen festgenommen wurden."
Die Verweigerung von Kunst ist eine Form des Protests. Die andere, das Geschehen kreativ aufzugreifen. Diesen Weg gingen einige Künstler schon vor der Präsidentschaftswahl vor einer Woche. Zum besonderen Symbol des Widerstands gegen den autokratischen, amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko machten sie das Gemälde "Eva" von 1928. Es stammt von dem Maler Chaim Sutin, der 1893 in der Nähe von Minsk geboren wurde.
Das Gemälde, das im Eigentum einer Bank ist, wurde schon vor Monaten vom belarussischen Staat beschlagnahmt – als Maßnahme gegen einen ehemaligen Manager der Bank. Er wollte als Gegenkandidat zu Lukaschenko antreten und hatte hervorragende Umfragewerte. Das Regime ließ ihn unter vorgeschobenen Gründen verhaften.
Daraufhin klebten Künstler und andere Belarussen Fotos von "Eva" an öffentliche Orte – das Porträt einer starken Frau. Kein Zufall, sagt die Künstlerin Antonina Slobodschinkowa, die unter anderem für ihre Collagen bekannt ist: "Diese Eva wurde so auch zum Beginn der Entwicklung, dass Frauen die Hauptrolle des Widerstands übernahmen. Die männlichen Gegenkandidaten von Lukaschenko wurden verhaftet oder von der Wahl ausgeschlossen. Und Frauen haben ihre Stelle eingenommen." Gemeint sind die Oppositionskandidatin Swjetlana Tichanowskaja und ihre beiden Mitstreiterinnen.
Symbole für drei starke Frauen
Die Künstlerin Antonina Slobodschinkowa hat ein weiteres grafisches Markenzeichen der Proteste in Umlauf gebracht. Sie hat eine Zeichnung mit drei Symbolen angefertigt: Herz, Faust und das Victory-Zeichen. Jeder kann die Zeichnung im Internet herunterladen und verwenden.
Sie steht für die drei starken Frauen und für den Kern des Widerstands. Die Zeichnung stammt also noch aus der Zeit, bevor die staatliche Gewalt gegen die Protestierenden immer brutaler wurde. Seitdem sei Kunst im engen Sinn kaum mehr möglich, sagt Slobodschinkowa: "Wir haben uns vor dem Kunstpalast in Minsk versammelt und sind einfach auf die Straße gegangen, wenn die Ampel auf Rot stand. Wir haben uns vor die Autos gestellt und unsere Solidarität mit den Protesten bekundet. Gestern dann haben manche von uns dort Fotos von den Körpern von Protestierenden hochgehalten – von ihren fürchterlich gefolterten Körpern."
Was in normalen Zeiten als Performance bezeichnet würde, ist derzeit in Belarus vielmehr eine Geste des schieren Entsetzens.